Keine Regel ohne Ausnahme. Die „drastische Einschränkung“ der sachgrundlosen und der Ketten-Befristungen, die weiterarbeitenden Eigentlich-Rentner und der EuGH

Das Thema befristete Arbeitsverträge hatte in den vergangenen Wochen im Kontext der neuen und komplikationsbehafteten GroKo-Geburt eine durchaus prominente Rolle gespielt, war doch die Einschränkung (anfangs sogar die völlige Streichung) der sachgrundlosen Befristung ein sozialdemokratisches „Herzensanliegen“. Und scheinbar hat man hier bei den Koalitionsverhandlungen, dessen Ergebnis am Sonntag sicher bestätigt werden wird bei der Bekanntgabe des Ergebnisses der SPD-Mitgliederbefragung, Erfolge erzielen können – wenn man denn den Verlautbarungen aus der SPD-Führung Glauben schenkt: In der offiziellen Botschaft der Parteiführung heißt es hinsichtlich der „sozialdemokratischen Handschrift“, die man im Entwurf eines Koalitionsvertrages hinterlassen habe: »Das unbefristete Arbeitsverhältnis wird wieder zur Regel: Wir schränken sachgrundlose Befristungen drastisch ein und schaffen endlose Kettenbefristungen ab.« Nun ist das mit der „drastischen Einschränkung“ so eine Sache. Was man erreicht hat in den Verhandlungen mit der Union kommt als ein typischer Kompromiss daher. Dazu ausführlicher bereits die Analyse in diesem Beitrag vom 20. Februar 2018: Die beabsichtigte Einschränkung der sachgrundlosen Befristung und das ewige Dilemma mit den Schwellenwerten. Dort wurde bereits darauf hingewiesen, dass man das mit der „drastischen Einschränkung“ differenzierter und weitaus weniger euphorisch sehen muss.

Und dass es auch in Zukunft für bestimmte Personengruppen weitergehen wird mit nicht begrenzten sachgrundlosen Befristungen und das auch noch vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) abgesegnet, verdeutlicht diese Meldung: Arbeitsrecht: Befristung im Rentenalter zulässig, so die FAZ. Das, was der EuGH da wohlwollend beurteilt hat, muss auch im Zusammenhang gesehen werden mit einem anderen blutdruckerhöhenden Thema aus der sozialpolitischen Debatte in Deutschland – der immer wieder geforderten weiteren Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters und der angeblich fehlenden „Anreize“, ältere Arbeitnehmer auch nach dem Erreichen des Renteneintrittsalters zu beschäftigen.

Den letzten Punkt betreffend darf hier an diesen Beitrag vom 3. Januar 2015 erinnert werden: Was für ein Jahresanfangsdurcheinander: Die Rente mit 70 (plus?), ein Nicht-Problem und die Realität des (Nicht-)Möglichen, so war der überschrieben. Damals ging es um so eine Debatte: »Angesichts des Fachkräftebedarfs in Deutschland plädiert der Vorstandschef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Frank-Jürgen Weise, für zusätzliche Anreize, um Ältere bis zum Alter von 70 Jahren im Berufsleben zu halten …  „Man sollte nun auch Anreize dafür setzen, dass Arbeitnehmer, die fit sind, freiwillig bis 70 arbeiten können“, forderte Weise. Für den Arbeitsmarkt wäre das gut, betonte der BA-Vorstand.« So etwas wird bis heute von interessierter Seite immer wieder gerne vorgetragen, vor allem von den Arbeitgeber-Funktionären, was aber nicht bedeutet, dass durch ständige Wiederholungen die Sache richtiger wird. Schon damals habe ich die Frage gestellt: Wo ist eigentlich das Problem? Ist das nicht heute schon möglich?

»Ja, so muss die einfache Antwort in einem ersten Schritt lauten. Beschäftigte können – im Prinzip – den Renteneintritt auf einen späteren Zeitpunkt verschieben und erhalten dafür eine höhere Rente. Das heißt aber eben auch, dass es sich bereits heute lohnen kann, länger zu arbeiten, wenn man denn will und kann und – das wird allerdings in den meisten Artikeln gerne unterschlagen, wenn der Arbeitgeber auch mitmacht, denn es gibt nicht wenige Unternehmen, die aus welchen Gründen auch immer gar kein Interesse haben an der Weiterbeschäftigung älterer Arbeitnehmer und dann gerne auf das gesetzliche Renteneintrittsalter als Austrittsgrund verweisen, um den Mitarbeiter loswerden zu können.«

