Ausbildung light für junge Flüchtlinge: Treibstoff für den Integrationsschub oder am Ende doch keine Chance auf dem Arbeitsmarkt?

Es ist ja eine einfache Überlegung: Natürlich wird bei der Integration der Menschen, die zu uns gekommen sind als Flüchtlinge, ein gerüttelt Maß an deren Eingliederung in Erwerbsarbeit hängen. Je eher und je umfangreicher die Eingliederung auf dem Arbeitsmarkt gelingt, umso besser sind die Integrationschancen. Nur auf diesen Weg können dann auch andere Baustellen bearbeitet werden, beispielsweise der ansonsten fällige Transferleistungsbezug. Und dass man in Deutschland ein bestimmtes Ausbildungsniveau benötigt, um überhaupt in die Nähe oder gar über ein Lohn zu kommen, der eine eigene Existenzsicherung und eine darüber hinausgehende Lebensführung ermöglicht, bedarf wohl kaum einer genaueren Ausleuchtung. Man kann natürlich versuchen, das in Zahlen zu kleiden und Studien zu verfassen, die trotz aller Rechnerei beispielsweise zu solchen tierschürfenden Erkenntnissen beitragen:

»Die Aufnahme von Flüchtlingen könnte die Staatskassen bei einem Scheitern der Integration in den Arbeitsmarkt langfristig mit insgesamt bis zu knapp 400 Milliarden Euro belasten. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung. Wenn die Integration gelingt, profitiert die Allgemeinheit allerdings von zusätzlichen Staatseinnahmen in Höhe von 20 Milliarden Euro.«

Wahnsinn. Und ein wirklich überschaubarer Korridor, von + 20 bis – 400 Mrd. Euro. Interessanterweise hat der Verfasser des Artikels, Mark Schieritz, diese Überschrift gewählt: Flüchtlinge kosten bis zu 400 Milliarden Euro. Da bekanntlich viele bei der Überschrift hängen bleiben, muss man sich schon fragen, was das angesichts des Inhalts der Studie (Holger Bonin: Gewinne der Integration. Berufliche Integration und Integrationstempo entscheiden über die langfristigen fiskalischen Kosten der Aufnahme Geflüchteter, Berlin 2016) soll, die ja nun ein ganz anderes Spektrum aufmacht.

Es ist müßig, sich in diesen Zahlenspielereien zu vertiefen. Auf dem Tisch liegt die Aufgabe, möglichst viele gerade der jungen Flüchtlinge mit einer Ausbildung auszustatten, die den Anforderungen in den meisten Branchen auf unseren Arbeitsmärkten entsprechen kann, will man wirklich nachhaltig eine Integration in der Erwerbsleben anstreben. Und dazu hat der Aktionsrat Bildung, in dem 13 Wissenschaftler um den Präsidenten der Hamburger Universität, Dieter Lenzen, und finanziert von der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw), Vorschläge vorgelegt, die zugleich eine alte Wunde in der deutschen Berufsausbildungspolitik aufreißt.

Das Gutachten des Aktionsrats Bildung steht unter dem nüchtern daherkommenden Titel Integration durch Bildung. Migranten und Flüchtlinge in Deutschland. In dem Gutachten wird die gesamte Bildungskette, von der Kita angefangen, betrachtet und mit Empfehlungen versorgt.

Hier soll es vor allem um den Bereich der beruflichen Ausbildung gehen. Bildungsforscher fordern Ausbildung light für Flüchtlinge, so lautet beispielsweise einer der Artikel, in dem über die Vorschläge berichtet wird. Besser verkürzt als gar nicht: Bildungsforscher fordern, für Flüchtlinge die Standards der Berufsausbildung zu senken, um sie schneller in Arbeit zu bringen. Aber zugleich ahnt man, dass sich das einfacher anhört, als es dann ist: »Niedrigere Standards, einfachere Sprache in den Schulen – einige der Vorschläge, die der Aktionsrat Bildung zur Integration von Flüchtlingen gemacht hat, werden für Streit sorgen.«

Auch der Aktionsrat Bildung hat erkannt, was seit langem gepredigt wird: Die Sprache ist oft das größte Problem bei der Integration. „Wir brauchen einen massiven Ausbau der Sprachförderung, sowohl allgemeinsprachlich als auch berufsbezogen“, wird Bertram Bossardt von der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft zitiert. Nun soll an dieser Stelle gar nicht dahingehend herumkritisiert werden, dass genau das ein zentrales Problem darstellt, nicht weil die Flüchtlinge nicht wollen, sondern weil es immer noch schlichtweg zu wenig Angebote gibt und auch die Situation der hier Lehrenden überwiegend als weiterhin katastrophal zu bezeichnen ist.

Der Aktionsrat Bildung hat sich darüber hinaus eine nicht neue Forderung zu eigen gemacht: Die Wissenschaftler plädieren für „theorieentlastete zweijährige Ausbildungsberufe“ und den Ausbau von Teilqualifizierungen, um jungen Flüchtlingen den Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt zu erleichtern. Ergänzend soll die Berufsschulpflicht vom 16. bis zum 21. Lebensjahr ausgedehnt werden. Das sei wichtig, weil über die Hälfte der 2015 nach Deutschland gekommenen Flüchtlinge unter 25 Jahre alt sei.

