Immer das gleiche Spiel: Die Zahl der Menschen mit einem Nebenjob steigt an, die einen sehen darin die Not und die anderen die Freude an der Arbeit

Seit 15 Jahren steigt die Zahl der Menschen mit Nebenjobs kontinuierlich an, von knapp 1,4 Millionen auf 3,4 Millionen Beschäftigte, so eine der vielen Meldungen zu neuen Zahlen über die Mehrfachbeschäftigten überschrieben: Zahl der Nebenjobs steigt auf Rekordzahl. Die neuen Zahlen stammen aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken im Bundestag. Und sofort beginnt das übliche Spiel mit den großen Zahlen: »Die Linke hat schnell eine Erklärung parat – doch die trifft nicht auf alle zu.« In einer anderen Meldung heißt es: »Statt Feierabend wartet der zweite Job: Immer mehr Menschen üben mehr als eine Beschäftigung aus. Das geschieht wahrscheinlich oft aus Geldnot«, so der Artikel 3,4 Millionen Menschen haben mehrere Jobs. Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Sabine Zimmermann, die die Anfrage gestellt hatte, wird mit diesen Worten zitiert: „Für immer mehr Beschäftigte reicht das Einkommen aus einem Job nicht mehr aus.“ Sie meinte: „Der überwiegende Teil dürfte aus purer finanzieller Not mehr als einen Job haben und nicht freiwillig.“

Die Zahl der Mehrfachbeschäftigten ist in den vergangenen 15 Jahren kontinuierlich gestiegen. Rund 3,4 Millionen Menschen in Deutschland üben aktuell mehr als einen Job aus, das sind 150.000 mehr als noch Mitte 2017.

➞  Die häufigste Kombination: eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mit mindestens einem Minijob. So machen es rund 2,9 Millionen Menschen in Deutschland.
➞  In knapp 330.000 Fällen wurden dagegen mindestens zwei sozialversicherungspflichtige Jobs kombiniert.
➞  Rund 270.000 Menschen haben mindestens zwei Minijobs.

Es gibt unterschiedliche Formen der Mehrfachbeschäftigung, die Daten zeigen aber, dass die Kombination einer sozialversicherungspflichtigen Haupt- mit einer Nebenbeschäftigung auf Basis vor allem eines Minijobs die Hauptform darstellt. Der kontinuierliche und deutliche Anstieg der Nebenjobber ist eindeutig und beeindruckend. Wie auch in früheren Jahren gestaltet sich aber die Suche nach den Ursachen für diese Entwicklung notwendigerweise schwierig, da es eben nicht nur den einen Grund gibt, sondern teilweise ganz unterschiedliche Motivlagen eine Rolle spielen können. Diese Diskussion wurde auch schon in den zurückliegenden Jahren immer wieder mal geführt. Nur einige wenige Beispiele aus diesem Blog dazu, die den Charakter einer Fortsetzungsgeschichte belegen können:

➔ Der Trend geht zum Zweitjob. Für die einen aus der Not heraus, für einige andere hingegen ganz im Gegenteil (13.10.2017)

➔ Wer macht das warum? Neue Erkenntnisse über die Menschen in der boomenden Welt der Nebenjobber (18.10.2017)

➔ Auf schwarz-weiße Reflexe ist Verlass – am Beispiel minijobbender Rentner (30.08.2016)

Und die Argumentation hinsichtlich der (möglichen) Ursachen wiederholen sich, so wird auch in der aktuellen Berichterstattung dieses Bild gemalt:

»Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), die Forschungseinrichtung der BA, wies darauf hin, dass Nebenjobber im Schnitt in ihrem Hauptjob deutlich weniger verdienten als Menschen ohne Nebenjob. Nach einer Studie des Instituts bekommen Nebenjobber in ihrer Hauptbeschäftigung im Schnitt etwa 570 Euro im Monat weniger als Personen mit nur einem Job. IAB-Forschungsbereichsleiter Enzo Weber sagte der dpa: „Das deutet darauf hin, dass relativ viele Nebenjobber auf das zusätzliche Geld angewiesen sind.“ Das treffe aber nicht auf alle zu.
Zweitjobs kämen nicht nur in bestimmten Branchen, bei bestimmten Personen oder im Fall bestimmter Motive vor, sagte Weber. „Nebenjobs streuen breit.“ … Die IAB-Studie stellt fest, dass es neben finanziellen Motiven auch andere Gründe für einen Zweitjob gibt, etwa den Hauptjob um Tätigkeiten zu ergänzen, die Spaß machen oder Prestige einbringen. „Beispiele sind der Universitätsprofessor, der als Berater in Wirtschaft oder Politik tätig ist, oder aber der Fließbandarbeiter, der abends gegen Entgelt Konzerte mit der Band gibt.“«

