Die Reform der Pflegeberufe ist in Deutschland derzeit heftig umstritten und das Gesetzgebungsverfahren dazu hängt im Bundestag (vgl. dazu den Beitrag Reform der Pflegeausbildung: Noch auf der Kippe oder schon vor der Geburt verstorben? vom 15. Januar 2017).
Vor diesem Hintergrund ist der Blick in das Nachbarland Österreich von Interesse, denn auch dort wird gerade über eine Reform der Pflegeausbildung gestritten. Es gibt durchaus Analogien zu dem, was in Deutschland verhandelt wird, aber aufgrund der Systemunterschiede auch abweichende Entwicklungslinien, deren Verfolgung für die deutsche Diskussion interessant sein könnte.
Im Juli 2016 konnte man solche Meldungen in der österreichischen Presse lesen: Nationalrat beschließt neue Krankenpflege-Ausbildung. Die kompakteste Kurzfassung geht so: »Künftig gibt es drei Gruppen, neben einer Pflegeassistenz noch eine Pflegefachassistenz sowie die gehobenen Pflegefachkräfte«, wobei die gehobenen Pflegefachkräfte akademisch an Fachhochschulen ausgebildet werden (sollen). Etwas ausführlicher: »Laut Gesundheits- und Krankenpflegegesetz gibt es in Zukunft drei Berufsbilder. Neben der Pflegeassistenz (bisher: Pflegehilfe) wird auch eine Pflegefachassistenz geschaffen, die mehr Kompetenzen haben soll. Beide sollen weiterhin an den Krankenpflegeschulen ausgebildet werden, die Ausbildung ein bzw. zwei Jahre dauern. Die gehobenen Pflegefachkräfte (derzeit „diplomierte Pflegekräfte“) absolvieren künftig ausnahmslos eine FH-Ausbildung. In Kraft treten soll die Neuregelung ab September 2016 stufenweise bis 2024.« Diesem Beschluss vorangegangen war eine kontroverse Diskussion, die bereits in den Überschriften deutlich wird und teilweise an das erinnert, was wir derzeit in Deutschland erleben: Neuorganisation der Pflegeberufe gefällt nicht allen, Breite Kritik an Plan für neue Pflegeausbildung oder Arbeiterkammer: Entwurf für neue Pflegeausbildung überarbeiten, um nur eine kleine Auswahl zu zitieren.
Den zahlreichen Widerständen der Interessengruppen wie auch innerhalb des föderalen Systems (vgl. zu den Detailpunkten beispielsweise Breite Kritik an Plan für neue Pflegeausbildung) ist man in auch in Deutschland bekannter, also primär verwässernder Art und Weise entgegengekommen:
»Inkrafttreten soll die Neuregelung ab September 2016 stufenweise bis 2024. Allerdings soll dies nun auf einen noch längeren Zeitraum erstreckt werden können, und zwar dann, wenn die vollständige Überführung der Ausbildung des gehobenen Dienstes von den Gesundheits- und Krankenpflegeschulen auf FH-Niveau bis dahin nicht gelingt. Für Ende 2023 ist eine umfassende Evaluierung der Reformschritte und des Zusammenspiels der einzelnen Berufsgruppen vorgesehen. Den Ländern, Behindertenorganisationen und Trägern sei man bei der Pflegeassistenzausbildung entgegengekommen, hieß es im Gesundheitsministerium. Die Ausbildungsdauer bleibe wie bisher bei einem Jahr, allerdings sei ein höherer Theorieanteil mit Schwerpunkt Langzeitpflege möglich«, so der Artikel Pflege: Länder beenden Widerstand gegen Ausbildungsreform.
