Viele Kaiserschnitte, zu wenig Kinderchirurgen und immer wieder das Fallpauschalensystem der Krankenhausfinanzierung

Im vergangenen Jahr ist fast jedes dritte Kind in Deutschland per Kaiserschnitt zur Welt gekommen. Allerdings streuen bereits zwischen den Bundesländern die Anteile der Kaiserschnitt-Entbindungen erheblich – sie liegen zwischen sehr hohen 40,2 Prozent im Saarland am oberen und 24,2 Prozent in Sachsen am unteren Ende. Die Weltgesundheitsbehörde (WHO) empfiehlt eine Kaiserschnittrate von maximal 15 Prozent – wobei man diesen Wert sicher mit Vorsicht genießen sollte, denn der Anteil wird auch höher ausfallen können/müsssen, wenn man beispielsweise eine Gesellschaft (wie die unsere) betrachtet, in der viele ältere Frauen entbinden oder Mehrlingsschwangerschaften verbreiteter sind. Die zwischen den Bundesländern aufgezeigten Spannweiten bei den Anteilswerten setzen sich innerhalb der Bundesländer fort: Für Nordrhein-Westfalen wird ein Wert von 32,8 Prozent ausgewiesen. Der aber schwankt erheblich, wenn man auf die lokale Ebene runtergeht: Die landesweit höchste Quote wird im Kreis Olpe mit über 43 Prozent erreicht. Bonn, Paderborn und der Rhein-Sieg-Kreis hingegen kommen auf Kaiserschnitt-Quoten unter 26 Prozent. Und mit Blick auf die zurückliegenden Jahre muss man feststellen: Seit 2000 ist der Anteil der Kaiserschnitte um zehn Prozentpunkte auf 32,8 Prozent gestiegen. Das und mehr kann man dem Artikel Fataler Trend zu Kaiserschnitt-Geburten in NRW von Wilfried Goebels entnehmen.
Der Artikel stützt sich auf einen vom Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen herausgegebenen Abschlussbericht über die Arbeit des Ende 2013 eingesetzten „Runder Tisch Geburtshilfe“.

Die nordrhein-westfälische Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) sieht die Ursachen für mehr Kaiserschnitte »im höheren Alter der Schwangeren, den Anstieg der Mehrlingsschwangerschaften und „möglicherweise zu weit gefasste medizinische Indikationen“. Auch passten planbare Kaiserschnitte häufig besser „in die Lebensplanung und den Klinikalltag“ hinein. Nicola H. Bauer, Professorin für Hebammenwissenschaften an der Hochschule für Gesundheit in Bochum, bestätigte, dass die Kaiserschnitte weltweit steigen. Bauer führte den Trend auch auf verbreitete Sorgen in Kliniken vor den Folgen von Geburtsfehlern zurück.«

Man muss an dieser Stelle aber auch darauf hinweisen, dass es nicht nur „das System“ ist, das sich in Richtung mehr Kaiserschnitt-Entbindungen bewegt und den werdenden Müttern gleichsam eine natürliche Entbindung auszureden versucht – immer wieder wird aus diesem Bereich auch berichtet, dass die Nachfrage seitens der Entbindenden nach einem Kaiserschnitt als (scheinbar) schnellste und einfachste und am wenigstens mit Schmerzen verbundene Variante der Geburt in den vergangenen Jahren erheblich angestiegen ist, vielleicht – wir bewegen uns hier in einem hypothetischen Rahmen – auch ein Ausdruck einer Gesellschaft, in der Beeinträchtigungen wie Schmerz (bzw. die Angst vor Schmerz) „weggemacht“ werden sollen. Insofern sind wir konfrontiert mit einem Mix aus angebots- und nachfrageinduzierter Erklärungsfaktoren für den beobachtbaren Anstieg des Anteils der Kaiserschnitt-Entbindungen.

Man will es offensichtlich nicht bei einer Bestandsaufnahme belassen, sondern – so berichtet es die „Ärzte Zeitung“ – auch gegenzusteuern versuchen: NRW will natürliche Geburt fördern. Das Gesundheitsministerium will künftig Kliniken modellhaft fördern, denen es durch besondere Maßnahmen gelingt, die Zahl der Kaiserschnittentbindungen trotz der Zunahme von Risikogeburten und -schwangerschaften zu senken.

