Verloren im Niemandsland zwischen Dauer-Hartz IV-Bezug und einem – oft nur kurzen – Job. Und dann noch Förderprogramme, die nicht wirklich funktionieren können. Aber auch kleine Lichtblicke

Immer wieder wird das deutsche „Job-Wunder“ beschworen und tatsächlich ist es so, dass in den zurückliegenden Jahren die allgemeine Arbeitsmarktentwicklung durchaus positiv war. Die registrierte Arbeitslosigkeit ist zurückgegangen, der Mindestlohn wurde ohne die von vielen Ökonomen prognostizierten Beschäftigungsverluste nicht nur weggesteckt, sondern es hat einen weiteren Zuwachs an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten gegeben. Selbst beim Arbeitsvolumen, das sich in der Vergangenheit aufgrund der zunehmenden Teilzeitarbeit nicht so dynamisch entwickelt hat, zeigen die Daten nach oben. Alles gut? Wo Licht ist, da ist auch Schatten. Und damit soll an dieser Stelle gar nicht auf die Frage nach der Qualität der Arbeitsplätze aufgeworfen werden, sondern der Finger muss in eine offene Wunde dieses vermeintlichen Beschäftigungswunders gelegt werden: die Langzeitarbeitslose, von denen viele gar nicht haben profitieren können von der guten Arbeitsmarktentwicklung.

Kaum Jobchancen für Langzeitarbeitslose, so hat Stefan Sauer seinen Artikel dazu überschrieben und er bezieht sich auf eine Analyse von Wilhelm Adamy, der Arbeitsmarktexperte des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Vgl. dazu den Beitrag „Von der Arbeitsmarktpolitik vernachlässigt: Langzeitarbeitslose – Warum ihre Zahl seit fünf Jahren stagniert“, in: Soziale Sicherheit, Heft 12/2015, S. 446 ff.

Die bittere Zusammenfassung: »Nur sehr wenige Langzeitarbeitslose finden dauerhaft eine reguläre Stelle. Wenn sie einen Job erhalten, ist er oft so schlecht bezahlt, dass die Menschen weiterhin auf staatliche Hilfen angewiesen sind.«

Die Befunde aus der Datenanalyse des DGB, die Sauer zitiert, sind mehr als ernüchternd:

»Von den 1,47 Millionen Personen, die sich 2014 aus der Langzeitarbeitslosigkeit verabschiedeten, meldeten sich 62 Prozent nicht länger arbeitssuchend und wanderten somit in die Nichterwerbstätigkeit ab. Etwa ein Viertel wurde in Weiterbildungskurse und öffentlich geförderte Beschäftigungsmaßnahmen vermittelt. Gerade einmal 13 Prozent der Abgänge bekamen tatsächlich eine Stelle auf dem ersten Arbeitsmarkt, wovon wiederum nur etwa die Hälfte das Arbeitsverhältnis dauerhaft halten konnte.«

Damit ist die steigende Beschäftigung in den vergangenen Jahren fast komplett an den Langzeitarbeitslosen vorbei gegangen. „Seit 2010 hat sich der Bestand faktisch nicht mehr verändert“, so wird Wilhelm Adamy in dem Artikel zitiert. 90 Prozent der Langzeitarbeitslosen sind Hartz IV-Empfänger und bei ihnen sieht es richtig düster aus: Im Schnitt wechseln monatlich nur 1,3 Prozent aus dieser Personengruppe in den ersten Arbeitsmarkt. Der Unterschied zu den Kurzzeitarbeitslosen ist mehr als markant:

»Pro Monat gelingt es etwa einem Zehntel dieser Gruppe, eine sozialversicherungspflichtige Stelle zu finden. Ihre Chancen auf einen regulären Job sind siebenmal besser als die von Hartz-IV-Empfängern.«

Und die wenigen, die 2014 auf dem „ersten Arbeitsmarkt“ untergekommen sind, konzentrierten wich in wenigen und teilweise nicht unproblematischen Branchen:

»Ein Fünftel der 185.000 Menschen, die 2014 aus der Langzeitarbeitslosigkeit heraus eine reguläre Stelle antraten, landete in Leiharbeitsfirmen. Etwa 40 Prozent fanden Beschäftigung in Reparaturdiensten, im Sozial- und Gesundheitsbereich sowie im Handel und Gastgewerbe. Nur gut sieben Prozent erhielten eine Stelle in der Industrie, knapp sechs Prozent auf dem Bau.«