Beispiel: Wer den Renteneintritt um ein Jahr aufschiebt, erhält lebenslang eine um 12 mal 0,5 Prozent – also sechs Prozent – erhöhte Monatsrente. Man muss sich in aller Deutlichkeit klar machen, dass es bereits heute im bestehenden System aufgrund der Entgeltpunkt- und Zuschlagssystematik der Rentenformel durchaus „lohnend“ ist, weiterzuarbeiten und man keineswegs „bestraft“ wird, wenn man sich dafür entscheidet. Und damit nicht genug: Zugleich sind die arbeitenden Rentner von Beitragszahlungen an die Arbeitslosen- und Rentenversicherung befreit. Die Arbeitgeber müssen allerdings weiterhin ihren Rentenbeitragsanteil abführen. 
Aber was hat das mit dem Thema Befristungen zu tun? Auch hierzu konnte man bereits 2015 erfahren: Und ganz wichtig ist auch der Hinweis, dass die immer wieder geforderten vereinfachten Rahmenbedingungen zugunsten der Unternehmen für eine Weiterbeschäftigung älterer Arbeitnehmer von der Großen Koalition im Windschatten der Rente mit 63 und der Mütterrente bereits hergestellt worden sind: In der Vergangenheit waren unbefristete Arbeitsverhältnisse bei einer Weiterbeschäftigung nach Erreichen des Renteneintrittsalters automatisch als unbefristet fortgeführt worden, was den Arbeitgebern ein Dorn im Auge war, denn solche Arbeitsverhältnisse sind seitens vieler Unternehmens kaum kündbar, ihre Beendigung ist oft mit Abfindungszahlungen verbunden. Das empfanden die Arbeitgeber als ein besonderes Risiko und ihre Forderung war es denn auch, so gestellt zu werden, dass sie die möglichen Vorteile einer Weiterbeschäftigung älterer Arbeitnehmer in Anspruch nehmen können und gleichzeitig aber diese schnell loswerden können, wenn „ihre Zeit gekommen“ ist. Und da ist ihnen die Bundesregierung ganz erheblich entgegengekommen: Die von den Arbeitgebern geforderten vereinfachten Rahmenbedingungen hat die Regierungskoalition bereits im Juli 2014 gleichzeitig mit der Mütterrente und der Rente mit 63 in Kraft gesetzt: Seither können Arbeitnehmer und Arbeitgeber eine befristete Weiterbeschäftigung nach Erreichen des Renteneintrittsalters vereinbaren und solche Befristungen auch mehrfach verlängern.
Auf den Punkt gebracht: Bereits heute besteht bei den Eigentlich-Rentnern die Möglichkeit, sachgrundlose Ketten-Befristungen zu nutzen. Und das wird sich auch durch die GroKo neu nicht ändern. 
Und was hat das EuGH nun mit diesem Thema zu tun? Der EuGH hat am 28.02.2018 diese Pressemitteilung zu einem neuen Urteil veröffentlicht und die Überschrift sagt schon alles: Die Befristung der Verlängerung eines Arbeitsverhältnisses über die Regelaltersgrenze hinaus ist zulässig.  Konkret geht es um die Rechtssache C‑46/17 (dazu das Urteil im Verfahren Hubertus John gegen Freie Hansestadt Bremen).

Erhellend ist auch das, was nach der Überschrift in der Pressemitteilung des hohen Gerichts ausgeführt wird: »Der Arbeitnehmer kann nicht geltend machen, dass es sich dabei um einen Missbrauch befristeter Arbeitsverträge handelt.«
Konkret ging es im vorliegenden Fall um einen Lehrer in Deutschland. Dazu berichtet die FAZ zusammenfassend: »Angesichts des Personalmangels gibt es immer wieder Pädagogen, die nach Erreichen des Rentenalters weiter unterrichten wollen. Einer von ihnen, der Bremer Lehrer Hubertus John, beantragte noch vor seiner Pensionierung eine Verlängerung. Die Stadt Bremen erlaubte ihm, ein weiteres Schuljahr zu unterrichten – einem Folgeantrag für eine abermalige Verlängerung lehnte sie ab. John wollte sich das nicht bieten lassen und klagte vor den Arbeitsgerichten: Er fühlte sich gegenüber jüngeren Kollegen diskriminiert, überhaupt verstoße schon die Befristung seiner Weiterbeschäftigung gegen europäisches Recht.«
Das Urteil des EuGH hat eine über den konkreten Fall des Lehrers aus Bremen weit hinausreichende Bedeutung. Im Zentrum der Frage steht § 41 Satz 3 SGB VI. Er erlaubt es den Vertragsparteien, den Zeitpunkt für das Ende des Arbeitsverhältnisses auch über die Regelaltersgrenze hinauszuschieben. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Bremen fragte den EuGH daraufhin, ob die deutsche Regelung mit dem unionsrechtlichen Verbot der Diskriminierung wegen des Alters und mit der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge vereinbar ist. Die sollen vor Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge schützen.
Der EuGH hat nun entschieden, dass das zum einen keine Diskriminierung wegen des Alters darstellt, denn grundsätzlich würde ein Arbeitsvertrag bei Erreichen der Altersgrenze automatisch beendet und die Option der Veränderung sei nur eine Ausnahmeregelung. Nach Auffassung des Gerichts handelt es sich um eine Ausnahme vom Grundsatz der automatischen Beendigung, die wiederum die Zustimmung beider Vertragsparteien voraussetze.
Bleibt zum anderen die Frage nach der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge und der damit angestrebten Verhinderung eines Missbrauchs durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge. Auch das hat das Gericht verneint. Dazu kann man der EuGH-Entscheidung entnehmen:

»Der Gerichtshof verweist insoweit auf die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts, wonach sich ein Arbeitnehmer, der das Regelalter für den Bezug der gesetzlichen Altersrente erreicht, von anderen Arbeitnehmern nicht nur hinsichtlich seiner sozialen Absicherung unterscheidet, sondern auch dadurch, dass er sich regelmäßig am Ende seines Berufslebens befindet und damit im Hinblick auf die Befristung seines Vertrags nicht vor der Alternative steht, in den Genuss eines unbefristeten Vertrags zu kommen. Außerdem ist bei der Verlängerung des Arbeitsverhältnisses, um die es hier geht, gewährleistet, dass der betreffende Arbeitnehmer zu den ursprünglichen Bedingungen weiterbeschäftigt wird und gleichzeitig seinen Anspruch auf eine Altersrente behält.«

Damit ist also dieser ganz erhebliche „Anreiz“ für Arbeitgeber bei ihrer „Absicherung“ über eine auch mehrfache Befristung der Weiterbeschäftigung, wenn sie denn willige Arbeitnehmer finden, bestätigt. Daran sollte man immer denken, wenn die Arbeitgeber-Funktionäre wieder einmal lamentieren, dass die Weiterbeschäftigung über das eigentliche Renteneintrittsalter nicht „attraktiv“ genug sei und für die Arbeitgeber „erleichtert“ werden müsse.

