Die „Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen“ werden still beerdigt und in den klammen Jobcentern ein wenig materialisiert. Und auch sonst hakt es vorne und hinten

Für einen kritischen Beobachter der Sozialpolitik ist es wirklich kein Grund zur Freude, wenn sich die eigenen, frühzeitig vorgetragenen Bedenken gegen eine Maßnahme am Ende bestätigen. Viel Zeit, Kraft und auch Geld ist ins Land gegangen, nur um festzustellen, dass etwas eingetreten ist, vor dem man schon vor Monaten aus sachlichen Gründen gewarnt hat. Und besonders ärgerlich ist die Tatsache, dass die dafür Verantwortlichen letztendlich nie zur Rechenschaft gezogen werden, auch und gerade wenn sie es hätten besser wissen können und müssen.

Nehmen wir als Beispiel die „Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen“. Bereits am 13. Februar 2016 wurde hier dieser Beitrag gepostet: Die Bundesarbeitsministerin fordert „Ein-Euro-Jobs“ für Flüchtlinge. Aber welche? Und warum eigentlich sie? Fragen, die man stellen sollte. In dem Beitrag wurde aus einem Interview mit der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) zitiert, in dem sie ausgeführt hat: »Ich möchte zum Beispiel 100.000 Arbeitsgelegenheiten für Flüchtlinge schaffen. Bisher sitzen die Menschen manchmal zwölf Monate herum, ohne etwas tun zu können. Das löst auf allen Seiten Spannungen aus. Wir müssen so früh wie möglich ansetzen, das kann ich aber nur mit Unterstützung des Finanzministers. Es geht hier um 450 Millionen Euro zusätzlich im Jahr.« Das hört sich doch erst einmal nach einer guten Sache an. Wie so oft aber war bereits damals erkennbar, dass gut gemeint nicht selten schlecht gemacht bedeutet.

Auch wenn einem das nicht gefällt, es wurde bereits damals auf die in Deutschland so leidige und wichtige Zuständigkeitsfrage hingewiesen: Denn für die Flüchtlinge am Anfang ist das SGB II, also das Hartz IV-System und mit ihm die Jobcenter, gar nicht relevant. Die Flüchtlinge schlagen erst dann im Hartz IV-System auf, wenn sie als Asylberechtigte anerkannt sind. Am Anfang sind bzw. wären sie theoretisch Asylbewerber – theoretisch deshalb, weil viele von ihnen  Monate warten müssen, bis sie überhaupt einen Asylantrag stellen können beim BAMF, bis dahin sind sie noch nicht einmal Asylbewerber. Da gilt dann aber das Asylbewerberleistungsgesetz. Und für die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge beispielsweise in den Erstaufnahmestellen und vor Ort in den Unterkünften sind die Bundesländer und Kommunen zuständig, wobei der Bund an der Finanzierung beteiligt ist. Wer ist also für die laut Nahles bedauernswerten herumsitzenden Flüchtlinge zuständig? Auf alle Fälle nicht die Jobcenter (mit ihren Arbeitsgelegenheiten, die umgangssprachlich, aber inhaltlich falsch als „Ein-Euro-Jobs“ bezeichnet werden), sondern es sind die Kommunen. Aber die konnten schon damals, wenn sie es denn wollten, auf das Instrument der Arbeitsgelegenheit zurückgreifen. Nur nicht nach SGB II, sondern nach § 5 AsylbLG.

Die einfachste Antwort damals wäre gewesen, die Kommunen für ihre Klientel zu ermuntern, das Instrumentarium der Arbeitsgelegenheiten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz frühzeitig und innovativ (was durchaus einige Kommunen schon seit Jahren versucht haben) zu nutzen und ihnen dafür seitens des Bundes die erforderlichen Finanzmittel zur Verfügung zu stellen – zudem muss man wissen, dass die Arbeitsgelegenheiten nach § 5 AsylblG förderrechtlich weitaus weniger restriktiv ausgestaltet sind als die „klassischen“ Ein-Euro-Jobs nach § 16 d SGB II.

Aber da hat der gesunde Menschenverstand nicht mit dem Institutionenwirrwarr gerechnet, das einem in diesem Land immer wieder auf die Füße fällt.

Bereits am 23. März 2016 musste dann dieser Beitrag gepostet werden: Die Bundesarbeitsministerin macht es schon wieder: „Ein-Euro-Jobs“ für Flüchtlinge ankündigen, die noch nicht im Hartz IV-System sind. Was soll das? Damals konnte berichtet werden, das 300 Mio. Euro für das Jahr 2017 für diese Arbeitsgelegenheiten vorgesehen seien, mit denen Flüchtlinge auf den Arbeitsmarkt vorbereitet werden sollen. Aber wieder musste der Finger auf die föderale Wunde gelegt werden: »Wenn Frau Nahles erneut „Ein-Euro-Jobs“ für Flüchtlinge in Aussicht stellt, die aber noch nicht in den Zuständigkeitsbereich „ihrer“ Jobcenter fallen, dann müssen das die Kommunen machen, was die – wie aufgezeigt – auch können (sogar mit mehr Spielräumen als bislang die Jobcenter), aber dann muss die Geldsumme, mit der sie heute hausieren geht, auch bei den Kommunen, die das machen, ankommen.«

Natürlich wusste man a) auch im Bundesarbeitsministerium (BMAS) von dieser Problematik und b) geht die Bundesagentur für Arbeit in Berlin ein und aus und die hat seit geraumer Zeit ein Interesse, neue Zuständigkeitsfelder zu erschließen, gehen ihr doch im Arbeitslosenversicherungssystem (SGB III) zunehmend die Kunden aus, während sich die große Zahl der von Erwerbslosigkeit betroffenen Menschen (und auch die Flüchtlinge nach ihrer Anerkennung) im Hartz IV-System tummeln. Also ist man auf eine „Lösung“ gekommen, die das ganze Unterfangen noch abenteuerlicher macht. Darüber wurde am 12. Juni 2016 unter dieser Überschrift berichtet: „Nirwana-Arbeitsgelegenheiten“ zwischen Asylbewerberleistungsgesetz und SGB II. Eine dritte Dimension der „Ein-Euro-Jobs“ und die dann auch noch 20 Cent günstiger? Denn zwischenzeitlich hatte die Bundesregierung ein „Integrationsgesetz“ auf den Weg gebracht und das BMAS hatte sich da so verewigt: »Zusätzliche 100.000 Arbeitsgelegenheiten für Berechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ermöglichen erste Einblicke in den deutschen Arbeitsmarkt.«

In dem Beitrag wurde das grundlegende Problem der neuen, geplanten 100.000 „Bundes-AGH-Teilnehmer“ herausgearbeitet. Die neuen Maßnahmen sollen

a) für eine Klientel geplant werden, die es eigentlich nicht oder zumindest immer weniger geben wird und
b) dass mit der Durchführung nicht die Kommunen bzw. die Jobcenter (also die zuständigen Institutionen für die heute schon bestehenden AGHs) beauftragt werden sollen, sondern die Bundesagentur für Arbeit (BA) soll das machen.

Und damit nicht genug. Für diese „dritte Dimension“ der Arbeitgelegenheiten (neben denen des AsylblG und des SGB II) wurde ein eigner, positiv klingender Name kreiert („Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen (FIM)“) und ein eigenes Preisschild entworfen, denn den asylsuchenden Teilnehmern soll bei diesen Maßnahmen künftig nur noch 80 Cent pro Arbeitsstunde gewährt werden. Schon damals war die Bewertung meinerseits nicht wirklich angenehm für die Arbeit der Bundesregierung: »Man muss sich den Wahnsinn einmal ausmalen: Wir bekommen dann drei Arten von Arbeitsgelegenheiten (AGH nach AsylbLG, AGH nach SGB II und neu die AGH nach Bundesprogramm), drei zuständige Institutionen (kommunale Sozialämter, Jobcenter und neu die Arbeitsagenturen).«

Ein Merkmal dieses Blogs ist es, dass man die jeweils aktuellen Säue, die durchs Dorf getrieben werden, auch hin und wieder dahingehend befragt, was denn mit ihnen passiert ist. Folglich wurde am 23. Dezember 2016 dieser Beitrag hier publiziert: „80-Cent-Jobs“ für Flüchtlinge – billiger geht’s nun wirklich nicht. Und dennoch: Sie werden kaum genutzt. Die Länder und Kommunen nehmen das Angebot kaum in Anspruch. Erst 12.000 Plätze sind beantragt. Zwei Bundesländer haben gar kein Interesse. Noch mal zur Erinnerung: 100.000 solcher Arbeitsgelegenheiten wurden in Aussicht gestellt. Und beantragte Plätze sind nicht gleich auch besetzte Plätze. Auch wenn die Länder Plätze beantragt haben, geht deren Besetzung nur schleppend voran, so schon der damalige Erkenntnisstand. Und der kam eben nicht überraschend, wenn man sich einfach mal klar macht: Die Zielgruppe der Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen mit einer maximalen Dauer von sechs Monaten sind Volljährige mit guter Bleibeperspektive, über deren Asylantrag noch nicht entschieden ist. Die FIM sind also „Warte-Ein-Euro-Jobs“ für die Zeit zwischen Antrag und endgültigem Bescheid und damit für einen Zeitraum, den das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BMAF) immer mehr verkürzen soll und will.

Und der vorläufig letzte Todesstoß hinsichtlich der FIM wurde zumindest in diesem Blog am 3. Februar 2017 mit diesem Beitrag geleistet: Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen: „Erkenntnisse liegen der Bundesregierung nicht vor“. Doch, die gibt es – und sie bestätigen die Skepsis gegenüber den „Nirwana-Arbeitsgelegenheiten“. Die FIM sind ein totaler Reinfall. Was zu erwarten war.