Und leider ist es so, dass ein Unterkommen auf dem ersten Arbeitsmarkt für die Gruppe der ehemaligen Langzeitarbeitslosen keineswegs generell bedeutet, dass sie sich aus der Hilfebedürftigkeit verabschieden können:

»Rund 53 Prozent der langzeitarbeitslosen Hartz-IV-Empfänger, die 2013 und 2014 eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung annahmen, verdienten so wenig, dass sie als Aufstocker weiterhin auf staatliche Transfers angewiesen waren.«

Hinzu kommt: Die Jobs sind oft das Gegenteil von nachhaltig. Adamy (2015: 448) schreibt dazu:

»Je nach Rechtskreis sind bereits ein Viertel bzw. ein Fünftel der in Arbeit vermittelten ehemaligen Langzeitarbeitslosen schon einen Monat später nicht mehr sozialversichert beschäftigt … Insgesamt hatten – über beide Rechtskreise hinweg – nur 51 % aller in einen sozialversicherten Job integrierten Langzeitarbeitslosen aus dem Jahr 2013 nach einem Jahr noch einen sozialversicherten Job.«

Ganz offensichtlich sind wir konfrontiert mit dem, was Arbeitsmarktforscher eine Verfestigung und Verhärtung der Langzeitarbeitslosigkeit nennen.

Zu vergleichbaren Ergebnissen ist auch Michael Müller in seinem Beitrag Nur jeder Vierte hat nach Arbeitslosigkeit einen neuen Job am Beispiel der Stadt Chemnitz gekommen. Er macht einen interessanten Vergleich auf: »Chemnitz und seine Partnerstadt Düsseldorf trennten beim Blick auf den Arbeitsmarkt einst Welten – mittlerweile sind es nur noch ein paar Zehntel Prozentpunkte. Die Arbeitslosenquoten lagen zum Jahreswechsel ziemlich dicht beieinander, mit 8,5 Prozent hier und 8,1 Prozent dort. Vergleichbare Verhältnisse, könnte man meinen.«

Ein genauerer Blick auf die Zahlen für Chemnitz: »Laut Agentur für Arbeit wurden im vergangenen Jahr in Chemnitz knapp 28.500 Menschen neu arbeitslos, gut 29.500 beendeten im Laufe des Jahres ihre Arbeitslosigkeit. Doch nur etwa jeder Vierte von ihnen fand tatsächlich einen neuen regulären Job auf dem Arbeitsmarkt. Die meisten „Abgänge“ aus der Statistik, rund 29 Prozent, entfallen auf Menschen, die längerfristig krank oder zu einer von der Krankenkasse finanzierten Kur sind. Jeder fünfte Betroffene – insgesamt 6000 Menschen – begannen eine Ausbildung oder eine Schulungsmaßnahme.«

Es gibt nicht – das sei an dieser Stelle besonders hervorgehoben – „die“ Langzeitarbeitslosen. Hinter dieser Kategorie verbergen sich überaus heterogene Schicksale, oftmals Menschen, die nicht nur ein, sondern mehrere „Vermittlungshemmnisse“, wie das im Amtsdeutsch so heißt, haben. Beispielsweise gesundheitliche Einschränkungen und Sprachprobleme und ein „hohes“ Alter (das auf dem Arbeitsmarkt heute oftmals schon ab 45 aufwärts beginnt).

Es ist eigentlich offensichtlich, dass viele dieser Menschen eine besondere Förderung bedürfen, damit sie überhaupt in die Nähe einer Chance kommen, wieder auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen zu können. Hierzu aber Stefan Sauer in seinem Artikel:

»Dem Hartz-IV-System zu entkommen, erscheint mithin sehr schwierig. Dabei stehen auch gesundheitliche Einschränkungen sowie fehlende Ausbildungsabschlüsse vieler Betroffener einer Vermittlung im Wege. Anstatt aber Ausbildungsdefizite und andere Beschäftigungshemmnisse durch verstärkte Förderanstrengungen abzubauen, seien die BA-Mittel für diese Zwecke seit 2009 drastisch gekürzt worden, kritisiert Adamy: Begannen 2008 noch durchschnittlich 2,7 Prozent der Langzeitarbeitslosen pro Monat eine Fördermaßnahme, so waren es 2014 nur noch 1,4 Prozent.«

Das ist nicht nur eine Halbierung der Förderwahrscheinlichkeit, sondern man muss an dieser Stelle darauf hinweisen, dass damit alle „Fördermaßnahmen“ gemeint sind, auch die vielen durchaus kritikwürdigen, zuweilen hanebüchenen Maßnahmen, mit denen die Klientel der Jobcenter „versorgt“ wird. Nicht jede Förderung ist auch sinnvoll. Teilweise wird durch fragwürdige Maßnahmen sogar das Gegenteil produziert, also eine weitere Frustration bis hin zu Aggression unter den Teilnehmern.