Mit einer neuen Entsenderichtlinie gegen Lohndumping in der EU. Also in ein paar Jahren, mit Einschränkungen und Ausnahmen

Jetzt aber endlich mal wieder positive Nachrichten – und dann auch noch zu einem europäischen Thema: Einig im Kampf gegen Lohndumping, so lautet eine der Überschriften dazu oder noch eindrucksvoller: Lohndumping: EU will Ausbeutung ausländischer Billiglöhner stoppen. Na endlich, wird der eine oder andere anmerken, das wurde aber auch wirklich Zeit, wenn man sich die Verwerfungen anschaut, die in manchen Branchen entstanden sind durch den massenhaften Einsatz von entsandten Arbeitnehmern, die zu deutlich günstigeren Konditionen beschäftigt werden können als einheimische Beschäftigte.

Was genau ist passiert, dass es solche semantischen Freudensprünge zu verzeichnen gibt? »Ob auf Baustellen, in Gastronomie oder Pflege: Viele ausländische Arbeitskräfte wurden bislang schlechter bezahlt als ihre heimischen Kollegen. Das soll sich nun ändern«, so beginnt dieser Bericht. »Nach monatelangen Verhandlungen erzielten Unterhändler des Europäischen Parlaments, der EU-Länder und der EU-Kommission eine entsprechende Grundsatzeinigung. Sozialkommissarin Marianne Thyssen sprach von einem Durchbruch und einem ausgewogenen Kompromiss nach dem Prinzip: gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit am selben Ort.«

Das hört sich gut an. Denn es geht hier um viele betroffene Arbeitnehmer (direkt und natürlich auch indirekt). Gut zwei Millionen entsandte Kräfte arbeiten nach offiziellen Angaben in einem anderen EU-Land, mehr als 400.000 in Deutschland. Viele arbeiten auf dem Bau, bei Speditionen, in Gaststätten oder in der Pflege. Über die Reform der mehr als 20 Jahre alten EU-Entsenderichtlinie wurde seit 2016 gestritten. Östliche Mitgliedstaaten mit niedrigem Lohnniveau pochen auf Freizügigkeit ihrer Bürger, während die westlichen EU-Länder Lohndumping auf ihrem Arbeitsmarkt beklagen.

Die bisher bestehende Problematik kann man so beschreiben: »Entsandte Beschäftigte sind häufig mit einer deutlichen Benachteiligung hinsichtlich der ihnen zugänglichen Rechte, Standards und Ansprüche konfrontiert. Der Grundstein hierfür ist in der veralteten EU-Entsenderichtlinie aus dem Jahr 1996 gelegt, die nur eine begrenzte Zahl von Regelungsinhalten definiert. Häufig bilden der gesetzlich festgelegte Mindestlohn sowie die gesetzlich vorgeschriebenen Mindeststandards hinsichtlich Urlaub oder Arbeitszeiten das Maximum des für entsandte Beschäftigte erreichbaren … Entsandte Beschäftigte sind massiv gefährdet durch Lohndumping, Sozialversicherungsbetrug, Kettenentsendungen, Entsendungen über Briefkastenfirmen oder missbräuchliche Praktiken hinsichtlich der Zahlung der ihnen zustehenden Löhne und Gehälter.« So der DGB in einer Veröffentlichung, die 2016 unter dem Titel Gleiche Arbeit, gleicher Ort – gleicher Lohn? Zur Situation entsandter Beschäftigter erschienen ist.

Die Forderung des DGB damals: »Eine Überarbeitung der EU-Entsenderichtlinie ist dringend geboten. Der DGB fordert, dass das Ziel „Gleicher Lohn für Gleiche Arbeit am Gleichen Ort“ gerade mit Blick auf entsandte Beschäftigte mit aller Entschiedenheit verfolgt und umgesetzt wird.«

Zuweilen wird man erhört: EU-Sozialkommissarin Marianne Thyssen sprach von einem Durchbruch und einem ausgewogenen Kompromiss. Zentraler Punkt sei das Prinzip „gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit am selben Ort“. Offensichtlich – folgt man den aktuellen Meldungen – ist das Ziel einer gleichen Bezahlung für gleiche Arbeit am gleichen Ort jetzt auch erreicht worden:

»Vereinbart wurde nun nach Angaben der Unterhändler, dass Entsendungen grundsätzlich auf zwölf Monate begrenzt sein sollen – mit der Möglichkeit einer Ausweitung auf 18 Monate. Die entsandten Arbeitnehmer sollen von Anfang an die gleichen Tariflöhne wie ihre einheimischen Kollegen bekommen, einschließlich Extras wie ein 13. Monatsgehalt oder Schlechtwetterzuschläge. Reise- oder Unterbringungskosten dürfen ihnen nicht vom Lohn abgezogen werden.«

Das ist im Vergleich zur heutigen Rechtslage eine deutliche Verbesserung – aber wie immer im sozialpolitischen Leben gibt e nicht nur ein Haar in der Suppe. Und deshalb schauen wir einmal genauer hin.