Mittlerweile hat sich das auch in Berlin herumgesprochen – und man hat gehandelt. In einem dem Verfasser vorliegenden Schreiben vom 30. März 2017 wendet sich der Staatssekretär im BMAS, Thorben Albrecht, an seine Länderkollegen unter der unverfänglichen Überschrift „Arbeitsmarktprogramm Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen“. Darin wird den „sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen“ folgendes mitgeteilt – und der eine oder andere Leser, der bis hierhin durchgehalten hat, wird nicht verwundert sein:

»… gerade Flüchtlinge mit einer guten Bleibeperspektive, die die Hauptzielgruppe der Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen darstellen, wechseln durch zügigere Asylverfahren schneller in die Grundsicherung für Arbeitsuchende. Deshalb hat sich die Bundesregierung … unter anderem darauf verständigt, dass ab dem Jahr 2018 das Gesamtbudget in der Grundsicherung aus Mitteln für das Arbeitsmarktprogramm „Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen“ verstärkt werden können soll … Auf dieser Grundlage habe ich … entschieden, ab dem Jahr 2018 240 Mio. Euro aus den Mitteln für das Arbeitsmarktprogramm „Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen“ zur Verstärkung des Verwaltungskostenbudgets zur Durchführung des SGB II einzusetzen.«

Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Die FIM werden still beerdigt und die Mittel, die man eigentlich für dieses Programm eingeplant hatte, werden nun den Jobcentern teilweise zugewiesen. Aber nicht, wie vielleicht der eine oder andere jetzt naiv annehmen möchte, für andere Fördermaßnahmen, sondern für die Verwaltungsausgaben der Jobcenter, die bekanntlich seit Jahren ein unterausgestattetes Verwaltungskostenbudget haben und sich in einem von Jahr zu Jahr steigenden Umfang – aufgrund der gegenseitigen Deckungsfähigkeit auch rechtlich möglich – aus dem Eingliederungstopf für die Hartz IV-Empfänger bedienen, mithin also Gelder, die für die Förderung der Arbeitslosen gedacht sind, umschichten, um damit Miete und Personalkosten zu finanzieren (vgl. zu dieser besonderen Problematik meinen Beitrag Jobcenter: Die Notschlachtung eines Sparschweins für das Auffüllen eines anderen? Wieder ein skandalöser Rekord bei den Umschichtungen von Fördermitteln hin zu den Verwaltungsausgaben vom 27. Februar 2017).

Aber der Irrsinn kann noch gesteigert werden, denn landauf landab wird man mit solchen Meldungen konfrontiert: Mittel gekürzt: Jobcenter muss knausern: »Völlig überraschend hat Berlin dem Jobcenter Hannover Finanzmittel für Eingliederungsmaßnahmen gestrichen. 7,5 Millionen Euro fehlen. Der Sparkurs trifft Alleinerziehende, Jugendliche und Flüchtlinge.«

»Begründet wurde der Rotstiftkurs mit vermutlich geringerem Aufwand für die Integration von Flüchtlingen. Die Zahl der Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten, die eine neue Heimat in Deutschland suchen, sei natürlich gesunken, sagt Sozialdezernent Erwin Jordan als Vorsitzender der Trägerversammlung. Den Effekt aber bekomme das Jobcenter mit Verspätung zu spüren: „Wir haben 100 bis 150 Neuzugänge von Flüchtlinge pro Woche.“

Jobcenter-Chef Michael Stier musste das Arbeits- und Integrationsprogramm 2017 deutlich abspecken. Er hatte für Verwaltungskosten 84,6 Millionen und für Eingliederungsmaßnahmen 77,2 Millionen Euro erwartet. „Das hätte für notwendige Unterstützung ausgereicht“, sagt er. „Jetzt können wir zum ersten Mal nicht alles realisieren, was wir für erforderlich halten.“

Die Zahl der Maßnahmen für Langzeitarbeitslose, aber auch Jugendliche und Flüchtlinge wird von 22 000 auf 16 600 sinken – also fast um ein Viertel abnehmen. Kurse finden in Folge mit weniger Teilnehmern statt, werden auf später verschoben oder ganz gestrichen. Das trifft auch die Bildungsträger, die mit dem Jobcenter arbeiten. Quasi als Kettenreaktion dürften auch bei ihnen Jobs gefährdet sein.«

Und das vor dem Hintergrund der bereits seit längerem praktizierten und schon angesprochenen Mittelumschichtungen aus den zugewiesenen Mitteln für Fördermaßnahmen. Am Beispiel des Jobcenter Hannover: »Die Einrichtung in Hannover, die 1700 Mitarbeiter habe …  müsse aber immer Mittel umschichten, weil die Zuweisung für Personalkosten seit 2012 trotz Tariferhöhungen unverändert blieben. 200 Mitarbeiter hätten noch befristete Verträge, für ihn ein Unding.«

Und nicht das der eine oder andere denkt, jetzt ist aber Schluss. Thomas Öchsner hat sich thematisch hier leider mehr als passend mit diesem Artikel zu Wort gemeldet: Bürokratisches Gewirr: »Die neuen Kombikurse für Flüchtlinge, bei denen Deutschkurse und die Berufsvorbereitung kombiniert wurden, laufen nur schleppend an. Dabei sollte es eigentlich ganz schnell gehen. Die Rechnung wurde ohne die deutsche Bürokratie gemacht.« Wieder werden wir mit einer guten Absicht konfrontiert: Im August 2016 wurde ein Programm mit dem Titel „KompAS“ ( Kompetenzfeststellung, frühzeitige Aktivierung und Spracherwerb) gestartet. Es soll helfen, anerkannte Geflüchtete und Asylbewerber mit guter Bleibeperspektive schneller in eine Ausbildung oder eine Arbeit zu bringen. Es geht also um Kurse, bei denen Deutschkurse und die Berufsvorbereitung kombiniert werden (sollen).

»So prognostizierte das Bundesarbeitsministerium im Juli in bestem Amtsdeutsch: „Bis Jahresende wird mit ca. 40 000 Maßnahmeeintritten gerechnet.“ Gut 40 000 Plätze sollten also bis Ende Dezember 2016 besetzt sein.«

Tatsächlich aber waren es nur gut 10.000. Dass diese Zahlen überhaupt ans Licht der Öffentlichkeit gekommen sind, liegt an einer Anfrage der grünen Bundestagsabgeordneten Brigitte Pothmer. Und die führt das ernüchternde Ergebnis auf „zersplitterte Zuständigkeiten und bürokratische Abstimmungsprozesse“ zurück. Wir werden nicht nur mit dem institutionellen Wirrnissen unseres „Systems“ konfrontiert, sondern auch mit den Untiefen einer kafkaesk daherkommenden Förderlandschaft:

»Zuständig für die Kombikurse sind das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und die Nürnberger BA, das BAMF für die Integrationskurse, die Bundesagentur für Bewerbungstrainings oder Berufsvorbereitungskurse. Das löse laut Pothmer aber ein „Wirrwarr“ aus: So müssten die Bildungsträger die jeweiligen Kursanteile getrennt abrechnen. Bei den Unterrichtsräumen und der Qualifikation des Lehrpersonals gebe es unterschiedliche Normen. „Auch die Kursteilnehmer leiden unter den unterschiedlichen Vorschriften, etwa bei der Erstattung der Fahrkosten“, sagt die Grünen-Abgeordnete. Das sehen beteiligte Akteure genauso: Der zuständige Dezernent einer großen deutschen Stadt spricht in einer internen Mail von einem geringen Interesse der Bildungsträger wegen der „Regelungsdichte“. Auch weist er darauf hin, dass sich erst im Nachhinein herausstelle, dass viele Teilnehmer Analphabeten seien, die dann an den Kombikursen nicht mehr teilnehmen dürften. Viele Träger seien nach Aussagen der Jobcenter nicht bereit, mit anderen Anbietern zu kooperieren und sich gemeinsam für die Umsetzung der Kurse zu bewerben. Es fehle Lehrpersonal. Außerdem seien die Kombikurse für die Bildungsträger wegen der kurzen Laufzeiten finanziell nicht attraktiv.«

Und die Schlussfolgerung von Brigitte Pothmer? „Die Bundesregierung hätte von Anfang an die Zuständigkeit für die Kombikurse in eine Hand legen müssen. Jetzt droht der gute Ansatz der frühzeitigen Kombination von Spracherwerb und Qualifizierung zwischen den Ressort-Egoismen zerrieben zu werden.“

Irgendwie kommt einem das mehr als bekannt vor. Quod erat demonstrandum.

Da war doch noch was? Flüchtlinge, Sprach- und Integrationskurse und die Menschen, die das machen

Es ist ein grundsätzliches Phänomen unserer Zeit und zugleich ein echtes Problem, dass die von den Gesetzmäßigkeiten einer Aufmerksamkeitsökonomie vor sich hergetriebenen Medien auf ein Thema anspringen, um dann kurze Zeit später die mit Sicherheit folgende neue Sau, die dann durchs Dorf getrieben wird, zu verfolgen und die vor kurzem noch im Mittelpunkt der Berichterstattung stehende Angelegenheit verschwindet wieder in der Dunkelheit der Nicht-Berichterstattung und damit folgend der Nicht-Wahrnehmung. Mit erwartbaren Folgen: Aus den Augen, aus dem Sinn. Die Politik und ihre professionellen Öffentlichkeitsarbeiter wissen das. Also müssen sie in dem Moment, wo ein Thema durch eine Aufmerksamkeitswelle nach oben gespült wird und die Erregung am größten ist, schnell und scheinbar tatkräftig reagieren, in dem sie dem Publikum signalisieren, wir tun was. Das wird gelöst. Dumm nur, wenn es sich – wie im sozialpolitischen Feld eher der Regelfall – um höchst komplexe Angelegenheiten handelt, die man eben nicht einfach Wegreden kann, sondern wo nur mit dem Einsatz von Mehr-als-Worten, also Geld und dann auch noch möglicherweise gemeinsam mit den föderalen Ebenen unseres Staates etwas bewirkt werden kann. Das kostet Zeit, wenn die Finanzmittel überhaupt da sind oder zur Verfügung gestellt werden, da muss jemand die Verantwortung der Umsetzung übernehmen, wobei vorher die Zuständigkeitsfrage geklärt sein muss. Das dauert.

Nur hin und wieder wird mal nachgefragt seitens der Medien, was den aus einem der vielen tatkräftig daherkommenden Lösungsversprechen geworden ist, wie die Ergebnisse aussehen, ob es überhaupt welche gibt. Nicht selten wird man dann mehr als ernüchternde Befunde zur Kenntnis nehmen. Nehmen wir als Beispiel die Flüchtlinge und dabei ganz besonders die Sprach- und Integrationskurse. Die einleitend beschriebenen Mechanismen unserer Medienwelt kann und muss man hier wie in einem Lehrbuch zur Kenntnis nehmen.