Aber die Rettung naht – könnte man denken, wenn man sich an die Ankündigungen der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) erinnert, die zur Förderung der Langzeitarbeitslosen neue Programme nicht nur angekündigt, sondern zwischenzeitlich auch ins Leben gerufen hat. Aber auch hier muss ein Menge Wasser in den Wein gegossen werden. „Nahles lässt Langzeitarbeitslose alternativlos sitzen“, so hat Stan von Borstel seinen Artikel dazu überschrieben: »Vollmundig hatte Andrea Nahles einst der Langzeitarbeitslosigkeit den Kampf erklärt. Nach zwei Jahren zeigt sich: Die geförderten Jobs gingen um ein Drittel zurück – und die neuen Projekte laufen nicht«, so seine Bilanzierung.

Ende 2014 hatte die Bundesarbeitsministerin zwei Sonderprogramme angekündigt, um mehr als 40.000 schwer vermittelbare Langzeitarbeitslosen wieder in Arbeit zu bringen. Damals lief das Programm „Bürgerarbeit“ für die öffentliche Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen aus.
Die Bilanz bis Ende 2015: »Gerade einmal 2278 Langzeitarbeitslose fanden bis Dezember 2015 einen Platz in dem Bundesprogramm der Ministerin.«
Auch unter Nahles blieben die Langzeitarbeitslosen die Stiefkinder der Arbeitsmarktpolitik:

»Insgesamt sank die Zahl der öffentlich geförderten Stellen für Langzeitarbeitslose in der Amtszeit von Andrea Nahles von rund 140.000 auf unter 90.000. Das war ein Rückgang um 50.000 oder knapp 36 Prozent. Die Zahl der offiziell registrierten Hartz-IV-Bezieher, die länger als ein Jahr ohne Jobs sind, ging dagegen im gleichen Zeitraum nur um 1,4 Prozent auf rund 927.000 zurück.«

 Ein „katastrophales Missverhältnis“, so wird die grüne Arbeitsmarktpolitikerin Brigitte Pothmer in dem Artikel zitiert, die die Zahlen beim Arbeitsministerium erfragt hatte. Komplett weggefallen ist die „Bürgerarbeit“, die vor zwei Jahren noch mehr als 27.000 Teilnehmer zählte. Nahles legte dafür ein Bundesprogramm auf, das 33.000 Langzeitarbeitslosen ohne Berufsabschluss einen Job bei einem Arbeitgeber verschaffen soll.

Nur: Das kommt noch nicht mal schleppend, sondern eher im Kriechgang voran:

»Zwar wurden die Projekte der teilnehmenden Jobcenter bis zum 1. Mai 2015 bewilligt … Die „eigentliche Akquise und Integrationsarbeit“ habe aber erst nach der Einstellung aller Betriebsakquisiteure begonnen – sie sollen Arbeitgeber motivieren, die Langzeitarbeitslosen mit Zuschüssen einzustellen.«

Hinzu kommt:

»Ein zweites Programm für 10.000 besonders schwer vermittelbare Langzeitarbeitslose ohne Jobchancen mit dem Titel „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“ ist bis heute nicht angelaufen. Nach Nahles Vorstellungen sollen diese Arbeitslosen etwa Gemüse in öffentlichen Parkanlagen anpflanzen.«

Die grüne Bundestagsbgeordnete Brigitte Pothmer fordert zu Recht, mit den ineffektiven und aufwendigen Sonderprogrammen müsse Schluss sein.

Dazu auch der Beitrag aus dem Politikmagazin „Exakt“ vom 20.01.2016: Förderung von Langzeitarbeitslosen – ein Flop?

Auf die strukturellen Probleme hinsichtlich der (Nicht-)Förderung wurde bereits in diesem Beitrag hingewiesen: Jobcenter verschwenden Fördergeld für Langzeitarbeitslose! Aber tun sie das wirklich? Die Lohnkostenzuschüsse und ein auf dem Kopf stehendes Förderrecht vom 22.12.2015.

