Zur Diskussion über Probleme und Perspektiven der dualen Berufsausbildung in Deutschland

Kurz, knapp, bündig – eine neue Publikation der Konrad-Adenauer-Stiftung zur Bedeutung der dualen Berufsausbildung:

Christine Henry-Huthmacher und Elisabeth Hoffmann (Hrsg.): Duale Ausbildung 2020. 14 Fragen & 14 Antworten, St. Augustin, 2013

Darin auch drei Beiträge von Stefan Sell:

Sell, S.: Wie sieht der Fachkräftebedarf bis 2030 aus?, S. 10-15

Sell, S.: Wie attraktiv ist zukünftig die duale Ausbildung? – Demografischer Wandel, Imageproblem und veränderte Schülerschaft, , S. 18-24

Sell, S.: Wie verändert man das Berufswahlverhalten junger Menschen? – Zu viele Jugendliche interessieren sich für zu wenige Berufe, S. 47-50

Mehr Ältere sind auf Arbeit! Mehr als in Rente! Da geht sicher noch mehr. Von den lieben Zahlen und was sie (nicht) aussagen (können)

Zum ersten Mal seit fast vierzig Jahren gibt es unter den 60- bis 65-Jährigen mehr ältere Arbeitnehmer als Rentner, so eine zentrale Aussage in dem Artikel „Mehr Alte auf Arbeit als Alte auf der Couch“ von Simone Schmollack, der in der taz veröffentlicht worden ist. Der Beitrag bezieht sich dabei auf das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung. Von den amtlichen Demografen wurden die Anteile der Erwerbstätigen und der Ruheständler in einer langen Zeitreihenbetrachtung gegenübergestellt. Herausgekommen ist eine auf den ersten Blick beeindruckende Darstellung, die sich gut einpasst in die immer wieder aufkochenden Debatte über eine (weitere) Verlängerung des Erwerbsarbeitslebens im Sinne einer Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters – man konnte das diese Tage wieder erleben, als das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung eine neue Publikation veröffentlichte: „Anleitung zum Wenigersein. Vorschlag für eine Demografiestrategie“ – darin neben vielen anderen Dingen auch: Die ungeliebte Rente mit 67 kann nur ein Einstieg sein, eine These, die auch immer wieder und gerne von anderer interessierter Seite vertreten wird: Der rasche Anstieg der Rentenbezugsdauer erfordert aus Sicht des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) die Einführung der Rente mit 70 ab dem Jahr 2030, berichtet die Rheinische Post. Ein anderes Beispiel: Auch Handwerkspräsident Otto Kenztler plädiert wegen des Fachkräftemangels für eine Rente mit 70, berichtet die WirtschaftsWoche. Man könnte die Liste beliebig verlängern. Da passt die Meldung der Bevölkerungsforscher gut ins Bild, zeigt sich doch (scheinbar) eindeutig , dass wir uns bereits auf der Zielgeraden hin zu einem immer länger Arbeiten befinden.

Nun wissen alle, die sich etwas mit dem Arbeitsmarkt auskennen und nicht primär irgendwelche politischen Interessen verfolgen, dass sich die Realität wesentlich komplexer darstellt und vor allem, dass man genau darauf achten muss, was genau aus der Arbeitsmarktstatistik für die jeweilige Beweisführung herangezogen wird. Simone Schmollack spricht in dem taz-Artikel von „älteren Arbeitnehmern“ – seien wir ehrlich: Die meisten denken dann an Arbeitnehmer, die einer sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigung nachgehen. Aber schaut man sich die Abbildung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (Quelle: Erstmals seit 1974 mehr Erwerbstätige als Rentner unter den 60- bis 65-Jährigen) genau an, dann wird man sehen, dass die bereits in der Überschrift nicht von Arbeitnehmern sprechen, sondern von Erwerbstätigen. Die genannten sozialversicherungspflichtig Beschäftigten gehören als die größte Gruppe dazu, aber eben auch die Selbständigen, die Beamten, vor allem aber auch die geringfügig Beschäftigten, landläufig als „Minijobber“ bekannt. Und hier beginnt das Problem, wenn die Zahl der Erwerbstätigen herangezogen wird für eine Argumentation im Kontext der Renteneintrittsaltersdiskussion, denn bei der Rente sollte es um die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten gehen. Also schauen wir uns einmal die Altersverteilung der in Deutschland sozialversicherungspflichtig Beschäftigten an und dies im Vergleich der Jahre 2002 und 2012.