Hier interessieren vor allem gesundheitspolitisch relevante Struktur-Entwicklungen. So wird seitens der Professorin Nicole H. Bauer von der Hochschule für Gesundheit in Bochum darauf hingewiesen, »dass in Kliniken jede siebte Stelle von Hebammen unbesetzt ist. Laut Hebammenverband ist die Zahl der Hebammen in den letzten fünf Jahren um 25 Prozent auf landesweit 4.000 gesunken. Derzeit finden 99 Prozent der Geburten in Kliniken statt. Nur 125 Hebammen bieten außerklinische Geburtshilfe an – nicht zuletzt wegen der hohen Versicherungsprämie von rund 6.200 Euro jährlich. Auch kleine Kliniken leiden unter den hohen Versicherungsprämien und erwägen die Schließung ihrer Geburtshilfe-Abteilungen. Gesundheitsministerin Steffens forderte eine bundesweite Regelung zur finanziellen Entlastung der Hebammen.« Zur aktuellen Situation hinsichtlich der angesprochenen Versicherungsproblematik der freiberuflich tätigen Hebammen vgl. auch den Blog-Beitrag Drohende Versicherungslosigkeit eines Teils der Hebammen vorerst vermieden. Aber das kostet was vom 28.11.2015.

Und das Problem der stark steigenden Versicherungsprämien ist nicht nur auf die sehr überschaubare Gruppe der freiberuflich noch in der Geburtshilfe tätigen Hebammen begrenzt, wie das Zitat aus dem Artikel verdeutlicht – auch die stationäre Geburtshilfe sieht sich hier zumindest unter einer bestimmten Fallzahl in arger Bedrängnis.

Und auch die Fallpauschalen, über die wesentliche Teile der Krankenhausfinanzierung laufen, tauchen hier wieder auf: So will die nordrhein-westfälische Gesundheitsministerin Steffens »in wissenschaftlichen Studien auch prüfen lassen, ob die unterschiedlichen Vergütungssätze für natürliche Geburten und Kaiserschnitte für Fehlanreize in Kliniken sorgen. Eine normale Geburt kostet mindestens 1.272 Euro – ein Kaiserschnitt wegen des höheren Personaleinsatzes zwischen 2.300 und 5.000 Euro.«

Bei solchen Erlösdifferentialen könnte man natürlich schon auf den Gedanken kommen, dass die Frage Kaiserschnitt ja oder nein eine gewisse monetäre Überlagerung erfahren könnte.
Die Gesundheitsministerin hat sich hier schon entsprechend positioniert – denn ihrer Meinung nach »gehört auch die unterschiedliche Vergütung von natürlichen Geburten und Kaiserschnittentbindungen auf den Prüfstand. In den DRG für die Kliniken würden die Schnittentbindungen deutlich höher bewertet. „Die Finanzierungslogik entspricht nicht dem höheren Aufwand der Begleitung“, sagte sie.«

Und wenn wir schon bei den DRGs und den Fallpauschalen sind, mit denen die Krankenhäuser finanziert werden, passt ein Blick auf die Kinderchirurgie, mit der sich Jonas Tauber in seinem Artikel DRG-System deckt Bedürfnisse nicht ab beschäftigt hat: »Zwei Drittel der Zehn- bis 15-Jährigen wurden 2013 nicht von einem speziell ausgebildeten Kinderchirurgen operiert – ein Mangel, der laut Fachgesellschaften nur durch eine Reform des DRG-Systems behoben werden kann.«
„Der Bedarf von Kindern ist in den Fallpauschalen nicht ausreichend abgebildet“, wird Professor Bernd Tillig, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH), zitiert. Hinzu kommt: „Wir haben Überversorgung in Ballungsgebieten und Unterversorgung auf dem Land.“ Das hat dazu geführt, dass 2013 »fast ein Viertel der Säuglinge, etwa ein Drittel der Kleinkinder unter fünf Jahren, über die Hälfte der Fünf- bis Zehnjährigen und über zwei Drittel der Zehn- bis 15-Jährigen nicht von einem speziell ausgebildeten Kinderchirurgen operiert« worden ist.
Im bestehenden Finanzierungssystem sei die Mehrzahl der kinderchirurgischen Kliniken in Deutschland nicht kostendeckend zu betreiben.