Gibt es denn keine Hoffnung, wird der eine oder die andere fragen?

Da fällt einem natürlich eine solche Überschrift ins Auge: Hartz IV finanziert den Job: »Wie bekommt man Langzeitarbeitslose wieder in Jobs? In Baden-Württemberg werden mit den ohnehin vorhandenen Hartz-IV-Mitteln Arbeitsplätze finanziert – mit Erfolg«, so Monika Eispüler in ihren Artikel. Sie beschäftigt sich mit dem Programm Passiv-Aktiv-Transfer des Landes Baden-Württemberg. Aus Hartz-IV-Empfängern sollen wieder sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer werden. Die Idee des Projekts ist, statt in Arbeitslosigkeit in Arbeit zu investieren. Sie verweist auf die Leidensgeschichte der öffentlich geförderten Beschäftigung:

»Die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gibt es seit 2009 nicht mehr, die Zahl der Ein-Euro-Jobs, einmal als Wegbereiter zum ersten Arbeitsmarkt gedacht, schrumpften von 300.000 auf weniger als 100.000 Stellen. Unter Arbeitsministerin von der Leyen (CDU) waren die Mittel für Fördermaßnahmen von 2010 bis 2013 von 6,6 auf 3,9 Milliarden gekürzt worden.«

Vor diesem Hintergrund hat man im Ländle versucht, von vielen Akteuren geforderte neue Wege zu gehen: Der Passiv-Aktiv-Transfer (PAT) der baden-württembergischen Landesregierung basiert auf Lohnkosten-Zuschüssen für die Arbeitgeber – und damit auf keinem neuen Instrumentarium. Die hat es schon immer gegeben. Aber:

»Im Fall des PAT müssen keine zusätzlichen Geldquellen angezapft werden. Das Projekt finanziert sich über die für Hartz-IV-Empfänger sowieso vorhandenen Mittel. Das Konzept, Jobs statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren, ist bestechend einfach: Die 399 Euro Grundsicherung für Hartz-IV-Empfänger sowie das Geld für Unterkunft und Heizung wird als Lohnkostenzuschuss verwendet, um einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz zu schaffen. Das Land finanziert das Programm darüber hinaus mit insgesamt 17,4 Millionen Euro. Im Gegenzug zahlt der Arbeitgeber einen Stundenlohn von mindestens 8,50 Euro.«

Erste Ergebnisse aus der Begleitforschung liegen vor:

»Eine Studie … hat die Effekte geprüft und kam zu dem Ergebnis, dass von den über 900 Menschen, die bisher an dem Projekt teilgenommen haben, die Hälfte in ein festes Arbeitsverhältnis gekommen ist. Fast alle Teilnehmer des Programm beurteilen dabei ihr Verhältnis zu Kollegen und Vorgesetzten als gut und ihre Tätigkeit als sinnvoll. Positiv überrascht waren auch mehr als zwei Drittel der Arbeitgeber von der Integrations- und Leistungsfähigkeit ihrer neuen Mitarbeiter.«

Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen, so könnte ein Fazit lauten. Denn die Wirkmechanismen sind vielen seit langem bekannt, aber immer noch müssen wir in Modellprojekten verharren. Bestrebungen, endlich einen großen Wurf in der Arbeitsmarktpolitik zu machen und nicht nur ein neues Förderinstrumentarium, sondern eine grundlegend Reform des restriktiven Förderrechts und ein Poolen der verfügbaren bzw. relevanten Mittel vorzunehmen.
Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Die Aufstocker im Hartz IV-System: Milliardenschwere Subventionierung der Niedrigeinkommen und die (Nicht-)Lösung durch den gesetzlichen Mindestlohn