Bleiben wir bei einem der Kernvorschläge des Gutachtens, also das Plädoyer für verkürzte und zugleich „theorieentlastete“ Ausbildungen: »Gewerkschaften und Arbeitgeber sind skeptisch: Sie fürchten, dass kaum jemand die Absolventen braucht«, kann man in dem Artikel „Sie hätten auf dem Arbeitsmarkt kaum eine Chance“ von Florian Diekmann lesen.
Dabei bringt der Beitrag durchaus Argumente, die in Richtung dessen gehen, was der Aktionsrat Bildung vorgetragen hat:

»Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) betont in einem aktuellen Bericht zwar, dass es noch keine repräsentativen Daten zur Qualifikation der Flüchtlinge gebe, geht aber auch bei der schulischen Bildung von einem „Bildungsgefälle“ zwischen jungen Flüchtlingen und ihren in Deutschland aufgewachsenen Altersgenossen aus.
Für den Bildungsökonomen Ludger Wößmann vom Münchner Ifo-Institut steht daher fest: „Wir werden nicht alle jungen Flüchtlinge zu Mechatronikern oder Fachinformatikern ausbilden können.“ Wößmann hält daher verkürzte Ausbildungen für sinnvoll, als Alternative zu den bestehenden anspruchsvollen, dreijährigen Berufsausbildungen.«

Das folgt offensichtlich der Logik, besser irgendeine Ausbildung als keine. Wenn das denn die Alternative wäre.

Genau an diesem Punkt wird sofort reichlich Skepsis aufgetischt. Die Vizevorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DBG), Elke Hannack, warnt vor „Häppchen-Ausbildungen“, die höchstens „auf schlechte Arbeit in prekären Verhältnissen vorbereiten“. Typisch gewerkschaftliche Bedenkenträger, wird der eine oder andere hier einwenden, die haben auch schon früher immer gegen ein Downgrading der bestehenden Ausbildungen gewettert, was vor den Flüchtlingen für die „leistungsschwachen“ Jugendlichen gefordert wurde, weil sie letztendlich befürchten, dass durch abgesenkte Ausbildungsstandards dann in einem weiteren Schritt auch die daraus erzielbaren Vergütungen abgesenkt werden (könnten).

Aber auch die Kammern der Arbeitgeber und der Zentralverband des deutschen Handwerks (ZDH) äußern sich kritisch zu den Vorschlägen.

Und in einem Punkt treffen sich die Vorbehalte der Gewerkschaften wie auch der Arbeitgeberseite:

»Es gebe für Ausbildungen von einem oder eineinhalb Jahren Dauer schlicht keinen Bedarf. Unterstützung bekommen sie von den Wissenschaftlern des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB). „Die jungen Leute hätten mit einer solchen Qualifikation auf dem Arbeitsmarkt kaum eine Chance“, sagt Reinhold Weiß, Vizepräsident und Forschungsdirektor des BIBB.«

Aber der Aktionsrat Bildung hat ja neben den ganz abgespeckten Teilqualifizierungen auch für etwas entschlackte zweijährige Ausbildungsgänge votiert. Da fällt die Beurteilung differenzierter aus, was man beispielsweise vom DIHK zu hören bekommt: »Hier gibt es bereits rund 30 Berufe mit abgespeckter Fachtheorie, zumeist in Industrie und Handel, etwa den des Verkäufers. Bei den meisten von ihnen können die Absolventen im Anschluss ohne Zeitverlust noch einen Abschluss in einem dreijährigen Ausbildungsberuf anhängen – bei den Verkäufern wäre das zum Beispiel der Einzelhandelskaufmann. Die Fachleute nennen das „Durchstieg“. Auch der Handwerksverband ZDH will sich der zweijährigen Ausbildung nicht verschließen – sofern am Arbeitsmarkt Bedarf bestehe.«

Genau das zweifeln die Gewerkschaften an. Der DGB-Bildungsexperte Matthias Anbuhl wird so zitiert:

„Schon heute konzentrieren sich die zweijährigen Ausbildungen vor allem auf den Beruf der Verkäuferin“, sagt er. „Von den rund 45.000 zweijährigen Ausbildungsplätzen insgesamt entfallen allein 25.000 auf diesen einen Beruf.“ Erst kürzlich hätten Gewerkschaften und Arbeitgeber gemeinsam zwei zweijährige Ausbildungsberufe wieder abgeschafft, weil sie schlicht nicht benötigt wurden.

Und was bieten die Kritiker aus dem Lager des bestehenden Systems als Alternative? Sie verweisen unisono auf vorhandene Instrumente – dabei vor allem auf zwei: Zum einen die Einstiegsqualifizierung und zum anderen die assistierte Ausbildung. Wobei dann, um das nur anzumerken, deutlich mehr Mittel für die assistierte Ausbildung bereitgestellt werden müssten. Bisher ist das doch eher sehr überschaubar dimensioniert.

