„Integrationsarbeit“ statt „80 Cent-Arbeitsgelegenheiten“? Und die Untiefen des Versuchs einer integrationsgesetzlichen Abbildung der Lebenswirklichkeit

Das Bundesarbeitsministerium bewirbt
auf der ministerialen Website
das anstehende Integrationsgesetz mit großen
Versprechungen: »Es fördert den schnellen Zugang zum Arbeitsmarkt und die
Integration durch Arbeit. Dafür wird das Angebot an Integrations- und
Sprachkursen verbessert und ausgebaut.  Der Weg in eine Berufsausbildung
wird durch eine gezieltere Förderung und mehr Aufenthaltssicherheit eröffnet.
Zusätzliche 100.000 Arbeitsgelegenheiten für Berechtigte nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz ermöglichen erste Einblicke in den deutschen
Arbeitsmarkt.« Die in dem Konzept enthaltenen zusätzlichen 100.000 Arbeitsgelegenheiten
wurden in dem Beitrag „Nirwana-Arbeitsgelegenheiten“
zwischen Asylbewerberleistungsgesetz und SGB II. Eine dritte Dimension der
„Ein-Euro-Jobs“ und die dann auch noch 20 Cent günstiger?
vom 12.
Juni 2016 bereits kritisch auseinandergenommen. In diesem Zusammenhang stellt
sich natürlich die Anschlussfrage, was man denn alternativ machen sollte und
könnte, um die Arbeitsmarktintegration der Flüchtlinge zu fördern. Da gibt es
dann beispielsweise den Vorschlag der „Integrationsarbeit“ in expliziter
Abgrenzung zu dem geplanten Einsatz des Instrumentariums der
Arbeitsgelegenheiten. Dieser Vorschlag ist auch deshalb genauer anzuschauen,
weil er nicht etwa aus der Ecke der „üblichen Verdächtigen“ kommt, denen es vor
allem um Förderung und Ausweitung der arbeitsmarktpolitischen Aktivitäten geht.
Denn der Verfasser, Steffen J. Roth, ist seit 2002 Geschäftsführer des die
Fahne der Ordnungspolitik hochhaltenden Instituts
für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln
. Roth hat 2002 promoviert
zum Thema „Beschäftigungsorientierte Sozialpolitik. Gemeinnützige Beschäftigung
als Brücke zwischen Sozialsystem und Arbeitsmarkt“ und daran schließen seine
aktuellen Überlegungen die „Integrationsarbeit“ betreffend an.

Roth hat sich jetzt unter dem vielversprechenden Titel Wie
die Integration der Flüchtlinge gelingen kann
in einem Gastbeitrag in der
FAZ zu Wort gemeldet. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist diese sicher von
vielen geteilte Diagnose:

»Ein großer Teil der Flüchtlinge wird dauerhaft bleiben oder
zumindest vorübergehend geduldet werden. Die wenigsten werden einen schnellen
Zugang zum Arbeitsmarkt finden. Wenn wir in der Integrationspolitik keine neuen
Wege gehen, werden Hunderttausende leistungsfähiger und leistungswilliger
Menschen über Jahre hinweg Leistungen aus den Sozialsystemen beziehen werden,
ohne sich selbst und der aufnehmenden Gemeinschaft helfen zu können.«

Damit sind natürlich erhebliche Kosten verbunden und man
kann nun versuchen, auf der Ausgabenseite Mittel einzusparen oder aber »auf der
Ertragsseite Wege … erschließen, dank derer die Zuwanderer ihren Hilfebedarf
aus eigener Kraft reduzieren und der aufnehmenden Gesellschaft etwas
zurückgeben können.« Der letzte Punkt ist sein konzeptioneller
Anknüpfungspunkt.

Und dass wir Handlungsbedarf haben, begründet Roth auch mit
Bezug auf Argumentationslinien, die in der Arbeitsmarktpolitik seit Jahrzehnten
vorgetragen werden, um Investitionen beispielsweise in öffentlich geförderte
Beschäftigung eines Teils der Arbeitslosen zu legitimieren:

»Aus sozialwissenschaftlicher Sicht ist außerdem zu
erwarten, dass eine anhaltende Untätigkeit der Flüchtlinge negative Folgen auf
deren Integrations- und Beschäftigungsfähigkeit hat. Anhaltende unfreiwillige
Untätigkeit wirkt sich negativ auf die psychische und physische Gesundheit der
Betroffenen aus und bewirkt Resignationseffekte … Studien zeigen darüber
hinaus signifikante Effekte auf Persönlichkeitsveränderungen, die einer
zukünftigen Beschäftigung entgegenstehen können.«

Man muss sich einfach mal jenseits aller sicherlich
hilfreichen Studien vorstellen, man wäre in ein fremdes Land geflüchtet, in
einer Sammelunterkunft untergebracht, Monate darauf wartend, überhaupt einen
Asylantrag stellen zu können, der dann noch bearbeitet werden muss. Und den
ganzen Tag nichts zu tun zu haben. Die Zeit totschlagen zu müssen. Man kann
sich selbst vorstellen, dass das ein nicht selten im wahrsten Sinne des Wortes
krank machendes Setting ist.
Deshalb muss man alles versuchen, um die Betroffenen so
schnell wie möglich in Beschäftigung zu integrieren, so die Argumentation von
Roth, der dann von „Integrationsarbeit“ spricht – auch, aber nicht nur, als »Möglichkeit,
die zermürbende und lähmende Zeit des untätigen Abwartens zu beenden«. Was soll
„Integrationsarbeit“ sein?

»Sie bietet arbeitsfähigen Flüchtlingen eine breite Palette
Tätigkeiten, erschließt ihnen unmittelbar sinnstiftende und
integrationsfördernde Arbeit im Dienste der sie aufnehmenden Gemeinschaft. Da
die Tätigkeiten der Integrationsarbeit im schlechtesten Fall kostenneutral für
die öffentlichen Haushalte sein sollen und bestenfalls sogar Ersparnisse oder
Einnahmen generieren, können alle arbeitsfähigen Flüchtlinge an solchen
Maßnahmen teilhaben. Im Kern geht es darum, den Betroffenen Tätigkeiten zu
eröffnen, in denen ein Wert geschaffen wird, für den auch eine
Zahlungsbereitschaft der Bevölkerung besteht. Da die Versorgung der Flüchtlinge
durch Sach- oder Geldleistungen im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes,
durch Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe gewährleistet wird, sollen die in
der Integrationsarbeit erwirtschafteten Leistungen und Entgelte prinzipiell
nicht den Teilnehmern persönlich, sondern der sie unterstützenden Gemeinschaft
zukommen.«

Nun könnte man an dieser Stelle einwerfen, dass das doch
auch mit den geplanten Arbeitsgelegenheiten (AGH) angestrebt wird, sogar mit
dem Unterschied, dass die Teilnehmer an den AGH noch eine
Mehraufwandsentschädigung von 80 Cent bekommen sollen, in dem Modell von Roth
sind die nicht vorgesehen. Aber der erste Blick täuscht, denn wie bereits in
dem kritischen
Beitrag vom 12.06.2016
dazu ausführlich dargelegt, leiden die
Arbeitsgelegenheiten als Instrument unter dem bestehenden restriktiven
Förderrecht mit seinen Anforderungen wie Zusätzlichkeit, öffentliches Interesse
und vor allem der Wettbewerbsneutralität.
Genau diese seit vielen Jahren in der
arbeitsmarktpolitischen Fachdiskussion zu Recht kritisierten Begrenzungen mit
ihren teilweise kontraproduktiven Effekten auf eine echte
Arbeitsmarktintegration werden auch von Steffen J. Roth aufgegriffen und in
Frage gestellt.
Dazu trägt er in seinem Beitrag einen interessanten
Gedankengang vor, der darauf abstellt, in welchen Blockaden wir uns derzeit
bewegen:

»Nehmen wir an, ein Flüchtling erfährt die Hilfsbereitschaft
einer Anwohnerin seiner Unterkunft, die ihn ehrenamtlich bei Behördengängen und
beim Erwerb der deutschen Sprache unterstützt. Nehmen wir weiterhin an, dieser
Flüchtling würde bei einem Spaziergang bemerken, wie sich ebenjene hilfsbereite
Person mit schweren Einkaufstaschen abmüht. Er entscheidet ohne zu zögern, der
Frau zu helfen, und bringt ihren Einkauf nach Hause. Sie bedankt sich
freundlich, bietet ihm einen Tee an, man unterhält sich. Im Gespräch erfährt
der Flüchtling, dass es der Frau schwerfällt, den Rasen zu mähen. Er bietet an,
diese Arbeit zu übernehmen. Die Frau willigt ein und freut sich zu beobachten,
wie emsig der junge Mann die Aufgabe erledigt. Bei der Verabschiedung drückt
ihm die Frau zehn Euro in die Hand. Der junge Mann lehnt höflich ab.
Schließlich wollte er sich für die zuvor erfahrene Hilfsbereitschaft
erkenntlich zeigen. Die Frau wiederum will die Tatkraft des jungen Mannes nicht
ausnutzen. Die beiden einigen sich schließlich darauf, dass die Frau die zehn
Euro dem Flüchtlingsnetzwerk vor Ort spenden wird.«

Und genau an dieser Stelle der bis hierher schönen
Geschichte betreten die bekannten Einwände die Bühne des Geschehens:

»Ein unromantisch-kritischer Geist wird … mahnend auf
eventuelle unerwünschte gesellschaftliche Folgen aufmerksam machen: Wieso
unterrichtet die Anwohnerin Deutsch und hilft bei Behördengängen? Verdrängt
solche ehrenamtliche Tätigkeit nicht professionelle Deutschlehrer und Anwälte
oder Sozialarbeiter? Und kann die Anwohnerin diese Tätigkeiten überhaupt auf
einem ausreichend hohen Niveau ausüben? Welche Folgen hat es, wenn der
Flüchtling der Frau beim Einkauf oder Rasenmähen hilft? Schließlich bietet der
örtliche Supermarkt einen kostenpflichtigen Heimlieferservice an. Vom Angebot
kommerzieller Gärtner ganz zu schweigen. Wieso bietet die Frau dem jungen Mann
ein Entgelt an? So ein entgeltlicher Leistungsaustausch kann als Schwarzarbeit
und Sozialversicherungsbetrug angesehen werden. Wieso lehnt der Flüchtling das
angebotene Geld ab? Unterwirft er sich nicht menschenunwürdig, wenn er
unentgeltlich arbeitet, und drückt er nicht das allgemeine Lohnniveau?«

Bei den Arbeitsgelegenheiten (z.B. bei den nach § 16d SGB
II) hat man diese Einwände institutionalisiert in Form der einschränkenden
förderrechtlichen Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit die möglichen
„Kollisionen“ mit dem „normalen“ Arbeitsmarkt oder Verdrängungseffekte auf dem
Arbeitsmarkt der Kommunen verhindert oder zumindest vermieden werden sollen,
wofür man allerdings einen hohen Preis zu zahlen hat hinsichtlich der
Sinnhaftigkeit und der Werthaltigkeit der dann noch verbleibenden
Einsatzfelder. Das hat Konsequenzen, auch Roth kritisiert die am Beispiel der
geforderten „Zusätzlichkeit“ mit der Schlussfolgerung, diese bedinge »ein
systematisches Verbot produktiver Einsätze. Je mehr eine Arbeit wertgeschätzt
wird, umso weniger genügt sie dem gesetzgeberischen Anspruch.«
Er plädiert für eine ganz andere Sichtweise auf
Zusätzlichkeit:

»Zusätzlich im volkswirtschaftlichen Sinne wäre im Gegenteil
jede Arbeitsleistung, die der Gesellschaft einen höheren Nutzen stiftet, als
sie an Kosten verursacht … Je produktiver die Teilnehmer in ihrer Tätigkeit
sind, desto höher der Zusatznutzen für die Gemeinschaft. Aus
gesamtwirtschaftlicher Sicht verdrängen die Maßnahmenteilnehmer keine reguläre
Beschäftigung, sie ermöglichen zusätzliche Leistungen.«

Auch die im bestehenden Recht verankerte Begrenzung auf kommunale
und steuerrechtlich als gemeinnützig eingestufte Träger wird von ihm
kritisiert.
Wie will Roth nun seine – im Vergleich zu den heute gegebenen
Arbeitsgelegenheiten deutlich erweiterte – „Integrationsarbeit“ umsetzen? Er
greift dabei auf einen Ansatz zurück, den wir schon seit vielen Jahrzehnten
kennen, in der alten Welt der Bundesanstalt für Arbeit waren das beispielsweise
die „ABM-Ausschüsse“ und heute gibt es im SGB II die „örtlichen Beiräte“ (nach
§ 18d SGB II):

Er plädiert dafür, dass ein »kommunales Gremium aus lokalen
Vertretern der Politik, der Gewerkschaften, der Unternehmen, der Kammern und
der Arbeitsagenturen über die Einsatzmöglichkeiten der Flüchtlinge bestimmen.
Je nach Struktur der Kommune können weitere Interessenvertreter aufgenommen
werden. Deren Kenntnisse der lokalen Begebenheiten können genutzt werden, um
Bedarfe zu identifizieren, die durch den Einsatz von Flüchtlingen gedeckt
werden können, ohne größere Verwerfungen zu provozieren.«
Die Kommunen sollten möglichst freie Hand haben, wie sie die
Integrationsarbeit konkret umsetzen. »Die Akteure vor Ort werden dabei mit
Augenmaß vorgehen und erkennbare Beeinträchtigungen etablierter Unternehmen vor
Ort genauso vermeiden wie wiederholte Arbeitseinsätze bei denselben
Auftraggebern gegen zu geringe Verleihgebühren. Es kann vor Ort darüber
entschieden werden, ob die Teilnehmer zusätzliche Anreize in Form von
Zertifikaten zur Dokumentation ihrer Tätigkeiten sowie privilegierten oder über
Bildungsgutscheine subventionierten Zugang zu weiterführenden Sprachkursen
erhalten.«
Das klingt natürlich für den einen oder anderen reichlich
ungenau und wenig normiert, aber das ist auch in anderen Konzepten ein
wesentliches Element für einen möglichst flexiblen und nicht die Luft
abschnürenden Förderrahmen (vgl. dazu beispielsweise die Vorschläge in Stefan
Sell: Hilfe zur
Arbeit 2.0. Plädoyer für eine Wiederbelebung der §§ 18-20 BSHG (alt) in einem
SGB II (neu)
. Remagener Beiträge zur Sozialpolitik 19-2016, Remagen 2016).

Aus einer systematischen Sicht wäre das zu ergänzen um die
grundsätzliche Frage nach der Sinnhaftigkeit der bestehenden institutionellen
Vielgestaltigkeit der Zuständigkeiten für Flüchtlinge, Asylbewerber,
Asylberechtigte, Geduldete usw. Dazu bereits mein Hinweis in dem Beitrag vom
12.06.2016: »Am Ende landen die meisten Flüchtlinge alle im Hartz IV-System,
also im Rechtskreis des SGB II, außer sie können sich als anerkannte
Asylbewerber auf dem Arbeitsmarkt alleine finanzieren, was einigen, sicher in
den nächsten Jahren aber nicht vielen gelingen wird. Warum also nicht die
Jobcenter von Anfang an für die arbeitsmarktliche Betreuung und Begleitung der
Flüchtlinge zuständig machen? Das wäre konsequent und man vermeidet die
zahlreichen Probleme, die sich allein aus dem Rechtskreiswechsel und der heute
schon vorhandenen und nun auch noch auszubauenden Teil-Zuständigkeit der BA mit
ihren Arbeitsagenturen ergeben.«
Und warum das so wichtig ist, dass man flexible und nicht zu
detailliert ausgestaltete Regelungen braucht, kann man auch an einem anderen,
benachbarten Beispiel aus dem großen Themenfeld Integration von Flüchtlingen in
Arbeit besichtigen. Konkret geht es um die Ermöglichung und Absicherung des
Zugangs von Flüchtlingen zu einer gerade auf dem deutschen Arbeitsmarkt so
wichtigen Berufsausbildung. Das geplante Integrationsgesetz der Bundesregierung
geht hier offensichtlich in die von vielen geforderte Richtung: Asylbewerber,
die bald nach ihrer Ankunft eine Berufsausbildung beginnen, sollen nicht durch
eine Abschiebung aus der Ausbildung herausgerissen werden. So hatten es
Wirtschaftsvertreter immer wieder gefordert, und so sieht es das geplante neue
Integrationsgesetz nun auch im Grundsatz vor. Denn ansonsten wären viele
Betriebe nicht bereit, Asylbewerber auszubilden, bevor ihre Bleibeperspektive
rechtssicher geklärt ist. Hinzu kommt: Wer erfolgreich seine Prüfung macht,
soll noch für zwei Jahre hierzulande in seinem Ausbildungsberuf arbeiten
dürfen. So positiv beginnt der Artikel Streit
über Abschiebeschutz für Lehrlinge
, dessen Überschrift aber schon andeutet,
dass es dann doch nicht so einfach kommt wie gedacht:

»Gewerkschaften, Arbeitgeber und Grüne halten die geplante
Neuregelung für nicht praxistauglich und fordern daher eine Nachbesserung. Sie
sieht vor, dass betroffene Lehrlinge unabhängig vom Grund des
Ausbildungsabbruchs sofort abgeschoben werden. Betriebe müssen den Abbruch der
Ausländerbehörde melden. Falls sie dies versäumen, droht ihnen ein Bußgeld von
30.000 Euro.«

Das grundsätzliche Problem lässt sich hier leicht erkennen:
Wenn man regelt, dass eigentlich aus anderen Gründen abzuschiebende Personen,
weil sie eine Ausbildung machen, nicht abgeschoben werden dürfen, stellt sich
sogleich die Folgefrage, wie denn mit dem Fall umgegangen werden soll, dass der
Betroffene die Ausbildung abbricht und damit der eigentliche Schutzgrund
wegfällt.
Die Arbeitgeber halten grundsätzlich eine Meldepflicht als
Vorkehrung gegen einen möglichen Missbrauch des Abschiebeschutzes für Auszubildende
für nachvollziehbar, stören sich aber an der im Gesetzentwurf vorgesehenen
Bußgeldandrohung. Eine bußgeldbewehrte Meldepflicht der Betriebe hingegen werde
das Verhältnis zwischen Ausbilder und Lehrling unnötig belasten und von einer
Ausbildung von Asylbewerbern und Geduldeten abschrecken.
Auch der DGB verneint nicht grundsätzlich, dass ein
Ausbildungsabbruch auch Folgen für den Abschiebeschutz haben solle, weist aber
darauf hin:

»Mit der geplanten Regelung werde aber nicht ausreichend
berücksichtigt, dass „ein Abbruch der Ausbildung häufig aufgrund schlechter
Bedingungen oder mangelnder Ausbildungsqualität erfolgt“. Deswegen sei
zumindest klarzustellen, dass sich ein Wechsel in einen anderen
Ausbildungsbetrieb nicht negativ auf die Duldung auswirke.«

Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen im
Bundestag, Brigitte Pothmer, wird mit dem Vorschlag zitiert, »Abbrechern eine
Frist von sechs Monaten einzuräumen, in denen sie sich um eine Ersatzausbildung
bemühen können. Pothmer weist darauf hin, dass schon bisher jede vierte
Berufsausbildung vorzeitig ende – aus vielfältigen Gründen, die auch mit dem
Ausbildungsbetrieb und der Berufswahl zu tun haben könnten.«
Dieses Beispiel zeigt erneut, dass der Teufel im Detail
versteckt ist und je genauer man bestimmte Fallkonstellationen zu regeln
versucht, um so mehr Folgeprobleme tun sich auf. Am 20. Juni 2016 wird es im
Bundestag eine Anhörung zum Integrationsgesetzentwurf geben und man darf
gespannt sein, ob man das beschriebene Problem einer Lösung und wenn ja,
welcher, zuführen kann. 

„Nirwana-Arbeitsgelegenheiten“ zwischen Asylbewerberleistungsgesetz und SGB II. Eine dritte Dimension der „Ein-Euro-Jobs“ und die dann auch noch 20 Cent günstiger?

Immer wenn man denkt, noch kleinteiliger, gesetzestechnisch hypertrophierter und inhaltlich korinthenkackerhafter geht es nicht in der Sozialpolitik, wird man eines Besseren belehrt. Bereits der als Rechtsvereinfachung gestartete und als Rechtsverschärfung und -verkomplizierung gelandete Versuch eines gegenwärtig im Bundestag liegenden 9. SGB II-Änderungsgesetzes wäre hier einzuordnen (vgl. dazu den Blog-Beitrag Entbürokratisierung des SGB II und mehr Luft für die Jobcenter? Von Luftbuchungen, Mogelpackungen und einem trojanischen Pferd vom 14. Februar 2016). Aber nun hat man sich die „Arbeitsgelegenheiten“ – umgangssprachlich als „Ein-Euro-Jobs“ bezeichnet – vorgenommen. Und offensichtlich ist man bestrebt, hinsichtlich des Komplexitätsgrades wie auch mit Blick auf die inhaltliche Fragwürdigkeit einen veritablen Quantensprung hinzulegen.
Es geht um das geplante „Integrationsgesetz“ die Flüchtlinge betreffend (vgl. hierzu Gesetzentwurf eines Integrationsgesetzes, BT-Drucksache 18/8615 vom 31.05.2016).

Das neben dem Bundesinnenministerium federführende Bundesarbeitsministerium verkündet unter der Überschrift Das neue Integrationsgesetz fördert und fordert: »Zusätzliche 100.000 Arbeitsgelegenheiten für Berechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ermöglichen erste Einblicke in den deutschen Arbeitsmarkt.« Das nun überrascht den einen oder anderen, vor allem aber den sachkundigen Beobachter der arbeitsmarktpolitischen Landschaft, denn die „Arbeitsgelegenheiten“ – im SGB II die letztendlich einzige verbliebene Form der öffentlich geförderten Beschäftigung – haben von ihrer Anlage bzw. ihrem vom Gesetzgeber gewollten Zuschnitt nun eher nicht die Aufgabe, dem deutschen Arbeitsmarkt irgendwie nahezukommen, sondern aufgrund der förderrechtlichen Anforderungen (vgl. hierzu § 16d SGB II, nach dessen Absatz 1 erwerbsfähige Leistungsberechtigte in Arbeitsgelegenheiten zugewiesen werden können, »wenn die darin verrichteten Arbeiten zusätzlich sind, im öffentlichen Interesse liegen und wettbewerbsneutral sind.«) müssen sie sogar möglichst weit weg sein von dem, was in der „normalen“ Wirklichkeit des Arbeitsmarktes passiert, damit sie nicht gegen die Wettbewerbsneutralität (§ 16d Abs. 4 SGB II) verstoßen.

Und der Blick in das Gesetz belehrt uns auch darüber, dass es gar nicht das Ziel dieser Maßnahmen sein soll (und kann), die Teilnehmer möglichst schnell und direkt in den Arbeitsmarkt einzugliedern, so Absatz 1 des § 16 d SGB II: »Erwerbsfähige Leistungsberechtigte können zur Erhaltung oder Wiedererlangung ihrer Beschäftigungsfähigkeit, die für eine Eingliederung in Arbeit erforderlich ist, in Arbeitsgelegenheiten zugewiesen werden.«

Der entscheidende Punkt ist die Zielvorgabe „Erhaltung oder Wiedererlangung ihrer Beschäftigungsfähigkeit“, also gleichsam eine der Integration in den „normalen“ Arbeitsmarkt vorgelagerte Aufgabe, die Heranführung, Vorbereitung und Unterstützung einer später mal hoffentlich stattfindenden Integration in Arbeit.

Immer wieder werden die „Ein-Euro-Jobs“ in Medienberichten kritisiert, dass die mit ihnen verbundenen Integrationsquoten sehr niedrig seien, folglich das Instrument als gescheitert anzusehen sei. Die Bundesagentur für Arbeit hingegen schreibt hierzu in ihrer Eingliederungsbericht 2014 zutreffend: »Die geringe Eingliederungsquote von Arbeitsgelegenheiten lässt sich auch darauf zurückführen, dass eine sofortige Integration in den ersten Arbeitsmarkt nicht das primäre Ziel dieser Maßnahme ist. Die Zielsetzung von Arbeitsgelegenheiten ist vielmehr die (Wieder-) Herstellung und Aufrechterhaltung der Beschäftigungsfähigkeit von arbeitsmarktfernen Personen.« (S. 10).
Vor diesem konzeptionellen Hintergrund der Arbeitsgelegenheiten ist die Erwartung des BMAS, die geplanten 100.000 Plätze würden „erste Einblicke in den deutschen Arbeitsmarkt“ ermöglichen, nur als weltfremd zu bezeichnen.

