Neben den Leistungen zur Deckung des Lebensunterhalts, also der Regelbedarf nach § 20 SGB II, werden auch die Kosten der Unterkunft und Heizung im Hartz IV-System übernommen – dazu gehört die Miete sowie Nebenkosten inklusive der Heizkosten. Strom müssen Betroffene hingegen aus dem Hartz IV-Regelsatz selbst zahlen.
Dass die Kosten der Unterkunft vom Jobcenter übernommen werden, gilt nur dem Grunde nach. Denn der § 22 Absatz 1 S. 1 SGB II ist nur auf den ersten Blick eindeutig, um möglicherweise überhöhten Mieten, die dann mit Steuergeldern bezahlt werden müssen, einen Riegel vorzuschieben: »Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind.« Wobei ein einziges Wort eine Unmenge an Folgefragen und auch an Streitereien auslöst: „angemessen“. Das ist einer dieser unbestimmten Rechtsbegriffe, die dann mit Leben gefüllt werden müssen – und die Infragestellung der seitens des Staates und seiner Organe getroffenen Festlegungen, was noch angemessen ist oder eben nicht mehr, ist eine der sprudelnden Quellen zahlreicher Widersprüche und auch Klagen vor den Sozialgerichten.
Es geht hier um richtig viel Geld. Schauen wir beispielsweise auf das Jahr 2017. Damals wurden insgesamt 45 Mrd. Euro Gesamtausgaben für das SGB II ausgewiesen. Davon entfallen auf die „angemessenen“ Kosten der Unterkunft (KdU) mit 14,65 Mrd. Euro ein Drittel der Gesamtausgaben. Eine gewaltige Summe. Und dass die Kosten „angemessen“ sein müssen, das steht nicht nur auf dem Papier, sondern die Nicht-Anerkennung eines Teils tatsächlich gezahlter Mieten hat handfeste Folgen: Der Vorbehalt der „Angemessenheit“ führt dazu, dass viele Hartz IV-Empfänger aus ihren sowieso schon mehr als knapp kalkulierten Regelleistungen 600 Mio. Euro abzweigen mussten zur Finanzierung der von den Jobcentern nicht übernommenen Unterkunftskosten (vgl. hierzu den Beitrag Die Jobcenter und die „angemessenen“ Kosten der Unterkunft. Hoffnung auf höhere Zuschüsse durch neue Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 1. Februar 2020).
Nun wird von einer wichtigen Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg berichtet. Es geht konkret um das Urteil LSG Berlin-Brandenburg, 20.04.2020 – L 19 AS 2352/19. „Betriebskostennachforderung nach Umzug – plausibler, nachvollziehbarer und verständlicher Grund für Umzug“, so ist das überschrieben. Um was ging es hier genau?
»Bei dem verhandelten Fall hatte sich das Jobcenter geweigert, nach dem Umzug einer 1997 geborenen Leistungsbezieherin die kompletten Mietkosten der neuen Unterkunft zu übernehmen. Die Begründung der Behörde: Der Umzug sei nicht ausdrücklich genehmigt worden. Das Jobcenter zahlte infolge seiner Ablehnung weiterhin nur die alte Miete. Die neue Wohnung war etwas größer als die alte und kostete monatlich 349,14 Euro. Die Miete für die vorherige Wohnung hatte bei 319,00 Euro gelegen. Das Jobcenter weigerte sich also, die monatlichen Mehrkosten von 30,14 Euro für die neue Bleibe zu übernehmen.« So die Sachverhaltsdarstellung in diesem Artikel: Endgültig entschieden: Hartz-IV-Bezieher dürfen Wohnung ohne Erlaubnis wechseln. Daraufhin zog die Hartz-IV-Bezieherin vor das Sozialgericht in Frankfurt (Oder). Und sie hatte gute Gründe:
»Sie klagte gegen den Behördenerlass mit der Begründung, der Umzug zum 1. Dezember 2016 sei aus praktischen Erwägungen erfolgt. Die neue Wohnung liege in Bahnhofsnähe und bringe ihr eine Fahrzeitersparnis von einer Stunde. Die Klagende führte ein zweites Argument ins Feld: Die neue Wohnung sei schimmelfrei – im Gegensatz zur vorherigen Unterkunft.«