Die Altersverteilungsstruktur verdeutlicht zuerst einmal einen fundamentalen Wandlungsprozess auf dem deutschen Arbeitsmarkt: Die Verschiebung der Altersstruktur der Arbeitnehmer nach oben, allein in den hier dargestellten zehn Jahren hat sich der Altersschwerpunkt von den 30- bis 40-Jährigen verlagert in die Gruppe der 45- bis 55-Jährigen. Hierbei handelt es sich natürlich um die Gruppe der „Babyboomer“ und insofern muss man keinerlei prognostische Kompetenz haben, um sich vorstellen zu können, dass sich dieser Schwerpunkt in den nächsten zehn Jahren weiter nach rechts verschieben muss und wird – auch bedingt durch die Tatsache, dass man in den vergangenen Jahren durch so genannte „Rentenreformen“ zum einen die bislang existierenden Möglichkeiten einer Frühverrentung abgeschafft bzw. erheblich erschwert hat, zum anderen wurde aber auch durch die schrittweise Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters in Verbindung mit den erheblichen Abschlagsregelungen bei vorzeitiger Inanspruchnahme der Altersrente ein „Anreiz“ geschaffen, so lange wir nur irgendwie möglich im Job zu verbleiben. Insofern ist es allein schon aufgrund dieser veränderten Rahmenbedingungen zwingend, dass sich der Anteil der Beschäftigten in der Altersgruppe der über 60-jährigen Menschen erhöhen muss, wobei die fundamentale demografische Verschiebung hier der Haupttreiber ist. Bezogen auf die für Rentenfragen so wichtige Gruppe der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten muss man aber nicht nur die absolute Zahl der Beschäftigten sehen, sondern man sollte diese in Relation setzen zu den Menschen in diesem Alter insgesamt.

Wenn man das macht, dann erkennt man, dass Ende 2012 weniger als ein Drittel der 60 bis unter 65 Jahre alten Menschen in einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung waren, wobei der Anteil hin zu den rentennahen Altersjahrgängen kontinuierlich abnimmt. Und wir reden hier über die Altersgrenze 65, noch gar nicht über die Grenze 67, geschweige denn 70.

Es ist wichtig, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass es natürlich erhebliche Veränderungen in den vergangenen Jahren gegeben hat, die zu einer auch realen Verschiebung des faktischen Renteneintrittsalters geführt haben, worauf beispielsweise der „Altersübergangs-Report“ des IAQ in seiner detaillierten Bestandsaufnahme der Rentenübergangsentwicklung ausführlich hinweist. So Martin Brussig 2012 in der Veröffentlichung „Aktuelle Entwicklungen beim Rentenzugang“ (Altersübergangs-Report 2012-02):