Und immer wieder, wenn die jeweils neuen Zahlen zur Mehrfachbeschäftigung vermeldet werden, meldet sich auch Holger Schäfer zu Wort, vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW), der den Diskurs gerne weg bekommen möchte von dem Eindruck, die Menschen müsste hier aus materieller Not heraus zusätzlich arbeiten gehen. So war das auch 2017. Für ihn sah (und sieht sicherlich auch heute) die Welt so aus: »3,2 Millionen Menschen in Deutschland gehen zusätzlich zu ihrem Hauptjob einer Nebenbeschäftigung nach – rund eine Million mehr als vor zehn Jahren … Ein Grund zur Aufregung ist das aber nicht: Nebenjobber sind sogar oft sozial besser gestellt als andere Beschäftigte.« Nanu. Das wird jetzt manchen überraschen. Es sind also gar nicht die armen Schlucker, die zwei oder drei Jobs machen müssen, sondern sozusagen die bessere Hälfte? Aber warum werden es dann immer mehr? Haben wir es vielleicht mit Workaholics zu tun, denen ein Job partout nicht ausreicht? Man muss weiterlesen: »Dass die Anzahl der Nebenerwerbstätigen steigt, dürfte vor allem mit der verbesserten Arbeitsmarktlage zu tun haben – und weniger mit niedrigen Löhnen im Hauptjob. Dafür spricht auch die regionale Verteilung: Mit 10,5 Prozent finden sich im prosperierenden Baden-Württemberg wesentlich mehr Nebenerwerbstätige als in den neuen Bundesländern (4,1 Prozent), wo die Löhne deutlich niedriger sind.«

Und damit auch ganz sicher die beabsichtigte Botschaft hängen bleibt, schiebt der IW-Experte nach: »Befragungsdaten aus dem Sozio-ökonomischen Panel (SOEP) zeigen, dass Vollzeitbeschäftigte mit Nebenerwerb sogar ein höheres Bruttoeinkommen und einen höheren Stundenlohn haben als Vollzeitbeschäftigte ohne Nebenerwerb.« Da muss man schon genau hinschauen, mit welchen Kategorien er da hantiert. Was ist mit den vielen Teilzeitbeschäftigten, die zusätzlich einen Minijob ausüben? Die tauchen – sicher ganz unbeabsichtigt – nicht in seiner Auswahl auf.

Das Argument mit den höheren Anteilen im „reichen“ Südwesten unseres Landes kann man durchaus kritisch betrachten: Gerade unter dem großen Durchschnittsdach „wohlhabend“ verbergen sich im Süden eben auch individuell viele Haushalte bzw. Einzelpersonen, die es schwer haben, über die Runden zu kommen. Außerdem sind sie hier auch mit einem deutlich höheren Preisniveau, man denke nur an die Wohnkosten als eine Komponente, konfrontiert. Sicher sind gerade unter den Arbeitnehmern mit einem Nebenjob viele, die oberhalb der offiziellen Einkommensarmutsschwelle segeln. Aber wenn ein Teil von ihnen nur mit Nebenjobs einen bescheidenen Lebensstandard aufrechterhalten kann, dann hat das eine andere Qualität, als wenn man davon ausgeht, dass die vor lauter Spaß am Schaffen zum Zweit- oder gar Drittjob greifen. Außerdem erklären sich die höheren Anteile in im Durchschnitt reicheren Regionen vielleicht auch schlichtweg damit, dass es hier auf der Arbeitsnachfrageseite entsprechende Bedarfe gibt.