Rund 1,3 Millionen Erwerbstätige in Deutschland stockten 2014 ihr Einkommen mit Hartz-IV-Leistungen auf. Den Staat kostete diese Subventionierung von Niedrigeinkommen insgesamt 10,85 Milliarden Euro – das ist der höchste Wert seit der Wirtschaftskrise. Auch im Vergleich mit 2007 und 2008, den beiden Jahren vor der Wirtschaftskrise, musste der Staat deutlich mehr Geld aufwenden, um die Einkommen von Geringverdienern auf Hartz-IV-Niveau aufzustocken. Das kann man dem Beitrag Aufstocker vor Mindestlohn-Einführung: Staat subventionierte Niedrigeinkommen 2014 mit 10,85 Milliarden Euro entnehmen. Es handelt sich also um die Zahl vor der Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes. Wer waren diese 1,3 Millionen Menschen? Es handelte sich bei 44 Prozent um sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (in Voll- oder Teilzeit), 47 Prozent waren Minijobber und 9 Prozent gehörten zur Gruppe der Selbstständigen. Der durchschnittliche Betrag, den Bedarfsgemeinschaften mit einem oder mehreren Aufstockern monatlich ausbezahlt bekamen, ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. 2014 waren es 776 Euro. Aber 2015 müsste alles besser geworden sein – oder?

In dem Beitrag von O-Ton Arbeitsmarkt finden wir einen entsprechenden Hinweis:

»Für das Jahr 2015 ist davon auszugehen, dass sowohl die Jahressumme der gezahlten Leistungen als auch der monatliche Durchschnittsbetrag durch den zu Jahresbeginn eingeführten Mindestlohn deutlich sinken werden, denn bei Personen, die zuvor weniger als 8,50 Euro pro Stunde verdienten, muss der Staat nun deutlich weniger oder nichts mehr hinzuzahlen.«

Aber: Bisher liegen noch keine Daten zu den Beträgen vor. Sie sollen im Sommer 2016 durch die Bundesagentur für Arbeit veröffentlicht werden, wie eine Nachfrage ergeben hat.

Die Zahl der Aufstocker insgesamt ist allerdings bereits zurückgegangen – vor allem bei den Minijobbern. Die Zahl der Aufstocker mit einem sozialversicherungspflichtigen Voll- oder Teilzeitjob hat hingegen leicht zugenommen.

Offensichtlich geht es hier um die Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns, der ja seit dem 1. Januar 2015 für fast alle Gültigkeit hat bzw. haben sollte. Die arbeitsmarktlichen Auswirkungen der Lohnuntergrenze werden vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit begleitend untersucht. Und das IAB hat nun den ersten Arbeitsmarktspiegel: Entwicklungen nach Einführung des Mindestlohns als Forschungsbericht veröffentlicht.

Dazu gibt es auch eine Kurzfassung. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse, die man den ersten Befunden entnehmen kann?

Die Beschäftigung insgesamt hat sich auch nach bzw. trotz der Einführung des Mindestlohns positiv entwickelt. Vgl. dazu auch den Beitrag Rückblick und Blick nach vorne: Der Mindestlohn. Von Horrorszenarien am Jahresanfang über einen offensichtlich mindestlohnresistenten Arbeitsmarkt hin zur Quo vadis-Frage im kommenden Jahr vom 30.12.2015.

Auch das IAB führt mit Blick auf 2015 aus, dass das Wirksamwerden des Mindestlohns einherging mit einem kontinuierlichen Anstieg der Beschäftigung insgesamt, der aktuell anhält. Der positiven Gesamtbeschäftigung gegenüber fällt eine negative Entwicklung bei ausschließlich geringfügig entlohnten Beschäftigten auf: »Die Anzahl ausschließlich geringfügig entlohnter Beschäftigter sank zum 31. Januar 2015 im Vergleich zum Vormonat um etwas mehr als 160 000 Personen (ca. 3,3 %), wovon etwa 95 000 (1,9 %) nicht durch saisonale Muster erklärt werden können. « Das wurde von denen, die grundsätzlich der Auffassung sind, der Mindestlohn sei des Teufels, als Beleg für die arbeitsplatzvernichtende Wirkung der Lohnuntergrenze zitiert. Aber die Erkenntnisse des IAB sprechen eine andere Sprache. Es geht um die Frage, ob es sich um einen reinen Wegfall geringfügig entlohnter Beschäftigung handelt, oder ob diese in andere Beschäftigungsformen umgewandelt worden ist. Anders formuliert: Was steckt hinter der Zunahme an verlorenen Minijobs?