Passend zu dem Grundproblem der zu kleinen Zahl, das auch viele geburtshilfliche Abteilungen haben: »So behandelt ein durchschnittliches kinderchirurgisches Krankenhaus in Deutschland etwa 1.400 Kinder im Jahr, für den kostendeckenden Betrieb seien aber mindestens 2.500 Patienten nötig.«
Man denke einfach nur einen Moment nach über die Anreize, die in einem solchen System ausgelöst werden (können).

Man kann es drehen und wenden wie man will: Die Zeit ist mehr als überreif für eine Debatte über Sinn und eben auch Unsinn des gegenwärtigen Finanzierungssystems der deutschen Krankenhäuser.

Drohende Versicherungslosigkeit eines Teils der Hebammen vorerst vermieden. Aber das kostet was

Immer wieder war das mal Thema: Die Hebammen und ihre Versicherung. Genauer: Ein Teil der freiberuflich tätigen Hebammen, die geburtshilflich unterwegs sind, waren und sind konfrontiert mit dem Tatbestand, dass die Haftpflichtversicherungsprämien in den vergangenen Jahren exorbitant angestiegen sind und zugleich drohte die reale Gefahr, dass es selbst zu den gestiegenen Prämien gar nicht mehr genügend Anbieter solcher Versicherungen geben könnte. Das hätte und würde das Aus für Hebammen bedeuten, die eine Hausgeburt begleiten können. Nun kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass das eigentlich gar nicht so verkehrt wäre, denn die werdenden Mütter haben die Möglichkeit, in einer Klinik zu entbinden und das sei sowieso sicherer und besser für die Geburtshilfe an sich. Auf der anderen Seite gibt es den Standpunkt, dass das ach weiterhin eine freie Wahlentscheidung bleiben sollte und wenn man erst einmal die Infrastruktur der freiberuflichen Begleitung einer Hausgeburt zerstört hat, dass dann eine Rückkehr nicht mehr möglich sei.

Im vergangenen Jahr tobte eine intensive Debatte nicht nur über die immer weiter und stark ansteigenden Versicherungsbeiträge für diese Hebammen, sondern auch über eine drohende Versicherungslosigkeit aufgrund des Ausstiegs von Versicherungsunternehmen aus diesem dann insgesamt doch sehr kleinteiligen Geschäftsfeld. Behandelt wurde diese Thematik auch in diesem Blog, beispielsweise in den Beiträgen Hebammen allein gelassen. Zwischen Versicherungslosigkeit ante portas und dem Lösungsansatz einer Sozialisierung nicht-mehr-normal-versicherbarer Risiken vom 17.02.2014 sowie Hebammen nicht mehr allein gelassen? Der Berg kreißte und gebar eine Maus oder ein Geschäft zu Lasten Dritter? Die Hebammen und ihre fortschreitende Versicherungslosigkeit, die vorläufig unter dem Dach der Krankenkassen geparkt werden soll. Bis zur nächsten Runde vom 04.05.2014. In dem letzten Beitrag wurde darauf hingewiesen, »ohne Bewegung in Richtung auf eine „große Kollektivierung“ wird das Problem bestehen bleiben, dass die privaten Versicherungen ihre betriebswirtschaftlich durchaus nachvollziehbaren Konsequenzen aus einer Teilsozialisierung der bei ihnen ansonsten anfallenden Kosten ziehen werden: Sie werden an der Prämiensschraube drehen.«

So ist es denn auch gekommen. Die gute Nachricht vorweg: Bis Mitte 2018 wird es überhaupt noch Versicherungsunternehmen geben, die sich der Hebammen annehmen. Ein Versichererkonsortium unter Führung der Versicherungskammer Bayern (VKB) hat dem Deutschen Hebammenverband (DHV) jetzt ein Angebot vorgelegt, das den Ende Juni kommenden Jahres auslaufenden Gruppenvertrag verlängert. Die VKB ist mit einem Anteil von 55 Prozent der führende Anbieter in dem Konsortium. Außerdem sind Allianz, Debeka, Ergo, R+V und Württembergische beteiligt. Die Axa scheidet zum 30. Juni 2016 aus dem Konsortium aus.