Offensichtlich werden wir in diesem Bereich der Arbeitsmarktpolitik von allen Seiten mit massiven Wissenslücken konfrontiert. Zwei Beispiele: Unter der Überschrift „Geflüchtete engagieren sich bereits“ findet man ein Interview mit Bernd Mesovic, stellvertretender Geschäftsführer von Pro Asyl. Darin wird er u.a. mit diesen Worten zitiert: »Es ist noch nicht klar, wo diese Beschäftigungen angeboten werden sollen. Für die Privatwirtschaft könnten sie eine Möglichkeit sein, den Mindestlohn zu unterlaufen. Doch eine solche „Billiglohnabteilung Flüchtlinge“ wollen wir nicht.« Das könnte man mit guten Gründen nicht wollen, aber es erübrigt sich dahingehend, dass Arbeitsgelegenheiten gerade nicht in der Privatwirtschaft durchgeführt werden dürfen. In einem anderen Artikel – Neuer Billiglohnsektor in Planung – wird die Linke-Politikerin Sevim Jagdelen dahingehend zitiert, »mit den geplanten 100.000 Ein-Euro-Jobs werde ein Billiglohnsektor geschaffen, durch den die Lohnspirale weiter nach unten gehe. Flüchtlinge würden in Konkurrenz zur einheimischen Bevölkerung gesetzt.« Nein, das werden sie nicht. Das wäre beispielsweise der Fall, wenn man den Mindestlohn für Flüchtlinge aussetzen würde. Aber nicht durch AGHs.  Noch schlimmer kommt so eine Einschätzung daher: In dem Artikel über den Entwurf eines Integrationsgesetzes unter der Überschrift Was halten Experten von den Reformen? wird auch Carola Burkert, immerhin die Leiterin der Arbeitsgruppe „Migration und Integration“ am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit so zitiert: »Den Vorschlag, niedrigschwellige Arbeitsgelegenheiten (sogenannte Ein-Euro-Jobs) aus Bundesmitteln zu finanzieren, sehe ich dagegen kritisch … solche Jobs (wurden) für Personen geschaffen, die keine Chancen haben, eine nicht-geförderte Stelle am sogenannten ersten Arbeitsmarkt zu erlangen. Das erhoffte Ziel, dass es diesen Personen dann gelingen würde, im „ersten Arbeitsmarkt“ Fuß zu fassen, wurde jedoch nicht erreicht. Deshalb wurden die Ein-Euro-Jobs als Maßnahme zur Arbeitsmarkintegration abgeschafft.« Nein, das wurden sie nicht und eine Arbeitsgruppenleiterin im Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit sollte das auch wissen.

Angesichts der eklatanten Wissenslücken in diesem Bereich überrascht es denn auch nicht, dass in der bisherigen Berichterstattung der eigentliche Skandal nicht erkannt und vorgetragen wurde: Die neuen Arbeitsgelegenheiten eigener Art, wie sie mit dem Integrationsgesetz geplant werden, machen überhaupt keinen Sinn. Da werden 100.000 Plätze geplant, die man eigentlich nicht oder nur mit einer sehr kleinen Zahl besetzen kann. Darauf wurde bereits in diesen beiden Blog-Beiträgen kritisch hingewiesen: Die Bundesarbeitsministerin fordert „Ein-Euro-Jobs“ für Flüchtlinge. Aber welche? Und warum eigentlich sie? Fragen, die man stellen sollte vom 13. Februar 2016 sowie Die Bundesarbeitsministerin macht es schon wieder: „Ein-Euro-Jobs“ für Flüchtlinge ankündigen, die noch nicht im Hartz IV-System sind. Was soll das? vom 23. März 2016.

Um zu verstehen, dass der Bund gerade dabei ist, „Nirwana-Arbeitsgelegenheiten“ zu schaffen, muss man sich leider mit den Zuständigkeiten befassen:

Für die Flüchtlinge am Anfang ist das SGB II, also das Hartz IV-System und mit ihm die Jobcenter, gar nicht relevant. Die Flüchtlinge schlagen erst dann im Hartz IV-System auf, wenn sie als Asylberechtigte anerkannt sind. Am Anfang sind bzw. wären sie theoretisch Asylbewerber – theoretisch deshalb, weil viele von ihnen  Monate warten müssen, bis sie überhaupt einen Asylantrag stellen können beim BAMF, bis dahin sind sie noch nicht einmal Asylbewerber. Da gilt dann aber das Asylbewerberleistungsgesetz. Und für die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge beispielsweise in den Erstaufnahmestellen und vor Ort in den Unterkünften sind die Bundesländer und Kommunen zuständig, wobei der Bund an der Finanzierung beteiligt ist, da er den Bundesländern dafür Gelder zur Verfügung stellt, die diese dann in ganz unterschiedlicher Form und Umfang an die Kommunen weiterleiten (sollen).

Nun gibt es im  im § 5 Asylbewerberleistungsgesetz einen Paragrafen, der genau so überschrieben ist wie der § 16 d SGB II: Arbeitsgelegenheiten.
Eingedenk der Ausführungen, die hier schon zu den Anforderungen an Arbeitsgelegenheiten im SGB II gemacht wurden, achte man genau auf die Ausformulierung des § 5 AsylbLG:

»In Aufnahmeeinrichtungen im Sinne des § 44 des Asylgesetzes und in vergleichbaren Einrichtungen sollen Arbeitsgelegenheiten insbesondere zur Aufrechterhaltung und Betreibung der Einrichtung zur Verfügung gestellt werden … Im übrigen sollen soweit wie möglich Arbeitsgelegenheiten bei staatlichen, bei kommunalen und bei gemeinnützigen Trägern zur Verfügung gestellt werden, sofern die zu leistende Arbeit sonst nicht, nicht in diesem Umfang oder nicht zu diesem Zeitpunkt verrichtet werden würde.«

Der aufmerksame Leser wird sofort gemerkt haben, dass was fehlt. Genau, die Wettbewerbsneutralität der Arbeitsgelegenheiten ist hier eben nicht verankert, was bedeutet, dass man durchaus wesentlich mehr machen kann als im SGB II aufgrund der dort eingebauten restriktiven Bedingungen. Also machen könnte, wenn man denn wollte, handelt es sich doch um keine Leistung mit Rechtsanspruch. sondern um eine Ermessensleistung. Und machen könnten das die Kommunen, denn die sind am Anfang für dieFlüchtlinge, die ihnen zugewiesen werden, zuständig und das Jobcenter erst dann, wenn die in den anerkannten Status wechseln, was aber ziemlich lange dauern kann, wie wir gesehen haben. 
Nun kann man durchaus so argumentieren: Viele Flüchtlinge leiden darunter, dass sie in den ersten Monaten hier bei uns keiner Arbeit nachgehen können. Insofern wäre Beschäftigung zu organisieren eine wichtige, wenn nicht zentrale Aufgabe, auch mit Blick auf die Folgekosten, die ein Nichtstun hier generieren können.  Vgl. dazu als ein Beispiel den Artikel Flüchtlinge: Gute Medizin allein reicht nicht zur Integration von Susanne Werner in der Ärzte Zeitung. Darin geht es primär um die schleppend bis gar nicht realisierte Gesundheitskarte für Flüchtlinge (vgl. zu diesem Thema den Blog-Beitrag Die Flüchtlinge und ihre gesundheitliche Versorgung zwischen Behandlungsschein und Karte vom 15, Mai 2016). Bei Werner findet sich dieses Zitat:

„Wenn Asylsuchende zu lange von jeglicher Arbeit ausgeschlossen werden und nicht in die Gesellschaft integriert werden, macht sie das seelisch kaputt“, sagte Professor Barbara John vom Paritätischen Wohlfahrtsverband.

Das sind alles Argumente für einen Ausbau der Beschäftigungsangebote. Insofern kann man doch nur ja sagen zu 100.000 AGH-Stellen für die Flüchtlinge. Aber neben der Tatsache, dass es sich in der heute dominierenden und durch das Förderrecht auch determinierten Verfasstheit des Instruments um eines handelt, das für viele Flüchtlinge eher kontraproduktiv ist, muss man verstehen, dass die Art und Weise, wie Berlin das umsetzen will, kontraproduktiv für eine möglichst gelingende Integration ist und zudem schwerwiegende Zuständigkeitsfragen aufwirft bzw. diese einfach negiert.