»Insgesamt betrachtet lässt sich festhalten, dass sich die Steigerung etwa zur Hälfte durch Übergänge in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und zu etwa 40 Prozent durch Abgänge mit unbekanntem Ziel erklären lässt. Hierbei handelt es sich um Fälle, in denen die Person beispielsweise durch die Aufnahme einer selbstständi- gen Tätigkeit, eine vorübergehende oder dauerhafte Nichterwerbstätigkeit (ohne SGB II/III-Leistungsbezug), eine Arbeitsaufnahme im Ausland oder Eintritt in den Ruhestand nicht länger durch die Bundesagentur für Arbeit erfasst wird. Übergänge in Arbeitslosigkeit bzw. Leistungsbezug tragen hingegen kaum zum Anstieg bei.«

Aggregierte Zahlen der BA-Statistik zeigen, dass die Zahl der ausschließlich geringfügig Beschäftigten bis einschließlich September 2015 im Vorjahresvergleich um 194.000 Beschäftigte zurückgegangen ist. Dieser Rückgang ist vor allem zu Beginn des Jahres 2015 zu beobachten und er war in Ostdeutschland deutlich stärker ausgeprägt als im Westen (-7 Prozent zu -3,3 Prozent). In einigen Bereichen, wie beispielsweise im Einzelhandel, in denen Minijobs stärker rückläufig sind, gibt es in der Tendenz einen überdurchschnittlichen Aufwuchs bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Ein signifikanter Teil der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse wurde offenbar in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung umgewandelt. In den vom Mindestlohn stark betroffenen Bereichen ist es zu keinem spürbaren Anstieg der Arbeitslosigkeit gekommen. Dies kann allerdings auch damit zusammenhängen, dass Minijobs bei Schülern, Studenten oder Rentnern weggefallen sind – Personen, die in der Arbeitslosigkeit nicht aufscheinen, so das IAB in der Publikation Auswirkungen des Mindestlohns im Jahr 2015.

Und wie verhält es sich mit den Aufstocken? Das IAB weist darauf hin, dass die Zahl der Aufstocker zu Beginn des Jahres 2015 nur in geringem Maße zurückgegangen sei.

Offen bleiben muss angesichts der derzeitigen Datenlage, ob die an die Aufstocker ausgereichten Mittel durch den Mindestlohn wirklich gesunken sind. Dazu brauchen wir die Daten, die für den Sommer dieses Jahres in Aussicht gestellt werden.

Es ist aber davon auszugehen, dass die Subventionierung der Niedrigeinkommen weiter auf einem hohen Niveau liegen wird. Die vielen Minijobber werden auch weiterhin einen Anspruch auf aufstockende Leistungen haben und auch viele derjenigen, die in einem Teil- oder gar Vollzeitjob arbeiten, werden weiter Leistungen bekommen, vor allem, wenn sie in Bedarfsgemeinschaften leben, also mit zwei oder mehr Personen, die hilfebedürftig sind. Zurückgehen müssten allerdings die Zahlbeträge, wenn der Mindestlohn wirkt. Aber wie gesagt – ohne die entsprechenden Daten seitens der BA kann man hier nur spekulieren. Vielleicht stellt ja mal einer der Parlamentarier aus der Opposition im Bundestag eine kleine Anfrage zu diesem Thema und man kann so die Zeit etwas verkürzen.

Hartz IV: Neue Regeln, zusätzliche Bürokratie. Keine Familienmitversicherung mehr für jugendliche Hartz IV-Empfänger. Eine Neuregelung mit Tücken

Seit Jahresbeginn gelten für Hartz-IV-Bezieher neue Regeln, die zusätzliche Bürokratie bedeuten. Konkret geht es um die Familienmitversicherung in der Gesetzlichen Krankenversicherung. Man kann es paragrafenlastig so darstellen: »Aufgrund der am 01.01.2016 in Kraft tretenden Teile des „GKV-Finanzstruktur- und Qualitätsentwicklungsgesetz“ endet die bisherige Familienversicherung für ALG II Bezieher zum 31.12.2015. ALG II Bezieher (ab 15 Jahren; § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II), welche bisher aufgrund § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V i.V. § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB V beitragsfrei in der gesetzlichen Familienversicherung versichert waren (Ehegatte, Lebenspartner, Kinder und Kindeskinder von Mitgliedern), werden ab 01.01.2016 selbst versicherungspflichtig in der Gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung.« Susan Bonath hat ihren Artikel dazu so überschrieben: Schluss mit Familienversicherung. Krankenkassen: Neues Sonderrecht für jugendliche Hartz-IV-Bezieher. Experten warnen vor Tücken. Besonders betroffen von der Neuregelung »sind Jugendliche ab dem vollendeten 15. Lebensjahr beziehungsweise ihre Eltern. Egal ob die jungen Leute noch zur Schule gehen oder eine Ausbildung machen – sie müssen sich von nun an selbst krankenversichern. Denn der Vorrang der Familienversicherung bei den Krankenkassen gilt für Hartz-IV-Bezieher nicht mehr.«