Was bleibt ist das ungute Gefühl, dass wir auf der einen Seite durchaus neue Wege der beruflichen Ausbildung gehen müssen, um die betroffenen jungen Flüchtlinge auch mitzunehmen. Man muss ihnen Einstiegspunkte in unser zugegeben nicht einfach strukturiertes Ausbildungswesen ermöglichen und dabei immer auch im Hinterkopf behalten, dass es die Sprache ist, die viele davon abhält, sich entsprechend einbringen zu können. Und wir müssten einfach nur mal gedanklich die Vorstellung entwickeln, wir hätten nach Syrien oder nach Afghanistan fliehen müssen. Auch unter uns wird es sicher zahlreiche Menschen geben, die gar keinen oder nur einen sehr mühsam aufzubauenden Zugang zur jeweiligen Sprache haben).

Am Tag danach. Einige kritische Gedanken zum Tag der Arbeit und der (Nicht-)Zukunft der Gewerkschaften

Zeit für mehr Solidarität! So war der Aufruf des DGB zum diesjährigen Tag der Arbeit überschrieben. Die Gewerkschaftsmitglieder waren aufgerufen, »für mehr Solidarität – zwischen den arbeitenden Menschen, den Generationen, Einheimischen und Flüchtlingen, Schwachen und Starken« zu demonstrieren. Das ist ganz offensichtlich nicht nur eine Menge Stoff, sondern „Solidarität“ ist ein starkes Wort, das man mit Leben füllen muss, sonst degeneriert das zu einer folkloristische Worthülse für Festveranstaltungen und Sonntagsreden.

Nun könnte man eine Beschäftigung mit diesem Thema abblocken durch den zynisch daherkommenden Verweis darauf, dass die Gewerkschaften mit ihren Mai-Feierlichkeiten einer tradierten Liturgie anhängen, die tendenziell immer weniger Menschen erreicht bzw. von diesen durch „moderne“ Freizeitaktivitäten substituiert werden – mithin die gleiche Problematik, die auch die Kirchen mit ihren Gottesdiensten haben. Den überwiegend Älteren aus dem traditionsbewussten Kernklientel würde man vor den Kopf stoßen, wenn man die Kundgebungen verändern oder gar einstellen würde, die anderen hingegen beklagen das Nicht-Zeitgemäße des Formats, ohne dass man sich wirklich sicher sein kann, dass sie andere Formate dann auch annehmen würden.

In diese Kerbe schlägt Franz Schande mit seinem Beitrag Wenn man nichts mehr ist, der in der österreichischen Tageszeitung „Die Presse“ veröffentlicht worden ist: »Die traditionelle Arbeiterbewegung rinnt aus, löst sich auf in disparate Segmente, deren Interessen immer schwieriger auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden können. Das alte Instrumentarium taugt nicht, ein neues steht nicht zur Verfügung.«

Er argumentiert mit punktueller Referenz auf Marx und Engels durchaus depressiv: In dem er die neuerdings verschiedentlich aufkeimenden Ansätze einer „Reindustrialisierung“ (als wirtschaftspolitische Strategie) in Zeiten einer umfassenden Deindustrialisierung kritisch analysiert hinsichtlich ihrer Realisierungswahrscheinlichkeit, versucht er die Hoffnung mancher Gewerkschafter, über diesen Weg doch noch zu alten Ufern zurückkehren zu können, zu atomisieren. In dieser Logik dürfen solche Sätze nicht fehlen:

»Die Produktionsstätten werden zwar nicht leer, aber sie werden sukzessive entleert. Die Unterschiede zwischen einer Fabrik in den Siebzigerjahren des vorangehenden Jahrhunderts und heute sind auch ganz augenscheinlich. Während der Raum und in ihm die Zahl der Maschinen und ihre Komplexität wächst, sinkt das Personal, das zur ihrer Bedienung nötig ist. Zunehmende Maschinendichte und abnehmende Menschendichte gehören zusammen. Die ständige Entwertung der Arbeitsprodukte durch das jeweilige Einzelkapital konnte bis zum Ende des Fordismus in den Siebzigerjahren durch Ausweitung der Gesamtproduktion relativiert werden. Heute scheint das nicht mehr möglich zu sein, da die Produktion an ihre äußeren (ökologischen) und inneren (ökonomischen) Schranken stößt. Immer mehr Waren können in immer weniger Arbeitseinheiten und somit auch mit weniger Arbeitskräften hergestellt werden. Diese Tendenz ist nicht aufhaltbar und umkehrbar.«