Nun gibt es also für die Zeit ab Mitte des kommenden Jahres ein neues Angebot: Die Belastung für freiberuflich tätige Hebammen, die Geburten begleiten, wird sich Mitte 2016 um etwa neun Prozent erhöhen, 2017 um elf Prozent, kann man dem Artikel Versicherung für Geburtshelferinnen wird deutlich teurer von Ilse Schlingensiepen entnehmen.

»Grund für die steigenden Prämien ist nicht die Zunahme der Schadensfälle. Den Ausschlag geben vielmehr die immer höheren Kosten für die Versicherer. Die besseren Behandlungsmöglichkeiten haben dazu geführt, dass auch schwerst geschädigte Kinder mittlerweile lange leben. Die Versicherer müssen nicht nur für die Therapie-und Pflegekosten zahlen, sondern auch für Rentenansprüche, Schmerzensgeld und weiteres. „Bei schweren Geburtsfehlern liegen die Kosten heute im Durchschnitt bei 2,6 Millionen Euro“, sagt VKB-Sprecher Stefan Liebl. Das Konsortium leistet maximal bis zu sechs Millionen Euro pro Kind.«

Es geht hier um einen ordentliche Stange Geld: »Freiberufliche Hebammen mit Geburtshilfe müssen seit dem 1. Juli 2015 über den Gruppenvertrag 6274 Euro im Jahr für den Versicherungsschutz bezahlen. Zum Vergleich: 2004 waren es noch 1352 Euro. Die Belastung wird sich Mitte 2016 um etwa neun Prozent erhöhen. 2017 ist eine weitere Anhebung um elf Prozent vorgesehen.«
Allerdings muss man darauf hinweisen, dass das nicht für alle Hebammen gilt, sondern nur für die, die auch geburtshilflich tätig sind. Die anderen, also der Großteil der Hebammen, der vor- und nachgeburtlich unterwegs ist, zahlt nach wie vor weniger als 1000 Euro pro Jahr für den Versicherungsschutz.

Die Versicherten in der Gesetzlichen Krankenversicherung müssen es alleine stemmen. Die Lastenverschiebung in der Sozialversicherung hin zu den Arbeitnehmern bekommt ein Update

In diesen Tagen der Fokussierung auf das Flüchtlingsthema gehen so manche Nachrichten aus der Welt der Sozialpolitik schlichtweg unter. Zugleich wird man an Dinge erinnert, die vor geraumer Zeit in diesem Blog notiert wurden. Fangen wir damit an: Am 14. Juni 2014 wurde dieser Beitrag veröffentlicht: Und durch ist sie … Zum Umbau der Krankenkassenfinanzierung und den damit verbundenen Weichenstellungen. Daraus darf und muss man einiges in Erinnerung rufen: Bis zum Jahr 2008 gab es kassenindividuelle Beitragssätze, teilweise mit einer erheblichen Varianz zwischen den einzelnen Krankenkassen. Dann wurde von der damaligen Großen Koalition das System grundlegend verändert – 2009 wurde der „Gesundheitsfonds“ eingeführt, gewissermaßen der „dritte Weg“ im damaligen Lager-Streit zwischen einer „Bürgerversicherung“ und der „Gesundheitsprämie“. Für alle Versicherten wurde ein bundeseinheitlicher Beitragssatz eingeführt. Die Einnahmen,  die darüber generiert werden, müssen von den Kassen in einem ersten Schritt an den „Gesundheitsfonds“ abgeführt werden. Das Bundesversicherungsamt, dass den Fonds verwaltet, verteilt dann die Einnahmen in Form einer Zuweisung wieder an die einzelnen Kassen auf der Basis eines morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (RSA). Der bundeseinheitlicher Beitragssatz von 15,5 % verteilt sich – anders als in der früheren Welt – nicht mehr paritätisch auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sondern die Arbeitnehmerseite muss einen höheren Beitragssatz zahlen (8,2 % statt 7,3 % auf der Arbeitgeberseite), da die Versicherten einen besonderen Beitragsanteil in Höhe von 0,9 Prozentpunkten alleine aufzubringen haben. Gesetzliche Krankenkassen, die mit den aus dem Gesundheitsfonds zugeteilten Mitteln ihre Ausgaben nicht refinanzieren können, müssen bislang einen einkommensunabhängigen Zusatzbeitrag von ihren Versicherten erheben (seit 2011 im Grunde nicht mehr nach oben begrenzt, aber mit einem Sozialausgleich, mit dem verhindert werden soll, dass der Zusatzbeitrag mehr als zwei Prozent des beitragspflichtigen Einkommens in Anspruch nimmt). So war das in der alten Welt, bevor die Große Koalition kam.

