Die beabsichtigte Einschränkung der sachgrundlosen Befristung und das ewige Dilemma mit den Schwellenwerten

Nun ist sie also angelaufen, die Befragung der SPD-Mitglieder zum Koalitionsvertrag mit den Unionsparteien. Daumen hoch oder runter – wir werden sehen, wie das ausgeht. Die Abstimmungsunterlagen an die stimmberechtigten Mitglieder wurden verschickt mit einem dreiseitigen Werbeflyer für die Große Koalition, von den Positionen der „NoGroKo“-Vertreter findet man – nichts.

Man versucht jetzt natürlich, die vielen angeblichen oder tatsächlichen Vorteile einer GroKo neu aus Sicht der Verhandler und der Parteispitze darzustellen und ein wichtiger Punkt, der den Unterhändlern auf dem SPD-Parteitag in Bonn mit auf den Weg gegeben wurde, war die Forderung, beim Forderungspunkt Abschaffung der sachgrundlosen Befristung noch eine ordentliche Schippe draufzulegen und das gegenüber der Union auch durchzusetzen.

In der offiziellen Botschaft der Parteiführung heißt es hinsichtlich der „sozialdemokratischen Handschrift“, die man im Entwurf eines Koalitionsvertrages hinterlassen habe: »Das unbefristete Arbeitsverhältnis wird wieder zur Regel: Wir schränken sachgrundlose Befristungen drastisch ein und schaffen endlose Kettenbefristungen ab.« Nun ist das mit der „drastischen Einschränkung“ so eine Sache. Was man erreicht hat in den Verhandlungen mit der Union kommt als ein typischer Kompromiss daher.

Für die sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnissen sind zwei Restriktionen vorgesehen:

  • Zum einen wird die maximal zulässige Befristungsdauer von 24 auf 18 Monate abgesenkt und zum anderen darf man dann innerhalb dieses Zeitraums nur noch einmal eine Verlängerung vornehmen statt einer bislang möglichen dreimaligen Verlängerung.
  • Zum anderen wird eine Obergrenze eingeführt – für bestimmte Unternehmen, wobei das Fallbeil der Begrenzung fällt in Abhängigkeit von einem Schwellenwert, der an die Beschäftigtenzahl des Unternehmens gebunden wird. In Zukunft müssen wir bei Umsetzung der Vereinbarung unterscheiden zwischen Unternehmen bis und über 75 Beschäftigte. Unternehmen bis zu 75 Beschäftigte können weiter theoretisch so viele sachgrundlos befristet einstellen wie sie wollen, das aber wird den Unternehmen mit mehr als 75 Beschäftigten dann verwehrt. Für sie soll eine Obergrenze von maximal 2,5 Prozent der Beschäftigten gelten.

Ganz offensichtlich hat sich die Ausgangsforderung – also eine generelle Abschaffung der sachgrundlosen Befristung – nicht durchsetzen können und man hat sich auf einen Kompromiss geeinigt, der die Angelegenheit aber erkennbar komplizierter macht als es heute schon ist.

Darüber wurde auch mit zahlreichen kritischen Hinweisen bereits in diesem Beitrag vom 8. Februar 2018 berichtet: Kommissionitis als Lösungshilfe und Obergrenzen nun auch im Arbeitsrecht. Was der Koalitionsvertrag zum Thema befristete Arbeitsverträge sagt. Das Fazit dort: »Die SPD hat nicht das bekommen, was sie wollte – eine Abschaffung der sachgrundlosen Befristung, auch nicht eine Rückkehr zum Grundgedanken dieses Instruments, das 1985 mit dem damaligen „Beschäftigungsförderungsgesetz“ als eine Möglichkeit, vorher Arbeitslose für 12 Monate „auszuprobieren“ um Einstellungshürden zu verringern, eingeführt worden ist, sich zwischenzeitlich aber auf alle Arbeitnehmer „verselbständigt“ hat.Aber sie hat Korrekturen bekommen, die als eine graduelle Re-Regulierung gedeutet werden können, also eine zeitliche und für einen Teil der Unternehmen auch eine mengenmäßige Begrenzung der Inanspruchnahme der sachgrundlosen Befristungen sowie bei denen mit Sachgrund eine Obergrenze der Inanspruchnahme hinsichtlich der Gesamtdauer.Das alles macht das sowieso schon komplexe Arbeitsrecht noch komplexer und wirft zwangsläufig zahlreiche Abgrenzungsfragen auf. Von Gerechtigkeitsfragen ganz zu schweigen.«

Und natürlich wurde und wird das auch von dem einen oder anderen als eine nicht wirklich „drastische Einschränkung“ der sachgrundlosen Befristung kritisiert, mit der die SPD-Führung hausieren geht. Und manche Medien stoßen gerne in diese offene Wunde. Beispielsweise die WirtschaftsWoche unter dieser Überschrift: Große Koalition: Nur 1,5 Prozent der Unternehmen von Befristungsplänen betroffen. Der beabsichtigte Effekt ist offensichtlich: Was, nur 1,5 Prozent der Unternehmen? Das ist ja nun eigentlich gar nichts. Schauen wir genauer hin. Wie kommen die auf so eine Zahl? Die resultiert »aus einer exklusiven Auswertung der Unternehmensregisterdaten des Statistischen Bundesamtes hervor, die der WirtschaftsWoche vorliegt.«