»Die Zahl der Menschen, die erst mit 65 Jahren in Altersrente geht, steigt seit über fünf Jahren stetig an und machte zuletzt (2010) immerhin etwa 40 Prozent der Bevölkerung in diesem Alter aus.
Ebenfalls gestiegen sind direkte Übergänge aus stabiler Beschäftigung in Altersrente. Bundesweit war ein Drittel der Neurentner/innen des Jahres 2010 in den drei Jahren unmittelbar vor Rentenbeginn versicherungspflichtig beschäftigt. Dennoch: Selbst unter westdeutschen Männern, unter denen stabile Erwerbsbiographien nach wie vor verbreitet sind, geht nicht einmal jede zweite Person aus stabiler sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung in Altersrente.
Besonders stark gestiegen ist der Anteil der Altersübergänge aus stabiler Beschäftigung im Alter von 65 Jahren. Ging 2004 jede/r Sechste der stabil Beschäftigten erst mit 65 in Rente, so war es 2009 jede/r Dritte, der/die bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze beschäftigt war. Die übrigen zwei Drittel der stabil Beschäftigten nutzten die nach wie vor bestehenden vorzeitigen Rentenzugangsmöglichkeiten.«

Die eigentlichen Herausforderungen, die sich in diesem Themenfeld stellen, sind jede für sich schon enorm:

Wieder einmal lernen wir: Manchmal sagt eine Abbildung weniger, als man denken können glauben sollte.

„Die“ Pflege mal wieder … Von Betrug und fehlender Kontrolle hin zu der eigentlichen Frage: Wie sichert man gute Pflege, wenn man sie überhaupt bekommt?

Eine gelungene Vorlage für die vielen Medien, die gerne mit skandalisierenden Headlines das eigene Publikum versorgen: Die Antikorruptionsorganisation Transparency International Deutschland hat die Studie „Transparenzmängel, Betrug und Korruption im Bereich der Pflege und Betreuung“ in Berlin vorgestellt. Die Schwachstellen-Analyse stellt erhebliche Mängel fest: zu wenig Transparenz und Kontrollmöglichkeiten für die Betroffenen und jede Menge Möglichkeiten, die Abhängigkeit von Menschen mit Pflegebedarf wirtschaftlich auszubeuten.

„Die Vielzahl der Akteure und der gesetzlichen und Verwaltungsvorschriften macht es schwierig, Verantwortlichkeiten eindeutig zuzuordnen. Dadurch entstehen Einfallstore für Betrug und Korruption“, so wird Barbara Stolterfoht, Co-Autorin der Studie zitiert.

Entsprechend sind viele Berichte überschrieben: „Transparency legt Betrugsmaschen der Pflegebranche offen“ oder „Markt statt Ethik„, um nur zwei zu zitieren. So können wir bei Spiegel Online lesen:

»Die für die Untersuchung geführten Expertengespräche haben Transparency zufolge gängige Betrugsmaschen offengelegt, die sich aus den Milliardenausgaben für die soziale Pflegeversicherung speisten. Als Beispiel nannte die Organisation Fälle, in denen Ärzte von Pflegediensten Honorare für die Überweisung von Patienten erhielten. Auch „verkauften“ Pflegedienste lukrative Patienten an andere Pflegedienste. Weitere Fälle betrafen Sanitätshäuser, die an Heimleiter spendeten. Damit wollten sie sicherstellen, dass die Heimbewohner Rollatoren, orthopädische Schuhe oder sonstige Hilfsmittel aus ihrem Geschäft beziehen. Zudem soll es bei der Entscheidung über Pflegestufen vorgekommen sein, dass die zuständigen Mitarbeiter des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung ein „Kopfgeld“ erhielten – wenn sie bei der Einstufung möglichst restriktiv vorgingen. Damit würden die Ausgaben der Pflegeversicherung gesenkt, heißt es in der Studie weiter.«

Thorsten Denkler beschreibt in der Süddeutschen Zeitung, über was wir hier reden: »In der Pflege sind Milliarden zu holen. Allein die gesetzliche Pflegeversicherung gibt jedes Jahr weit über 20 Milliarden Euro aus. Etwa die gleiche Summe kommt aus den Töpfen privater Versicherer, der Angehörigen und den Sozialämtern, die die Pflege für Bedürftige bezahlen müssen. Für die über 2,5 Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland arbeiten heute gut eine Million Menschen als Pflegekräfte oder in der Verwaltung. Mehr als in der Automobilindustrie. Allerdings zu weit geringeren Löhnen.«