Denn die hat das System der Krankenkassenfinanzierung verändert – durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Finanzstruktur und der Qualität in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzstruktur- und Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetz – GKV-FQWG). Das war eine wichtige Weichenstellung, denn: Der paritätisch finanzierten Beitragssatz wurde auf 14,6% gesenkt, während der Arbeitgeberanteil bei 7,3% eingefroren wurde.

Einkommensunabhängige pauschale Zusatzbeiträge werden abgeschafft, stattdessen wird der Zusatzbeitrag in Zukunft als prozentualer Anteil von den beitragspflichtigen Einnahmen erhoben. Da so der Solidarausgleich bei den Zusatzbeiträgen innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung organisiert wird, ist ein steuerfinanzierter Sozialausgleich nicht mehr erforderlich und Mehrbelastungen des Bundes entfallen.

Die heute wieder aufzurufende Schlussfolgerung aus dem damaligen Beitrag lautet:

»Der sozialpolitische entscheidende, hoch problematische Punkt ist die Tatsache, dass der Zusatzbeitrag alleine von den Versicherten aufgebracht werden muss und dass der Arbeitgeber-Anteil von 7,3% auf Dauer eingefroren wird. Das aber bedeutet nichts anderes, als dass alle zukünftigen Kostenanstiege in der Gesetzlichen Krankenversicherung, wenn diese dann ihren Niederschlag finden in entsprechend steigenden Beitragssätzen zur GKV, ausschließlich von den Versicherten zu tragen sind.«

Genau das können und müssen wir in diesen Tagen beobachten: GKV-Beiträge steigen um 0,2 Prozentpunkte, so eine der vielen Meldungen zum Thema. »Der durchschnittliche Beitrag für die gesetzliche Krankenversicherung steigt im kommenden Jahr voraussichtlich um 0,2 Prozentpunkte auf 15,7 Prozent.«

Und wir reden hier nicht über Peanuts, wenn wir von 0,2 Prozentpunkte Beitragssatzanstieg sprechen, denn daraus resultieren zusätzliche Einnahmen von etwas mehr als zwei Milliarden Euro. Diesen Anstieg müssen Versicherte allein tragen. Die prozentuale Belastung für Arbeitgeber bleibt davon unberührt.

Wobei man an dieser Stelle darauf hinweisen muss, dass das nicht für alle Versicherten bedeuten muss, dass ab dem 1. Januar des kommenden Jahres höhere Beiträge fällig werden, denn das ist eine Entscheidung der einzelnen Krankenkassen, ob sie das weiterreichen an ihre Versicherten und den Zusatzbeitrag anheben – oder den Kostenanstieg auf anderem Wege zu kompensieren versuchen.

Bereits jetzt zahlten Versicherte über zehn Milliarden mehr als Arbeitgeber, im kommenden Jahr steigt die Differenz auf 13 Milliarden Euro.

Vor diesem Hintergrund kann es nicht überraschen, wenn man konfrontiert wird mit solchen Botschaften: Rufe nach Rückkehr zur Parität werden lauter:

»Unisono forderten die Gesundheitspolitiker wie Hilde Mattheis (SPD), Harald Weinberg (Linke) und Maria Klein-Schmeink (Bündnis 90/Die Grünen), Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichmäßig zu belasten. Dem hat sich der Ersatzkassenverband (vdek) angeschlossen.«

Man kann es auch so ausdrücken: Ruf nach „Halbe-Halbe“ System, ein Beitrag von Peter Mücke , in dem darauf hingewiesen wird, dass die Forderung nach dem alten paritätischen System immer lauter wird. Und in diesem Artikel wird auch der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion zitiert:

„Es ist jetzt die Zeit, in der wir über eine Rückkehr zur paritätischen Finanzierung nachdenken müssen“, sagt etwa SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. Er geht davon aus, dass der Zusatzbeitrag im Wahljahr 2017 wegen weiterer Reformen noch stärker steigen wird.