In diesem Blog wurde bereits vor einiger Zeit nicht nur darüber berichtet, dass es nicht genügend Sprach- und Integrationskurse gibt, sondern ein besonderer Schwerpunkt wurde auf die teilweise erheblich prekäre Situation der Lehrkräfte gelegt.

Bereits am 13. April 2015 wurde hier dieser Beitrag veröffentlicht: Vom Sparen am falschen Ende und einer „vorsätzlichen Gesellschaftsgefährdung“. Es geht um Sprach- und Integrationskurse für Asylbewerber und „Menschen mit einem dauerhaften oder befristeten Aufenthaltstitel“. Schon damals wurde – mit Bezug auf die Bundesagentur für Arbeit – darauf hingewiesen, dass enorme gesellschaftliche Folgekosten drohen, wenn man nicht endlich bei den Sprach- und Integrationskursen in die Puschen kommt. Dazu braucht man natürlich die Lehrkräfte als wertvollste Ressource. Aber über die musste dann am 2. September 2015 unter dieser Überschrift berichtet werden: 1.200 Euro im Monat = „Top-Verdienerin“? Lehrkräfte in Integrationskursen verständlicherweise auf der Flucht oder im resignativen Überlebenskampf. Nach der Beschreibung der Bedingungen, unter denen die meisten (selbständigen) Lehrkräfte arbeiten müssen,  ließ sich dieses Fazit nicht vermeiden: „Letztendlich haben wir es hier mit pädagogischen Tagelöhnern zu tun.“

So etwas wie ein Hoffnungsschimmer hat es dann am 16. Mai 2016 in die Überschrift dieses Beitrags geschafft: Der Integrations-Flaschenhals Sprachkurse, die Lehrkräfte und deren schlechte Vergütung. Doch jetzt soll alles besser werden. Damals ging es darum, dass das durchschnittliche Mindesthonorar für die selbständigen Lehrkräfte gerade mal bei 20,35 Euro pro Unterrichtsstunde lag und eine Anhebung auf 35 Euro pro Stunde zur Diskussion stand, nachdem es in den Medien immer mehr kritische Berichte über die Vergütung der Lehrkräfte gegeben hatte. Aber selbst diese diskutierte Anhebung wurde von den Betroffenen als viel zu niedrig kritisiert.

In den vergangenen Monaten ist es ziemlich ruhig geworden rund um das Thema Flüchtlinge. Und damit leider auch um das Thema Sprach- und Integrationskurse, obgleich da eben nicht nunmehr alles rund läuft. Immer noch gibt es zu wenig Angebote und immer noch sind die Bedingungen der dort arbeitenden Fachkräfte unbefriedigend.

Mal wieder in den Lichtkegel der öffentlichen Aufmerksamkeit gerutscht ist das Thema rund um die Berichterstattung über eine Bewertung des Bundesrechnungshofes über längst zurückliegenden Vorgänge. Rechnungshof rügt Sprachkurse für Flüchtlinge, so eine der vielen Artikel-Überschriften dazu.: »Die Arbeitsagentur hat 400 Millionen Euro für Deutschkurse ausgegeben. Ein großer Teil der eingesetzten Mittel ist wohl wegen geringer Teilnehmerzahlen wirkungslos verpufft«, so Sven Astheimer. Das hört sich nach einem Skandal an, 400 Mio. Euro sind ja kein Pappenstiel. Und wenn man dann liest, der »Bundesrechnungshof beschuldigt Deutschlands größte Behörde, durch mangelnde Vorgaben für Bildungsträger und fehlende Kontrollen Millionenbeträge mit Sprachkursen für Flüchtlinge verschwendet zu haben«, dann scheint sich der Verdacht zu bestätigen. Hinzu kommt: Es geht hier um rund 400 Millionen Euro aus Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung, denn die hat das Geld aus ihrer Kasse zur Verfügung gestellt, obgleich natürlich eigentlich die Aufgabe aus allgemeinen Steuermitteln zu finanzieren wäre.

Aber man muss genauer hinschauen.

»Im Herbst 2015, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, entschied sich jedoch der Verwaltungsrat der Arbeitsagentur dafür, ein Sonderprogramm aufzulegen, weil es an Sprachkursen mangele. Das Programm wurde als „Soforthilfe“ deklariert und sollte „unbürokratisch“ umgesetzt werden. Das Programm lief von Oktober bis Dezember 2015. Die Nachfrage war riesig: Rund 220000 Flüchtlinge wurden für die Sprachkurse angemeldet, mehr als doppelt so viel wie erwartet. Das trieb die Kosten in die Höhe. Waren zunächst 54 bis 121 Millionen Euro veranschlagt, stand am Ende ein Bedarf von rund 400 Millionen Euro.«

Die mit gut gefüllten Kassen ausgestattete Bundesagentur für Arbeit, deren damaliger Leiter Frank-Jürgen Weise auch noch Leiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wurde, das für die Kurse eigentlich zuständig ist, ist also in die Bresche gesprungen, als Not am Mann war und der Haushalt des Bundes geschont werden sollte, denn Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hatte und hat die „schwarze Null“ als ewige Dauerstimme im Kopf.

Man könnte jetzt also argumentieren, damals war die Not groß und die BA ist dann eben unbürokratisch eingesprungen, um die Kurse für die Flüchtlinge zu ermöglichen, da läuft natürlich nicht alles so, wie es seinen normalen bürokratischen Gang geht. Aber:

»Schon damals waren jedoch Zweifel an der Vergabe- und Kontrollpraxis der Agenturen aufgekommen. Von Schein- und Doppelmeldungen durch die Bildungsträger war die Rede, von überhöhten Abrechnungssätzen und dubiosen Anbietern. Die Arbeitsagentur schreckte auf und begann mit stichprobenartigen Prüfungen. Dabei sei man „in Einzelfällen“ auf Umstände gestoßen, „die wir uns so nicht gewünscht hätten“, hatte Vorstandsmitglied Detlef Scheele im Februar 2016 noch gesagt. Zu diesem Zeitpunkt waren jedoch erst 4 Prozent der Sprachkurse abgerechnet.«

Und nun – rückblickend ist man immer schlauer könnte man einwerfen – meldet sich Monate später der Rechnungshof zu Wort nach einer Prüfung der damaligen Vorgänge in aller Ruhe und im warmen Büro und wirft der BA vor, dass nicht alles so abgelaufen sei, wie man es erwarten müsste unter Normalbedingungen. Aber so einfach kann man die Kritik auch nicht beiseite schieben, die Argumentation des Rechnungshofes, über die Astheimer berichtet, hört sich differenzierter an:

„Besonders kritisch sehen wir, dass die Bundesagentur zwar bestimmte Vorgaben vorbereitet hatte, diese aber nicht zur Anwendung kamen“, rügte Rechnungshofpräsident Kay Scheller. Zwar erkennt er den Willen der Verantwortlichen an, in einer schwierigen Situation einen Beitrag für die Integration von Flüchtlingen leisten zu wollen. „Gerade in einer solchen Situation brauchen wir aber ein Mindestmaß an Regelung, wie solche Sprachkurse aussehen und durchgeführt werden sollen.“

Und fürwahr – das Vorgehen der BA damals erscheint als ziemlich freier Freibrief: »Normalerweise knüpft die Arbeitsagentur den Einkauf von Leistungen Dritter an konkrete Vorgaben. In diesem Fall wurde darauf jedoch verzichtet. Es gab weder ein festgelegtes Lernziel für die Teilnehmer noch eine Anwesenheitskontrolle. Auch wurden entgegen sonstigen Gepflogenheiten Anbieter ohne Zertifizierung zugelassen.«

Auch Sandra Stalinski weist in ihrem Artikel Integrationskurse: Die Qualität schwankt zuerst darauf hin, dass im Herbst und Winter 2015 in sehr kurzer Zeit sehr viele Menschen auf einmal kamen und zunächst Chaos herrschte. »Es gab nicht genügend Plätze in den Integrationskursen, es mangelte an Trägern, die solche Kurse durchführen können und an geeigneten Lehrkräften. Der Bund versuchte, schnell Abhilfe zu schaffen. Durch ein Sonderprogramm der Bundesagentur für Arbeit (BA) wurden rasch Einstiegskurse für Geflüchtete ins Leben gerufen. Die Anforderungen an die Träger waren sehr gering. Es kam zu Missbrauch, falschen Abrechnungen, miserablen Lernbedingungen.«
Dieses Chaos ist inzwischen behoben, so Stalinski, denn die Einstiegskurse sind ausgelaufen.

Für die regulären Integrationskurse wurden mehr Plätze geschaffen: Nach Angaben des BAMF wurden 20 Prozent mehr Träger zugelassen, die Zahl der Lehrkräfte sei sogar um 100 Prozent gestiegen. Hört sich erst einmal gut an.