Bereits 2014 hat Gerhard Bosch in einem Kurzbeitrag, der unter der Überschrift Nebenjob: Von Steuerzahlern subventioniert in der Zeitschrift „Wirtschaftsdienst“ veröffentlicht wurde, eine notwendige Relativierung der Motivlagen für Nebenbeschäftigungen vorgenommen, die sich eben vielgestaltig darstellt – und er liefert zugleich einen Hinweis auf das vom Institut der deutschen Wirtschaft herausgestellte Phänomen, dass es oft nicht die armen Schlucker seien, die einem Zweitjob nachgehen:

»Neben der Haupttätigkeit einen zweiten Job auszuüben, ist nichts Neues. Man denke nur an Landwirte im Nebenverdienst oder Beamte, die zusätzlich Versicherungen verkauften. Auch die Motive waren schon immer vielfältig. Für die einen waren die Zweitjobs lebenswichtig, um ein niedriges Einkommen aufzubessern, für die anderen ein hübscher Nebenverdienst, der – wie bei Chefärzten im Krankenhaus – sogar das Einkommen im Hauptjob um ein Mehrfaches übersteigen konnte. Gerade gut Verdienende haben aufgrund ihres Fachwissens und ihren guten Verbindungen nicht nur attraktive Zuverdienstmöglichkeiten; sie können oft sogar noch die Ressourcen ihrer Haupttätigkeit, wie Arbeitszeit, Sachmittel oder Personal, für ihre zweite Tätigkeit nutzen, was bei Geringverdienern ausgeschlossen ist.«

Aber er sah damals schon auch die andere Seite: »Die Formen der Nebentätigkeiten haben sich aber verändert. Aufgrund der Zunahme von unfreiwilliger und schlecht bezahlter Teilzeitarbeit, werden mehrere Teilzeitjobs kombiniert. Zudem sind viele neue Unternehmensgründer, vor allem die Soloselbständigen, auf der Suche nach einem Zusatzverdienst, um ihr knappes Einkommen aufzustocken.«

Dass Minijobs auch als Nebentätigkeit zugelassen sind, gilt übrigens erst (wieder) seit 2003 und das ist sowohl für Beschäftigte als auch für Unternehmer hoch attraktiv. »Beschäftigte können neben ihrem Hauptjob … steuer- und abgabenfrei hinzuverdienen. Nebentätigkeiten im Minijob sind damit deutlich attraktiver als Überstunden«, so Bosch 2014.

Bei der auch in der aktuellen Berichterstattung angesprochenen Studie des IAB über die Mehrfachbeschäftigten handelt es sich um diese Arbeit:

➔ Sabine Klinger und Enzo Weber (2017): Zweitbeschäftigungen in Deutschland: Immer mehr Menschen haben einen Nebenjob. IAB-Kurzbericht Nr. 22/2017, Nürnberg 2017

Ein Blick in diese Studie ist interessant, auch vor dem Hintergrund der Behauptung, dass die mit einem Nebenjob ein höheres Bruttoeinkommen haben als die anderen.

Die Forscher haben sich an einer beeindruckenden Datenquelle bedient – die IAB-Beschäftigtenhistorik (BeH), eine vollständige, historisierte und aufbereitete Sammlung von Verwaltungsdaten der Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung. Darin werden Entgeltmeldungen der Arbeitgeber berücksichtigt, also Jahres-, Unterbrechungs- und Abmeldungen sowie Meldungen zur Sozialversicherung. Damit sind sämtliche Zeiträume erfasst, in denen eine Person sozialversicherungspflichtig und/oder geringfügig entlohnt beschäftigt war.

Zu welchen Ergebnissen kommt die Studie? Unter den Nebenjobbern sind Frauen, Personen mittleren Alters sowie Personen mit Hauptberufen in Verwaltung und Büro, in Allgemeinen Dienstleistungen, im Verkehr, im Gesundheitswesen sowie in Sozial- und Erziehungsberufen überdurchschnittlich häufig vertreten. Ein Drittel der Mehrfachbeschäftigten übt im Haupt- und im Nebenjob denselben Beruf aus. Mit Blick auf das Einkommen besteht die höchste Wahrscheinlichkeit für einen Nebenjob im untersten Lohnsegment; mit steigendem Entgelt sinkt sie relativ rasch. Über die gesamte Entgeltverteilung hinweg üben eher Teilzeit- als Vollzeitbeschäftigte einen weiteren Job aus.

Diese Befunde stützen nicht wirklich die These, dass es überwiegend die besser gestellten Arbeitnehmer sind und auch das angebliche Motiv, aus Spaß an der Arbeit zu arbeiten, relativiert sich doch erheblich für die große Masse.