Die Debatte über die Folgen der Entsendungen von Arbeitnehmern wurde und wird nicht nur unter dem Schlagwort vom „Lohndumping“ geführt, das man nun tatsächlich erheblich eindämmen könnte, wenn die Richtlinie mit den Änderungen kommt und wenn sie auch eingehalten wird. Sondern neben dem „Lohndumping“ wurde und wird immer auch der Begriff „Sozialdumping“ verwendet – und hier gibt es eine Leerstelle zu vermelden auch bei dem nun erreichten Kompromiss auf europäischer Ebene, denn:

»Unterschiede bleiben bei der Sozialversicherung, wie Thyssen bestätigte. Die entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind in der Heimat oft preiswert kranken- oder rentenversichert. So sind Lohnkosten unter dem Strich bei entsandten Arbeitnehmern nach wie vor günstiger als bei einheimischen.«

Das nun verdünnt das Ergebnis doch erheblich. Darauf wurde bereits in diesem Beitrag vom 25. Oktober 2017 hingewiesen: Ein Fortschritt bei der Eindämmung von Lohndumping. Oder? Die EU, die Entsenderichtlinie, ein Kompromiss – und seine Ambivalenz. Dort findet man diesen Hinweis:

»Von großer Bedeutung sind die Einsparpotenziale aus Arbeitgebersicht bei den Sozialabgaben auf den Faktor Arbeit. Wenn man heute davon ausgehen, dass eine Arbeitsstunde in Deutschland mit 33 Euro, in Bulgarien hingegen mit 4,40 Euro zu Buche schlägt, dann kann man sich ausrechnen, mit was für einem Kostenvorteil ein Entsendeunternehmen aus Bulgarien kalkulieren kann, wenn man weiß, dass bisher 24 Monate lang die Sozialabgaben auf den deutlich niedrigeren Lohn im Herkunftsland der Entsendearbeitnehmer abgeführt werden müssen, nicht aber die Abgaben, die normalerweise dort anfallen, wo die dann arbeiten.«

Man muss an dieser Stelle zumindest kurz darauf hinweisen, dass das, was heute Probleme bereitet (hier in Form des beschriebenen Sozialdumping), am Anfang zur Vermeidung von genau dem gedacht war. Man kann sich das an dem Formenwandel der Entsenderichtlinie verdeutlichen: Die Richtlinie wurde ursprünglich geschaffen, um ins Ausland „entsandte Arbeiter“ zu schützen. So konnten beispielsweise Franzosen im EU-Ausland arbeiten, ohne die großzügige französische Sozialversicherung zu verlieren – denn die Richtlinie verschließt gerade den Zugang zu dem Sozialversicherungssystem des Ziellandes: Für entsandte Arbeitnehmer gelten hier während der ersten 24 Monate einer Entsendung die Bestimmungen des Herkunftslandes. Der EU-Beitritt der osteuropäischen Länder hat dieses Prinzip aber auf den Kopf gestellt. Jetzt wird mit Hilfe dieses Regelwerks schlicht und einfach krasses Lohn- und Sozialabgabendumping betrieben.

Der Kostenvorteil durch die teilweise ganz erheblich niedrigeren Sozialbeiträge in den Entsendeländern wird also auch in der neuen Welt perpetuiert. Wenn denn die niedrigeren Sozialbeiträge überhaupt abgeführt wird – hier berichtet Experten über erhebliche Zweifel, denen man aber nicht nachgehen kann, denn das liegt in der Autonomie der Behörden in den Entsendeländern. Man muss davon ausgehen, dass alles mit rechten Dingen zugeht.

Und eine weitere Ladung Wasser muss in den neuen Entsendewein gegossen werden: Beim Speditionsgewerbe sollen vorerst weiterhin die Regeln der alten EU-Entsenderichtlinie gelten. Neue Regelungen sollen zu einem späteren Zeitpunkt in einer Reform einer EU-Richtlinie zum Transportsektor festgehalten werden. Anders gesagt: Gerade die Lkw-Fahrer werden von den Segnungen der neuen EU-Entsenderichtlinie vorerst und absehbar nichts haben.
Über die wirklich skandalösen Zustände, unter denen die vielen osteuropäischen Lkw-Fahrer in den wohlhabenderen Ländern der EU arbeiten müssen, wurde ausführlich bereits in diesem Beitrag vom 26. Oktober 2017 eingegangen: Die bewusst Vergessenen: Die Lkw-Fahrer bleiben bei der Reform des EU-Entsenderechts auf der Strecke. Vgl. auch das Dossier EU: Debatte um Durchsetzungs-Richtlinie zur Entsendung von LabourNet Germany.

Fazit: Substanzielle Fortschritte im Entsendebereich sind anzuerkennen, es sollten aber auch die skizzierten erheblichen Einschränkungen und kritikwürdige Ausklammerungen bedacht werden.

Und nur, damit sich jetzt keiner, was das halb volle Glas angeht, zu früh auf den Schluck aus der Pulle freut: Das muss alles noch seinen formalen Gang durch die Institutionen gehen. Und dann muss man in Rechnung stellen, das auch nach der offiziellen Verabschiedung der neuen Richtlinie, die für den Sommer 2018 geplant ist, eine mehrjährige Übergangsperiode vereinbart wurde.
Die derzeit diskutierte Verschärfung der EU-Entsenderichtlinie könnte frühestens im Sommer 2021 in Kraft treten, wird die zuständige EU-Parlamentsberichterstatterin, Agnes Jongerius, zitiert. Aber nur, wenn die Verabschiedung auch im Sommer des Jahres 2018 erfolgt. Was noch nicht wirklich in trockenen Tüchern ist. Aber selbst der Sommer 2021 sollte mal ähnlich behandelt werden wie die Eröffnungstermine gewisse Großbauprojekte. Denn:

»Im günstigsten Fall könnten sich die EU-Sozialminister bei ihrem Treffen am 15. März einigen und das EU-Parlament könnte in der ersten Aprilwoche darüber abstimmen. „Im Normalfall würde es dann zwei Jahre dauern, bis die Mitgliedstaaten die neuen Regeln in nationales Recht übertragen“, sagte Jongerius. „Wir sprechen also vom Sommer 2021.“ Allerdings handle es sich nach Ansicht des EU-Rates um eine derart komplexe Rechtsmaterie, dass die Umsetzung in nationales Recht mindestens drei Jahre dauern werde und dann noch ein Jahr bis zum Inkrafttreten. „Dann sprechen wir über 2022.“«

Also bevor jetzt die Lohndumper zu schnell Herzrasen bekommen – die Mühlen mahlen jetzt erst einmal vor sich hin, noch sind ein paar Jährchen Zeit für die Kosten- und Erlösoptimierung.