»600 Unterrichtsstunden Sprachkurs und weitere 100 Stunden Orientierungskurs, mit Wissen zu Geschichte, Rechtsordnung und Werten in Deutschland umfasst ein Integrationskurs. Am Ende sollen die Teilnehmer mindestens das Sprachniveau B1 erreichen. Gemeint ist damit die selbstständige Sprachverwendung in den wichtigsten Lebensbereichen.«

Aber offensichtlich haben wir es weiterhin mit erheblichen Qualitätsunterschiede zwischen den so wichtigen Integrationskursen zu tun. Und bei der Suche nach den Ursachen dafür stoßen wir auf die Lehrkräfte und ihre Qualifikation:

»In der Kürze der Zeit sind viele Lehrer nachqualifiziert worden, die nie Deutsch als Fremdsprache (DaF) studiert haben. Ihre Qualifikation ist nicht gleichwertig: Beispielweise bei einem deutschen Soziologen, der zum Lehrer umgeschult wurde und jetzt durch eine Zusatzqualifizierung Integrationskurse unterrichtet. „Der musste in wenigen Wochen lernen, was andere in jahrelangem Studium lernen. Da fehlt es oft an methodisch-didaktischem Wissen, an Reflexion über die eigene Sprache, die man ja als Muttersprachler in der Regel nicht hat“, sagt Ingo Schöningh vom Goethe-Institut Mannheim.
Nur 51 Prozent der aktuell etwa 19.500 Integrationskurslehrer haben ein DaF-Studium absolviert, teilt das BAMF auf Anfrage mit. Rund 37 Prozent haben vor ihrer Zulassung eine Qualifizierung durchlaufen. 12 Prozent unterrichten bereits und holen die Zusatzqualifizierung parallel nach. Die – je nach Vorbildung – 70 oder 140 Unterrichtsstunden Zusatzqualifizierung sind nach BAMF ausreichend. Akteure im Bildungssektor bezweifeln das jedoch.«

Und die Arbeitsbedingungen, die auch heute zu beobachten sind, müssen als sichere Quelle für Qualitätsprobleme angesehen werden. Beispiel Gruppengröße – die ist sogar raufgesetzt worden:

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) »bemängelt, dass die Teilnehmerzahl von 20 auf 25 erhöht wurde: „Die Gruppen sind viel zu groß, angesichts der pädagogischen Herausforderung“, sagt Ansgar Klinger zu tagesschau.de. „Da sitzen mitunter Menschen mit Bürgerkriegserfahrung, die vielleicht nie eine Schule besucht haben, neben EU-Bürgern, die hier arbeiten wollen und ein abgeschlossenes Studium haben.“ 

Und selbst die mehr als fragwürdigen 25 werden angeblich überschritten. So berichtet eine Lehrkraft: „Ich weiß von Kursen privater Träger, in denen 30 Leute sitzen. 25 davon sind Integrationskursteilnehmer, die anderen fünf sind Selbstzahler.“ Da formal die Teilnehmerzahl des Integrationskurses nicht überschritten wird, werde das offenbar nicht weiter kontrolliert.

An der Bezahlung hat sich seit der letzten Anhebung nichts geändert: 35 Euro pro Unterrichtsstunde erhält eine Honorarkraft für den Integrationskurs. Die Anhebung von durchschnittlich 23 auf 35 Euro sei zwar ein richtiger Schritt gewesen, reiche aber bei weitem nicht aus, so die GEW: Umgerechnet in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung käme man laut GEW gerademal auf den Mindestlohn in der Weiterbildungsbranche, der auch für Nicht-Akademiker gilt.

Und ein eigenes Problemfeld sind die Träger, die solche Maßnahmen durchführen – mit bedenklichen Folgewirkungen der „wilden Zeit“, über die hier bereits berichtet wurde (Zitat einer Volkshochschullehrerin: „Als die BA 2015 die Einstiegskurse ins Leben rief, haben im Ruhrgebiet sogar Fahrschulen solche Kurse angeboten. Da haben Leute 300 Stunden Kurs gemacht und hinterher kaum ein Wort Deutsch verstanden.“) Aber die sind doch vorbei? Ja, aber:
„Anbieter, die damals ohne jede Qualifikation die Einstiegskurse der BA durchgeführt haben, können das beim BAMF heute als Erfahrungsnachweis vorbringen und so eine vorläufige Zulassung als Träger erhalten“, so Ansgar Klinger von der GEW.

Man sieht: Der Fortschritt ist eine quälend langsame Schnecke, in diesem Fall ganz besonders und zuweilen werden auch noch tote Schnecken reanimiert, um sie weiterlaufen zu lassen.

Und es möge sich keiner angesichts der seit dem vergangenen Jahr rückläufigen Flüchtlingszahlen in falscher Sicherheit wiegen, dass sich das Bedarfsproblem ab Sprach- und Integrationskursen irgendwie von alleine löst. Ein Beispiel, was – ob man will oder nicht – an zusätzlichem Bedarf auf uns zukommt, neben denen, die schon da sind: Fast 268.000 Syrer haben Anspruch auf Familiennachzug, so ist ein Artikel überschrieben. »Immer mehr anerkannte syrische Flüchtlinge haben einen Anspruch auf Familiennachzug. Das geht aus einem internen Papier der Bundesregierung zu den Folgen der Flüchtlingskrise hervor … Aus den Asylentscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ergebe sich „ein Potenzial von Syrern, die berechtigt wären, Familienangehörige nachzuholen“ von derzeit rund 267.500 Personen. Für sie findet die „Aussetzung des Familiennachzugs für zwei Jahre“ nach dem Aufenthaltsgesetz (§ 104, Absatz 13) laut dem internen Bericht „keine Anwendung“. Die betroffenen syrischen Flüchtlinge dürften ihre Familien somit nach Deutschland nachholen.«

Wer sich gleichsam aus erster Hand über die Situation, vor allem aber über die Forderungen der Fachkräfte, die in den Sprach- und Integrationskursen arbeiten, informieren möchte, dem sei diese Seite empfohlen: Bündnis DaF/DaZ-Lehrkräfte, die beiden Kürzel stehen für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache.

Der Gesetzgeber hat keine Lust (mehr). Das Mindestlohngesetz, die nicht vorhandenen Ausnahme-Langzeitarbeitslosen und Flüchtlinge im Anerkennungspraktikum

Es ist ruhiger geworden um den gesetzlichen Mindestlohn. Die Kritiker schmollen ob der nicht-eingetretenen Vorhersagen und heben hin und wieder das Bein, um deutlich zu machen, dass der Mindestlohn trotzdem von schlechten Eltern ist und dass die schlimmen Folgen irgendwann mal in der Zukunft zu Tage treten könnten. Zum 1. Januar 2017 ist der Betrag von 8,50 Euro auf 8,84 Euro pro Stunde brutto angehoben worden – und damit ist erst einmal Ruhe, bis die Mindestlohn-Kommission erneut beratschlagen darf. Natürlich ist es immer so, dass im Verlauf der Zeit mit Blick auf das zugrundeliegende Gesetzeswerk an der einen oder anderen Stelle Anpassungsbedarfe erkennbar werden, die man dann normalerweise im Gesetzgebungsverfahren aufgreift und das Gesetz anpasst. Und derzeit sind zwei Baustellen erkennbar, die aber partout umschifft werden (sollen).

Das sind beispielsweise – immer wieder – „die“ Langzeitarbeitslosen, für die der Gesetzgeber bei der Normierung des Mindestlohngesetzes aus polit-kosmetischen Gründen und gegen die Empfehlungen der meisten Sachverständigen, die nicht interessengebunden sind, für die ersten sechs Monate eine Ausnahmeregelung von der (eigentlich für alle) geltenden Lohnuntergrenze in das Mindestlohngesetz geschrieben hat (§ 22 Abs. 4 MiLoG). Dort heißt es: »Für Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die unmittelbar vor Beginn der Beschäftigung langzeitarbeitslos im Sinne des § 18 Absatz 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch waren, gilt der Mindestlohn in den ersten sechs Monaten der Beschäftigung nicht.« Hört sich eindeutiger an, als es ist.

Nun wurde bereits im Gesetzgebungsverfahren von Experten darauf hingewiesen, dass diese Sonderregelung nicht nur inhaltlich mehr als fragwürdig ist, sondern wenn man ein wenig Ahnung hat von der Praxis war jedem klar, dass das kaum Relevanz entfalten wird in der wirklichen Wirklichkeit. So ist es denn auch gekommen. Der bereits aufgerufene Paragraf 22 Absatz 4 MiLoG enthält noch eine Ergänzung, die man angesichts der massiven Kritik schon bei der Entstehung der Norm mit aufgenommen hat: »Die Bundesregierung hat den gesetzgebenden Körperschaften zum 1. Juni 2016 darüber zu berichten, inwieweit die Regelung nach Satz 1 die Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt gefördert hat, und eine Einschätzung darüber abzugeben, ob diese Regelung fortbestehen soll.«

Und dieser Bericht liegt nun vor (vgl. dazu Mindestlohn: Kabinett beschließt Bericht zur Ausnahmeregelung für Langzeitarbeitslose vom 8. Februar 2017) – mit einer nicht erstaunlichen Erkenntnis und zugleich einer erstaunlichen Schlussfolgerung: Bericht und Einschätzung der Bundesregierung zur Regelung für Langzeitarbeitslose nach § 22 Absatz 4 Satz 2 des Mindestlohngesetzes, so ist der lediglich zwei Seiten umfassende Bericht überschrieben. Wir erfahren, dass die Bundesregierung die Regelung zur Ausnahme der Geltung des Mindestlohns für Langzeitarbeitslose in den ersten sechs Monaten ihrer Beschäftigung durch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat evaluieren lassen. Und der Befund?

»Die Analysen des IAB zeigen, dass die Ausnahmeregelung nur in sehr wenigen Fällen auch tatsächlich angewandt wird.«

So weit, so erwartbar. Was aber sind die Schlussfolgerungen der Bundesregierung? Die folgende Chuzpe muss man erst mal sacken lassen:

»Aus Sicht der Bundesregierung gibt es damit unter den bestehenden Rahmenbedingungen weder zwingende Gründe für eine Beibehaltung der Regelung noch zwingende Gründe für eine Abschaffung. Angesichts der Unsicherheiten über die weiteren Entwicklungen der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes in den kommenden Jahren hält es die Bundesregierung jedoch für sinnvoll, Arbeitgebern weiterhin Anreize zu geben, Langzeitarbeitslosen einen Einstieg in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Die Bundesregierung empfiehlt daher, zum jetzigen Zeitpunkt keine gesetzlichen Änderungen vorzunehmen. Nach Auffassung der Bundesregierung soll die weitere Entwicklung jedoch beobachtet und gegebenenfalls eine erneute Evaluation unter veränderten Bedingungen durchgeführt werden.«

Na klasse. Das Instrument wird wie vorhergesagt nicht genutzt, es ist ein mehr als begründungspflichtiger Fremdkörper in der Architektur einer allgemeinen gesetzlichen Lohnuntergrenze, die Evaluierung hat eindeutige Befunde gebracht – aber der Gesetzgeber lässt alles so, wie es ist und stellt eine nächste Evaluierung des toten Pferdes in Aussicht.