Die Bundesagentur für Arbeit hat im Mai 2018 diese Veröffentlichung vorgelegt:

➔ Bundesagentur für Arbeit (2018): Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mit geringfügig entlohntem Nebenjob, Nürnberg, Mai 2018

Darin findet man diese Hinweise: »Bezogen auf die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist die Kombination mit einem geringfügig entlohnten Nebenjob besonders bei Frauen, Ausländern sowie Jüngeren unter 25 Jahre verbreitet. Überdurchschnittlich oft wird eine sozialversicherungspflichtige Teilzeitbeschäftigung mit einem Minijob als Nebenjob kombiniert. Eine solche Mehrfachbeschäftigung kann unterschiedliche Gründe haben: beispielsweise war eine Vollzeitstelle nicht zu finden oder eine Vollzeitbeschäftigung kann wegen (familiärer) Verpflichtungen nicht ausgeübt werden. Zudem ist teils bei gleicher Gesamtstundenzahl Mehrfachbeschäftigung finanziell günstiger als nur eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Beschäftigte mit Nebenjob, die im Hauptjob eine sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigung ausüben, habe ein geringeres mittleres Monatseinkommen als alle sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigten. Dabei haben Frauen nicht nur ein geringeres Haupteinkommen als Männer. Auch die Differenz zu allen Vollzeitbeschäftigten ist bei Frauen größer als bei Männern.« (S. 4).

Der eigentlich interessante Punkt ist aber ein ganz anderer – und auf den wird erneut in der aktuellen Berichterstattung hingewiesen, so beispielsweise in diesem Artikel mit Bezug auf Enzo Weber vom IAB: »Vor allem aber machte Weber darauf aufmerksam, dass der erste Minijob im Nebenjob für den Arbeitnehmer komplett steuer- und abgabenfrei ist. „So eine starke Subvention möchten dann natürlich ganz verschiedene Personen nutzen.“ Angesichts der schwachen Lohnentwicklung bis Mitte/Ende der 2000er Jahre habe für diesen Zeitraum wohl die Zahl derer zugenommen, deren Einkommen ohne Nebenjob nicht ausreiche. Nachdem die Löhne seit Jahren aber wieder deutlich stärker gestiegen seien, sei die extreme Begünstigung von Nebenjobs die wohl wichtigste Ursache für deren Zunahme, so Weber.«

»Problematisch ist aber die offenkundige Subvention von Nebentätigkeiten auf Kosten der Steuer- und Beitragszahler über die Minijobs. Sie kann auch als staatliche Beihilfe zur Aufspaltung regulärer Tätigkeiten in viele kleine Jobs bezeichnet werden.« So Gerhard Bosch bereits in seinem Beitrag aus dem Jahr 2014.

Und auch Klinger/Weber (2017) haben sich hier sehr deutlich positioniert: »Die Begünstigung einer zweiten Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber ist aber nicht das richtige Instrument … Erstens profitieren von der Regelung auch viele Gutverdiener. Zweitens leisten kleine Nebenjobs gerade für die Personen, für die es besonders wichtig wäre, kaum einen Beitrag für eine nachhaltige berufliche Entwicklung und Alterssicherung.«

Dann bleibt konsequenterweise nur die Abschaffung dieser Form der (begünstigten, sprich subventionierten) Form der geringfügigen Beschäftigung bzw. ihre Umwandlung in „normale“ sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Mit Blick auf diese Variante haben Klinger und Weber (2017) aber auch auf kompensierenden Handlungsbedarf hingewiesen – und damit auf eine Entwicklung, die derzeit hoch aktuell (wieder) diskutiert wird:

»Natürlich verteuert es den Minijob als Nebenjob, wenn seine Begünstigung abgeschafft würde. Dies würde zwar die schwer begründbare Besserstellung gegenüber sozialversicherungspflichtigen Nebenjobs aufheben, könnte aber gerade Schwächeren im Arbeitsmarkt auch ihre Verdienstmöglichkeiten erschweren. Deshalb sollte im Gegenzug Arbeit in der Hauptbeschäftigung gestärkt werden. Denkbar ist eine Entlastung niedriger Verdienste bei den Sozialabgaben. Da eine solche Entlastung auch zu sozialer Umverteilung führt, könnte sie alternativ über das Steuersystem organisiert werden. Im Kern geht es darum, dass sozialversicherungspflichtige Hauptbeschäftigungen auch bei geringen Brutto-Einkommen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber attraktiver werden. Letztlich führt dies auch dazu, dass mehr solcher Jobs mit einer größeren Stundenzahl entstehen.«