Die beabsichtigte Einschränkung der sachgrundlosen Befristung und das ewige Dilemma mit den Schwellenwerten

Nun ist sie also angelaufen, die Befragung der SPD-Mitglieder zum Koalitionsvertrag mit den Unionsparteien. Daumen hoch oder runter – wir werden sehen, wie das ausgeht. Die Abstimmungsunterlagen an die stimmberechtigten Mitglieder wurden verschickt mit einem dreiseitigen Werbeflyer für die Große Koalition, von den Positionen der „NoGroKo“-Vertreter findet man – nichts.

Man versucht jetzt natürlich, die vielen angeblichen oder tatsächlichen Vorteile einer GroKo neu aus Sicht der Verhandler und der Parteispitze darzustellen und ein wichtiger Punkt, der den Unterhändlern auf dem SPD-Parteitag in Bonn mit auf den Weg gegeben wurde, war die Forderung, beim Forderungspunkt Abschaffung der sachgrundlosen Befristung noch eine ordentliche Schippe draufzulegen und das gegenüber der Union auch durchzusetzen.

In der offiziellen Botschaft der Parteiführung heißt es hinsichtlich der „sozialdemokratischen Handschrift“, die man im Entwurf eines Koalitionsvertrages hinterlassen habe: »Das unbefristete Arbeitsverhältnis wird wieder zur Regel: Wir schränken sachgrundlose Befristungen drastisch ein und schaffen endlose Kettenbefristungen ab.« Nun ist das mit der „drastischen Einschränkung“ so eine Sache. Was man erreicht hat in den Verhandlungen mit der Union kommt als ein typischer Kompromiss daher.

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Die Roboter und andere Vehikel der Automatisierung, die Ängste um die Erwerbsarbeit und die relevante Frage der Ungleichheit

Bei Prognosen muss man bekanntlich vorsichtig sein, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen. Dieses Statistiker-Bonmot könnte einen verleiten, jeden Versuch einer Vorhersage der Entwicklung als hoffnungsloses Unterfangen abzulehnen und sich auf Vergangenheit und Gegenwart zu beschränken. Aber das entlastet nur auf den ersten Blick, man denke an die heftigen Auseinandersetzungen, die geführt werden um die Interpretation dessen, was ist. Gibt es Armut in Deutschland und wenn, wie viele Menschen sind davon betroffen? Allein diese Frage kann erwachsene Menschen in den Zustand höchst aggressiver Streitigkeiten treiben. Wie soll es da erst sein, wenn es um den Blick in die Zukunft geht und vor allem um die Bewertung dessen, was die Folgen sein werden bzw. könnten?

Und zu den höchst umstrittenen und – man kann den Eindruck bekommen – mit einer immer heftiger werdenden Aggressivität ausgetragenen Debatten über die zukünftige Entwicklung gehören sicher die Fragen der Automatisierung, der Roboterisierung, der Digitalisierung. Da kommt (wieder einmal) etwas Neues auf uns zu, das erst in Umrissen erkennbar, das nur schwer bis gar nicht fassbar ist. In solchen Unsicherheitszonen ist es immer hilfreich, wenn man Manifestationen für das Neue hat. Dazu gehört mittlerweile sicher das Bildnis von „den“ Robotern, das wir uns gemacht haben bzw. das uns serviert wurde. Die höchst ambivalente Wirkkraft der Roboter auf die Menschen ist auch darin begründet, dass sie eine Kernzone des modernen menschlichen Daseins fundamental berühren: die Erwerbsarbeit der Menschen, genauer: der Lohnabhängigen. Deren Infragestellung, radikalisiert gesprochen deren Auslöschung (von manchen durchaus aus Befreiung in den Raum gestellt) bewegt seit vielen Jahren die Gemüter. 

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Kommissionitis als Lösungshilfe und Obergrenzen nun auch im Arbeitsrecht. Was der Koalitionsvertrag zum Thema befristete Arbeitsverträge sagt

Am 7. Februar 2018 wurde der Entwurf eines Koalitionsvertrages für die im Geburtskanal steckende Große Koalition veröffentlicht – zeitgleich auch die vereinbarte Verteilung der Ministerien und Namen dazu, was „natürlich“ dazu führt, dass sich ganz viele auf dieses Thema gestürzt haben. Schulz will Gabriel aus dem Außenministerium räumen lassen, zugleich will er gemäß der immer noch üblichen Hinterzimmerabsprachen den Parteivorsitz der SPD an Frau Nahles weiterreichen (obgleich er erst vor kurzem als Vorsitzender wiedergewählt worden ist) und das Finanzministerium wird im Tausch mit dem Wirtschaftsministerium von der SPD gekapert mit Olaf Scholz aus Hamburg als neuem Bundesschatullenmeister. Da ist es nur verständlich, wenn die Medien sich auf diese Seite der Angelegenheit begeben, darüber kann man dann wortreich berichten.

