Zur Gleichzeitigkeit von Licht und Schatten auf dem Arbeitsmarkt: Ältere Menschen zwischen steigender Erwerbsbeteiligung und zunehmenden Arbeitslosigkeitsrisiken, bei denen man genauer hinschauen muss

Wenn man sich die Medienberichte der letzten Jahre zur Arbeitsmarktsituation älterer Menschen anschaut, dann kann man sich des Eindrucks nicht verwehren, dass für Arbeitnehmer jenseits des 60. Lebensjahres, die vor einigen Jahren fast flächendeckend aussortiert wurden, gleichsam „goldene Zeiten“ angebrochen sind. Jahr für Jahr werden neue Rekorde bei der Beschäftigung älterer Menschen gemeldet. Immer mehr arbeiten immer länger bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter und einige in steigender Zahl auch darüber hinaus. Selbst die Arbeitslosigkeit scheint für diese Personengruppe ein Auslaufmodell zu werden. Nun könnte man an dieser Stelle durchaus berechtigt darauf hinweisen, dass das letztendlich vor allem eine Folge der demografischen Veränderungen ist, also gleichsam ein Abbild der Tatsache, dass die „Baby-Boomer“, die nunmehr jenseits der 50 sind und die in vielen Betrieben den Altersdurchschnitt nach oben treiben, wie eine große Bugwelle Richtung Ruhestandsalter durch das Erwerbsarbeitsleben ziehen.

»Ältere ab 55 Jahren nehmen immer häufiger am Erwerbsleben teil: Die Erwerbstätigenquote der 55- bis unter 65-Jährigen ist in den letzten zehn Jahren stärker gestiegen als die der 15- bis unter 65-Jährigen. Im europäischen Vergleich ist sie überdurchschnittlich hoch. Hinzu kommt, dass immer mehr Menschen in Deutschland auch nach Erreichen der Regelaltersgrenze erwerbstätig sind«, bilanziert die Bundesagentur für Arbeit (BA) in ihrem Bericht Blickpunkt Arbeitsmarkt: Situation von Älteren, der im September 2019 veröffentlicht wurde. Und es geht weiter mit den frohen Botschaften: »Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung von 55- bis unter 65-Jährigen ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen … Die Arbeitslosenquote Älterer ist seit 2011 rückläufig.«

Allerdings gibt es in dem Arbeitsmarktbericht der BA auch einige Eintrübungen, wenn man genau liest, so sehr die auch relativiert werden: »Ältere sind stärker als der Durchschnitt von Arbeitslosigkeit betroffen. Unter anderem wegen des demografischen Wandels und des Wegfalls vorruhestandsähnlicher Regelungen ist die registrierte Arbeitslosigkeit Älterer bis 2015 gestiegen; seitdem geht sie zurück … Gemessen an ihrem Anteil an allen Arbeitslosen sind Ältere bei der Beteiligung an Fördermaßnahmen … deutlich unterrepräsentiert. Ältere Arbeitslose sind vergleichsweise häufig langzeitarbeitslos und schwerbehindert.« (BA 2019, S.4).

