Arbeitsmarkt: Winter is coming? Ein Blick in die Arbeitsmarktstatistik

Schon seit geraumer Zeit werden die Seiten und Kanäle der Wirtschaftspresse gefüllt mit Berichten über die rückläufige Konjunktur und den damit verbundenen negativen Auswirkungen auf die Beschäftigung im – bisherigen? – „Jobwunderland“ Deutschland. »Die Unternehmen wollen weniger neue Mitarbeiter einstellen. Deshalb dürfte die Arbeitslosigkeit zunehmen, erste Indikatoren weisen darauf hin«, kann man beispielsweise diesem Artikel entnehmen: Schlechtere Aussichten am Arbeitsmarkt. Das leitet man ab aus (arbeitsmarktbezogenen) Frühindikatoren des Münchener Ifo-Instituts sowie des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). »Als Sorgenkind gilt insbesondere die Industrie. Hier hat sich die Stimmung deutlich eingetrübt, die Auftragseingänge sind rückläufig. Wie aus dem Beschäftigungsbarometer des Ifo-Instituts hervorgeht, ist im verarbeitenden Gewerbe die Zahl der Unternehmen, die in den nächsten drei Monaten Personal abbauen wollen, größer als die jener Betriebe, die neue Mitarbeiter suchen – und das den fünften Monat in Folge.«

Und wie immer bei solchen komplexen Themen gibt es auch – scheinbar – widersprüchliche Thesen: »Trotzdem dürfte die Beschäftigung in den kommenden Monaten weiter steigen, wenn auch nicht mehr ganz so stark, zeigt die monatliche Umfrage des IAB unter den lokalen Arbeitsagenturen. Die Ankündigungen großer Unternehmen wie Volkswagen, Bayer oder Thyssen-Krupp, Tausende Stellen abzubauen, seien „nicht repräsentativ für den Arbeitsmarkt“, sagte Forschungsbereichsleiter Enzo Weber. Die Entlassungsquote sei seit der Wiedervereinigung noch nie so niedrig gewesen wie heute.«

Das Aber wird dann mit einem weiteren Aber angereichert: »Die Arbeitsagenturen rechnen allerdings damit, dass die Arbeitslosigkeit in den kommenden Monaten – um jahreszeitliche Effekte bereinigt – steigen wird.« Schauen wir uns einfach mal die Daten an:

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Aus dem Jobwunderland Deutschland: Die Zahl der „atypisch Beschäftigten“ bleibt weiter auf einem hohen Niveau und trifft bestimmte Arbeitnehmer mehr als andere

Man hat sich fast schon daran gewöhnt, an die Erfolgsmeldungen aus dem Jobwunderland Deutschland. So meldet das Statistische Bundesamt am 29. Mai 2019: »Im April 2019 waren nach vorläufigen Berechnungen … etwas über 45 Millionen Personen mit Wohnort in Deutschland erwerbstätig. Gegenüber April 2018 nahm die Zahl der Erwerbstätigen um 488.000 Personen (zu).«

Nun ist das mit den Zahlen bekanntlich immer so eine Sache und man muss in einem ersten Schritt genau prüfen, über was hier eigentlich berichtet wird. Wenn vom Beschäftigungsrekord berichtet wird, dann wird die Zahl der Erwerbstätigen herangezogen. Die Erwerbstätigen sind nun aber eine überaus heterogene Gruppe, vereinfacht gesagt werden hier alle mitgezählt, die irgendeiner Erwerbstätigkeit nachgehen. Jemand, der ausschließlich einer geringfügigen Beschäftigung nachgeht, zählt genau so als ein Erwerbstätiger wie ein sozialversicherungspflichtig Beschäftigter, der in einer 40 Stunden-Woche arbeitet. Viele Menschen denken aber, wenn sie hören, wie viele neue Jobs entstanden sind, an „normale“ Jobs – und meinen damit ob bewusst oder unbewusst Vollzeitjobs (und manche gehen sogar „so weit“, davon auszugehen, dass man davon leben kann bzw. können sollte).

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Die Beschäftigungsverhältnisse für Arbeitnehmer in Deutschland werden immer kürzer. Oder doch nicht?