Aber waren da nicht noch inhaltliche Fragen offen, die zu Verhandlungen „bis es quietscht“ (O-Ton Nahles) geführt haben, weil der SPD-Bundesparteitag die sozialdemokratischen Unterhändler mit bestimmten Aufträgen nach den Sondierungen zurückgeschickt haben? Was ist bei diesen Quietsch-Verhandlungen denn nun rausgekommen?

Es waren vor allem zwei vor allem politpsychologisch als Symbolthemen zu verstehende Themenfelder, zu denen irgendwas geliefert werden musst:

Zum einen die von der SPD gewünschte Angleichung der für gesetzlich und privat Versicherte unterschiedlichen Ärzte-Vergütungen, nachdem die „Bürgerversicherung“ an der Unionsmauer bereits in den Sondierungsverhandlungen abgeprallt ist (vgl. zu der Grundproblematik die Beiträge Die „Bürgerversicherung“ wurde in den klinischen Tod sondiert. Und nun ein neuer Anlauf über die unterschiedlichen Vergütungswelten der GKV und PKV? vom 27. Januar 2018 sowie Angleichung der Arzthonorare – „Bürgerversicherung“ durch die Hintertür? Die Krankenkassen halten davon gar nichts vom 30. Januar 2018). Das Ergebnis in diesem Bereich folgt bei einem eher zynischen Bewertungsansatz einem (nicht nur) in der Politik bekannten Ausweichmanöver: Wenn Du nicht weiter weißt, dann gründe einen Arbeitskreis. Wenn man positiver gestimmt ist, dann kann man das vor dem Hintergrund, das hier zwei in mehreren Dimensionen völlig unterschiedliche Vergütungssysteme miteinander fusioniert werden sollen, was nicht nur eine kognitiv schwer bis gar nicht lösbare Aufgabe ist, als Hilferuf an Experten verstehen, wie man ein politisches Ziel auch praktisch umsetzen kann. Aber das scheint hier eher eine naive Interpretation zu sein, denn man kann davon ausgehen, dass die Angleichung eben nicht ein gemeinsames Ziel von SPD und Union ist, sondern bei der Union das Bestreben dominiert, die Kuh vom Eis zu bekommen, ohne irgendwelche inhaltliche Zugeständnisse machen zu müssen. Man hat sich vor diesem Hintergrund auf die folgende Regelung verständigt:

»Sowohl die ambulante Honorarordnung in der Gesetzlichen Krankenversicherung (EBM), als auch die Gebührenordnung der Privaten Krankenversicherung (GOÄ) müssen reformiert werden. Deshalb wollen wir ein modernes Vergütungssystem schaffen, das den Versorgungsbedarf der Bevölkerung und den Stand des medizinischen Fortschritts abbildet. Dies bedarf einer sorgfältigen Vorbereitung. Die Bundesregierung wird dazu auf Vorschlag des Bundesgesundheitsministeriums eine wissenschaftliche Kommission einsetzen, die bis Ende 2019 unter Berücksichtigung aller hiermit zusammenhängenden medizinischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Fragen Vorschläge vorlegt. Ob diese Vorschläge umgesetzt werden, wird danach entschieden.« (Koalitionsvertrag, 07.02.2018, S. 99).

Das ist eine doppelte Absicherung – zum einen auf der Zeitschiene, denn wenn die Kommission Ende 2019 Vorschläge vorlegt, dann müssen die natürlich in aller Tiefe und Ruhe diskutiert und politisch bewertet werden, so dass selbst bei Annahme einer wie auch immer ausgestalteten Angleichungsmöglichkeit die dann noch vorhandene Zeit der restlichen Legislaturperiode nicht mehr reichen wird, so dass man das „leider“ in die nächste Regierungszeit verschieben muss. Zum anderen hat man aber auch gleich jeden tatsächlichen Änderungen vorgebaut durch die Formulierung: „Ob diese Vorschläge umgesetzt werden, wird danach entschieden.“

Insofern muss man die nunmehr gefundene Kompromissregelung zur Ärzte-Honorierung abbuchen unter dem Stichwort Kommissionitis – die Abbildung verdeutlicht, dass bereits ohne das Honorarthema sechs teils schwergewichtige Kommissionen vereinbart worden sind, in die wichtige Themen outgesourct werden sollen. Nun kommt also die Nr. 7 hinzu. In diesem Fall hat man geliefert, in dem man Zeit gekauft hat, einer Entscheidung auszuweichen oder das Thema am ausgestreckten Arm verhungern zu lassen. Es geht, um nicht nicht missverstanden zu werden, nicht immer bei der Beauftragung von Kommissionen um solche „niederen“ Motive, denn „echte“, also nach Sachverstand zusammengesetzte Kommissionen können bei sehr komplexen und/oder fundamentalen Fragestellungen eine wertvolle Hilfe für die sein, die Entscheidungen treffen müssen. Man darf aber im hier relevanten Fall gehörig daran zweifeln, dass es um so einen Ansatz geht. Das Thema sollte abgeräumt werden, ohne der Sozialdemokratie offen sagen zu müssen, dass da mit der Union nichts gehen wird. „Verfahrenstechnische Neutralisierung“, so kann man das vielleicht zusammenfassen.

Und die befristeten Arbeitsverträge? Hier war die Ausgangslage so, dass der Auftrag an die SPD-Verhandler aus den eigenen Reihen lautete: Abschaffung der sachgrundlosen Befristung im Arbeitsrecht über den Koalitionsvertrag vereinbaren.

Nun kann man trefflich darüber streiten, ob dieses Ziel an sich überhaupt vernünftig war und ist. Das wurde hier schon in mehreren Beiträgen ausführlich erörtert. So am 11. Dezember 2017 unter der Überschrift Immer mehr befristet Beschäftigte? Kommt (nicht nur) darauf an, wie man zählt. Noch komplizierter wird es bei der Frage, ob und was man tun kann oder bereits am 15. Juni 2017: Nicht nur Gewerkschaften sind gegen sachgrundlos befristete Arbeitsverträge. Zugleich werden sie gerne in Anspruch genommen.