Wir haben derzeit zwei Formen von Arbeitsgelegenheiten – die nach § 5 AsylbLG und die nach § 16 d SGB II, also im Hartz IV-System. Die letzteren werden von den Jobcentern gemanagt. Bei den Kommunen gibt es hier und da AGHs für Flüchtlinge, in vielen gar keine, andere hingegen haben das Potenzial erkannt. In Frankfurt sind z.B. über 200 Beschäftigungsplätze von der Kommune geschaffen worden. Und seitens der Jobcenter ist die Zahl der AGHs in den vergangenen Jahren nach unten gefahren worden. Im Mai 2016 wurden deutschlandweit gerade einmal etwas mehr als 80.000 Beschäftigte in Arbeitsgelegenheiten gezählt. Vor diesem Hintergrund wären dann 100.000 zusätzliche AGH-Beschäftigte, wie jetzt vom Bund geplant, eine vergleichsweise sehr große Hausnummer. Gerade dann muss die Frage interessieren, für wen die geschaffen werden sollen und wer das umsetzt.

Und das eigentliche Problem ist eines dieser für Deutschland so typischen Schnittstellenprobleme: Wenn der Flüchtling als (noch nicht) anerkannter Asylbewerber oder im Vorstatus des noch nicht Asylantragsstellers unter den Fittichen der Kommunen ist, dann könnten die das heute schon vorhandene Instrumentarium des AsylbLG auch nutzen. Wenn sie das aber tun, dann können sie Maßnahmen machen, die teilweise weit über das hinausreichen, was die Jobcenter aufgrund der SGB II-Rechtslage machen können (beispielsweise kann man auf der Basis des bestehenden Rechts durchaus ie Beschäftigung mit Sprachschulungs- oder anderen Qualifizierungselementen kombinieren), was wiederum zu einem echten Problem wird, wenn der Betroffene während der Laufzeit der AGH (nach AsylbLG) in den Rechtskreis SGB II wechselt, denn die dürfen eigentlich nicht so weitgehend fördern wie derzeit im kommunalen Raum. Wenn sich die Jobcenter an die enge Gesetzesinterpretation halten würden, müssten viele Maßnahmen abgebrochen werden, weil sie nicht den Anforderungen entsprechen (können), die wir in dem kommunalen Rechtskreis haben.

Das grundlegende Problem der neuen, geplanten 100.000 „Bundes-AGH-Teilnehmer“ ist nun, dass die

a) für eine Klientel geplant werden, die es eigentlich nicht oder zumindest immer weniger geben wird und
b) dass mit der Durchführung nicht die Kommunen bzw. die Jobcenter (also die zuständigen Institutionen für die heute schon bestehenden AGHs) beauftragt werden sollen, sondern die Bundesagentur für Arbeit (BA) soll das machen.

Man will also ganz offensichtlich eine dritte Dimension der AGHs schaffen. Diese verwunderliche Regelung nennt man „Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen (FIM)“, die als ein Arbeitsmarktprogramm des Bundes von der BA abgewickelt werden sollen.

Man muss sich über die Konsequenzen klar vor Augen führen – würde das so umgesetzt, dann bekommen wir einen Wachstumsschub in den bürokratischen Strukturen. Warum?
Die Zuweisung (und auch die eventuelle Sanktionierung) der Flüchtlinge in die Maßnahmen soll über die kommunalen Sozialämter erfolgen, die das AsylbLG administrieren. Zur Umsetzung müssten bei der BA entsprechende behördliche Strukturen aufgebaut, Einkaufsprozesse geplant und umgesetzt, Kontrollsysteme installiert werden. Bei den kommunalen Sozialämtern müssten für die Kommunikation mit der BA, die Zuweisung und die Sanktionierung ebenfalls Strukturen geschaffen werden.

Und mit Blick auf die (potenziellen) Teilnehmer an diesen „Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen“: Es dürfen ausschließlich Asylantragsteller sein, aber unter Ausschluss derjenigen, die aus „sicheren Herkunftsstaaten“ kommen und derjenigen, die zur Ausreise aufgefordert sind. Das nun wiederum hat fast schon den Charakter eines Schildbürgerstreichs, denn diese Gruppe müsste nach allem, was angekündigt wurde und wird, immer kleiner werden, hat das BAMF doch die Devise ausgegeben, die Anträge immer schneller abzuarbeiten und zu bescheiden, so dass auch der Rechtskreiswechsel vom AsylbLG in das SGB II immer schneller erfolgen wird/müsste.

Man plant also Maßnahmen für eine Gruppe, die angeblich derzeit abgeschafft wird.

Aber es kommt noch heftiger: Ein-Euro-Jobs für Flüchtlinge sind nur 80-Cent-Jobs, so hat Thomas Öchsner seinen Artikel überschrieben über eine geplante Regelung, die aus dem bereits skizzierten Absurdistan ein bürokratisches Absurdistan hoch zwei machen würde:

»Derzeit bekommen die mehr als 80 000 Ein-Euro-Jobber in Deutschland meist 1,05 Euro pro Stunde. In Einzelfällen können es auch knapp zwei Euro sein. Gezahlt wird dabei eine „Mehraufwandsentschädigung“, das Geld gilt nicht als Arbeitslohn oder Taschengeld. Auch Asylbewerber mit so einer auf maximal sechs Monate befristeten Arbeitsgelegenheit bekamen bislang 1,05 Euro. Der von Nahles und Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) vorgelegte Entwurf für das Integrationsgesetz sieht nun aber vor, asylsuchenden Teilnehmern künftig nur noch 80 Cent zu zahlen. Ausnahme: Der Ein-Euro-Jobber kann „höhere notwendige Aufwendungen“ im Einzelnen nachweisen«, so Öchsner.

Aber warum eine Kürzung von 20 Prozent bei der Mehraufwandsentschädigung? Sowohl bei der Begründung wie aber auch bei den aus so einer Regelung resultierenden Konsequenzen für die vor Ort, die das umsetzen müssten, werden wir Zeuge, was eine außer Kontrolle geratene Ministerialbürokratie anrichten kann, wenn sich ihr kleinteiliges Denken Bahn bricht:

»Die Bundesregierung argumentiert dabei so: Die allermeisten Asylbewerber werden in ihren Aufnahmeeinrichtungen oder Gemeinschaftsunterkünften eingesetzt. Sie reinigen dann zum Beispiel Gemeinschaftsräume oder helfen bei der Essensausgabe. Dabei würden ihnen in der Regel nur geringe Mehrausgaben entstehen, „da die erforderlichen Arbeitsmittel, zum Beispiel Arbeitskleidung oder -geräte, von den Trägern der Einrichtungen gestellt werden und Fahrtkosten oder Kosten für auswärtige Verpflegung nicht anfallen“, heißt es im Entwurf für das neue Gesetz. Deshalb sei es gerechtfertigt, den pauschal ausgezahlten Beitrag auf 80 Cent je Stunde zu senken. Arbeite der Asylbewerber aber außerhalb solcher Einrichtungen und habe tatsächlich höhere Aufwendungen, etwa für Fahrtkosten oder spezielle Arbeitskleidung, könne er sich einen höheren Betrag auf Antrag auszahlen lassen.«

Abgesehen von dem enormen Verwaltungsaufwand, der ausgelöst wird durch die Regelung, bei allen abweichenden Fällen den höheren Betrag „auf Antrag“ auszahlen zu lassen – die Bundesregierung schlägt hier eine lächerliche Kapriole, denn sie definiert einen Ausnahmefall und macht den an anderer Stelle aber zum Normalfall. Eben hat sich zur Begründung der Kürzung ja noch argumentiert, dass die allermeisten Asylbewerber in den Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften eingesetzt werden im Rahmen der AGH. Aber zum neuen Programm erfahren wir:

Laut »der Richtlinie zum 100.000-Job-Programm ist aber geplant, dass maximal 25 Prozent der neuen Arbeitsgelegenheiten in einer Aufnahmeeinrichtung oder Gemeinschaftsunterkunft anzubieten sind. Mindestens 75 Prozent sollen hingegen außerhalb solcher Unterkünfte ablaufen.«

Man widerspricht sich also selbst. Für diesen offensichtlich hanebüchenen Befund kann es nur zwei Erklärungsansätze geben: Entweder haben die Gesetzesentwurfsverfasser selbst den Überblick verloren und je nach Regelungsgegenstand potenzieren sie ihre kleinteiligen Regelungsversuche, so dass wir mit den Folgeschäden einer außer Kontrolle geratenen Ministerialbürokratie konfrontiert wären.