Aber in den Medien hat sich die positiv daherkommende Berichterstattung durchgesetzt – anders als noch vor einigen Jahren, als in vielen Berichten thematisiert wurde, wie schwer es Menschen jenseits der 50, vor allem aber in der ersten Hälfte der 60er Jahre fällt, überhaupt in die Nähe eines Vorstellungsgesprächs oder gar einer Einstellung zu kommen. Und selbst die von den Wirtschaftsverbänden und Teilen der Politik vorgetragene Forderung, die Menschen müssten „aufgrund der demografischen Entwicklung“ schlichtweg länger arbeiten, auch über die sowieso schon steigende Altersgrenze („Rente mit 67“) hinaus, wird durch solche Befunde aus dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der BA (scheinbar) bestätigt: »Die Beschäftigung von Älteren kurz nach dem gesetzlichen Renten­eintrittsalter von 65 Jahren und mehr (65+) hat sich von der Geburtskohorte 1945 bis zu der von 1950 in absoluten Zahlen verdoppelt. Relativ zur Kohor­tengröße ist sie um 3 Prozentpunkte auf zuletzt 14 Prozent gestiegen. Aus der Geburtskohorte 1950 gin­gen damit etwa 170.000 Personen sechs Monate nach Erreichen der Regelaltersgrenze 65+ einer abhän­gigen Beschäftigung nach«, so Christian Westermeier (2019) in seiner Studie Ältere am Arbeitsmarkt: Eine stabile Beschäftigung vor dem Rentenalter begünstigt die Weiterarbeit. Allerdings findet man auch bei ihm solche Hinweise, die auf eine gewisse Polarisierung hindeuten: »Besser Ausgebildete arbeiten nach Erreichen der Altersgrenze 65+ häufiger weiter als andere. Ebenso sind Personen, die mit Mitte 50 we­nig verdient haben, im Rentenalter deutlich öfter erwerbstätig.«

Offensichtlich lohnt es sich, jenseits der Grundkategorien „besser“ oder „schlechter“ genauer hinzuschauen. Dies leistet die folgende neue Veröffentlichung:

➔ Arthur Kaboth und Martin Brussig (2020): Trotz Alterserwerbsbeteiligung auf Rekordniveau: Mehr Ältere von Arbeitslosigkeit betroffen. Großer Anteil älterer Arbeitsloser bleibt nach wie vor verdeckt. Altersübergangs-Report 2020-01, Duisburg: Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ), 2020

Kaboth und Brussig (2020) zeichnen in ihrer Zusammenfassung des neuen Altersübergangs-Reports ein gemischtes Bild:

➞ Die Erwerbsbeteiligung Älterer nimmt seit mehr als einem Jahrzehnt kontinuierlich zu und liegt auf Rekordniveau. Die Arbeitslosenquote Älterer ist davon aber teilweise entkoppelt.
➞ Die relative Beschäftigungslosigkeit steigt mit zunehmendem Alter an und hat sich bis ins höhere Erwerbsalter ausgeweitet. Aber auch die Anzahl älterer Arbeitsloser zwischen 60 und 65 Jahren hat zugenommen und sich innerhalb kurzer Zeit mehr als verdoppelt.
➞ Die Wahrscheinlichkeit, arbeitslos zu bleiben, ist ab dem 50. Lebensjahr besonders hoch, sodass der Anteil Älterer unter den Langzeitarbeitslosen (mindestens 12 Monate arbeitslos) bis zum Jahr 2018 auf über 40 Prozent zugenommen hat.
➞ Seit 2015 gelten allein durch die Sonderregelung für Ältere jährlich ca. 140.000 Leistungsbezieher*innen im SGB II (60 bis 64 Jahre) nicht als arbeitslos. Zum Vergleich: 2018 waren fast 210.000 Personen in dieser Altersgruppe als arbeitslos ausgewiesen. Ein großer Anteil älterer Arbeitsloser bleibt also verdeckt.
➞ Mit der Sonderregelung für Ältere ist im SGB II nach wie vor eine vorruhestandsähnliche Regelung in Kraft, die eine Förderung von Arbeitsuchenden erschwert. Vermutlich trägt sie bei den betroffenen Älteren zu Resignation, fehlender Erwerbsmotivation und -perspektive bei.