Konkret beklagt Transparency die mangelnde Kontrolle der Heimbetreiber, da es keine bundesweite Kontrolle geben würde. Interessant ist die folgende Formulierung im Beitrag von Denker:
»Die kriminelle Energie einiger Heimbetreiber kennt kaum Grenzen. Um etwa die Unterbringungskosten künstlich in die Höhe zu schrauben, wird das Heim-Gebäude einfach an einen Dritten verkauft und für viel Geld zurückgemietet. Die höheren Kosten werden den Patienten aufgebürdet. Idealerweise ist das dritte Unternehmen mit dem Pflegebetrieb geschäftlich verbunden. Am Ende bleibt dem Betreiber mehr Geld in der Kasse. Auf Kosten der Patienten.« Man muss sich allerdings an dieser Stelle fragen – ist das jetzt „kriminelle Energie“ oder sind das nicht eher typische Verhaltensweisen auf einem „Markt“? Wobei die Beantwortung dieser Frage in Richtung „Markt“ auf die eigentlichen Problematik in diesem Bereich hinführt, wo es um die Sorge-Arbeit mit nur sehr eingeschränkt oder gar nicht mehr beurteilungsfähigen Menschen geht.

Transparency fordert, ein deutschlandweites Register über Verstöße von Heimbetreibern einzurichten und die Sanktionsmöglichkeiten der Sozialämter zu erleichtern. Außerdem müssten Behörden die wirtschaftliche Zuverlässigkeit und fachliche Qualität von Pflegediensten durch „regelmäßige unangemeldete Kontrollen sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich“ überprüfen. Da stellt sich natürlich die Frage: Haben wir das nicht schon? Gibt es nicht den „Pflege-TÜV„, der diese Prüfung sowohl der stationären und der ambulanten Pflegedienste gewährleisten soll? Und gibt es nicht die Heimaufsicht? Da sind wir mit dem „Pflege-TÜV“ schon bei der nächsten Baustelle, denn parallel zur Veröffentlichung der Studie von Transparency Deutschland wurde bekannt, dass es nach zähen Verhandlungen zu einer „Reform“ des Systems der Pflegebenotung kommen soll.
»Pflegekassen und Heimbetreiber hatten sich nach dreijährigen Verhandlungen bereits im Juni in einer Schiedsstelle geeinigt. Ende vergangener Woche lief die Widerspruchsfrist ab. „Jetzt wird der Schiedsspruch ausformuliert und veröffentlicht“, hieß es in Verhandlungskreisen.

Der 2009 eingeführte Pflege-TÜV bewertet über 10.400 Pflegedienste und Pflegeheime in Deutschland wie in der Schule von „sehr gut“ bis „mangelhaft“ – und stellt die Noten ins Internet. Allerdings kritisieren Politiker, Patientenvertreter und Experten seit langem, dass der TÜV ein geschöntes Bild zeige. Es kämen zu viele Bestnoten heraus.

Schlechte Heime können sehr gute Noten bekommen, obwohl sie in wichtigen Kriterien wie Vorbeugung gegen das gefürchtete Wundliegen oder Medikamentenversorgung mangelhaft abschneiden. Das liegt daran, dass die endgültige Pflegenote aus Dutzenden Kriterien errechnet wird, die alle gleich stark gewichtet werden«, so der Beitrag „Pflege-TÜV wird verschärft„. Künftig sollen unter den bisher 82 Kriterien für die Bewertung eines Heims die Ergebnisse in den 21 zentralsten Punkten im Internet besonders hervorgehoben werden. Darunter die Frage, ob es in einem Heim Vorbeugung gegen Wundliegen gibt, ob die Flüssigkeitsversorgung angemessen ist und die Notwendigkeit von freiheitseinschränkenden Maßnahmen regelmäßig überprüft wird. Die Krankenkassen konnten sich aber nicht mit der Forderung durchsetzen, dass diese Kriterien bei der Benotung eines Heims stärker gewichtet werden. Andere Kriterien sollen künftig nicht mehr aufgeführt werden, etwa ob es „jahreszeitliche Feste“ gibt. Außerdem wird bei mehr Bewohnern als bisher die Pflege überprüft, vor allem bei mehr schweren Fällen der Pflegestufe drei. Auch sollen die Noten wegen geänderter Berechnung etwas schlechter ausfallen können. Einrichtungen, die heute mit 1,4 abschneiden, sollen etwa eher eine gute 2 bekommen, so der Bericht „Pflege-TÜV prüft alles außer Pflege„.