Man könnte das jetzt als eine unverschämte Arbeitsverweigerung des Gesetzgebers brandmarken, wenn da nicht noch eine weitere Fallkonstellation wäre, die möglicherweise erklärt, warum das Mindestlohngesetz als solches nicht angepackt werden soll – die auch immer wieder ins Feld geführten Flüchtlinge. Mit Blick auf diese Personengruppe gibt es seit 2015, als so viele Flüchtlinge zu uns gekommen sind, immer wieder die Forderung nach ihrer Herausnahme aus dem Geltungsbereich des gesetzlichen Mindestlohns, für einige Hardcore-Vertreter generell, für andere wenigstens analog zur Sonderregelung bei den Langzeitarbeitslosen (vgl. dazu beispielsweise den Beitrag Es tut doch gar nicht weh … Gewerkschaften zwischenbilanzieren den – natürlich erfolgreichen – Mindestlohn und die Gegenseite greift auf Flüchtlinge zurück, um es noch mal zu versuchen vom 25. September 2015).

Dieses Ansinnen wurde in der Vergangenheit selbst aus dem Arbeitgeber-Lager zu Recht zurückgewiesen, auch deshalb, weil man keinen fatalen Unterbietungswettbewerb aufmachen wollte mit möglicherweise heftigen Reaktionen auf Seiten der einheimischen Bevölkerung vor allem in den unteren Lohngruppen, die von der (potenziellen) Konkurrenz dann eventuell ganz real getroffen werden.
Aber auch an dieser Front hat sich die Debatte eigentlich beruhigt, um jetzt an einer ganz speziellen Stelle wieder aufzuploppen.

Es geht um Praktika. Da wird dem einen oder anderen einfallen – da war doch was mit Praktika und dem Mindestlohn. Genau, nur in einem eng definierten Rahmen sind die von der Gültigkeit des Mindestlohns ausgenommen (worden) – und das mit diesem gestaltenden Anspruch der damaligen und Noch-Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD), der von Thomas Öchsner in seinem Artikel  Ausnahme für Flüchtlinge so beschrieben wird:

„Ich will das Modell der Generation Praktikum beenden“, sagte sie damals. Mit Kettenpraktika von Hochschulabsolventen sollte nach dem Startschuss für den Mindestlohn Anfang 2015 endlich Schluss sein. Und so kam es dann auch: Praktikanten sind vom Mindestlohn nur dann ausgenommen, wenn es sich um Pflichtpraktika von bis zu drei Monaten während eines Studiums handelt, oder um Pflichtpraktika innerhalb einer schulischen, betrieblichen oder universitären Ausbildung. Der Mindestlohn, betonte Nahles stets, dürfe „kein Schweizer Käse“, der Ausnahmefall nicht zur Norm werden.

Schaut man in das Gesetz, dann findet man die entsprechende Regelung in dem bereits im anderen Zusammenhang aufgerufenen § 22 MiLoG, konkret im Absatz 1. Dort wird explizit und abschließend (weil nicht mit den üblichen Formulierungen wie „insbesondere“ als exemplarisch für einen weiteren Anwendungsbereich gekennzeichnet) aufgelistet, in welchen vier Fallkonstellationen der Mindestlohn nicht angewendet werden muss:

1. ein Praktikum verpflichtend auf Grund einer schulrechtlichen Bestimmung, einer Ausbildungsordnung, einer hochschulrechtlichen Bestimmung oder im Rahmen einer Ausbildung an einer gesetzlich geregelten Berufsakademie leisten,
2. ein Praktikum von bis zu drei Monaten zur Orientierung für eine Berufsausbildung oder für die Aufnahme eines Studiums leisten,
3. ein Praktikum von bis zu drei Monaten begleitend zu einer Berufs- oder Hochschulausbildung leisten, wenn nicht zuvor ein solches Praktikumsverhältnis mit demselben Ausbildenden bestanden hat, oder
4. an einer Einstiegsqualifizierung nach § 54a des Dritten Buches Sozialgesetzbuch oder an einer Berufsausbildungsvorbereitung nach §§ 68 bis 70 des Berufsbildungsgesetzes teilnehmen.

Nun gibt es mit Blick (nicht nur) auf Flüchtlinge, sondern generell bei Zuwanderern das Problem, dass im Kontext der Anerkennung ihrer im Ausland erworbenen Berufsabschlüsse hier in Deutschland zuweilen ein Anerkennungspraktikum absolviert werden muss, also eine bestimmte Zeit der beruflichen Tätigkeit in einem Betrieb, bevor man die Gleichwertigkeit ihres Abschlusses und damit deren Verwendbarkeit auf dem deutschen Arbeitsmarkt feststellen kann. Das ist insgesamt ein kompliziertes Feld, weiterführende Informationen kann man beispielsweise dieser Website entnehmen: Anerkennung in Deutschland. Das Informationsportal der Bundesregierung zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen.

Zu der aktuellen Problematik im Zusammenhang mit dem Mindestlohn schreibt Thomas Öchsner in seinem Artikel:

»Es geht dabei um Flüchtlinge und Zuwanderer, die sich für die Anerkennung ihres ausländischen Berufsabschlusses in Deutschland nachqualifizieren. In diesen Fällen soll für sie ebenfalls kein Mindestlohn gelten. Muss ein Geflüchteter mit einem Ausbildungsberuf noch praktische Kenntnisse in einem Betrieb erwerben, damit sein ausländischer Abschluss als gleichwertig gilt, sei dies wie ein Pflichtpraktikum zu werten – also gibt es keine 8,84 Euro die Stunde. So steht es in einem gemeinsamen Papier der drei Bundesministerien für Arbeit, Finanzen und Bildung.«

Nun kann man mit guten Gründen für diesen speziellen Bereich tatsächlich Argumente ins Feld führen, die bei einer Beschäftigung von Flüchtlingen und anderen Zuwanderern in einem der Anerkennung ihres Berufsabschlusses dienenden Praktikum für die Nicht-Anwendung des Mindestlohns sprechen. Vor allem, wenn man ansonsten davon ausgehen muss, dass viele Unternehmen ansonsten auf das Angebot solcher Plätze verzichten würden, was wiederum fatal wäre für eine Integrationsperspektive, denn auf dem deutschen Arbeitsmarkt sind nun mal Berufsabschlüsse von zentraler Bedeutung.

Die Bundesregierung will also mit dem erwähnten „Papier“ die Rechtslage klarstellen, ohne dies ausdrücklich in das Mindestlohngesetz aufzunehmen. Man will den Hinweis auf die Mindestlohnfreiheit bei Anerkennungspraktika lediglich als „Bestandteil des Informationsangebots der Bundesregierung“ kommunizieren.

Und da gibt es jetzt Probleme. Zum einen haben die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages mit Datum 17. Januar 2017 eine Stellungnahme verfasst unter der Überschrift Mindestlohnfreiheit von Anpassungspraktika nach dem Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz. Öchsner fasst den zentralen Befund aus dem Gutachten so zusammen: »Qualifizierungen, die im Rahmen der Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen anfallen, seien „nach Wortlaut und Systematik nicht von der Ausnahmeregelung für Pflichtpraktika erfasst“. Diese Ausnahmeregelung ließe sich zwar im Prinzip auf die notwendigen Praktika und Kurse bei solchen Nachqualifizierungen übertragen. Der Wille des Gesetzgebers lasse sich aber „aus der Gesetzesgenese nicht zweifelsfrei ableiten“.«
In dem Gutachten selbst findet man auf S. 11 eine zusammenfassende Bewertung und einen an sich praktikablen Lösungsvorschlag:

»Betriebliche Phasen der Anpassungsqualifikationen im Kontext der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse können grundsätzlich als Praktika im Sinne der Definition des § 22 Abs. 1 Satz 3 MiLoG angesehen werden. Sie sind nach Wortlaut und Systematik nicht von der Ausnahmeregelung für Pflichtpraktika nach § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 MiLoG erfasst. Der Wille des Gesetzgebers lässt sich aus der Gesetzesgenese nicht zweifelsfrei ableiten. Jedoch sind sie den in der der Ausnahmeregelung ausdrücklich erwähnten Pflichtpraktika im Hinblick auf ihren Zweck, die Interessenlage der Beteiligten und ihre fehlende Missbrauchsanfälligkeit wesentlich gleich gelagert, so dass Sinn und Zweck der Ausnahmeregelung für deren Einbeziehung in § 22 Abs. 1 Satz Nr. 1 MiLoG im Wege der Analogie sprechen, wie sie in dem vorliegenden Entwurf der gemeinsamen Auslegung der Exekutive vorgeschlagen wird.«

Also gut, wird der eine oder andere an dieser Stelle für sich bilanzieren, dann fügt der Gesetzgeber eben in den genannten § 22 Absatz 1 neben den bereits verankerten vier Fallkonstellationen einen fünften Punkt ein und gut ist. So könnte das laufen, so müsste das laufen.

Aber: Das Bundesarbeitsministerium verweigert sich diesem nachvollziehbaren und gebotenen Ansinnen. Dazu Thomas Öchsner das BMAS zitierend:

»Es sei überhaupt nicht nötig, das Mindestlohngesetz deswegen zu erweitern, sagte eine Sprecherin. Eine vermeintlich klarstellende Regelung würde zwangsläufig neue Auslegungsfragen für andere Formen von Praktika und Qualifizierungszeiten aufwerfen, „die nicht im Gesetz explizit genannt werden“. Dies würde „nicht zu einem Mehr an Rechtssicherheit führen“.«

Warum zieren die sich so? Brigitte Pothmer, die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, hat eine naheliegende Vermutung und spricht die auch aus: Sie glaubt, dass sich hinter diesem Nein des Ministeriums ein anderer Grund verbirgt: Nahles wolle das Gesetz nicht anfassen, „weil sie befürchtet, dass die Union diese Gelegenheit nutzen würde, um den Mindestlohn auszuhöhlen“.

Das wäre mit Blick auf die mehr als fragile Mechanik der Großen Koalition, die ja bereits in die Lähmungsphase angesichts des anlaufenden Bundestagswahlkampfs eingetreten ist, durchaus nachvollziehbar, wenn auch frustrierend. Denn damit droht der Sache, um die es im Interesse einer möglichst gelingenden Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen und anderen Zuwanderern gehen sollte, eine große, möglicherweise existenzielle Gefahr – nämlich der Zustand einer bewusst in Kauf genommenen Rechtsunsicherheit für die Unternehmen, die im Ergebnis dazu führen kann und wird, dass diese nicht oder in einem viel zu geringem Umfang die dringend benötigten Praktikumsplätze zur Verfügung stellen. Und dass das eben keine theoretische Gefahr ist, kann man dem Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags auch entnehmen. Dort heißt es wohlformuliert, aber mit klarer Ansage auf Seite 11:

»In Anbetracht des Umstandes, dass der Auffassung der Exekutive insoweit keine Bindungswirkung gegenüber der unabhängigen Arbeitsgerichtsbarkeit zukommt, kann nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass diese Auslegung von der Rechtsprechung geteilt wird. Im Sinne der Rechtssicherheit wäre daher eine ausdrückliche Aufnahme der Anpassungspraktika in das MiLoG durch eine entsprechende Gesetzesänderung einer Erstreckung der Ausnahmenregelung im Wege der Analogie vorzuziehen.«

Und da glaubt man, dass vor diesem Hintergrund Unternehmen bereitwillig genügend Anerkennungspraktika zur Verfügung stellen werden? Es wäre absolut nachvollziehbar, wenn sie einen Teufel tun.