Es geht an dieser Stelle gar nicht um die Frage, ob diese auch in anderen Kreisen weit verbreitete Diagnose vom „Ende der (Industrie-)Arbeit“ und den dadurch nicht mehr beschäftigbaren Menschen wirklich stimmt. Diese These wurde ja auch schon früher, beispielsweise mit besonderer Verve in den 1980er Jahren, diskutiert und behauptet. Dass man vorsichtig sein sollte mit solchen Vorhersagen bzw. Vermutungen, zeigt nicht nur ein Blick auf die Beschäftigungsentwicklung in den zurückliegenden Jahrzehnten oder auch die aktuellen Perspektiven, die sich in der eben nicht-menschenleeren Fabrik der Industrie 4.0 am Horizont abzeichnen. Dem einen oder anderen mag schon der Verweis genügen, dass die alarmistische Debatte, die wir heute wieder haben, irgendwie als Neuauflage längst vergangener Schlachten daherkommt. Vgl. dazu nur als ein Beispiel und überaus instruktiv die Titelgeschichte „Uns steht eine Katastrophe bevor“ aus dem SPIEGEL, Heft 16/1978! »In den Arbeitskämpfen der Metallindustrie und des Druckgewerbes spielten sie die Hauptrolle: Winzige elektronische Bausteine bedrohen Millionen von Arbeitsplätzen in Industrie und Dienstleistungsgewerbe. Weder Regierung noch Gewerkschaften wissen, wie sie die Folgen des Fortschritts unter Kontrolle bringen können«, musste man damals schon lesen.

Auch heute wird diese Perspektive erneut aufgerufen, aus ganz unterschiedlichen Ecken, so auch von den Befürwortern eines bedingungslosen Grundeinkommens. Vgl. dazu beispielsweise nur den Radio-Beitrag von Philip Kovce: Macht Geld faul? Das bedingungslose Grundeinkommen vom 1. Mai 2016. Oder diesen Beitrag aus der Schweiz, in der am 5. Juni 2016 über eine Volksinitiative zur Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens abgestimmt wird: Ein Grundeinkommen könnte die Lösung für die USA sein: »Die Produktivität steigt, aber die Löhne sinken, und mit der Digitalisierung könnten in den USA bald viele Jobs verschwinden. Eigentlich gute Voraussetzungen für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Technologie-Gurus im Silicon Valley sprechen sich dafür aus.« Wie gesagt, ein ganz eigenes Thema.

Wieder zurück zu dem Beitrag von Franz Schandl. Denn vor dem Hintergrund seines Szenarios holt er aus zur grundsätzlichen Infragestellung der Gewerkschaften:

»Eine Reindustrialisierung der Welt ist eine Mischung aus falschem Wunsch, gefährlicher Drohung und hilflosem Gerede. An sich wäre die Deindustrialisierung überhaupt nicht das Problem, sondern vielmehr deren Folgen für die von ihr Abhängigen (=Lohnabhängigen) unter dem Zeichen der kapitalistischen Verwertungspflicht. Das ist allerdings für traditionelle Interessenvertretungen schwer zu rezipieren und noch schwerer zu akzeptieren, stellt es doch deren gesamtes Selbstverständnis in Frage.
Beharren diese jedoch auf den eingefahrenen Mustern, werden sie von einer sozialen Reformkraft zu einem konservativen Faktor des Standorts, dem dann alles zu unterwerfen ist, soll er am Markt erfolgreich sein. Tatsächlich erscheinen sie heute so.«

Da ist es wieder, das Bild von dem Auslaufmodell Gewerkschaft. Letztendlich abgemagerte Dinosaurier von gestern, deren Zeit abgelaufen ist. Und auch er nähert sich dem bereits angedeuteten Gedanken, dass wir es mit einem letztendlich vor diesem Hintergrund unauflösbaren Dilemma zu tun haben:

»Betriebsrat, Gewerkschaft, Partei (Sozialdemokratie) verlieren allesamt an Einfluss, da es ihnen nicht gelingt oder auch gar nicht gelingen kann, den Mangel an objektiver Klassifizierung durch subjektive Identifizierung zu überbrücken. Die traditionelle Arbeiterbewegung rinnt aus, nicht vorrangig aus politischem Unvermögen, sondern in erster Linie aufgrund der Entwicklungen oder besser: Abwicklungen und Fragmentierungen auf dem Industriesektor. Das zu vertretende Kollektiv verschwindet, löst sich auf in disparate Segmente oder gar personelle Atome, deren Interessen immer schwieriger auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden können. Das alte Instrumentarium taugt nicht, doch ein neues steht nicht zur Verfügung.«

Das an sich ist schon starker Tobak. Aber er treibt seine Argumentation weiter und spricht von einer Deklassifizierung: »Die Einzelnen verstehen sich nicht mehr als Glieder einer Gruppe oder gar Kampfgemeinschaft. Der Mangel an Identität lässt an keine Autoritäten mehr glauben, vor allem auch deswegen, weil sie kaum noch Protektion (was jetzt nicht nur negativ gemeint ist) bieten können. Die Klasse bietet keine Geborgenheit mehr, weil sie an allen Ecken und Enden porös geworden ist.«
Das hat Folgen (sollte es denn stimmen): »Deklassifizierung bedeutet, dass die Ware Arbeitskraft von ihrem Besitzer nicht (mehr) verkauft werden kann oder, besser, dass kollektivvertraglich vereinbarte Lohnarbeitsverhältnisse immer seltener werden. Auf jeden Fall geht dabei der traditionelle Klassenzusammenhalt in die Brüche, auch weil der gemeinsame soziale Raum (die Fabrik oder das Büro) nicht mehr vorhanden ist oder nicht mehr diese Kontinuität in den Erwerbsbiografien der Menschen aufweist.«