Trotz heftigster Kritik von allen Seiten hat es also drei Jahre gedauert, bis sich Pflegekassen und Heimbetreiber dieser Tage auf eine sehr bescheidene Nachbesserung des so genannten Pflege-TÜVs einigen konnten. Eine grundsätzliche Infragestellung dieses Instrumentariums ist damit nicht verbunden.  Man kann durchaus von einem „faulen Kompromiss“ sprechen.

Die eigentliche Frage muss doch lauten: Ist dieses Instrument einer formalen, punktuellen Überprüfung wirklich geeignet, die Pflegequalität zu sichern? Es handelt sich hier um ein höchst komplexes Feld der Sorge-Arbeit mit Menschen, 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr. Entscheidend sind die täglichen Abläufe und die Haltung der Menschen, die diese Sorge-Arbeit zu machen haben. So notwendig externe Kontrollen sind und auch in Zukunft bleiben werden – sie können niemals eine innere Qualitätsentwicklung ersetzen, die aber – das sei hier besonders betont – nicht sogleich deformiert werden darf durch die wieder von außen determinierte Ausrichtung des Systems und der in diesem arbeitenden Menschen auf formale Kriterien, die dann möglichst gut zu dokumentieren sind, was wieder enorme Ressourcen bindet, die bei den eigentlichen Kernprozessen in der Pflege fehlen. Und Kontrolle entfaltet dann ihre besondere Schlag- und Wirkkraft, wenn sie in der täglichen Praxis erfolgt seitens der Menschen, die als Angehörige oder als Quartiersbewohner in die Heime kommen. Es geht also um die Herstellung einer umfassenden Verantwortungsgemeinschaft vor Ort, so dass die Öffnung der Heime gegenüber dem Sozialraum, in dem sie angesiedelt sind, ein entscheidendes und eigenständiges Qualitätsmerkmal darstellt.

In diesem Zusammenhang muss dann aber auch auf eine gewisse Unwucht der öffentliche Wahrnehmung und Diskussion hingewiesen werden: Immer wieder werden angebliche und tatsächliche Missstände in den Heimen angeprangert, schon viel weniger die Situation in der ambulanten oder erst recht der häuslichen Pflege, wo natürlich ebenfalls vieles nicht gut läuft. Auch die immer stärker expandierenden Wohngemeinschaften verschwinden gerade in einem „schwarzen Loch“ der Nicht-Beachtung und Nicht-Zuständigkeit. Die Heimaufsicht? Der MDK? Wer kümmert sich genau um diese „Mini-Heime light“?

Und auch die von Transparency beschriebenen Ausformungen „marktlogischen“ bis hin zu betrügerischem Verhalten in der ambulanten Pflege – dass beispielsweise Leistungen abgerechnet werden, die gar nicht erbracht worden sind – hängt doch nicht nur an der Schlechtigkeit der beteiligten Akteure, sondern hat zumindest strukturelle Treiber, so ein Finanzierungssystem, das auf abrechenbare Einzelleistungen basiert und Pflege konsequent zu einer Minutenpflege zerstückelt. Man darf sich nicht wundern, wenn sich die Menschen dann der damit verbundenen Logik anpassen. Hier würde beispielsweise der Blick in andere Länder und Systeme helfen, so in die Niederlande, um nur einen Hinweis anzudeuten.