Auch sie bestätigen: die Alterserwerbsbeteiligung ist seit 2005 kontinuierlich gestiegen. Eine der wichtigsten Ursachen dafür: »Vor allem haben Veränderungen im Rentenrecht zu dieser Entwicklung beigetragen. Denn durch die Schließung von Frühverrentungsmöglichkeiten, der Einführung von Abschlägen bei vorzeitigem Rentenbezug und der schrittweisen Anhebung der Altersgrenzen ab 2012 haben sich Ausstiegsmöglichkeiten auf höhere Altersjahre verschoben und in der Folge erwerbsaktive Phasen verlängert.«

Verdeckte Arbeitslosigkeit bei Älteren

Alles hat zwei Seiten, so auch hier: »Damit verlängert sich unter den Älteren allerdings auch das Risiko, von Beschäftigungslosigkeit betroffen zu sein.« An dieser Stelle weisen die Autoren auf eine Besonderheit der Arbeitsmarktstatistik hin, die man zur Einschätzung des Risikos der (offiziell ausgewiesenen) Arbeitslosigkeit kennen muss: »Gerade bei Älteren gibt es Sonderregelungen, die dazu führen, dass nicht das gesamte Ausmaß der Beschäftigungslosigkeit erkennbar ist, wenn man die Statistik zur (ausgewiesenen) Arbeitslosigkeit zugrunde legt.« Sie erklären das ausführlich:

»Verantwortlich für die verdeckte Arbeitslosigkeit, insbesondere zwischen dem 60. und 64. Lebensjahr, sind Sonderregelungen für Ältere (und nicht etwa die vermehrte Zuweisung in Fördermaßnahmen). Die altersspezifischen Sonderregelungen lassen sich als vorruhestandsähnliche Regelungen verstehen, denn Ältere ab dem 58. Lebensjahr, die den Bemühungen der Bundesagentur zur Vermittlung nicht zur Verfügung stehen (wollen), werden nicht als arbeitslos gezählt und können Leistungen beziehen, ohne – wie dies sonst erforderlich ist – der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehen zu müssen. Dabei ist für den vorliegenden Beobachtungszeitraum von 2009 bis 2018 zwischen zwei Regelungen zu unterscheiden. Die erste Sonderregelung für „Leistungen unter erleichterten Voraussetzungen für Ältere“ wurde durch § 428 SGB III geregelt und betraf das Arbeitslosengeld. Diese Regelung beinhaltete zusätzlich zum erleichterten Leistungsbezug, dass Ältere verpflichtet waren, eine Altersrente zu beantragen, wenn sie die Voraussetzung einer abschlagsfreien Altersrente erfüllten. Sie lief mit dem Jahr 2007 aus und wurde durch die Sonderregelung, beginnend mit dem Jahr 2008, nach § 53a Abs. 2 SGB II abgelöst, die das Arbeitslosengeld II betrifft. Voraussetzung für die neue Regelung ist ebenfalls die Vollendung des 58. Lebensjahres. Allerdings ist in dieser Neuregelung nicht mehr der Wunsch des Arbeitslosen maßgeblich. Personen gelten dann nicht als arbeitslos, wenn ihnen innerhalb von 12 Monaten unter Bezug von Leistungen keine sozialversicherungspflichte Beschäftigung angeboten wurde … Ein weiterer wesentlicher Unterschied zur alten Regelung besteht darin, dass für das Ende des Leistungsbezuges nicht mehr der Zeitpunkt einer abschlagsfreien Rente maßgeblich war, sondern überhaupt die Möglichkeit, eine Rente zu beantragen, selbst wenn diese nur mit Abschlägen erreichbar ist.« (Kaboth/Brussig 2020, S. 10).

An dieser Stelle nur eine Anmerkung: Das Thema wurde hier schon vor und seit Jahren immer wieder mal behandelt, beispielsweise in dem Beitrag Zwangsverrentung von Hartz IV-Empfängern: Ein Fallbeispiel aus dem sozialstaatlichen Maschinenraum vom 21. August 2018. Darin ging es um die Zwangsverrentung von älteren Hartz IV-Empfängern (die ab dem 63. Lebensjahr seitens des Jobcenters aufgefordert und gezwungen werden können, die „vorrangige“ Leistung Rente zu beziehen, um aus dem SGB II-Bezug auszuscheiden) – auch gegen ihren Willen lange vor dem Erreichen des (steigenden) gesetzlichen Renteneintrittsalters und damit verbunden enormen lebenslangen Abschlägen bei der Rente. Das Problem ist schon vor Jahren kritisch bearbeitet worden:
➔ Sell, Stefan (2016): „Rente mit 63“ – die einen wollen, die anderen müssen, aber auch nicht alle. Die „halbierte“ Zwangsverrentung von Hartz IV-Empfängern als Beispiel für eine verirrte Sozialpolitik. Remagener Beiträge zur Sozialpolitik 20-2016, Remagen 2016

