Arbeitsmarkt: Winter is coming? Ein Blick in die Arbeitsmarktstatistik

Schon seit geraumer Zeit werden die Seiten und Kanäle der Wirtschaftspresse gefüllt mit Berichten über die rückläufige Konjunktur und den damit verbundenen negativen Auswirkungen auf die Beschäftigung im – bisherigen? – „Jobwunderland“ Deutschland. »Die Unternehmen wollen weniger neue Mitarbeiter einstellen. Deshalb dürfte die Arbeitslosigkeit zunehmen, erste Indikatoren weisen darauf hin«, kann man beispielsweise diesem Artikel entnehmen: Schlechtere Aussichten am Arbeitsmarkt. Das leitet man ab aus (arbeitsmarktbezogenen) Frühindikatoren des Münchener Ifo-Instituts sowie des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). »Als Sorgenkind gilt insbesondere die Industrie. Hier hat sich die Stimmung deutlich eingetrübt, die Auftragseingänge sind rückläufig. Wie aus dem Beschäftigungsbarometer des Ifo-Instituts hervorgeht, ist im verarbeitenden Gewerbe die Zahl der Unternehmen, die in den nächsten drei Monaten Personal abbauen wollen, größer als die jener Betriebe, die neue Mitarbeiter suchen – und das den fünften Monat in Folge.«

Und wie immer bei solchen komplexen Themen gibt es auch – scheinbar – widersprüchliche Thesen: »Trotzdem dürfte die Beschäftigung in den kommenden Monaten weiter steigen, wenn auch nicht mehr ganz so stark, zeigt die monatliche Umfrage des IAB unter den lokalen Arbeitsagenturen. Die Ankündigungen großer Unternehmen wie Volkswagen, Bayer oder Thyssen-Krupp, Tausende Stellen abzubauen, seien „nicht repräsentativ für den Arbeitsmarkt“, sagte Forschungsbereichsleiter Enzo Weber. Die Entlassungsquote sei seit der Wiedervereinigung noch nie so niedrig gewesen wie heute.«

Das Aber wird dann mit einem weiteren Aber angereichert: »Die Arbeitsagenturen rechnen allerdings damit, dass die Arbeitslosigkeit in den kommenden Monaten – um jahreszeitliche Effekte bereinigt – steigen wird.« Schauen wir uns einfach mal die Daten an:

»Der Arbeitsmarkt scheint zu schwächeln: In den letzten zwölf Monaten verzeichnete die Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) wieder mehr Zugänge in Arbeitslosigkeit von vormals Beschäftigten«, so Lena Becher in ihrem Beitrag Abschwung am Arbeitsmarkt? Zugänge in Arbeitslosigkeit steigen. Zwischen August 2018 und Juli 2019 zählte die Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) insgesamt über 2,6 Millionen Zugänge in Arbeitslosigkeit aus dem ersten Arbeitsmarkt. Gegenüber dem Vorjahreszeitraum zwischen August 2017 und Juli 2018 ist das ein Zuwachs um mehr als 18 Prozent.

Ein Blick auf die prozentualen Veränderungen verdeutlicht sehr anschaulich, dass wir offensichtlich mit einer Trendwende hinsichtlich der Zugänge in Arbeitslosigkeit aus einer Beschäftigung am 1. Arbeitsmarkt konfrontiert sind:

Betrachtet man in einem weiteren Analyseschritt die Zugänge in Arbeitslosigkeit von vormals Beschäftigten aus dem 1. Arbeitsmarkt nach Wirtschaftszweigen, dann erkennt man durchaus, dass die ansteigende Zahl an neuen Arbeitslosen vor allem aus dem industriellen Bereich sowie damit zusammenhängenden Segmenten wie der Logistik gespeist wird – und auch die Leiharbeit ist mit dabei:

Das überrascht nicht vor diesem Hintergrund: »Die Aufträge im Maschinenbau gehen zurück. Auch Autobauer und Chemiekonzerne schwächeln«, so Carla Neuhaus und Rolf Obertreis in ihrem Artikel Wie es der deutschen Wirtschaft wirklich geht. »Bislang ist es vor allem die Industrie, die schwächelt. Neben den Maschinenbauern zählen zu ihr auch die Autohersteller und die Chemieproduzenten. Alle drei gelten als Schlüsselbranchen: Sie prägen also die Wirtschaft im Land. Und alle drei melden besorgniserregende Zahlen. So können die Autobauer zum Beispiel in allen wichtigen Weltregionen immer weniger Wagen verkaufen, ob in Europa, Amerika oder Asien. Dabei sind sie wie die deutsche Wirtschaft überhaupt stark vom Export abhängig. Was in den Boomzeiten ein Vorteil war, wird nun zum Problem. Denn in der Außenwirtschaft gibt es gleich mehrere Baustellen. Da ist der Handelsstreit: Sowohl die Europäer als auch die Chinesen streiten mit US-Präsident Donald Trump über die Zusammenarbeit und leiden darunter, dass er immer neue Strafzölle verkündet. Und als wenn das noch nicht genug wäre, steht die Autobranche auch noch vor einer riesigen Transformation. Sie muss den Wandel weg vom Verbrennungsmotor hin zu Elektromobilität oder Wasserstoffantrieb managen.«

Nun mag der eine oder andere an dieser Stelle einwenden, dass aber gleichzeitig doch die Beschäftigung, hierbei die vor allem relevante sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, wie in den zurückliegenden Jahren weiter ansteigt.

Offensichtlich hat die (saisonbereinigte) sozialversicherungspflichtige Beschäftigung auch am aktuellen Rand der Zeitreihe zugenommen. Aber die Dynamik ist auf dem Sinkflug:

Hinsichtlich der nun nach vielen Jahren wieder zunehmenden Arbeitslosigkeit, vor allem aus dem industriellen bzw. industrienahen Bereich, muss man wissen, dass der Arbeitsmarkt verzögert auf die konjunkturelle Entwicklung reagiert. Viele Unternehmen zögern (noch) bei Entlassungen. Denn nimmt die Wirtschaft doch wieder Schwung auf, fehlen ihnen die Arbeitskräfte und es dauert, bis sie neue gefunden und eingestellt haben. Sie verfügen zudem auch über vorgelagerte Instrumente. Derzeit bauen in der Industrie zum Beispiel viele Arbeitnehmer ihre Arbeitszeitkonten ab. Auch die Kurzarbeit steigt an, wenn auch von einem sehr niedrigen Niveau.