Fazit: Weil die zuständige Bundesarbeitsministerin (institutionengoistisch im Gefüge der auslaufenden Großen Koalition durchaus nachvollziehbar) keine Lust hat, den zugeschnürten Sack Mindestlohngesetz an einer bestimmten Stelle wieder aufzumachen, weil sie befürchtet, dann erneut mit einem Hornissenschwarm an weiteren Ausnahmeforderungen konfrontiert zu werden, wird so getan, als könne man über die Kommunikation des „Informationsangebots der Bundesregierung“ eine rechtlich bindende Wirkung entfalten, was nachweisbar falsch ist – und was die betroffenen Betriebe in ein unlösbares Dilemma stürzt, das sie dann völlig rational mit Verweigerung beantworten werden müssen.

Das aber wäre mit Blick auf die sowieso schon nicht einfache und an vielen Stellen hakende Arbeitsmarktintegration von Menschen, die nach Deutschland gekommen sind und von denen viele hier auch bleiben wollen oder werden müssen, ein katastrophales Ergebnis. Die Bundesregierung hat nicht das Recht, aufgrund ihrer (parteipolitischen) Selbst-Blockade einen so wichtigen Änderungsbedarf (der übrigens aufgrund seiner Kleinteiligkeit gesetzgeberisch rasch erledigt werden kann, wenn man denn will) einfach liegen zu lassen. Auch hier wieder würde man die Verantwortlichen gerne in Haftung nehmen können für die sicher eintretenden Schäden.

Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen: „Erkenntnisse liegen der Bundesregierung nicht vor“. Doch, die gibt es – und sie bestätigen die Skepsis gegenüber den „Nirwana-Arbeitsgelegenheiten“

Ein wichtiges Instrumentarium für die parlamentarische Opposition ist das Fragerecht, beispielsweise in Form von kleinen Anfragen an die Bundesregierung. Und die muss die umfänglich und ohne Vorhalten von Informationen beantworten.

Nun würde die Regierung gerne manche Dinge, die ihr nicht in den Kram passen, gerne zurückhalten oder darauf verweisen, man verfüge über keine Informationen. Was aber nicht in Ordnung und ein unakzeptabler Verstoß gegen die parlamentarischen Sitten wäre. Vielleicht aber lässt man auch Anfragen beantworten von Referenten, die möglicherweise weniger durch Qualifikation, sondern aufgrund des richtigen Parteibuchs ausgesucht worden sind – auch das kann erklären helfen, ist aber ebenfalls nicht in Ordnung, denn wenigstens der Fachbeamtenapparat eines Ministeriums sollte funktionieren.

Eine lange Vorrede, um auf diesen konkreten Fall zu kommen: Bereits am 12. Juni 2016 wurde hier gepostet: „Nirwana-Arbeitsgelegenheiten“ zwischen Asylbewerberleistungsgesetz und SGB II. Eine dritte Dimension der „Ein-Euro-Jobs“ und die dann auch noch 20 Cent günstiger? Darin wurde im Kontext des damals in der Niederkunft befindlichen Integrationsgesetzes das Bundesarbeitsministerium zitiert: »Zusätzliche 100.000 Arbeitsgelegenheiten für Berechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ermöglichen erste Einblicke in den deutschen Arbeitsmarkt.« 100.000 „Ein-Euro-Jobs“ (in diesem Fall aber sogar noch reduziert auf 80 Cent) nur für Asylbewerber zwischen Ankommen und Anerkennung als Asylberechtigte (dann sind sie nämlich im Hartz IV-System)? Das hat schon quantitativ überrascht.

Und nicht nur hinsichtlich der geplanten Größenordnung (die mehr als ambitioniert daherkam, wenn man berücksichtigt, dass es im ganzen Hartz IV-System bundesweit nur noch knapp über 80.000 Arbeitsgelegenheiten, so heißen die „Ein-Euro-Jobs“ richtigerweise, gibt). Sondern auch hinsichtlich der inhaltlichen Ausrichtung. Damals wurde der Zweifel so formuliert:

»Das nun überrascht den einen oder anderen, vor allem aber den sachkundigen Beobachter der arbeitsmarktpolitischen Landschaft, denn die „Arbeitsgelegenheiten“ – im SGB II die letztendlich einzige verbliebene Form der öffentlich geförderten Beschäftigung – haben von ihrer Anlage bzw. ihrem vom Gesetzgeber gewollten Zuschnitt nun eher nicht die Aufgabe, dem deutschen Arbeitsmarkt irgendwie nahezukommen, sondern aufgrund der förderrechtlichen Anforderungen (vgl. hierzu § 16d SGB II, nach dessen Absatz 1 erwerbsfähige Leistungsberechtigte in Arbeitsgelegenheiten zugewiesen werden können, »wenn die darin verrichteten Arbeiten zusätzlich sind, im öffentlichen Interesse liegen und wettbewerbsneutral sind.«) müssen sie sogar möglichst weit weg sein von dem, was in der „normalen“ Wirklichkeit des Arbeitsmarktes passiert, damit sie nicht gegen die Wettbewerbsneutralität (§ 16d Abs. 4 SGB II) verstoßen.«

Und weiter:

»Das grundlegende Problem der neuen, geplanten 100.000 „Bundes-AGH-Teilnehmer“ ist nun, dass die
a) für eine Klientel geplant werden, die es eigentlich nicht oder zumindest immer weniger geben wird und
b) dass mit der Durchführung nicht die Kommunen bzw. die Jobcenter (also die zuständigen Institutionen für die heute schon bestehenden AGHs) beauftragt werden sollen, sondern die Bundesagentur für Arbeit (BA) soll das machen.«

Vor diesem konzeptionellen Hintergrund der Arbeitsgelegenheiten ist die Erwartung des BMAS, die geplanten 100.000 Plätze würden „erste Einblicke in den deutschen Arbeitsmarkt“ ermöglichen, nur als weltfremd zu bezeichnen.
Die neuen Arbeitsgelegenheiten eigener Art, wie sie mit dem Integrationsgesetz geplant und der Öffentlichkeit lauthals verkündet wurden, machen überhaupt keinen Sinn. Da werden 100.000 Plätze geplant, die man eigentlich nicht oder nur mit einer sehr kleinen Zahl besetzen kann. Darauf wurde bereits in diesen beiden Blog-Beiträgen kritisch hingewiesen: Die Bundesarbeitsministerin fordert „Ein-Euro-Jobs“ für Flüchtlinge. Aber welche? Und warum eigentlich sie? Fragen, die man stellen sollte vom 13. Februar 2016 sowie Die Bundesarbeitsministerin macht es schon wieder: „Ein-Euro-Jobs“ für Flüchtlinge ankündigen, die noch nicht im Hartz IV-System sind. Was soll das? vom 23. März 2016.

Sage also keiner, man wäre nicht gewarnt gewesen.

Nun hat in der Zwischenzeit, nachdem das Programm angelaufen ist, die grüne Bundestagsabgeordnete Brigitte Pothmer eine Anfrage zur Umsetzung dieses ambitionierten Vorhabens an die Bundesregierung gestellt. Und sie hat eine Antwort bekommen:

Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen – Aktueller Stand, Probleme, Perspektiven. Antwort der Bundesregierung, BT-Drucksache 18/11039 vom 31.01.2017

Und was die Abgeordnete da serviert bekommen hat, findet sich in solchen Schlagzeilen wieder: Kaum Interesse an Ein-Euro-Jobs für Asylbewerber, schreibt beispielsweise Dietrich Creutzburg in der Online-Ausgabe der FAZ: »300 Millionen Euro lässt sich der Bund sein neues Förderprogramm kosten. Doch das läuft schleppend an.« So kann man das sagen.

Seit August 2016 wurden von Ländern und Kommunen nur 18.959 Plätze beantragt; genehmigt und damit grundsätzlich verfügbar waren bis Mitte Januar 13.000 Plätze, wird aus der Antwort der Bundesregierung zitiert. Und weiter erfahren wir: Wie viele Asylbewerber tatsächlich schon einen solchen Ein-Euro-Job angetreten haben, ist indes unklar. Und die Verursacherin wird dann so zitiert:

»Für die Abgeordnete Brigitte Pothmer, Arbeitsmarktfachfrau der Grünen, zeigt die Bilanz, dass das Programm von vornherein schlecht durchdacht gewesen sei. Nahles habe „offensichtlich voll am Bedarf vorbeigeplant“. Ärgerlich sei, dass es nicht einmal eine Statistik über die Zahl der Teilnehmer oder gar deren Nationalität gebe. Pothmer rät dazu, das Programm am besten einzustellen. Statt dafür jährlich 300 Millionen Euro „zu blockieren, sollte Ministerin Nahles die nicht benötigten Mittel sinnvoller in Sprachkurse, Qualifizierungen und betriebliche Maßnahmen investieren“, forderte sie.«

Genauer hat sich O-Ton Arbeitsmarkt die Antwort angeschaut und die Befunde in diesem Artikel veröffentlicht: Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen: „Erkenntnisse liegen der Bundesregierung nicht vor“. Dort findet man diesen Hinweis:

»Wie viele der beantragten Plätze auch tatsächlich an Flüchtlinge vergeben wurden, dazu schweigt die Bundesregierung. Sie habe „keine Erkenntnisse dazu, wie viele Asylsuchende bisher eine Flüchtlingsintegrationsmaßnahme begonnen haben. Derartige teilnehmerbezogene Daten werden von der Bundesagentur für Arbeit (BA), die das Arbeitsmarktprogramm „Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen“ im Auftrag der Bundesregierung durchführt, nicht erfasst.«