An dieser Stelle gibt es interessante Anknüpfungspunkte an andere Arbeiten, beispielsweise die des Philosophen Byung-Chul Han:

»Das neoliberale Subjekt als Unternehmer seiner selbst ist nicht fähig zu Beziehungen zu anderen, die frei vom Zweck wären. Zwischen Unternehmern entsteht auch keine zweckfreie Freundschaft. Frei-sein bedeutet aber ursprünglich bei Freunden sein. Freiheit und Freund haben im Indogermanischen dieselbe Wurzel. Die Freiheit ist im Grunde ein Beziehungswort. Man fühlt sich wirklich frei erst in einer gelingenden Beziehung, in einem beglückenden Zusammensein mit anderen. Die totale Vereinzelung, zu der das neoliberale Regime führt, macht uns nicht wirklich frei. So stellt sich heute die Frage, ob wir die Freiheit nicht neu definieren, neu erfinden müssen, um der verhängnisvollen Dialektik der Freiheit, die diese in Zwang umschlagen lässt, zu entkommen.« (Byung-Chul Han: Psychopolitik. Neoliberalismus und die neuen Machttechniken. Frankfurt am Main 2014, S. 11).

Nach dieser Aufgabenbestimmung würde man den Gewerkschaften wohl eher nicht das Potenzial zusprechen, die sich heute stellenden Aufgaben bewältigen zu können.

Aber nochmals zurück zu Franz Schandl, denn der spricht nicht nur von Deklassifizierung, sondern auch von der Etage darunter, denn: »Deklassifizierung bedeutet noch nicht soziale Degradierung durch Deklassierung. Letztere folgt nicht automatisch.« Aber wenn sie folgt, dann sieht sie so aus:

»Deklassierung geht … noch einen Schritt weiter, sie ist der Vollzug einer Kapitulation. Man fällt nicht nur aus der Klasse, man fällt zusehends aus der Gesellschaft, vor allem aus einem nicht nur gerade noch tolerierten, sondern akzeptierten Leben.«

Das ist sicher eine Erfahrung, die nicht wenige Menschen machen mussten und müssen, die im Hartz IV-System nicht nur temporär, sondern seit langem und auf Dauer einzementiert sind.

Natürlich stellt sich hier die Frage: Wie soll man Solidarität herstellen – zwischen den Arbeitsplatzbesitzern, die zugleich in permanenten Abwehr- und hin und wieder auch in Offensivkämpfen gegen die eigenen Arbeitgeber verstrickt sind und den Erwerbslosen, die gar keinen Zugang (mehr) finden zu einem Arbeitsmarkt, der sie schlichtweg auf Dauer exkludiert hat?

Die engagierten Gewerkschafter leiden unter diesem Spannungsverhältnis. Aber es ist da und kann nicht wegdiskutiert werden. Auch nicht die Tatsache, dass sich die „Arbeitnehmer“, auch die gewerkschaftlich organisierten, zuweilen anders verhalten, als man erwarten würde oder sich Funktionäre erhoffen. Dazu sehr aufschlussreich der Beitrag von Bernd Riexinger, einem der Vorsitzenden der Partei Die Linke im Umfeld der diesjährigen Mai-Feierlichkeiten: Schluss mit dem Stillhalteabkommen. Für die Neuorientierung gewerkschaftlicher Politik gegen Deregulierung der Arbeit, so pflichtbewusst-ambitioniert hat er seinen Artikel überschrieben. Darin enthalten sind viele richtige Analysen zur abnehmenden Tarifbindung und den Erosionsprozessen in der Vergangenheit, mit denen die Gewerkschaften konfrontiert waren (und sind).

In diesem Zusammenhang nur einige wenige Zahlen: Die Reichweite der Tarifverträge ist dramatisch zurückgegangen. Lediglich 51% der Beschäftigten im Westen und sogar nur noch 37% im Osten fallen noch unter das Regelungsdach von Tarifverträgen. Nur noch ein Viertel der Betriebe besteht eine Tarifbindung. Und das sollte uns zu denken geben: 1996 hatten in Westdeutschland 41% der Beschäftigten einen Betriebsrat und gleichzeitig einen Branchentarifvertrag, 2014 waren es nur noch 28%. Ohne einen Betriebsrat und ohne irgendeinen Tarif müssen mittlerweile im Westen 34% und im Osten sogar 50% der Beschäftigten arbeiten. An dieser Stelle kann und muss man die Frage aufwerfen: Wie soll man unter diesen Bedingungen überhaupt noch solidarisch handeln können?
Riexinger legt seinen Finger auf eine Wunde der Gewerkschaften (aber natürlich, wenn er das auch nicht offen anspricht, auf eine seiner eigenen Partei), wenn er feststellt:

»Die Partei Alternative für Deutschland ist bei den Landtagswahlen im März in Sachsen-Anhalt und in Baden-Württemberg stärkste Partei unter Arbeiterinnen und Arbeitern sowie Erwerbslosen geworden. Auch den Gewerkschaften wird das zu denken geben: Im März haben über 15 Prozent ihrer Mitglieder in Baden-Württemberg und 24 Prozent von ihnen in Sachsen-Anhalt die rechtspopulistische AfD gewählt.«

Es ist schon ein Kreuz mit diesen Arbeitnehmern. Da wählen nicht wenige von ihnen die AfD. Selbst Erwerbslose. Der Vorsitzende der Linken müssten sich natürlich und eigentlich an dieser Stelle fragen, warum seine Partei diese Wahlerfolge nicht (mehr) einheimsen kann bei den genannten Gruppen, aber das tut er nicht oder er kann es nicht.