Auch in der österreichischen Debatte findet man viele Punkte, die derzeit in Deutschland vorgetragen werden, so die (möglichen) Kosten-Auswirkungen auf Seiten der Einrichtungsbetreiber, was ja auch bei uns vor allem von den privaten Pflegeheimbetreibern immer wieder vorgetragen wird: »Der Gemeindebund verweist darauf, dass die Höherqualifizierung der Pflegekräfte und die Übertragung zusätzlicher Aufgaben, unweigerlich zu höheren Personalkosten führen, die in erster Linie die Gemeinden als Träger von Pflegeeinrichtungen treffen würden.«
Nicht nur die Gewerkschaften und die Arbeiterkammer kritisierten die „Dualisierung“ in Pflegeassistenz und Pflegefachassistenz: Es wurde befürchtet, »dass die schlechter ausgebildete und damit auch billigere Pflegekraft bevorzugt beschäftigt wird und fordert nur einen Assistenzberuf mit einer Ausbildungsdauer von zwei Jahren. Auch die Volkshilfe und der Samariterbund lehnen die Aufsplitterung in drei Berufsgruppen ab, weil sie ein Absinken der Qualität befürchten. Der Rechnungshof befürchtet ebenfalls ein Sinken des Qualitätsniveaus, auch weil bundesweit einheitliche Standards nicht vorgesehen seien.«
Interessant auch die damalige Kritik der österreichischen Ärztekammer, die darauf hinwies, »dass mit der Einführung der zusätzliche Fachassistenz die Pflegeberufe „sehr komplex“ werden. Für die anordnenden Ärzte werde es kaum noch überblickbar, an welche Pflegepersonen sie welche Tätigkeiten sie delegieren können. Die Ärztekammer stört auch, dass die gehobenen Pflegefachkräfte zwar mehr Kompetenzen bekommen, ihre Ausbildung aber nicht verlängert werden soll. Für die Ärztekammer entsteht der Eindruck, dass die künftigen Pflegeberufe zwar vermehrt medizinisch-ärztliche Aufgaben übernehmen sollen, ihr Kernbereich der Pflege aber kaum noch Beachtung finde.«
Es sind aus deutscher Sicht vor allem zwei sehr interessante Aspekte, die im Vergleich mit der Entwicklung in Österreich auffallen:
➔ Zum einen hat man – wenn auch wieder über einen sehr langen Zeitraum gestreckt – in Österreich den Weg einer Akademisierung der gehobenen Pflegeausbildung eingeschlagen, als Zielpunkt ist die vollständige Verlagerung auf die (Fach-)Hochschul-Ebene vorgesehen. In Deutschland ist die Teil-Akademisierung teil der geplanten Pflegeberufereform, aber eben nur ergänzend zu der weiterhin im fachschulischen Bereich angesiedelten Pflegekraft-Ausbildung.
➔ In Deutschland besonders umstritten ist bekanntlich die angestrebte genrealistische Pflegeausbildung, was sich erklärt aus der Tatsache, dass es hier neben der allgemeinen Pflegeausbildung und der im Bereich der Kinderkrankenpflege eine eigenständige Altenpflege-Ausbildung gibt. An dieser Stelle kann man derzeit die größten Widerstände erkennen. Das Thema stellt sich in Österreich so gar nicht.
Zum Thema Altenpflege: In Österreich gab und gibt es keine grundständige Ausbildung für die Altenpflege. Vgl. dazu auch die international vergleichende Aufarbeitung im Vorfeld der österreichischen Ausbildungsreform in Waldhausen et al. (2014): (Alten)Pflegeausbildungen in Europa. Ein Vergleich von Pflegeausbildungen und der Arbeit in der Altenpflege in ausgewählten Ländern der EU. Im Länderberichtsteil zu Österreich (Waldhausen et al. 2014: 23 ff.) findet man die folgenden Hinweise auf den Stand der Ausbildungen vor der Reform bezogen: Im Zentrum steht die Gesundheits- und Krankenpflegeausbildung mit daran anschließenden Sonderausbildungen (nicht aber für die Pflege älterer Menschen).