Oder aber jemand hat aus politischen Gründen die Ansage gemacht, man brauche vor dem Hintergrund des Aufstiegs der AfD und der Kritik an Flüchtlingsmaßnahmen eine Regelung, die beispielsweise bei dem, was die Betroffenen bekommen, erkennen lässt, dass Flüchtlinge dann in der Welt der Maßnahmen eine eigene, zweite Klasse an AGH-Beschäftigten sind.

Man muss sich den Wahnsinn einmal ausmalen: Wir bekommen dann drei Arten von Arbeitsgelegenheiten (AGH nach AsylbLG, AGH nach SGB II und neu die AGH nach Bundesprogramm), drei zuständige Institutionen (kommunale Sozialämter, Jobcenter und neu die Arbeitsagenturen).

Unterm Strich werden hier eklatante Vermögensschäden seitens der öffentlichen Hand durch den enormen und sinnlosen Bürokratieschub produziert.

Und was bei diesem ganzen Kuddelmuddel vergessen wird: Eigentlich liegt ein grundlegender Lösungsansatz auf der Hand, der aber noch nicht einmal diskutiert wird. Am Ende landen die meisten Flüchtlinge alle im Hartz IV-System, also im Rechtskreis des SGB II, außer sie können sich als anerkannte Asylbewerber auf dem Arbeitsmarkt alleine finanzieren, was einigen, sicher in den nächsten Jahren aber nicht vielen gelingen wird. Warum also nicht die Jobcenter von Anfang an für die arbeitsmarktliche Betreuung und Begleitung der Flüchtlinge zuständig machen? Das wäre konsequent und man vermeidet die zahlreichen Probleme, die sich allein aus dem Rechtskreiswechsel und der heute schon vorhandenen und nun auch noch auszubauenden Teil-Zuständigkeit der BA mit ihren Arbeitsagenturen ergeben.

Wenn man das verbinden würde mit einer radikalen Instrumentenreform im SGB II, die es den Jobcentern endlich ermöglichen würde, das sinnvolle Arsenal an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen flexibel und ohne die hypertrophierten förderrechtlichen Begrenzungen und den vielen hyperkomplexen Sonderprogrammen für extrem selektiv definierte „Zielgruppen“, die wir heute haben, umzusetzen, dann wäre eine deutliche Verbesserung erreichbar (vgl. zu der angesprochenen radikalen Instrumentenreform die Vorschläge in Stefan Sell: Hilfe zur Arbeit 2.0. Plädoyer für eine Wiederbelebung der §§ 18-20 BSHG (alt) in einem SGB II (neu). Remagener Beiträge zur Sozialpolitik 19-2016, Remagen).

880 Euro für die Lebensleistung bei den einen, 20 Euro mehr bei den anderen? Die „Lebensleistungsrente“, eine „Garantierente“ in einem grünen Rentenkonzept und CDU-Fachleute machen auch mit

Wenn man die zurückliegenden Wochen und Monate Revue passieren lässt und in Rechnung stellt, dass im Herbst des kommenden Jahres Bundestagswahlen anstehen, dann werden wir einen Wahlkampf erleben, bei dem vieles um das Thema Rente kreisen wird. Da kann es aus parteipolitischer Sicht durchaus Sinn machen, so schnell wie möglich ein eigenes Konzept in den öffentlichen Raum zu stellen und dazu noch ein oder zwei marktgängige Begriffe zu besetzen. Das können wir gerade am Fallbeispiel der Grünen besichtigen, die am 3. Juni 2016 sichtlich zufrieden unter der Überschrift Grüne Rente mit Zukunft mitgeteilt haben: »Viele Menschen machen sich große Sorgen um ihre Altersvorsorge. Der grüne Bundesvorstand hatte deshalb vor zwei Jahren eine Rentenkommission damit beauftragt, Konzepte auszuarbeiten, wie die Alterssicherung in Deutschland weiterentwickelt werden kann.« Und nun liegt das Ergebnis vor: Abschlussbericht der Grünen Rentenkommission, so trocken ist das Dokument überschrieben. Und es enthält unter anderem auch einen eingängig daherkommenden Begriff, der schon seit einigen Jahren immer wieder im grünen Sprachgebrauch auftaucht: Eine „Garantierente“. Also eine grüne Garantierente.
Wenn etwas garantiert wird, dann hat das gerade in den heutigen Zeiten einen ganz eigenen Wert, wie viele gebeutelte Bürger wissen, wenn sie beispielsweise an „Garantiezinsen“ bei Lebensversicherungen denken, deren garantierte Höhe in den vergangenen Jahren geschmolzen ist wie die Butter in der Sonne.

Man habe ein Konzept für eine steuerfinanzierte Garantierente erarbeitet, die allen Menschen, die mindestens 30 rentenversicherungspflichtige Jahre vorweisen können, eine Rente ermöglicht, die oberhalb der Grundsicherung liegt. Viele werden sich natürlich für die Höhe interessieren. 900 Euro könnten es werden. Denn die Garantierente soll sich auf 30 Entgeltpunkte belaufen (ein Punkt entspricht im Westen vom 1. Juli an einem Rentenwert von 30,45 Euro). Dann kommt man auf die genannten 900 Euro.

Nun könnte der eine oder andere an dieser Stelle einwerfen, dass sich das aber sehr nach der „Lebensleistungsrente“ anhört, die bei der Großen Koalition auf der Liste noch zu erledigender Punkte steht – wobei nicht nur die Sprachwissenschaftler ihre Freude an der Begrifflichkeit haben werden, wenn man bedenkt, dass es ganz korrekt „solidarische Lebensleistungsrente“ heißen muss, folgt man dem Koalitionsvertrag, denn die Union hatte vor der Regierungsbildung für eine „Lebensleistungsrente“ geworben, während die SPD mit einer „Solidarrente“ hausieren gegangen ist. Bei der Koalitionsbildung hat man dann die beiden Begriffe vereinigt zu eben einer „solidarischen Lebensleistungsrente“, damit sich jeder wiederfinden kann (vgl. dazu den Beitrag Mehr als ein rentenpolitischer Sturm im Wasserglas? Die „Lebensleistungsrente“ erhitzt die Gemüter vom 1. April 2016).

Und wie soll die „Lebensleistungsrente“ nun aussehen?

Wer lange Jahre Vollzeit gearbeitet, für sich vorgesorgt hat und dennoch keine Rente bezieht, die die Sozialhilfe übersteigt, soll die Lebensleistungsrente erhalten. Sie soll mit rund 880 Euro im Monat knapp oberhalb der Grundsicherung liegen und den Betroffenen den Gang zum Sozialamt ersparen, so das Konzept dieses Ansatzes, der immerhin im Koalitionsvertrag steht.

Dieses Ansinnen ist bei vielen aus ganz unterschiedlichen Gründen auf Kritik gestoßen. Für eine besonders heftige Ablehnung reicht es bei Franz Ruland. Er war von 1992 bis 2005 Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger sowie von 2009 bis 2013 Vorsitzender des Sozialbeirats der Bundesregierung. Seine Meinung dazu hat er in einen Artikel mit dieser mehr als deutlichen Überschrift gepackt: Stoppt den Unfug!

Seine Einwände sehen zusammengefasst so aus und zeigen, dass wir es hier mit einem klassischen Vertreter des Sozialversicherungssystems zu tun haben:

»Schon der Name „Lebensleistungsrente“ ist eine Irreführung. Für diejenigen, deren Lebensleistung nicht zu einer ausreichenden Rente gereicht hat, soll es eine „Sozialhilfe de luxe“ geben, die die Rentenversicherung auszahlt. Die Leistung wäre keine Rente. Sie setzt die zu prüfende Bedürftigkeit voraus, notwendigerweise auch die des Ehegatten. Auch der Effekt der Beitragszahlung ist ganz anders. Bei der Rente steigern die Beiträge den Anspruch, bei der Lebensleistungsrente mindern sie ihn. Wer für diese Leistung den Begriff „Rente“ verwendet, hat den grundlegenden Zusammenhang von Beitrag und Rente nicht verstanden oder – noch schlimmer – will ihn verwischen.