Also alles schlecht bei den Gewerkschaften?

Ganz und gar nicht, innerhalb des bestehenden Systems erfüllen die Gewerkschaften nicht nur weiterhin wichtige Funktionen beispielsweise in der Tarifpolitik, was man aktuell besichtigen kann im öffentlichen Dienst für Kommunen und Bund, wo es schon eine Einigung gegeben hat (vgl. dazu beispielsweise den Beitrag von Markus Sievers: Zügiger Durchbruch im öffentlichen Dienst). Nun läuft die Warnstreik- (und möglicherweise auch mehr)-Welle im Bereich der IG Metall.
Gerade am Beispiel der IG Metall kann man sich anschaulich vor Augen führen, was praktische Solidarität in der gegebenen Arbeitswelt bedeuten kann.

Denn die IG Metall, konfrontiert mit massiven Bypass-Strategien der Arbeitgeber über Leiharbeit zuungunsten der Stammbelegschaften in der Vergangenheit, hat Branchenzuschläge für die Leiharbeiter  heuausgehandelt. Und das obwohl der Organisationsgrad der  Leiharbeiter mehr als bescheiden ist, um das nett zu formulieren. Und als die Arbeitgeber nach der mit der Re-Regulierung der Leiharbeit verbundenen Verteuerung zunehmend auf Werkverträge ausgewichen sind, hat die IG Metall das zum Thema gemacht und versucht, über die politische Schiene eine Regulierung der aus dem Ruder laufenden Werkverträge auf den Weg zu bringen. Mittlerweile aber hat man erkannt, dass die politischen Blockaden enorm sind und infolgedessen einen Strategiewechsel vollzogen nach dem Motto: Wenn die Werkvertragsunternehmen immer mehr in unsere Betriebe kommen, dann kommen wir zu ihnen in die Betriebe und versuchen, sie in einem ersten Schritt mitbestimmungsrechtlich über einen Betriebsrat und in einem zweiten über die Integration unter der Tarifdach der IG Metall wieder einzufangen (vgl. dazu auch die Studie von Tim Obermeier und Stefan Sell: Werkverträge entlang der Wertschöpfungskette. Zwischen unproblematischer Normalität und problematischer Instrumentalisierung, Düsseldorf: Hans Böckler Stiftung, 2016).

Das sind wichtige Ansätze in der gegebenen Praxis. Die an sich schon schwer genug sind. Vor allem, wenn wir dann auch noch in Bereiche gehen würden, die weitaus schwieriger zu organisieren sind, also vor allem im Bereich der Dienstleistungen. Es handelt sich im wahrsten Sinne des Wortes um einen „Häuserkampf“ auf der betrieblichen Ebene. Dass die Gewerkschaften dabei nicht ganz so erfolglos sind, verdeutlicht auch dieser Beitrag: Schluss mit der Bescheidenheit, so ist eine Hintergrundsendung des Deutschlandfunks passend zum 1. Mai 2016 überschrieben.  Darin ist sogar an einer Stelle von einer „Renaissance der Gewerkschaften“ die Rede. Zu hoffen wäre das. Die Abbildung verdeutlicht nämlich aus einer übergeordneten volkswirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Perspektive die Bedeutung des gewerkschaftlichen Organisationsgrades hinsichtlich der Debatte über eine zunehmende Ungleichheit. „Länder mit geringerem Organisationsgrad tendieren zu höherer Ungleichheit“, so die Feststellung des Wirtschaftswissenschaftlers Direkt Herzer in einer Studie. »Im Durchschnitt aller Länder zeigen sich während des 25-jährigen Untersuchungszeitraums eine klare Zunahme der Ungleichheit und ein Rückgang des gewerkschaftlichen Organisationsgrades …  In den meisten Ländern gehen rückläufige Mitgliederzahlen der Arbeitnehmerorganisationen und die Zunahme der Ungleichheit Hand in Hand. Dabei ist die Wirkungsrichtung nach der Analyse des Forschers nicht eindeutig: Sind die Gewerkschaften einmal geschwächt, wachsen die Einkommensunterschiede, gleichzeitig gilt aber: Höhere Ungleichheit führt zu einem geringeren Organisationsgrad.«

Auch auf der anderen Seite der Grenze gibt es Deutschkurse am Fließband und skandalöse Arbeitsbedingungen für die Lehrkräfte in Sprach- und Integrationskursen, die doch von so großer Bedeutung sind