Mit der seit 2017 geltenden „Unbilligkeitsverordnung“ wurde die Zwangsverrentung für die Betroffenen partiell dergestalt gemildert, als das nunmehr eine Verpflichtung zum Renteneintritt nur dann erfolgen kann, wenn für die betroffenen Personen keine Hilfebedürftigkeit im Alter entstehen würde. Bei den anderen aber weiterhin sehr wohl, auch wenn damit erhebliche Rentenabschläge verbunden sein können.

Über welche Zahlen sprechen wir bei dieser Sonderregelung? Dazu Kaboth/Brussig 2020, S. 11: »Insgesamt hat die Anzahl der Betroffenen im Alter von 60 bis 64 Jahren bis 2014 kontinuierlich abgenommen. Seit 2015 bleibt der Bestand an Personen (ca. 140.000), die durch die nach § 53a SGB II erfasst werden, konstant. Im Jahr 2009 waren noch über 300.000 Personen (nahezu ausschließlich nach § 428 SGB III) erfasst. Durch das Auslaufen des § 428 SGB III ist die Anzahl von Personen in Sonderregelungen gesunken. Der Anteil von Personen in Sonderregelungen an allen verdeckten Arbeitslosen im Alter von 60 bis 64 Jahren nimmt seit 2014 wieder zu, sodass mehr als 80 Prozent der verdeckten Arbeitslosigkeit im Jahr 2018 auf das SGB II zurückgeführt werden kann.«

Interessant ist auch der Befund, dass lediglich jedem dritten Arbeitslosen in der Altersgruppe 60 bis 64 ein Angebot zur Erwerbsaufnahme unterbreitet wurde. »Die Gründe Älterer, in die vorruhestandsähnliche Regelung zu wechseln, beruhten … nicht ausschließlich auf einer mangelnden Arbeitsmotivation, sondern oft auf Resignation der Betroffen, die ihre Beschäftigungschancen als gering ansahen und sich den Anforderungen des Arbeitsmarktes nicht mehr gewachsen fühlten. Zudem haben Ältere ihren Ausstieg aus dem Erwerbsleben auch mit der unzureichenden Hilfe der Arbeitsvermittler begründet.«

Fazit: Die Gleichzeitigkeit von Licht und Schatten

Kaboth/Brussig (2020, S. 12) präsentieren uns dieses Fazit ihrer Analyse: »Die vorgestellten Ergebnisse verdeutlichen, dass die Betroffenheit und auch die Dauer von Arbeitslosigkeit unter den Älteren, vor allem im Alter von 60 bis 64 Jahren, zugenommen haben, während die Erwerbsbeteiligung deutlich gestiegen ist. Das Auslaufen zweier Altersrentenarten hat zwar dazu beigetragen, Erwerbsbiographien zu verlängern, allerdings gelingt dies einem zunehmenden Teil Älterer offensichtlich nicht in Erwerbstätigkeit. Vor allem lange Arbeitslosenzeiten im letzten Drittel des Erwerbslebens führen zu einer Entwertung des vorausgegangenen Erwerbsverlaufs und mindern die Ansprüche in der gesetzlichen Alterssicherung.
Die Betroffenheit von Arbeitslosigkeit wird sowohl durch statistische Indikatoren, als auch durch gesetzliche Regelungen verdeckt. Die hohe Anzahl von Personen in den Sonderregelungen für Ältere untermauert einmal mehr, wie hoch das Verbleibsrisiko und wie gering die Chancen einer Wiederbeschäftigung unter den Älteren ausfallen.«