Die Begründung für die geplante Leistung ist ärgerlich. Der Gang zum Sozialamt sei diesen Personen unzumutbar. Wieso ist er es dann für die anderen, die auf Sozialhilfe angewiesen bleiben, etwa für eine Frau, die, weil sie Kinder erzieht und deswegen nicht arbeiten kann, auf Sozialhilfe angewiesen ist?«

Ruland weist zudem darauf hin, dass nur relativ wenige Personen überhaupt für diese neue Leistung in Frage kommen würden:

»2014 wären es laut Bundesregierung 66.000 Personen gewesen, die nach 35 Beitragsjahren weniger als 880 Euro Rente erhalten. Ab 2023 sollen 40 Beitragsjahre vorausgesetzt werden, die Zahl der Berechtigten würde auf 40.000 absinken, danach aber ansteigen. Doch müssen diese Personen auch noch hinreichend lange privat vorgesorgt haben. Die meisten Rentner mit niedrigen Renten bekämen sie also nicht.«

Zur Erinnerung: Wir haben heute schon über 20 Millionen Rentner. Die für die „solidarische Lebensleistungsrente“ vorgesehenen Zugangshürden seien so hoch, dass Arbeitsministerin Andrea Nahles „jeden einzelnen Lebensleistungsrentner mit Handschlag begrüßen kann“, so wird der rentenpolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Markus Kurth, in einem Artikel von Thomas Öchsner in der Süddeutschen Zeitung vom 4. Juni 2016 zitiert. Eine Rosstäuscherei also?

Die nicht nur sehr niedrig erscheinenden Zahlen für die Gruppe der potenziell Inanspruchberechtigten lässt sich natürlich zurückführen auf die sehr restriktive Ausgestaltung der Zugangsvoraussetzung für den Leistungsbezug, also vor allem die notwendigen Beitragsjahre und dann auch noch eine nachgewiesene private Vorsorge. Das muss auch vor diesem Zusammenhang gesehen werden:

»Niedrige Renten sind meist Folge einer zu kurzen Versicherungsdauer. Wer nicht auf die 35 beziehungsweise 40 Jahre mit Pflichtbeiträgen kommt, bleibt bei der Sozialhilfe. Das betrifft insbesondere Langzeitarbeitslose, Personen, die abwechselnd selbständig tätig und abhängig beschäftigt waren, Frauen, die viele Kinder erzogen haben, oder Geringverdiener, die nicht zusätzlich privat vorgesorgt haben.«

Dem verantwortungsvollen Sozialpolitiker, der immer auch auf die Auswirkungen in den bürokratischen Systemen schauen wird, mag es angesichts der möglichen und wahrscheinlichen Fallkonstellationen und der dadurch ausgelösten Zuständigkeitsfragen die Nackenhaare sträuben. Ein Beispiel: Was machen wir, wenn bei einer hinsichtlich der Lebensleistungsrente leistungsberechtigten Person in deren Haushalt andere Personen leben, »die trotz ihrer Bedürftigkeit keinen Anspruch auf die Lebensleistungsrente haben, etwa die Ehefrau. Dies würde dazu führen, dass bei diesen Personen zweimal die Bedürftigkeit geprüft werden muss, bei der Rentenversicherung und beim Sozialamt.« So der Hinweis bei Ruland, der damit einhergehend zugleich darauf verweist, dass  in der Verwaltung neue und teure Doppelstrukturen aufgebaut werden müssten.

Aber das können die (derzeit noch) oppositionellen Grünen doch nicht wirklich auch wollen? Doch, im Grunde wollen sie das auch, nur mit einem für die (potenziell) Betroffenen ganz wichtigen Unterschied: Die Zugangshürden sollen bei weitem nicht so hoch sein wie bei den „solidarischen Lebensleitsungsrenten“-Befürworter. Schauen wir in den Abschlussbericht der Grünen Rentenkommission. Da findet man diese Erläuterung:

Es geht den Grünen bei ihrer Garantierente »um Maßnahmen zur Bekämpfung von Altersarmut für langjährig Versicherte. Denn niedrige Löhne, Zeiten der Arbeitslosigkeit, der Pflege von Angehörigen oder der Erziehung von Kindern können dazu führen, dass Versicherte trotz langjähriger Mitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht auf 30 Entgeltpunkte kommen und somit auf Leistungen der Grundsicherung im Alter angewiesen wären. Für diese Versicherten wollen wir eine steuerfinanzierte Garantierente innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung schaffen, die eine Rente oberhalb des Grundsicherungsniveaus verspricht.«

 Und an anderer Stelle erfährt man diesen wichtigen Punkt:

»Die Garantierente soll ohne Bedürftigkeitsprüfung ausgezahlt werden, das heißt betriebliche und private Altersvorsorge werden nicht angerechnet.«

Das hätte natürlich eine andere Qualität als die „Lebensleistungsrente“ und man mag eigentlich gar nicht sofort die zahlreichen sich anschließenden Fragen hinsichtlich einer Garantierente auflisten, die einem in den Sinn kommen hinsichtlich der Fallkonstellationen in der Wirklichkeit.

Was man allerdings grundsätzlich ansprechen muss ist die Frage nach dem Referenzsystem für die Garantierente. Bei der Lebensleistungsrente in ihrer seit dem Vorstoß der damaligen Bundesarbeitsministerin Ursula von der Lesern (CDU) im politischen Raum zirkulierenden Form ist es nur auf den ersten Blick die einzelne Person mit einer zu niedrigen Rente, denn für die Leistung soll ja  die Bedürftigkeit geprüft werden und die ergibt sich eben immer aus dem Haushaltskontext. Wenn also eine auf den ersten Blick „bedürftige“ Person aufgrund einer zu niedrigen Rente mit einer anderen Person in einem gemeinsamen Haushalt zusammenlebt  dann würde keine Bedürftigkeit vorliegen, da der Haushalt – wie im SGB II auch – als Bedarfsgemeinschaft betrachtet und bewertet wird.

Das wäre übrigens auch in anderen Alternativentwürfen aus den Reihen der Opposition der Fall, man denke hier nur an die Forderung der Linken, „eine steuerfinanzierte, einkommens- und vermögensgeprüfte Solidarische Mindestrente“ einzuführen (vgl. dazu bereits das rentenpolitische Papier Eine Rente zum Leben vom 10.09.2012).

Die entscheidende Frage ist also die nach dem Individualisierungsgrad der Garantie-, Mindest- oder wie sie immer auch heißen soll.

Hier bewegen wir uns im Zentrum eines grundsätzlichen und nicht aufhebbaren Unterschieds zwischen den Sozialversicherungen und einem bedürftigkeitsabhängigen Transferleitungssystems. Denn die Zahlungen in einer klassischen Sozialversicherung sind in Reimform individualisiert, da sie personenbezogene, mit einem grundsätzlichen Rechtsanspruch versehene Versicherungsleistungen darstellen. Anders formuliert: Die Rente in Höhe von x Euro bekommt die Person A auch dann, wenn sie mit Person B, die beispielsweise über eine ordentliche Beamtenpension verfügt, zusammenlebt. Bei einer bedürftigkeitsabhängigen Transferleistung wäre das nicht der Fall, denn die ist nicht nur Einkommens-, sondern auch vermögensabhängig und das bezogen auf den Haushaltskontext.
Dazu findet sich in dem zitierten Abschlussbericht der Grünen Rentenkommission (noch) nichts.

Die besprochene Garantierente, soweit man deren Umrisse einordnen kann, stehen aber nicht singulär im politischen Raum herum, sondern sie ist eingebettet in ein „grünes Rentenkonzept“, das noch andere Bausteine enthält und dann natürlich auch in dem größeren Zusammenhang bewertet werden muss. So kann man dem Abschlussbericht der Grünen Rentenkommission folgende Punkte entnehmen (vgl. dazu die Zusammenfassung Grüne Rente mit Zukunft):