Das überrascht dann doch, denn O-Ton Arbeitsmarkt hat schon im November letzten Jahres eine Auswertung der BA auch über die bisher besetzten Plätze erhalten. Bundesweit waren zu diesem Zeitpunkt rund 4.400 von etwa 12.000 beantragten Plätzen besetzt, bei deutlichen Unterschieden zwischen den Bundesländern. Baden-Württemberg und Niedersachsen hatten im November die Hälfte ihrer eingeplanten Stellen besetzt, Thüringen erreichte 43 Prozent, Nordrhein-Westfalen 39 Prozent und Bayern 34. Die übrigen Länder hatten erst (teils deutlich) weniger als ein Drittel der beantragten Stellen besetzt, Bremen und Berlin konnten noch keine der beantragten Stellen besetzen.
Auf Nachfrage bei der BA erklärt diese dementsprechend auch, dass sie sehr wohl Informationen über die besetzten Plätze habe. Diese Daten seien in der Auswertung für die kleine Anfrage enthalten. Rund 12.500 der 13.000 genehmigten Plätze seien besetzt. Warum die Bundesregierung diese Informationen in ihrer Antwort auf die kleine Anfrage nicht nutzt, ist fraglich.
Und dass das Programm vor sich hinstottert, kann man auch erklären, wenn man genau hinschaut, wie das in dem Beitrag auf O-Ton Arbeitsmarkt gemacht wurde:
Die Zielgruppe der Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen mit einer maximalen Dauer von sechs Monaten sind Volljährige mit guter Bleibeperspektive, über deren Asylantrag noch nicht entschieden ist. Die FIM sind damit „Warte-Ein-Euro-Jobs“ für die Zeit zwischen Antrag und endgültigem Bescheid und damit für einen Zeitraum, den das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BMAF) immer mehr verkürzen soll und will.

Genau das könnte einer der Gründe für das zurückhaltende Interesse sein. Unter den Ländern, die bisher keine oder nur wenige FIM besetzt beziehungsweise beantragt haben, sind auch die Länder mit den kürzesten Bearbeitungsdauern wie das Saarland und Sachsen-Anhalt. Hier könnte es sich schlicht nicht lohnen, einem Flüchtling mit guter Bleibeperspektive eine FIM anzubieten. Anerkannten Flüchtlingen stehen im Übrigen alle regulären arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen offen, darunter auch die herkömmlichen Ein-Euro-Jobs.
Und zum Abschluss sei an das erinnert, was in diesem Blog bereits im Juni 2016 als Empfehlung ausgesprochen wurde:
»Eigentlich liegt ein grundlegender Lösungsansatz auf der Hand, der aber noch nicht einmal diskutiert wird. Am Ende landen die meisten Flüchtlinge alle im Hartz IV-System, also im Rechtskreis des SGB II, außer sie können sich als anerkannte Asylbewerber auf dem Arbeitsmarkt alleine finanzieren, was einigen, sicher in den nächsten Jahren aber nicht vielen gelingen wird. Warum also nicht die Jobcenter von Anfang an für die arbeitsmarktliche Betreuung und Begleitung der Flüchtlinge zuständig machen? Das wäre konsequent und man vermeidet die zahlreichen Probleme, die sich allein aus dem Rechtskreiswechsel und der heute schon vorhandenen und nun auch noch auszubauenden Teil-Zuständigkeit der BA mit ihren Arbeitsagenturen ergeben.
Wenn man das verbinden würde mit einer radikalen Instrumentenreform im SGB II, die es den Jobcentern endlich ermöglichen würde, das sinnvolle Arsenal an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen flexibel und ohne die hypertrophierten förderrechtlichen Begrenzungen und den vielen hyperkomplexen Sonderprogrammen für extrem selektiv definierte „Zielgruppen“, die wir heute haben, umzusetzen, dann wäre eine deutliche Verbesserung erreichbar.«
Daran hat sich nichts geändert. Und leider wird in diesem Bereich ja auch nie jemand in Haftung genommen für den offensichtlichen Unsinn, den man verzapft hat. Und man kann noch nicht einmal sagen, man habe das ja nicht ahnen können.

Flüchtlinge: Konturen der Festung Europa, zugleich die Unwahrscheinlichkeit einer europäischen Lösung und die kommenden Lager jenseits des Mittelmeers

Die ganze Welt und vor allem die Berichterstattung ist gefangen von den sich überschlagenden Ereignissen in den USA. Die ersten Maßnahmen des neuen Präsidenten Donald Trump verheißen tatsächlich den Versuch einer Umsetzung seiner Wahlversprechen auf Kosten „der anderen“ – darunter auch von Menschen, die in den USA Zuflucht suchen wollen. Die sollen draußen bleiben (müssen). Ob das nun über eine Mauer an der mexikanischen Grenze oder aber über ein kollektives Einreiseverbot für Menschen mit einer bestimmten Staatsangehörigkeit erreicht werden soll – die Botschaft bleibt die gleiche: Abschottung. Grenzziehung. Ausschluss. Und immer wieder verweist der neue Präsident auf die angeblich schrecklichen Zustände, die in Europa herrschen sollen wegen der vielen Flüchtlinge.

Dabei wird in Europa die Empörung über die USA selbst als heuchlerisch bezeichnet: Europas unsichtbare Mauer, so ist der Kommentar von Doris Akrap überschrieben: Donald Trump »könnte, wenn er wollte, ja mal nachfragen, wie die EU ihre unsichtbare Mauer an der Mittelmeerküste eigentlich nennt – und wie viele Flüchtlinge die EU dieses Jahr schon im Mittelmeer hat absaufen lassen.«

Und sie erinnert an zwei der zahlreichen – ihrer Meinung nach bizarren – Vorschläge des Bundesinnenministers Thomas de Maizière (CDU): »Aufnahmelager in Afrika nach türkischem Vorbild und die kostenlose Rückführung von im Mittelmeer aufgegriffenen Flüchtlingen nach Afrika, wo sie in Ruhe einen Asylantrag stellen können sollen.«

Ob bizarr oder nicht – genau in diese Richtung bewegt sich zumindest konzeptionell der große schwere Tanker EU. Marcel Leubecher berichtet darüber in seinem Artikel Die Festung Europa nimmt Konturen an:

»Langsam, aber sicher werden die Pläne zum Schutz der europäischen Außengrenzen konkret. Schon in der kommenden Woche könnten die EU-Regierungschefs auf dem Sondertreffen in Maltas Hauptstadt Valletta das Ende der aktuellen Hauptflüchtlingsroute Libyen–Italien einläuten. Mit mehr als 100 Millionen Euro sollen die Südgrenzen des Bürgerkriegsstaates Richtung Zentralafrika abgeriegelt werden, die Vereinten Nationen sollen die Versorgung für Migranten innerhalb Libyens aufstocken.«

Der Bundesinnenminister  Thomas de Maizière (CDU) wird deutlich: Ziel müsse es dann sein, „dass Flüchtlinge gar nicht erst nach Europa gebracht werden, sondern zurückgebracht werden in sichere Orte“. Von diesen sicheren Lagern außerhalb der EU könnten dann „die Schutzbedürftigen – und nur die Schutzbedürftigen – nach Europa“, geholt werden.

Dieser (angestrebte) Paradigmenwechsel scheint auch in anderen europäischen Staaten auf fruchtbaren Boden zu stoßen, so wird der österreichische Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) dahingehend zitiert, er wolle durchsetzen, »dass Asylanträge nicht in Österreich, sondern in Asyl- und Migrationszentren im Niger, in Usbekistan oder Jordanien gestellt werden. Außerdem möchte er eine EU-weite Obergrenze zur Aufnahme dieser Flüchtlinge festlegen.«

Die Südeuropäer wollen die Dublin-Vereinbarung, wonach Migranten dort Asyl beantragen müssen, wo sie nach Europa einreisen, kippen. Zu dieser Vereinbarung (die Flüchtlingsfrage wurde europaweit 1990 im Dubliner Übereinkommen geregelt und 2003 durch die Dublin-Verordnung abgelöst) und ihren Problemen vgl. beispielsweise den Artikel In Europa angekommen – und dann? bereits vom 22.04.2015, also vor der Öffnung der deutschen Grenzen im Herbst 2015. Die Dublin-Vereinbarung hatte (und hat) zwei grundsätzliche Probleme – ein logisches und ein ganz praktisches:

  • Durch die Regelung, dass die Flüchtlinge dort ihren Asylantrag stellen müssen, wo sie EU-Boden betreten haben (und falls sie weiter in das EU-Innere vorstoßen, von dort wieder in das Aufnahmeland zurückgeschickt werden können), überlässt man einige wenige Grenzstaaten der EU, vor allem Griechenland und Italien, die Hauptlast der Flüchtlingszuwanderung. Das wäre nur dann nicht der Fall, wenn es ein wie auch immer geregeltes System der Verteilung der Flüchtlinge auf alle EU-Staaten geben würden, so dass man die Menschen, die in den Frontstaaten gestrandet sind, idealerweise gleichmäßig verteilen könnte über den ganzen EU-Raum. Diese Regelung aber gab es nicht und sie gibt es auch heute nicht. 
  • Diese Einseitigkeit wurde in der Vergangenheit dadurch „gelöst“, dass die Aufnahmeländer eine irreguläre Weiter-Migration in die anderen EU-Staaten gefördert haben, in dem sie die Menschen haben ziehen lassen. Die Flüchtlinge wurden also gleichsam „durchgereicht“. Das nun ist seit den turbulenten Ereignisse im Gefolge der Grenzöffnung in Deutschland im Herbst 2015 nicht mehr möglich auf einer der beiden Hauptrouten, also von Griechenland aus über den Balkan weiter nach Österreich, Deutschland oder nach Schweden. Diese Route ist bekanntlich abgeriegelt oder zumindest doch weitgehend geschlossen werden. So dass die betroffenen Menschen in Griechenland hängen bleiben. Wie so oft ist alles auch eine Frage der Quantitäten – wenn, wie das seit 2015 offensichtlich der Fall geworden ist, zu viele Flüchtlinge kommen und an einige wenige EU-Staaten weitergereicht werden, dann ist klar, dass das über kurz oder lang nicht gut geht, sondern in den betreffenden Ländern zu Abschottungsversuchen führen muss.