Und natürlich muss man bei der ganzen Debatte auch sehen, dass es sich bei der Pflege und Betreuung eben um personenbezogene soziale Dienstleistungen handelt, die nur marginal oder oftmals gar nicht einer Rationalisierung und damit einer Produktivitätssteigerung unterworfen werden können. Insofern ist die Personalfrage eine entscheidende – und bereits heute knirscht es gewaltig und der Fachkräftemangel beginnt sich immer stärker auszuprägen. Die hinreichende Ausstattung mit Personal wird sicher die Kardinalfrage im System. »Die Arbeitgeber fordern 50 000 zusätzliche Stellen in der Pflege. Bis Ende 2014 sollen – wie einst schon von der Politik geplant – 25 000 Helfer zu Fachkräften qualifiziert werden. Die Hilfskräfte hätten oft jahrelange Berufserfahrung, würden Abläufe kennen und seien motiviert, sagte Arbeitgeberpräsident Greiner. Er verlangt außerdem 25 000 zusätzliche Betreuer für Demenzkranke – also Helfer die sich etwa durch Spaziergänge oder Vorlesen mit Altersverwirrten beschäftigen. Die Betreuer sollten den Mindestlohn beziehen, den auch die Helfer bekommen (derzeit acht Euro Bruttostundenlohn im Osten, neun im Westen). Das wären rund 500 Millionen Euro im Jahr, die wohl aus dem Bundeshaushalt kommen müssten«, so  Hannes Heine und Rainer Woratschka in ihrem Beitrag „Das Dilemma mit der fremden Hilfe„.

Die neue Studie von Transparency Deutschland beleuchtet – und das sei abschließend noch angeführt – noch einen weiteren wichtigen Bereich: Untersucht wurde der Bereich der rechtlichen Betreuung – eine echte „Boombranche“:

»Die Zahl rechtlicher Betreuungen ist von 420.000 (1992) auf rund 1,3 Millionen (2008) gestiegen; zugleich stiegen die Kosten von fünf Millionen Euro auf 640 Millionen. Für die selbstständige Tätigkeit als Berufsbetreuer gibt es keine berufsrechtlich definierten Zugangskriterien. Die Berufsbetreuer unterstehen lediglich der gerichtlichen Kontrolle durch Rechtspfleger. Ein Rechtspfleger ist im Durchschnitt für die Aufsicht von fast 1.000 Verfahren zuständig. Die Einfallstore für Betrug und Korruption sind im Lauf einer Betreuung vielfältig, wie zum Beispiel bei der Haushaltsauflösung, abzuwickelnden Immobiliengeschäften oder der Vermögensverwaltung.«

Transparency Deutschland fordert im Bereich der rechtlichen Betreuung:

  • Die Aufsicht und Kontrolle im Bereich der rechtlichen Betreuung ist erheblich zu stärken, auch durch zusätzliche Personalressourcen im Bereich der Rechtspflege.
  • In den Amtsgerichtsbezirken sind Register für Berufsbetreuer sowie Datenbanken zum amtsgerichtsübergreifenden Abgleich der berufsbetreuerbezogenen Fallzahlen, aber auch zu Beschwerden und Verstößen einzurichten. 
  • Bei gerichtlicher Anordnung der Ermittlung des Vermögens von zu Betreuenden ist diese Aufgabe von der laufenden Betreuung zu trennen und durch die Rechtspfleger durchzuführen. Das Vier-Augen-Prinzip von Betreuer und Rechtspfleger ist strikt anzuwenden und eine genaue Dokumentation zum Prozess der Ermittlung zu erstellen.
  • Berufsbetreuer sind nach dem Verpflichtungsgesetz zu verpflichten. Damit würden sie als Amtsträger den strengen strafrechtlichen Regeln der Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung unterworfen.

Diese Forderungen sind richtig und sollten unterstützt werden.