»Das Rentenniveau muss stabilisiert werden, so dass … Durchschnittsverdiener mit 45 Beitragsjahren auch über das Jahr 2025 hinaus mindestens eine Rente erhalten, die 50% oberhalb der Grundsicherung liegt.« Hier wird also der von der damaligen rot-grünen Bundesregierung 2001 verabschiedete Sinkflug des Rentenniveaus angesprochen.
Auch der „alte“ Gedanke einer „Bürgerversicherung“ ist nicht verloren gegangen: »Wir wollen die Rentenversicherung mittelfristig zu einer Bürgerversicherung umbauen, in die alle Bürgerinnen und Bürger einzahlen, d.h. auch Beamte, Freiberuflerinnen und Freiberufler, Selbstständige und Abgeordnete. Das stabilisiert unsere Rentenversicherung und schützt vor Altersarmut. Als erster Schritt sollen alle nicht anderweitig abgesicherten Selbstständigen in die bestehende Rentenversicherung einbezogen werden.«
Die ebenfalls von Rot-Grün implementierte Riester-Rente wird mittlerweile als Fehlentwicklung identifiziert und anstehende Veränderungen werden mit der im derzeit schwarz-grün regierten Hessen entwickelten „Deutschland-Rente“ (vgl. dazu den Blog-Beitrag Riester in Rente und endlich eine „faire private Altersvorsorge“? Die „Deutschland-Rente“ schafft es immerhin schon in den Bundestag vom 29. Januar 2016) verknüpft: »Wir wollen die Riester-Rente grundlegend reformieren und ein neues Basisprodukt einführen, das einfach, kostengünstig und sicher ist.«

Und auch die Geschlechterfrage wird angesprochen: »Um eine gleichberechtigte Rente für Frauen und Männer zu fördern, wollen wir außerdem ein obligatorisches Rentensplitting einführen: Paare sollen ihre gesetzlichen Rentenansprüche zukünftig mitenander teilen, unabhängig davon, wer wie viel gearbeitet hat.« Und das schrittweise auf 67 ansteigende Renteneintrittsalter wird nicht grundsätzlich zur Disposition gestellt, sondern:  Das Renteneintrittsalter sollte … keine starre Grenze mehr darstellen. Altersteilzeit soll bereits ab dem 60. Lebensjahr möglich sein. Da man damit aber auf einen Teil seines Gehalts verzichtet, sollten gleichzeitig die Hinzuverdienstregelungen vereinfacht werden.« Das ist passungsfähig zur derzeitigen Diskussion über eine „Flexi-Rente“.

Natürlich kann man die Hypothese aufstellen, dass solche Skizzierungen von Grundlinien der rentenpolitischen Gestaltung nicht im luftleeren Raum stattfinden, sondern immer auch eingebettet sind in die Frage, ob und mit wem man diese Vorstellungen oder einen Teil davon in einem möglichen Regierungsbündnis umsetzen kann. Und bei den Grünen, vor allem aber in der medialen Diskussion über sie taucht immer wieder die These auf, dass im kommenden Jahr ein schwarz-grünes Regierungsbündnis auf Bundesebene eine Option sein könnte.

Vor einem solchen Hintergrund ist es natürlich interessant, wenn parallel zu den rentenpolitischen Vorschlägen der Grünen auch aus der Union entsprechende Vorschläge in die Öffentlichkeit getragen werden – bzw. sagen wir es genauer: aus einem Teil der Union, konkret vom Arbeitnehmerflügel der CDU.

Thomas Öchsner hat darüber in der Süddeutschen Zeitung berichtet: CDU-Fachleute legen ein Konzept gegen Altersarmut vor.  Konkret handelt es sich um Vorschläge von Peter Weiß, Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Rentenpolitik, und Eva Welskop-Deffaa, Chefin der Arbeitsgruppe Rente in der CDU. Die haben das unter der Überschrift Die Rente 4.0 – Das Konzept der dynamischen Rente für die Arbeitswelt der Zukunft am 5. Juni 2016 veröffentlicht.
Auch bei den beiden Unionsvertretern geht es um das sinkende Rentenniveau, fasst Öchsner zusammen:

»Die CDU-Rentenexperten fordern …, dass der Staat ein Mindestrentenniveau bis 2070 garantieren soll. Dieses sollte aber höher sein als die gesetzlich angepeilten 43 Prozent. Sonst müssten künftig auch viele langjährig Versicherte als Rentner zum Sozialamt und die staatliche Grundsicherung im Alter beantragen … Das Rentenrecht verstoße „perspektivisch gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit: Eine Pflichtversicherung ist nur vertretbar, wenn ein ausreichender Mehrwert/Abstand der Standardrente im Vergleich zur vorleistungsfreien Grundsicherung gesichert ist“.«

Natürlich stellt sich sogleich die Finanzierungsfrage. Die beiden Rentenexperten schlagen eine drittelparitätische Finanzierung vor: Künftig sollen Staat, Arbeitgeber und Arbeitnehmer je ein Drittel der Beiträge finanzieren.

»Bei dieser „Drittelparität“ zahlen Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Bund jeweils einen gleich hohen Beitrag. Zugleich schlagen Weiß und Welskop-Deffaa eine zweite Beitragsbemessungsgrenze vor. Diese soll bei 50 Prozent über der Regelgrenze (derzeit 6200 Euro im Westen) liegen, das wären etwa 9000 Euro im Monat. Die Beiträge oberhalb der normalen Beitragsgrenze werden aber nicht staatlich ko-finanziert. Gleichzeitig sollen in die Rentenkasse künftig auch Selbständige einzahlen, „sofern sie nicht in einem berufsständischen Versorgungswerk abgesichert sind“.«

Eingedenk der Ausführungen über das grüne Rentenkonzept gibt es an einer weiteren Stelle Anknüpfungspunkte – dem Splittingmodell:

»In der Regel werden bei Scheidungen die in der Ehe erworbenen Rentenansprüche geteilt. Die CDU-Experten sprechen sich nun dafür aus, mit Beginn der Ehe die Rentenansprüche gleich zu splitten – jeder sieht so, woran sie oder er ist. Zugleich soll es die Chance geben, die Beiträge freiwillig aufzustocken, um für eine Scheidung besser abgesichert zu sein. Die, sagt Welkskop-Deffaa, „ist eines der größten Risiken für Altersarmut“.«

In der Großen Koalition versucht man derzeit, die dort ausgebrochene rentenpolitische Unruhe wieder etwas einzufangen. So wird im neuen SPIEGEL (Heft 24/2016) unter der Überschrift „Aus drei mach zwei“ berichtet:

»Horst See­ho­fer macht ei­nen Rück­zie­her: Die CSU wird im Herbst kein ei­ge­nes Rentenkon­zept prä­sen­tie­ren, son­dern mit der CDU ei­nen ge­mein­sa­men Re­form­vor­schlag vor­le­gen. Das Ni­veau der ge­setz­li­chen Ren­te soll da­bei, an­ders als von See­ho­fer vorgeschla­gen, nicht auf dem heu­ti­gen Ni­veau ein­ge­fro­ren wer­den, heißt es in der Uni­on. Man wol­le sich bei ei­nem so wich­ti­gen The­ma wie der Ren­te nicht schon wie­der un­ei­nig zei­gen. Das Kon­zept soll von der baye­ri­schen So­zi­al­mi­nis­te­rin Emi­lia Mül­ler, CDU-Präsi­di­ums­mit­glied Jens Spahn und dem Staats­se­kre­tär im Ge­sund­heits­mi­nis­te­ri­um, Karl-Josef Lau­mann, er­ar­bei­tet wer­den.

Bun­des­so­zi­al­mi­nis­te­rin An­drea Nah­les setzt bei ih­ren Vor­ar­bei­ten für die ge­plan­te Renten­re­form auf ex­ter­nen Sach­ver­stand. Be­vor sie ein Ge­samt­kon­zept vor­legt, will sie sich mit Wis­sen­schaft­lern, So­zi­al­ex­per­ten und Ver­bän­den in ei­nem „Dia­log zur Alterssiche­rung“ be­ra­ten, wie es im Ein­la­dungs­schrei­ben der SPD-Po­li­ti­ke­rin heißt. Die ers­te Sit­zung der 18 Ex­per­ten soll am 8. Juli im Mi­nis­te­ri­um statt­fin­den, The­ma wird die zu­sätz­li­che Al­ters­vor­sor­ge sein. Aus der Ein­la­dung geht auch her­vor, dass mit ei­nem Reform­kon­zept nicht vor Ende Ok­to­ber zu rech­nen ist. Nah­les hat be­reits an­ge­kün­digt, dass sie nicht al­lein auf das ge­setz­li­che Si­che­rungs­ni­veau ab­stel­len, son­dern vor al­lem die Be­triebs- und Ries­ter­ren­te re­for­mie­ren will.«

Eines ist sicher – die rentenpolitische Diskussion hat Fahrt aufgenommen und wir werden in den vor uns liegenden Monaten mit so einigen weiteren Vorschlägen konfrontiert werden, die angesichts der näher rückenden Bundestagswahlen immer auch von eher oder gar primär parteipolitisch motivierten Verunreinigungen durchsetzt sein werden.