Um wenigstens den menschlichen „Nachschub“ nach Griechenland verringern zu können, hat die EU bekanntlich einen Deal mit der Türkei geschlossen, der allerdings äußerst fragil ist und unter die Mühlsteine der Ereignisse in der Türkei nach dem angeblichen Putschversuch sowie des vor unseren Augen ablaufenden Umbaus des Landes zu einer Autokratie zu geraten droht.

So ist in den Monaten des vergangenen Jahres nur noch die Mittelmeerroute nach Italien geblieben. Und die „funktioniert“ – wenn auch auf Kosten von mehreren tausend Toten, die den Versuch, Italien zu erreichen, nicht geschafft haben. Im vergangenen Jahr haben es mehr als 180.000 Flüchtlinge geschafft, nach Italien zu gelangen. »Anders als in früheren Jahren bleiben aber inzwischen viele von ihnen dort, weswegen das Land 2016 nach Deutschland die meisten Asylanträge und -entscheidungen verzeichnete«, so Marcel Leubecher in seinem Artikel.

Von der rechtlichen Möglichkeit, über sichere Drittstaaten – Deutschland ist ausschließlich von solchen umgeben – einreisende Ausländer an der Grenze abzuweisen, macht die Bundesrepublik nur ausnahmsweise Gebrauch. Aber das kann und soll sich ändern, weil man ansonsten zu Recht davon ausgehen muss, dass viele der Flüchtlinge innerhalb der EU in die Länder (weiter)ziehen werden, in denen es ihnen besser ergeht als in den ärmeren Südstaaten.

Damit verlagert man aber das Problem, wie bereits erwähnt, in die letzten Außenposten der EU, also Griechenland und Italien vor allem, (wieder) zurück. Was dann dort die Stimmung nach unten treiben wird (gegen die Flüchtlinge), denn die südeuropäischen Staaten leiden ja immer noch unter den Folgen der „Euro-Krise“ und sie verfügen nicht einmal für die eigene Bevölkerung über ausreichende soziale Sicherungssysteme. Vor diesem Hintergrund sind sie gezwungen, so lange wie irgendwie möglich einen Teil der Flüchtlinge in andere EU-Staaten zu „exportieren“. Wenn die sich aber immer stärker oder gar vollständig weigern, das Spiel mitzuspielen, dann kollabiert das System insgesamt.

Vor diesem Hintergrund scheinen die Bemühungen auf der EU-Ebene, soweit sie in den Medien beschrieben werden, durchaus rational. »Die EU arbeitet derzeit allerdings an Plänen, das Asylhopping zu beenden, indem sie die nationalen Standards und Systeme angleicht. Derzeit weichen Anerkennungsquoten, Chancen auf Einbürgerung und Sozialleistungen stark voneinander ab«, so Marcel Leubecher.

Dazu passt dann dieser Hinweis auf den Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU): Er brachte »eine Angleichung der Sozialstandards in der Europäischen Union (EU) ins Gespräch – unter anderem auch, um eine gleichmäßige Verteilung der Flüchtlinge unter den EU-Staaten zu erleichtern. „Wir haben bei den sozialen Leistungen viel höhere Standards als die meisten europäischen Länder. Deswegen wollen so viele nach Deutschland“ …  dann müssen wir gucken, ob wir mit den anderen EU-Ländern auf einen gemeinsamen, einheitlichen Sozialstandard kommen. Bisher ist das in Deutschland ein Tabu“, sagte Schäuble.«

Schäuble will hier allerdings als Tabu-Brecher fungieren – die damit verbundene mögliche Dimension der Konsequenzen erscheinen allerdings auslegungsbedürftig: Wenn man die Logik zu Ende denkt, die nur angedeutet wird, dann müsste das bedeuten, dass die Flüchtlinge nicht mehr die Leistungen in der Höhe bekommen, die sie derzeit in Deutschland erhalten – oder aber nicht mehr die niedrigen (oder gar keine) Leistungen wie in anderen EU-Staaten. Nun ist es praktisch gesehen kaum wahrscheinlich, dass man Flüchtlinge, die in Rumänien leben müssen, deutlich höhere Leistungen zusprechen wird, nur um das Gefälle zu Deutschland oder anderen reichen Ländern in der EU zu verringern. Also bliebe nur die Option, dass es Schäuble um eine deutliche Absenkung der Leistungen für Flüchtlinge in Ländern wie Deutschland geht. Wie aber soll das wirklich funktionieren? Das erscheint doch alles mehr als wackelig konzipiert zu sein.

Letztendlich aber wäre das schon der zweite oder dritte Schritt vor dem eigentlich ausstehenden ersten Schritt – also ein System zu finden, die Flüchtlinge über welchen Verteilungsschlüssel auch immer über alle EU-Mitgliedsstaaten zu verteilen, um eine Überlastung einiger weniger Länder zu vermeiden. Das wird ja nicht erst seit kurzem diskutiert und eingefordert – aber bislang nicht ansatzweise, auch nicht für kleine Kontingente, umgesetzt worden. Man denke an dieser Stelle an den vehementen Widerstand der osteuropäischen EU-Länder, die sich jeglicher Umverteilung der Flüchtlinge verweigern und das mit Sicherheit auch in der vor uns liegenden Zeit machen werden. Die EU müsste also bei diesen Verweigerern die Daumenschrauben anlegen, beispielsweise bei der Mittelverteilung. Dass sie das tun würde, kann man zum jetzigen Zeitpunkt mit ganz großer Sicherheit verneinen, auch dadurch bedingt, dass sich die EU und deren Kommission derzeit in einer substanziellen Infragestellung befinden, wofür der Brexit nur ein Mosaikstein darstellt.

Vor diesem Hintergrund muss man zu dem Prüfergebnis kommen, dass es derzeit und absehbar nur sehr geringe Chancen für eine europäische Lösung geben kann. Wenn das aber so ist, dann muss man auch angesichts der vielen Menschen, die ihr Glück über das Mittelmeer versuchen wollen, bei der Abwehr zusätzlicher Flüchtlinge ansetzen und möglichst verhindern, dass die überhaupt die Überfahrt nach Europa wagen und – wenn sie in Not geraten – von Rettungsschiffen aufgesammelt und nach Italien gebracht werden, womit sie am ersten Ziel angekommen sind.

An dieser Stelle muss sich eine brutale Mechanik entfalten. Bildlich gesprochen muss man die Zugbrücke richtig hochziehen und nicht nur wie bislang „halb“. Praktisch würde das bedeuten, dass die Menschen, die man im Mittelmeer aufgegriffen hat, konsequent vom europäischen Boden ferngehalten werden müssen. Man muss sie also wieder zurückschieben nach Afrika. Insofern ist die angesprochene Lager-Idee in Libyen die derzeit absehbar realistische Variante für das, was vor uns liegt.

Wenn man diesen Gedankengang mitgegangen ist (und das sei hier deutlich herausgestellt: unabhängig davon, wie man diese Entwicklung bewertet) – dann wird man mit den Niederungen der Wirklichkeit in den angedachten Frontstaaten außerhalb der EU und von uns aus betrachtet jenseits des Mittelmeers konfrontiert. Denn die Lager würden in Ländern errichtet und betrieben werden, die weit weg sind von jeden Maßstäben einer humanitären Gestaltung dieser „Wartehallen“ vor der Festung Europa.

Nehmen wir als Beispiel diesen Artikel: Auswärtiges Amt sieht „KZ-ähnliche Verhältnisse“. Und wo genau sehen die das? In Libyen, dem wichtigsten Stopp-Land in der angesprochenen Strategie. Während die EU einen Flüchtlingspakt mit Libyen berät, kritisieren deutsche Diplomaten »die Menschenrechtslage in dem Land laut einem Medienbericht scharf: Exekutionen und Aussetzungen in der Wüste zählten zum Alltag.« Die deutsche Botschaft in Nigers Hauptstadt Niamey habe von „allerschwersten, systematischen Menschenrechtsverletzungen“ berichtet, die in den zahlreichen Privatgefängnissen stattfinden würden:

»Schlepper und Migranten würden in solchen Privatgefängnissen häufig eingesperrt. „Exekutionen nicht zahlungsfähiger Migranten, Folter, Vergewaltigungen, Erpressungen sowie Aussetzungen in der Wüste sind dort an der Tagesordnung“ … „Augenzeugen sprachen von exakt fünf Erschießungen wöchentlich in einem Gefängnis – mit Ankündigung und jeweils freitags, um Raum für Neuankömmlinge zu schaffen, das heißt den menschlichen ,Durchsatz‘ und damit den Profit der Betreiber zu erhöhen.“«

Das ist nicht nur auf Libyen begrenzt, sondern man wird damit auch in den anderen Ländern in Afrika konfrontiert, die man benutzen müsste, um die Abwehr-Strategie erfolgreich werden zu lassen. Für eine aktuelle Auseinandersetzung mit dem, was da zwischen der EU und afrikanischen Staaten am Entstehen ist, vgl. auch diese Arbeit:

Florian Koch (2017): Zuckerbrot und Peitsche? Der neue Takt in der EU-Migrationspolitik gegenüber Afrika, Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung, Januar 2017

Auf der anderen Seite: Was für Alternativen bieten sich denn den Verantwortlichen – nicht nur, aber auch – angesichts des multimorbiden Gebildes EU derzeit, wenn es das Ziel sein soll, die Zuwanderung der Flüchtlinge zu reduzieren oder gar einen Massenexodus armer Afrikaner zu verhindern?

Und selbst wenn man davon ausgehen kann und muss, dass die EU die am Horizont immer deutlicher erkennbar Lager-Bildung in Nordafrika damit garnieren muss, dass es das im Doppel mit einem „geregelten Verfahren“ zur legalen Einreise in die EU geben wird – auch ein „geregeltes Verfahren“ steht a) vor dem Selektions- und b) vor dem Mengenproblem, denn die innere Verfasstheit der meisten europäischen Länder würde eine die Grenzen überschaubarer Flüchtlingszahlen übersteigende offene Zuwanderung hilfebedürftiger Menschen nach Europa gar nicht zulassen aufgrund der entsprechend daraus resultierenden Reaktionen auf Seiten der Inländer.

Es ist so ein fürchterliches Dilemma.