Gerade im „Jobwunderland“ Deutschland ist ein differenzierter Blick nicht nur auf die eine große Zahl an Irgendwie-Beschäftigten wichtig, sondern auf die Art und Weise, wie die Menschen beschäftigt sind, unter welchen Bedingungen und für welche Löhne bzw. Einkommen sie arbeiten gehen (müssen). Dabei wird man immer wieder mit der These konfrontiert, dass die Zahl der „prekär“ Beschäftigten trotz (?) der guten allgemeinen Arbeitsmarktentwicklung zugenommen hat, dass immer mehr Arbeitnehmer von schlechten Arbeitsbedingungen betroffen sind. Und es gibt ja durchaus eine Menge Beispiele gerade aus den Branchen, in denen die Arbeitskräftenachfrage steigt, wo neue Jobs geschaffen werden, die darauf hindeuten, dass es für Millionen Arbeitnehmer düster aussieht.

In diese kritische Diskussionslinie passen dann solche Meldungen: Beschäftigungsverhältnisse zunehmend kürzer: »Die Beschäftigungsverhältnisse für Arbeitnehmer in Deutschland werden immer kürzer.« Grundlage dafür ist die Antwort des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) auf eine Anfrage der Linken-Politikerin Sabine Zimmermann im Deutschen Bundestag. 

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„Nicht-arbeitslose“ Arbeitslose. Ein gar nicht so kleines Beispiel aus den Eingeweiden der Arbeitsmarktstatistik

Man kennt das – jeden Monat werden in Nürnberg die Arbeitslosenzahlen verkündet. Und in den vergangenen Jahren gingen die nach unten. Schauen wir auf die aktuellen Werte: Für den März 2018 berichtet die Bundesagentur für Arbeit von knapp 2,46 Millionen Arbeitslosen. Das gesamte Ausmaß der Menschen ohne Arbeit bildet die offizielle Zahl jedoch nicht ab. Denn knapp 960.000 „De-facto-Arbeitslose“ sind nicht in der Arbeitslosen-, sondern in der separaten Unterbeschäftigungsstatistik enthalten, bei der es sich ebenfalls um eine ganz offizielle Statistik handelt, die von der BA veröffentlicht wird. Statt 2,46 Mio. müsste also die Untergrenze für von Arbeitslosigkeit betroffene Menschen bei 3,42 Mio. liegen. Und es wäre schön, wenn die Medien endlich diese „ehrlichere“ Zahl verwenden würden, was die meisten aber nicht machen. Wer ist denn faktisch arbeitslos, taucht aber in der kleingerechneten Zahl an „offiziellen Arbeitslosen“ nicht auf? Da waren im März 2018 beispielsweise 713.000 Menschen, die an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen teilnahmen oder 81.000, die gerade am Tag der Zählung krank geschrieben waren. Und in der Liste der semantisch verkleisternd als „Unterbeschäftigte“ titulierten Arbeitslosen, die aber rausgerechnet werden, taucht auch diese, viele sicher erst einmal irritierende Zahl auf: 165.000 über 58-Jährige, die innerhalb der letzten 12 Monate kein Jobangebot erhielten. 

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Die untrennbare andere Seite der bezahlten Erwerbsarbeit: Wertvolle unbezahlte Arbeit und die in Franken und Euro

Wieder einmal wird intensiv über die Entwicklung der Erwerbsarbeit diskutiert. Dabei geht es um die großen Zahlen (vgl. dazu den Beitrag Frohe Kunde aus dem „Jobwunderland“ Deutschland. Da lohnt ein genauerer Blick auf die Zahlen und die andere Seite der Medaille vom 3. Januar 2018). Und zu den ganz großen Zahlen gehört auch das Arbeitsvolumen, gemessen in Millionen Arbeitsstunden. Oder sagen wir genauer: das Erwerbsarbeitsvolumen. Während vor allem die Ökonomen darüber diskutieren, wie sich das entwickelt hat, dass es seit einiger Zeit wieder ansteigt (aber immer noch unter dem Niveau zu Zeiten der Wiedervereinigung liegt), dass die Zahl der Erwerbstätigen weitaus stärker gestiegen ist als die Erwerbsarbeitsstunden (was natürlich mit der Teilzeitentwicklung zusammenhängt) und einige dann die Frage der (unbezahlten) Überstunden aufrufen (vgl. beispielsweise Deutsche machten 1,7 Milliarden Überstunden, darunter fast eine Milliarde unbezahlt). An dieser Stelle soll aber auf einen anderen Aspekt hingewiesen werden, der bei der Diskussion der Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt meistens völlig außen vor bleibt: Die unbezahlte Arbeit, die gleichsam die Schattenseite der bezahlten Arbeit darstellt. Anders formuliert: Wir können uns nur deshalb den Kopf über bezahlte Arbeit zerbrechen, weil diese durch unbezahlte Arbeit überhaupt erst ermöglicht wird. Jede Familie weiß genau, was hier angesprochen wird.

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