Das nun wieder ist aufschlussreich, wenn man ein Blick wirft in den Blog-Beitrag aus dem Juni 2014. Dort kann man – garniert mit zahlreichen kritischen Hinweisen an die Lauterbach’sche Adresse – lesen:

»SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach lobte das Gesetz, „weil es der endgültige Abschied von kleinen oder großen Kopfpauschalen ist“. Denn bisher können Kassen pauschale Zusatzbeiträge in festen Eurobeträgen nehmen.«

Klasse. Gleichsam ein virtuelles Problem. Denn: Wegen der guten Finanzlage der Kassen wurden gar keine pauschalen Zusatzbeiträge mehr erhoben.

Aber genau diese Konstellation beginnt sich jetzt zu ändern. Und man darf sicher sein: Wenn erst einmal die Büchse der Zusatzbeiträge bei einigen Kassen geöffnet wird, dann wird das gesamte System nachziehen.

Florian Staeck kommentiert: »Die GKV-Mitglieder können sich bei der SPD bedanken. Im Sommer 2014 einigte sich die Koalition auf einen Deal, der so verquer ist wie der Name des Gesetzes: Finanzstruktur- und Qualitätsweiterentwicklungs-Gesetz (FQWG). Darin schwor die Union dem einkommensunabhängigen Zusatzbeitrag ab. Das wurde von der SPD als finale Beerdigung der Kopfpauschale gefeiert. Der Preis für die SPD: die Aufgabe der Parität zugunsten der Arbeitgeber. Der Aufschlag bei den Zusatzbeiträgen dürfte je nach Kasse stark unterschiedlich ausfallen. Manche Kasse hat den Zusatzbeitrag bislang künstlich niedrig gehalten und Rücklagen aufgezehrt. Jetzt schlägt die Stunde der Wahrheit.«

Und die Krankenkassen stehen unter einem erheblichen Kostendruck: Die Arzneimittelpreise steigen, zusätzliche Ausgaben durch die Krankenhausreform der Bundesregierung werden fällig und im kommenden Jahr kann man durchaus plausibel von weiteren Kostensteigerungen ausgehen auch angesichts der Tatsache, dass 2017 die nächsten Bundestagswahlen anstehen (und angesichts des sich verstärkenden Drucks aus den Krankenhäusern seitens der faktisch oftmals unerträglichen Arbeitsbelastung vor allem im pflegerischen Bereich). Und natürlich darf an dieser Stelle nicht ausgeklammert werden, dass die Ausgaben im Zusammenhang mit der Integration der Flüchtlinge in das Krankenversicherungssystem ebenfalls zusätzliche Ausgaben generieren werden, die aus dem Beitrags- und ggfs. Zusatzbeitragstöpfen gedeckt werden müssen. Hinzu kommt ein weiterer, für die Versicherten unangenehmer Mechanismus: Neben der einseitigen Verlagerung der Kostenanstiege in den Zusatzbeitragsbereich hinein sind die Versicherten immer auch mit einer Politik der Teil-Leistungsverlagerung aus dem Versicherungssystem konfrontiert (man denke hier an die Zuzahlungen), was man natürlich hoch fahren kann. Aug Kosten der Versicherten.

In der gesetzlichen Krankenversicherung sehen wir damit die gleiche Entwicklungsrichtung, wie wir sie seit Anfang des Jahrtausends in der gesetzlichen Rentenversicherung beobachten müssen. Dort wurde mit der so genannten „Riester-Reform“ zum einen das Sicherungsniveau der gesetzlichen Rentenversicherung abgesenkt, garniert mit dem Versprechen, dass es keinem schlechter gehen werde, da ja als Kompensation die staatlich hoch subventionierte „Riester-Rente“ eingeführt wird, die allerdings – aus der Perspektive des bestehenden Systems – einen „Schönheitsfehler“ aufweist: Die private Altersvorsorge muss ausschließlich von den Versicherten selbst bestritten werden und während die Absenkung des Rentenniveaus verpflichtend für alle konfiguriert wurde, gilt dies nicht für die private Altersvorsorge, die auf einer freiwilligen Basis ausgestaltet wurde, was bekanntlich dazu geführt hat, dass gerade diejenigen, die von der Absenkung des Rentenniveaus besonders hart getroffen werden, weil sie niedrige Einkommen haben, auf eine entsprechende private Zusatzvorsorge verzichten und sich im Ergebnis bei ihnen die Versorgungslücken verdoppeln.