Angeblich will man durch diese Neuregelung den Prüfaufwand der Jobcenter reduzieren und auch für die nun selbst zu versichernden Personen wird der Mindestbeitrag übernommen. Aber: Das dürfte zum einen weitaus höhere Kosten verursachen als bisher. Und zum anderen birgt die neue Sonderregel für Leistungsbezieher erhebliche Tücken.

Für die Krankenkassen stellt sich die Neuregelung ambivalent dar: Zum einen bekommen sie nun so einige neue Versicherte und damit mehr Einnahmen, auf der anderen Seite wurde gleichzeitig der monatliche Pauschalbeitrag pro Kopf abgesenkt, von »etwa von 120 bis 140 auf unter 100 Euro«, so wird eine Sprecherin des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) in dem Artikel zitiert.

Aber wo liegen denn nun mögliche Tücken, wenn doch – unabhängig von der für die Kassen relevanten Frage einer Kostendeckung durch die konkrete Höhe des Pauschalbetrags – der jugendliche Hartz IV-Empfänger selbst versichert sein muss, der Beitrag aber von den Jobcentern übernommen wird?

»Solange ein Leistungsberechtigter Hartz IV auch bekomme, müsse er sich keine Sorgen machen. Kritisch werde es aber, wenn etwa ein Jugendlicher zu 100 Prozent sanktioniert wird. Das kann unter 25jährige seit 2007 bereits beim zweiten »Fehlverhalten« treffen.«

Und diese Fälle gibt es durchaus (vgl. dazu den Beitrag Durch alle Netze gefallen, vergessen und jetzt ein wenig angeleuchtet: Der Blick auf die „entkoppelten Jugendlichen“ vom 11.06.2015).

Und was dann? Claudia Mehlhorn wird in dem Artikel von Bonath mit diesen Worten zitiert: »Ich kann jedem Betroffenen nur raten, sofort zum Jobcenter zu gehen und mindestens einen Lebensmittelgutschein pro Monat zu beantragen«. Denn nur in diesem Fall setze das Amt die Zahlung der Beiträge wieder in Gang. Werden die Essensmarken nicht beantragt, dann meldet das Amt Betroffene einfach bei der Krankenkasse ab.

Abr es gibt doch die 2013 vom Gesetzgeber eingeführte „obligatorische Anschlussversicherung“, die dann automatisch greift?

Im Prinzip ja, aber:

»Die Kassen schicken Betroffenen nach der Abmeldung einen Einkommensfragebogen, den sie zwingend ausfüllen müssen, auch wenn sie vom Betteln oder Flaschensammeln leben«, erläuterte Mehlhorn. Nur so werde ein Anspruch auf Familienversicherung geprüft. Liegt dieser nicht vor, etwa bei Alleinstehenden oder elternlosen Jugendlichen, müssten die Sanktionierten den Mindestbeitrag für freiwillig Versicherte von rund 165 Euro selbst aufbringen. Noch viel drastischer treffe es jene, die nicht auf das Schreiben mit dem Fragebogen reagieren, sagte die Expertin. »Sie werden mit dem Höchstbeitrag eingestuft, das sind um die 700 Euro.« Sei man erst einmal in ein Mahnverfahren gerutscht, käme man aus der Nummer nicht wieder heraus.«

Und wenn man die Betroffenen schon mal in die Untiefen der Sozialbürokratie schickt, dann „richtig“. Harald Thomé weist auf das (mögliche) Problem steigender Zusatzbeiträge hin. Wenn diese über dem Durchschnittswert – 2015 waren das laut GKV-Spitzenverband 0,83 Prozent – liegen, dann übernimmt das Jobcenter die Mehrkosten nicht. Wenn Betroffene das Geld nicht vom Regelsatz abzweigen wollen/können, müssten sie sich nach einer neuen, günstigeren Krankenkasse umsehen. Das muss man natürlich auch alles wissen und mitbekommen, wann welche Schwellenwerte überschritten werden.

Zyniker werden an dieser Stelle einwerfen: Zeit genug haben die Betroffenen ja.