Über die teilweise katastrophalen Arbeitsbedingungen für die Lehrkräfte in den Sprach- und Integrationskursen für Flüchtlinge und andere Anspruchsberechtigte in Deutschland wurde hier bereits mehrfach berichtet, beispielsweise in dem Blog-Beitrag 1.200 Euro im Monat = „Top-Verdienerin“? Lehrkräfte in Integrationskursen verständlicherweise auf der Flucht oder im resignativen Überlebenskampf vom 2. September 2015 oder der Artikel  Sinnvolle und mehr als fragwürdige Vorschläge im Windschatten der Flüchtlingsdebatte. Und dann die Sprach- und Integrationskurse mal wieder vom 13. Dezember 2015.  Bereits aus dem Februar 2015 stammt dieser Beitrag: Integration wollen alle. Und Integrationskurse für Migrantinnen werden gekürzt. Das passt nicht. Das gilt auch für die Existenz der pädagogischen Tagelöhner. Vor kurzem wurde angesichts des zunehmend um sich greifenden Bestrebens, eine Nicht-Teilnahme an den Kursen mit Sanktionen zu belegen, darauf hingewiesen, dass das angesichts der vielen fehlenden Angebote doch ein – nun ja – fragwürdiger Schwerpunkt sei: Die Annäherung an die Wahrheit liegt zwischen (rhetorischer) schwarzer Pädagogik und (naiver) „Wird schon werden“-Philosophie. Die Forderung nach einer Sprachlernpflicht für Flüchtlinge und die Wirklichkeit der „Schweizer Käse“-Angebote vom 28. März 2016. Immer wieder wird man konfrontiert mit einer ganz erheblichen Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis, zwischen dem Beschwören der besonderen Bedeutung des Erlernens der deutschen Sprache in Sonntagsreden und den praktischen Niederungen, in denen sich die an der (nicht nur) pädagogischen Front bewegen müssen.

Diese Probleme werden auch bei unseren Nachbarn in Österreich thematisiert und problematisiert – und wenn man aufmerksam liest oder zuhört, kann man viele Parallelen entdecken, aus welchen strukturellen Ursachen die Malaise entspringt.

»Zu wenig Personal, schlechte Bezahlung, mangelnde Unterrichtsqualität: Deutschtrainer für Flüchtlinge beklagen Missstände und prekäre Arbeitsbedingungen in privaten Bildungsinstituten.« So beginnt Werner Reisinger seinen Artikel Man spricht Deutsch.
Er beginnt seinen Bericht mit den Erfahrungen einer studierten Germanistin, die einige Monate Deutschkurse für Flüchtlinge und Migranten bei einem privaten Bildungsanbieter gegeben hat:

»Drei Kurse zu je drei Stunden, macht in Summe neun Stunden Unterricht – „danach bist du fix und fertig.“ In den Pausen sei sie mit administrativen Tätigkeiten beschäftigt gewesen. Sie musste dutzende Formulare ausfüllen, eine Datenbank für das AMS betreuen oder Lehrmaterial organisieren. Oft blieb nicht einmal Zeit, die Toilette aufzusuchen. In manchen Klassenräumen fehlte die für den Unterricht notwendige Infrastruktur.«

Schaut man auf die Strukturen, die hier wirken, kommt einem vieles sehr bekannt vor. Teilweise müsste man nur Begriffe austauschen oder berücksichtigen, dass das Kürzel AMS für „Arbeitsmarktservice“ steht, dem österreichischen Pendant zur Bundesagentur für Arbeit (BA) in Deutschland:

»Seit 15 Jahren vergibt das AMS per Ausschreibung Deutschkurse für Migranten und anerkannte Flüchtlinge an private Bildungsinstitute wie Ibis Akam, Mentor, ZIB Training, BIT oder an das Berufsförderungsinstitut (BFI). Zum Zug kommt, wer das inhaltlich beste und vor allem günstigste Konzept einreicht. Vor allem in Wien konkurrieren die Institute deshalb um die Aufträge des AMS. Den so entstehenden finanziellen Druck geben die Firmen an ihre Angestellten, also die Deutschtrainer, weiter – mit negativen Auswirkungen auf die Unterrichtsqualität. In Zeiten vermehrter Krankenstände oder zur Urlaubszeit wird die Personalknappheit in manchen Instituten offensichtlich.
Diese wird offenbar durch fragwürdige Maßnahmen kompensiert. Fällt ein Trainer kurzfristig aus, kann ein weiterer dessen Kurs mitbetreuen. „Das bedeutet, ich muss den einen Kurs unterbrechen, um in den nächsten zu rennen – mit der Folge, dass ich mich auf keinen der beiden mehr konzentrieren kann“, so ein Trainer … Vergütet werden diese „Mitbetreuungen“ mit Essensgutscheinen – im Wert von 10 Euro pro mutbetreutem Kurs. Wenn möglich werden auch Kurse zusammengelegt, auch wenn es sich dabei um unterschiedliche Kursniveaus handelt. Die Folge: die Trainer haben nicht genügend Zeit, sich den jeweiligen Bedürfnissen der Unterrichtsteilnehmer entsprechend zu widmen. Für einen dreistündigen Deutschkurs steht den Lehrern in manchen Instituten lediglich eine Stunde für Vor- und Nachbereitung zur Verfügung – pro Woche.«