»Das Sozialgericht Frankfurt (Oder) gab der Hartz-IV-Bezieherin Recht. Für den Wohnungswechsel müssen lediglich plausible Gründe vorliegen – solange die neue Wohnung nicht mit unangemessenen Mehrkosten verbunden ist« (SG Frankfurt/Oder, 28.11.2019 – S 40 AS 1945/17). »Im Einzelnen führten die Richter aus: Die Miete für die neue Wohnung ist vom Jobcenter voll zu übernehmen, weil sie die angemessenen Wohnkosten bei einem Hartz-IV-Bezug nicht überschreitet. Beide von der Klägerin genannten Gründe seien plausibel – sowohl die Fahrzeitersparnis als auch das Vermeiden der Schimmelgefahr.«
Das Jobcenter akzeptierte den Richterspruch nicht und ging in Berufung vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg. Doch die Richter machten kurzen Prozess und wiesen die Klage als unbegründet zurück. Eine Revision wurde nicht zugelassen. Damit ist das Urteil rechtskräftig.
Schaut man in die Urteilsbegründung, dann wird erkennbar, dass das Landessozialgericht dem Jobcenter hier einiges ins Stammbuch geschrieben hat:
»Dass es Anhaltspunkte dafür gibt, dass Leistungsberechtigte „nur zum Zweck der Ausschöpfung der maximal ermittelten Angemessenheitsgrenzen des Landkreises in eine Wohnung mit höheren, aber immer noch angemessenen Kosten“ umziehen«, sie die Ausführungen des Jobcenters, »ist für den Senat nicht erkennbar. Es entspricht vielmehr nicht der Lebenserfahrung, dass Menschen „nur zum Zweck der Ausschöpfung der maximal ermittelten Angemessenheitsgrenzen“ umziehen.«
Und auch dieser Passus hat es in sich:
»Weil in der vorliegenden Konstellation ein rechtfertigender Grund für die erhebliche Einflussnahme auf den Wohnsitz des Leistungsempfängers nicht ersichtlich ist, spricht eine grundrechtsfreundliche Auslegung ebenfalls gegen die vom Beklagten vertretene Auffassung. Ein Wegfall der Erstattung einer Nebenkostenforderung allein durch Umzug käme einem faktischen, erheblichen Umzugshindernis gleich. Wenn Leistungsempfänger allein durch einen Umzug trotz durchgehender Hilfebedürftigkeit ihren Anspruch auf Erstattung der (schon aufgelaufenen) Betriebskosten verlieren würden, stünden sie vor der Alternative, entweder nicht umzuziehen oder nur wegen nicht auskömmlich festgesetzter Nebenkostenvorauszahlungen – deren Abschlagshöhe sie regelmäßig gar nicht beeinflussen können – mit Schulden belastet zu werden, obwohl sie durchgängig lediglich existenzsichernde Leistungen beziehen und für einen solchen Fall praktisch nicht vorsorgen können. Dass das Gesetz aber Leistungsempfängern dauerhaft die Ausübung ihres Grundrechtes auf Freizügigkeit erschweren oder gar unmöglich machen will, vermag der Senat nicht zu erkennen.«
Und auch diesen Satz findet man in dem Urteil: »Für den Umzug gab es einen plausiblen, nachvollziehbaren und verständlichen Grund. Denn er führte bei der Klägerin zu einer erheblichen Zeiteinsparung.«
Das verweist zugleich darauf, dass man aufpassen sollte, wenn einem jetzt überall die These begegnet. dass Hartz IV-Empfänger nunmehr keine Genehmigung vom Amt bedürfen. Dem ist nicht so, denn das gilt hier nur deshalb, weil man erkannt hat, dass die Leistungsempfängerin gute und nachvollziehbare Gründe hatte, die Wohnung zu wechseln. Das mag bei anderen Fallkonstellationen anders aussehen.