»Unterhalb der diplomierten Gesundheitsberufe gibt es die Heimhelfer/innen, geregelt im Sozialberufegesetz. Sie unterstützen hilfsbedürftige, kranke oder behinderte Menschen aller Altersstufen bei der Haushaltsführung und den Aktivitäten des täglichen Lebens, der Durchführung hauswirtschaftlicher Tätigkeiten und bei der Basisversorgung. Die Ausbildung besteht aus mindestens 200 Stunden Theorie und 200 Stunden Praxis … Höher qualifiziert sind die Pflegehelfer/innen (geregelt im GuKG). Sie übernehmen die Betreuung pflegebedürftiger Menschen zur Unterstützung von Beschäftigten des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege sowie von Ärzten. Die Ausbildung dauert ein Jahr (1.600 Stunden) und umfasst zur Hälfte theoretische und praktische Anteile … Weitere Berufsgruppen in der ambulanten und stationären Altenpflege sind die Sozialbetreuer/innen (Fach- und Diplomsozialbetreuer/innen) mit dem Schwerpunkt Altenarbeit. Das Berufsbild der Fachsozialbetreuer in der Altenarbeit hat die Aufgabe der umfassenden Begleitung, Unterstützung und Betreuung älterer Menschen und deren Angehörigen sowie die Durchführung von pflegerischen Maßnahmen. Die Ausbildung erfolgt in zwei bis drei Jahren an Fachschulen und umfasst die Qualifikation als Pflegehelfer/in.«
In der österreichischen Diskussion vor der Reform der Pflegeausbildung wurde ein Aspekt erkannt und thematisiert, von denen die Pflege-Studierenden in Deutschland durchaus auch ein Lied singen können – die Österreicher versuchen das angesprochene Problem letztendlich aufzulösen mit der Reformkomponente einer (mittelfristigen) Verlagerung der Pflege-Ausbildung an die Hochschulen (vgl. dazu Rottenhofer, I. und Stewig, C. F.: Perspektiven der Pflege in Österreich, in: Padua. Fachzeitschrift für Pflegepädagogik, Patientenedukation und -bildung, Heft 7/2012, S. 241-245):
»„Da sie [Gesundheits- und Krankenpfleger] jedoch den gleichen Berufsabschluss, der bisher außerhalb von Hochschulen ausgebildet wurde, nun an einer Hochschule erworben haben, ist unklar, was nun genau die Spezifik ihrer Ausbildung ausmacht und wie der Arbeitsmarkt für ihren Abschluss überhaupt aussieht. Hinzu kommt, dass die Absolventinnen/Absolventen in ihrer Ausbildung weniger als traditionell ausgebildete Pflegefachpersonen institutionell eingebunden waren. Sie absolvierten Praktika, gehörten aber nicht zu den Beschäftigten der jeweiligen Krankenanstalten. Dabei waren sie mit Kolleginnen und Kollegen sowie anderen Auszubildenden konfrontiert, deren berufliche Sozialisation durch eine Institution und ihre jeweilige Praxis bestimmt ist. […] Für sie selbst und ihr Gegenüber ist unklar, wie sie zukünftig eingebunden sein werden, was ihr aktueller Status ist und was ihr zukünftiger Status sein wird. Der zukünftige Einsatz, die Bezahlung und die Karrierechancen von GuK-Absolventinnen/Absolventen auf der einen Seite und Bachelor-Absolventinnen/Absolventen auf der anderen Seite kann zu vielfältigen Spannungsverhältnissen in Institutionen führen und Ängste bei traditionell Ausgebildeten hervorrufen.“ (Rottenhofer/Stewig 2012: 244)
Mit Blick auf die Altenpflege sollte es aber nicht verwundern, dass auch in Österreich so etwas diskutiert wurde und wird: In Bezug auf die helfenden Berufe wird angesichts des auch in Österreichs steigenden Kostendruckes auf das Feld der Altenpflege eine Aufwertung und ein verstärkter Einsatz von unterstützenden und assistierenden Berufen diskutiert. Auch eine bedarfsorientierte Spezialisierung für die Pflegehilfen ist im Gespräch. Das nun sind Entwicklungen, die wir auch in Deutschland gut kennen.