Und auch das kennen wir – eine der typischen Kollateralschäden der Ökonomisierung von pädagogischen Prozessen: Schneller, weniger (und dadurch billiger) – „natürlich“ bei gleichbleibender Qualität:

»2009 dauerte ein Deutschkurs noch vier Monate und hatte einen Umfang von 320 Unterrichtseinheiten. Seit 2015 gibt es zwei unterschiedliche Modelle mit entweder drei oder vier Monaten Laufzeit – jedoch mit nur 180 Unterrichtseinheiten.«

Werner Reisinger hat noch einen weiteren Beitrag zu dem Thema verfasst: Deutschkurse am Fließband, so ist der überschrieben. Darin enthalten eine Botschaft, auf die man auch bei uns immer wieder trifft, wenn sich Leute gegen Missstände engagieren:

»Deutschtrainer für Flüchtlinge klagen nach wie vor über Missstände. Ein Betriebsrat eines privaten Instituts, das für das AMS Deutschkurse anbietet, wurde jetzt vom Dienst freigestellt – weil er die Probleme offen anspricht.«

Sprachlehrkräfte klagen über schlechte Bezahlung, unsichere Dienstverhältnisse, mangelnde Unterrichtsqualität und enormen zeitlichen und psychischen Belastungsdruck. Und leider berichten auch die Österreicher über üble Arbeitsbedingungen, die in Deutschland im Mittelpunkt der Kritik stehen:

»Erfahrung und Ausbildung spiele bei der Einstellung der Trainer keine Rolle, zwischen Akademikern und solchen Lehrern, die nur eine Unterrichtsberechtigung erworben haben, werde nicht unterschieden. Die Verträge der Lehrenden seien an die Auftragszeiträume gebunden. Arbeitslos gewordene Trainer müssten sich erneut bei jenen Instituten bewerben, die gerade bei der Ausschreibung zum Zug gekommen sind. Vordienstzeiten aber würden nicht entsprechend angerechnet. „Wanderhuren“ nennen sich die Deutschlehrer daher scherzhaft untereinander. Im Bereich einer für die Gesellschaft so zentralen Herausforderung herrschen also offensichtlich höchst prekäre Arbeitsbedingungen.«

Um über solche Bedingungen zu berichten, braucht man natürlich O-Töne von den Betroffenen selbst, denn nur die können berichten, was in dem Bereich abgeht. Und offensichtlich will man diese Quelle verschließen, in dem man an einem ein Exempel statuiert:

»Sebastian Reinfeldt ist einer der Betroffenen. Seit Jahren arbeitet er als Deutschlehrer mit wechselnden Anstellungen für die großen Institute. Weil er in der Tageszeitung „Die Presse“ offen über die Belastungen der Trainer und die damit einhergehende schlechte Qualität gesprochen hatte, wurde Reinfeldt, der in einem großen privaten Institut auch als Betriebsrat tätig ist, vom Dienst freigestellt. Die Begründung: „betriebsschädigendes Verhalten“. Brisant dabei: Reinfeldt hatte sich im angesprochenen „Presse“ Artikel nicht konkret auf sein eigenes Institut bezogen, sondern allgemeine Kritik geäußert, wie die bereits zahlreiche Trainer getan haben.«

Die Botschaft lautet wohl: Halt den Mund, sonst bist du deinen Job los“, wird die Präsidentin des Österreichischen Verband für Deutsch als Fremdsprache/Deutsch als Zweitsprache (ÖDAF), Sabine Dengscherz, zitiert. Von diesem Verband gibt es auch eine Stellungnahme zu den Lehr- und Lernbedingungen in AMS-Deutschkursen vom 19.04.2016.

Während die Ausschreibung läuft, will man offensichtlich die laufende Diskussion über die Missstände unterbinden, so die Vermutung der ÖDAF-Präsidentin.

Wie knochenhart und in der Konsequenz als existenzbedrohend wahrgenommen der Druck in dieser Branche sein muss, wird erkennbar, wenn über eine interne E-Mail belegt werden kann, dass selbst Betriebsräte von Bildungsunternehmen – die ja eigentlich gegen schlechte Arbeitsbedingungen vorgehen sollten – gleichsam einen Maulkorb verhängen wollen:

»Einige Betriebsräte wenden sich darin an die Lehrer und ersuchen diese, nicht mit Medien über die Situation in den Deutschkursen zu sprechen. „Der Bericht in der ,Presse‘ vom 21.04.2016 über die Problematik der Deutschkurse schädigt das Vertrauen unseres Hauptauftraggebers, des AMS, und kann zu einem massiven Auftragsverlust führen“, ist darin zu lesen.«

Das sind alles ganz schlechte Voraussetzungen für eine erfolgreiche Arbeit, die an erster Stelle stehen müsste – die Vermittlung der Sprache des Aufnahmelandes. Stehen müsste.