Aber man hat sich auf die sachgrundlos befristeten Arbeitsverträge eingeschossen und – das muss man der Vollständigkeit halber hier erwähnen – die SPD stand nicht alleine mit ihrer Forderung, sondern sie wurde dabei unterstützt vom Arbeitnehmerflügel der Union, der CDA. So konnte man dem Artikel CDU-Arbeitnehmer schwenken auf SPD-Kurs entnehmen, wo der Bundesvize der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), Christian Bäumler, in den Zeugenstand gerufen wird: »Wie die Sozialdemokraten plädiert auch Bäumler für die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung im Arbeitsrecht … Der CDA-Vize erinnerte daran, dass sich die CDU in ihrem Wahlprogramm gegen den Missbrauch von befristeten Arbeitsverträgen ausgesprochen habe. Wer keinen unbefristeten Arbeitsvertrag habe, könne kein Wohneigentum erwerben, nicht einmal ein Autokauf auf Kredit komme in Betracht, gab Bäumler zu bedenken. „In der Phase der Familiengründung brauchen junge Menschen Stabilität“, betonte er.«

Und angeblich hat man sich gerade in der Endphase der Koalitionsverhandlungen vor allem an der Befristungsproblematik verbissen. Nun aber liegt mit dem Koalitionsvertrag das Ergebnis dieser Auseinandersetzung vor – die hier relevanten Passagen dazu aus dem Koalitionsvertrag sind in der Abbildung am Anfang dieses Beitrags dokumentiert.

Die SPD hat sich mit ihrer Forderung nicht durchsetzen können – die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverhältnissen bleibt als Instrument im Arbeitsrecht bestehen. Aber ihre Inanspruchnahmemöglichkeit wird zum einen begrenzt und zum anderen sieht die nun gefundene Regelung auch Eingriffe bei den Befristungen mit einem Sachgrund vor.

Für die sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnissen sind zwei Restriktionen vorgesehen:

  • Zum einen wird die maximal zulässige Befristungsdauer von 24 auf 18 Monate abgesenkt und zum anderen darf man dann innerhalb dieses Zeitraums nur noch einmal eine Verlängerung vornehmen statt einer bislang möglichen dreimaligen Verlängerung. 
  • Zum anderen wird eine Obergrenze eingeführt – für bestimmte Unternehmen, wobei das Fallbeil der Begrenzung fällt in Abhängigkeit von einem Schwellenwert, der an die Beschäftigtenzahl des Unternehmens gebunden wird. In Zukunft müssen wir bei Umsetzung der Vereinbarung unterscheiden zwischen Unternehmen bis und über 75 Beschäftigte. Unternehmen bis zu 75 Beschäftigte können weiter theoretisch so viele sachgrundlos befristet einstellen wie sie wollen, das aber wird den Unternehmen mit mehr als 75 Beschäftigten dann verwehrt. Für sie soll eine Obergrenze von maximal 2,5 Prozent der Beschäftigten gelten. Das löst sogleich spannende Rechenfragen aus: Bei einem Unternehmen mit 76 Beschäftigten liegt die Grenze von maximal 2,5 Prozent bei 1,9 Beschäftigten. Was heißt das jetzt praktisch? Eigentlich, wenn man das „maximal“ berücksichtigt, dürfte nur ein Mitarbeiter sachgrundlos befristet sein, weil 1,9 eben unter 2 liegt. Unabhängig von solchen Denksportaufgaben kann man natürlich die Frage aufwerfen, warum wird diese durchaus harte Grenze (vorher kann man so viel sachgrundlos befristen wie man will, darüber aber nur maximal 2, 5 Prozent) bei 75 Beschäftigten gezogen? Man sollte lieber nicht nach einem auch nur annähernd sachlogischen Grund fragen. Aber die Frage aufwerfen muss man dann schon vor dem Hintergrund dieser Zielbestimmung, die der Neuregelung vorangestellt wird: „Wir wollen den Missbrauch bei den Befristungen abschaffen“. Gut gebrüllt, aber ist es kein Missbrauch, wenn in Unternehmen mit beispielsweise 60 Beschäftigten jede Neueinstellung sachgrundlos befristet vorgenommen wird? Und was machen wir mit der Vorhersage, dass ein Teil der Arbeitgeber gerade angesichts der nun beschlossenen Restriktionen zu den üblichen Umgehungsstrategien greifen und stattdessen mit Sachgrund befristen? Das ist zwar anstrengender als die sachgrundlose Befristung (deshalb haben ja auch viele Unternehmen trotz des Vorliegens eines Sachgrundes zu der anderen Variante gegriffen), aber wenn es sein muss, dann weicht man eben in dieses Feld aus.

Und auch das immer wieder in der Öffentlichkeit thematisierte und skandalisierte Problem jahrelanger Kettenbefristungen wird von den Großkoalitionären adressiert. Dabei musste man erkennen, dass die von den Kritikern immer wieder gerne genannten Beispiele von Kettenbefristungen eben kein originäres Problem der sachgrundlosen Befristungen ist, denn die sind bislang auf 24 Monate gedeckelt, sondern sie sind ein Problem der Befristungen mit einem Sachgrund (vgl. dazu die Kriterien im § 14 TzBfG).
Also bekommen wir auch in diesem Bereich eine weitere Obergrenze, konkret eine von fünf Jahren. Denn in Zukunft sollen Befristungen dann unzulässig sein, wenn die Gesamtdauer der Arbeitsverhältnisse bei einem Arbeitgeber fünf oder mehr Jahre beträgt. Dann ist Schluss, selbst wenn der konkrete und im § 14 Abs. 1 TzBfG normierte zulässige Sachgrund (weiterhin) vorhanden wäre.

