Auch jenseits der Minijobs: Im Kleingedruckten der geplanten Anhebung der Geringfügigkeitsgrenze ist für manche Arbeitgeber eine harte Nuss eingebaut worden: Die tägliche digitale Arbeitszeiterfassung

Bereits im November 2021 wurde hier im Lichte des damals vereinbarten Koalitionsvertrages der neuen Ampel-Koalition in dem Beitrag Ein klassisches Tauschgeschäft: Der eine bekommt einen höheren Mindestlohn, der andere eine Verfestigung und Ausweitung der Minijobs. Trotz vieler Gegenargumente darauf hingewiesen, dass entsprechend der Gesetzmäßigkeiten der politischen Tauschökonomie für die Umsetzung der Forderung nach einer einmaligen Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro pro Stunde der anderen Seite ein Preis gezahlt werden muss – in diesem Fall die Anhebung der seit Jahren gedeckelten Geringfügigkeitsgrenze, die dazu geführt hat, dass man umgangssprachlich den konkreten Betrag aufgenommen hat und von den „450-Euro-Jobs“ spricht. Da die gesetzliche Lohnuntergrenze selbstverständlich auf für die Minijobs gilt, werden die bei einer festen Geringfügigkeitsgrenze immer unattraktiver und wenn man sie denn nicht abschaffen oder auf einen Kernbereich begrenzen will (der zweite Teil des zu zahlenden Preises für die Mindestlohnerhöhung ist der Verzicht auf eine von vielen seit Jahren geforderte Abschaffung oder starken Begrenzung der Minijobs an sich), dann muss man systematisch bedingt an die Einkommensgrenze ran. Genau das hat man vereinbart, in einem ersten Schritt die Anhebung dieser Grenze auf 520 Euro mit der Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro und dann eine automatische Dynamisierung im Gefolge zukünftiger Anpassungen des Mindestlohns.

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Ein Schlaglicht auf die Frustration: Probleme der Intensivstationen aus Sicht des Personals. Und in Niedersachsen tritt man den Pflegekräften in den Hintern

Beginnen wir mit Nachrichten aus Niedersachsen, die wie eine Faust auf das Auge (und zur Sicherheit auch noch unterhalb der Gürtellinie) der Pflegekräfte daherkommen: »Im Kampf gegen die zweite Welle der Coronakrise hat Niedersachsen die Höchstarbeitszeit für Beschäftigte in Kliniken und Pflegeheimen erneut auf bis zu 60 Stunden pro Woche erhöht. Die Maßnahme, die eine tägliche Arbeitszeit von bis zu 12 Stunden vorsieht, gilt befristet bis Ende Mai kommenden Jahres, teilte das Sozial­ministerium in Hannover mit.« Und die Präsidentin der Pflegekammer Niedersachsen, Nadya Klar­mann, wird mit den Worten zitiert: »Die Regierung sollte sich schämen, auf den Rücken der Menschen, die das System am Lau­fen halten, ihre eigenen jahrelangen Fehler in der Pflegepolitik auszubügeln.« Die Allgemeinverfügung des Sozialministeriums ist seit dem 1. November 2020 in Kraft. »Die Verfügung enthalte weder Regelungen zu Ausgleichstunden noch zu einer finanziellen Entschädigung für die Mehrarbeit. Lediglich ein Ersatzruhetag innerhalb eines Zeitraums von 8 Wochen sei für die im Rahmen der Ausnahmebewilligung geleistete Sonn- und Feiertagsarbeit zu gewähren«, so Nadine Millich in ihrem Artikel Nicht zulasten von Pflegenden entscheiden. Schon jetzt bedeuteten Acht-Stunden-Schichten in voller Schutzausrüstung eine extreme Belastung für Beschäftigte in der Pflege. Und wenn man schon dabei ist, dann legt man noch eine Schippe rauf: »Die Verfügung enthalte weder Regelungen zu Ausgleichstunden noch zu einer finanziellen Entschädigung für die Mehrarbeit. Lediglich ein Ersatzruhetag innerhalb eines Zeitraums von 8 Wochen sei für die im Rahmen der Ausnahmebewilligung geleistete Sonn- und Feiertagsarbeit zu gewähren.«

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Vom Klatschen auf offener Bühne zur COVID-19-Arbeitszeitverordnung: Wenn das ordnungsgemäße Funktionieren des Gemeinwesens (angeblich) erheblich gefährdet ist, dann dürfen die Systemrelevanten auch außerhalb des Schutzsystems ran

Was war in den vergangenen Tagen überall die Rede von den „systemrelevanten“ Berufen, die auf einmal für viele aus dem Schatten der Nicht-Aufmerksamkeit in den Fokus der Berichterstattung gezogen worden sind. Akklamatorischer Höhepunkt war das Aufstehen und kollektive Beklatschen der Pflegekräfte, der Kassiererinnen in den Supermärkten und anderen „Helden“ der Corona-Krise durch die Abgeordneten im Deutschen Bundestag. Nun mag so eine Geste dem einen oder anderen gut tun und das Herz wärmen, vor allem aber ist sie ziemlich billig zu haben. Schon weitaus sperriger erscheint da eine handfeste Verbesserung der Arbeitsbedingungen, zu denen auch, aber nicht nur die Vergütung gehört, wenn denn diese nachhaltig sein soll, also über die aktuelle Krisenzeit hinaus zu verankern wäre im Sinne einer strukturellen Aufwertung der Berufe und sich nicht in einem 75-Euro-Gutschein für Waren des eigenen Ladens, wie bei einem der großen Player des deutschen Lebensmitteleinzelhandels, gleichsam als ziemlich schlappe Geste erschöpft.

Und zu den Arbeitsbedingungen gehört wie gesagt nicht nur die Vergütung – sondern auch die Arbeitszeitregelungen. Und da haben wir neben zahlreichen tariflichen Ausformungen, die aber nur tarifgebundene Bereiche betreffen, mit dem Arbeitszeitgesetz (ArbZG) ein fundamentales Schutzgesetz für die Arbeitnehmer, das für alle zur Anwendung kommt bzw. kommen soll. Man muss an dieser Stelle – erst einmal unabhängig von den aktuellen krisenbedingten Diskussionen – darauf hinweisen, dass viele Regelungen dieses Gesetzes seit Jahren immer wieder von interessierter Seite angegriffen werden, um sie zu schleifen, was dann immer irgendwie unverdächtig daherkommend als „Flexibilisierung“ der Arbeitszeit tituliert wird. Dabei ging und geht es hier schlichtweg darum, im zugrundeliegenden grundsätzlichen Konflikt zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen den Zugriff auf die Arbeitszeit der Arbeitnehmer zugunsten der Arbeitgeberseite zu erweitern und bestehende gesetzliche Hemmnisse einer Verwertung der Arbeitskraft zu reduzieren oder gar zu beseitigen.

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