Selbst in der Arbeitslosenversicherung, in der formal die Parität zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber noch gilt, müssen wir letztendlich eine Lastenverschiebung zuungunsten der Versichertenseite feststellen. Ein aktuelles Beispiel dafür wäre die „innovativ“ daherkommende Entscheidung, dass der Verwaltungsrat der Bundesagentur für Arbeit (BA) beschlossen hat, Sprachkurse für Flüchtlinge schnell und flächendeckend anzubieten und diese über Beitragsmittel der Arbeitslosenversicherung zu finanzieren.  Hört sich gut an, aber wieder einmal geht es um Geld: Denn die Mittel dafür stammen aus der Interventionsreserve im Haushalt  der BA, also aus Beitragsgeldern, die man dafür zurückgelegt hat, dass bei einer Verschlechterung der Arbeitsmarktlage Leistungen an Arbeitslose gewährt werden können, ohne sofort ins Defizit zu rutschen. Nun sollen diese Versicherungsmittel für eine Aufgabe verwendet werden, die nun korrekterweise aus Steuermitteln zu finanzieren wäre.  Gleichzeitig muss man wissen, dass der früher existierende Bundeszuschuss (aus Steuermitteln) an die Bundesagentur für Arbeit zur Defizitdeckung (und damit eine gesamtgesellschaftliche Beteiligung an den stabilisierenden Aufgaben der Arbeitslosenversicherung über Steuermittel) schon seit geraumer Zeit gestrichen ist, so dass bei einer krisenhaften Zuspitzung der Lage auf dem Arbeitsmarkt die Arbeitslosenversicherung aus eigenen Bordmitteln die Aufgabe zu stemmen hat. Auch wenn hier formal noch Parität besteht zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber – ein Effekt sind dann Leistungsverdichtungen bzw. -kürzungen, die natürlich vor allem bzw. ausschließlich die Versicherten im Falle der (Nicht-)Inanspruchnahme treffen.

Abschließend nur eine prophylaktische Anmerkung zu der an dieser Stelle immer wieder vorgetragenen Kritik, dass die Unterscheidung in Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge in der Sozialversicherung in die Irre führt, denn am Ende muss der Arbeitnehmer die sogenannten „Lohnnebenkosten“ immer vollständig selbst zahlen, denn die Arbeitgeber kalkulieren mit den gesamten Arbeitskosten. Ökonomisch ist das richtig und das wird hier überhaupt nicht bezweifelt. Daraus resultiert auf einer anderen Baustelle die berechtigte Forderung, die bestehende Finanzierung der großen sozialen Sicherungssysteme überwiegend aus dem beitragspflichtigen (und dann auch noch durch Beitragsbemessungs- und Versicherungspflichtgrenzen nach oben gedeckelten) Lohneinkommen zu erweitern und auf breitere Grundlagen zu stellen.

Aber der hier entscheidende Punkt ist: Je mehr Kostenanteile asymmetrisch verteilt werden zuungunsten der Arbeitnehmer und von diesen erst einmal alleine zu tragen sind, um so größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass zumindest ein großer Teil der Arbeitnehmer nicht in der Lage sein wird, sich das über entsprechende Lohnsteigerungen wieder „zurückzuholen“ bzw. den Belastungsanstieg wieder zu kompensieren, man denke hier nur an die Tatsache, dass viele Arbeitnehmer gar nicht (mehr) in tarifgebundenen Bereichen arbeiten und auch die Tarifabschlüsse der Gewerkschaften können nicht immer genug herausholen für die Arbeitnehmer. Im Ergebnis sind wir dann bei vielen konfrontiert mit einer weiteren Etappe auf dem Weg der Privatisierung der sozialen Sicherung.