Das schafft sofort Anschlussprobleme, die einer Regelung bedürfen. So kann man dem Koalitionsvertrag, der (nicht nur) an dieser Stelle einer mehr als anspruchsvollen Bedienungsanleitung für das Abfassen von Referentenentwürfen im Gesetzgebungsverfahren gleicht, entnehmen, dass auf die Gesamtdauer von fünf Jahren auch vorherige Entleihungen des Arbeitnehmers in dem Unternehmen angerechnet werden müssen. Man könnte an dieser Stelle natürlich sogleich die grundsätzliche Anschlussfrage aufwerfen, warum man dann nicht die Leiharbeit insgesamt in Frage gestellt hat (wenn es um die Abschaffung von Missbrauch geht), aber auch das lassen wir hier.

Gleichzeitig fängt man sofort wieder an mit Ausnahmeregelungen von der neuen Obergrenze – so formuliert der Koalitionsvertrag, dass man sich einig sei, „dass eine Ausnahmeregelung für den Sachgrund nach § 14 Abs. 1 Nr. 4 Teilzeit- und Befristungsgesetz wegen der Eigenart des Arbeitsverhältnisses (Künstler, Fußballer) zu treffen ist“.

Das bedeutet: Auch in Zukunft will man solche Fälle nicht gesetzgeberisch ausschließen: »Der aus der Krimiserie „Der Alte“ bekannte Schauspieler Sanoussi-Bliss verkörperte in knapp 170 Folgen über rund 18 Jahre Oberkommissar Axel Richter. Die im ZDF ausgestrahlte Sendung wurde von einer Produktionsfirma im Auftrag des ZDF produziert, mit der Sanoussi-Bliss jeweils pro Folge gesonderte, sogenannte „Mitarbeiter-Verträge“ beziehungsweise „Schauspielverträge“ abschloss. Im September 2014 informierte der Redaktionsleiter des ZDF Sanoussi-Bliss mündlich, dass sein Engagement für die Krimiserie nach zwei noch ausstehenden Folgen (Nr. 391: „Blutige Spur“ und Nr. 392: „Alpenglühen“) enden werde.« Dagegen hat der Schauspieler geklagt – und vor kurzem letztinstanzlich vor dem Bundesarbeitsgericht verloren. Vgl. hierzu den Beitrag von Michael Fuhlrott: Kom­missar Richter muss gehen. Die beklagte Produktionsfirma bezog sich explizit auf eine Befristung aufgrund der Eigenart der Arbeitsleistung gem. § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 TzBfG, die sei hier auch sachlich gerechtfertigt. Und um ganz sicher zu gehen hat man dann auch noch die grundgesetzlich geschützte Kunst- und Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 und Abs. 3 Grundgesetz (GG) ins Feld geführt. Das BAG hat dann im vergangenen Jahr die besondere Art der Arbeitsleistung, die nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 TzBfG zulässigerweise befristet erfolgen dürfe, auf der Grundlage des derzeit noch bestehenden Rechts bestätigt. Hinzu, so das BAG, komme sogar eine Befristung gem. § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TzBfG zusätzlich in Betracht, da der betriebliche Bedarf an den Leistungen des Klägers nur vorübergehend bestanden habe. Die beklagte Firma habe schließlich vom ZDF jeweils nur isoliert Aufträge für einzelne Folgen erhalten und nach Abproduktion einer Folge auf die Beauftragung mit der nächsten Folge warten müssen.

Und nicht nur Künstler haben sich eine Abfuhr beim Bundesarbeitsgericht geholt in Fragen befristeter Arbeitsverträge – auch die explizit im Koalitionsvertrag angesprochenen Fußballer. Vgl. hierzu aus dem Januar 2018 Torwart Heinz Müller verliert Prozess vor Bundesarbeitsgericht: »Fußballprofis verdienen oft Millionen und sind doch prekär beschäftigt, mit Fristverträgen. Der frühere Bundesligatorwart Heinz Müller hatte deshalb geklagt – ohne Erfolg.«

Fazit: Die SPD hat nicht das bekommen, was sie wollte – eine Abschaffung der sachgrundlosen Befristung, auch nicht eine Rückkehr zum Grundgedanken dieses Instruments, das 1985 mit dem damaligen „Beschäftigungsförderungsgesetz“ als eine Möglichkeit, vorher Arbeitslose für 12 Monate „auszuprobieren“ um Einstellungshürden zu verringern, eingeführt worden ist, sich zwischenzeitlich aber auf alle Arbeitnehmer „verselbständigt“ hat.

Aber sie hat Korrekturen bekommen, die als eine graduelle Re-Regulierung gedeutet werden können, also eine zeitliche und für einen Teil der Unternehmen auch eine mengenmäßige Begrenzung der Inanspruchnahme der sachgrundlosen Befristungen sowie bei denen mit Sachgrund eine Obergrenze der Inanspruchnahme hinsichtlich der Gesamtdauer.

Das alles macht das sowieso schon komplexe Arbeitsrecht noch komplexer und wirft zwangsläufig zahlreiche Abgrenzungsfragen auf. Von Gerechtigkeitsfragen ganz zu schweigen. Aber das Signal sollte sein – wir tun was. Denn noch müssen die SPD-Mitglieder über den Koalitionsvertrag abstimmen und erst wenn diese Hürde genommen ist, kann regiert werden.