»Von den insgesamt 3.469.000 Unternehmen beschäftigen nur 50.277 mehr als 75 Mitarbeiter. Union und SPD wollen ab dieser Schwelle eine Höchstgrenze für die Zahl der Befristungen von 2,5 Prozent der Belegschaft einführen. Die übergroße Mehrheit, rund 3.419.000 Firmen und Betriebe in Deutschland, fallen unter diese Grenze.«

Der eine oder andere wird bereits an dieser Stelle die berechtigte Frage aufwerfen, wie man denn den Begriff der „Beschäftigten“ genau operationalisiert für die Bestimmung des geplanten Schwellenwerts. Aber selbst ein Blick auf die Daten der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten nach Betriebsgrößen, wie in der Abbildung am Anfang dieses Beitrags dargestellt, verdeutlicht: Viele Arbeitnehmer arbeiten in Betrieben, die gar nicht betroffen sein werden von der neuen Obergrenze. Fast die Hälfte aller Beschäftigten sind von der 2,5 Prozent-Grenze gar nicht betroffen, weil sie in kleineren Betrieben arbeiten.

Nun kann man natürlich an dieser Stelle einwenden, dass es nicht nur ein wahrnehmungspsychologischen Unterschied macht, ob man schreibt, nur 1,5 Prozent der Unternehmen sind von der geplanten Obergrenze überhaupt betroffen – oder aber ausführt, dass etwas mehr als die Hälfte aller Beschäftigten in Unternehmen tätig sind, die sehr wohl tangiert sein werden.

Und man kann auch einen weiteren Maßstab mit Blick auf die schwellenwertbedingt relevante Betriebsgröße heranziehen. Gemeint ist die Frage, wo denn bislang die sachgrundlos befristet Beschäftigten anzutreffen sind. Dazu hat sich das IAB der Bundesagentur für Arbeit in diesem Beitrag zu Wort gemeldet: Zur Einschränkung befristeter Arbeitsverträge im Koalitionsvertrag, so hat Christian Hohendanner seinen Artikel dazu überschrieben.

Er bezieht sich mit seinen Daten auf eine Stichprobe, das sogenannte IAB-Betriebspanel. Generell zu den Befristungen kann man dem entnehmen: »Knapp 2,9 Millionen Beschäftigte in Deutschland hatten laut IAB-Betriebspanel im Jahr 2016 einen befristeten Arbeitsvertrag. Das entspricht einem Anteil an allen Beschäftigten (ohne Auszubildende) von etwa acht Prozent. Im ersten Halbjahr 2016 erfolgten rund 43 Prozent aller Einstellungen befristet.«

Aber hier geht es ja um die sachgrundlosen Befristungen, nicht um alle. Und wie sieht es da aus? Hohendanner bemerkt dazu, dass die Datenlage nur Aussagen zulässt für das nun schon einige Zeit zurückliegende Jahr 2013 – „aktuellere Daten liegen nicht vor“.

»Fast zwei Drittel aller sachgrundlos befristet Beschäftigten arbeiteten im Jahr 2013 … in Betrieben mit 75 und mehr Beschäftigten … Der Anteil sachgrundloser Befristungen betrug dort 5,1 Prozent, in Betrieben mit weniger Beschäftigten 2,7 Prozent.« Auf dieser Basis hat das IAB versucht, die (mögliche) Reduzierung der sachgrundlosen Befristungen abzuschätzen und kommt zu dem Ergebnis, dass unter Berücksichtigung der Betriebsgrößenverteilung der Befristungen die vorgesehenen Einschränkungen zu einer Verringerung „um etwa 400.000 Fälle“ führen könnte, das wären 30 Prozent der damals sachgrundlos Befristeten. Wobei, so der Hinweis des IAB, die Größenordnung von etwa 400.000 Fälle als Untergrenze zu verstehen sind angesichts der Beschäftigungsentwicklung insgesamt seit dem Jahr 2013.

Und wie muss man die Zahl von (möglicherweise) 400.000 (oder mehr) betroffenen Fällen interpretieren? Dazu das IAB: »Neben den erhofften unbefristeten Einstellungen könnte es zu mehr Befristungen mit Sachgrund kommen. Denkbar ist auch ein verstärkter Rückgriff auf interne  und externe Instrumente des Personaleinsatzes wie Überstunden, Jobrotation, Leiharbeit, freie Mitarbeiter oder Werkverträge an Unternehmen. Im ungünstigsten Fall könnten Betriebe ganz auf Einstellungen verzichten. Die Verkürzung der Dauer der sachgrundlosen Befristung auf 18 Monate wird entsprechende Personalanpassungsmaßnahmen wie Entfristungen, Anschlussbeschäftigungen mit Sachgrundbefristung oder Personalabgänge beschleunigen. Bei geplanten Beschäftigtendauern von mehr als 18 Monaten könnte es zu Ausweichreaktionen – etwa zu Befristungen mit Sachgrund – kommen.«