Es werden wieder mehr. Zahl der Krankschreibungen auf hohem Niveau. Und eigentlich sind es noch mehr

Im ersten Halbjahr 2016 meldeten sich die Arbeitnehmer in Deutschland häufiger krank als in den vergangenen Jahren: Der Krankenstand betrug 4,4 Prozent. Das meldet die Krankenkasse DAK Gesundheit: Neuer Höchststand bei Krankschreibungen. »Mehr als jeder dritte Berufstätige (37 Prozent) wurde mindestens einmal krankgeschrieben. Im Schnitt dauerte eine Erkrankung 12,3 Tage – im Vorjahreszeitraum waren es 11,7 Tage. Verantwortlich für den vergleichsweise hohen Krankenstand ist vor allem der Anstieg bei den Fehltagen aufgrund von psychischen Leiden und Muskel-Skelett-Erkrankungen. Bei diesen Diagnosen stieg die Zahl der Fehltage um jeweils 13 Prozent.« Interessant ist ein differenzierter Blick auf die hauptsächlichen Ursachen für die krankheitsbedingten Ausfallzeiten der Arbeitnehmer.

Danach ergibt sich laut DAK Gesundheit das folgende Bild: Über die Hälfte aller Fehltage lassen sich auf drei Krankheitsarten zurückführen:

  • An erster Stelle stehen Rückenleiden und andere Muskel-Skelett-Erkrankungen, die Männer etwas häufiger betreffen als Frauen. Jeder fünfte Fehltag wurde damit begründet (22 Prozent). 
  • Danach folgen Krankheiten des Atmungssystems mit 17 Prozent Anteil am Gesamtkrankenstand. 
  • Fast genauso viele Ausfalltage gingen auf das Konto der psychischen Erkrankungen. Ihr Anteil am Krankenstand hat sich auf 16 Prozent erhöht (1. Halbjahr 2015: 15 Prozent). Frauen fehlten mit Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen fast doppelt so häufig wie Männer. Die Betroffenen fielen besonders lange aus: Im Schnitt waren es 35 Tage. Die durchschnittliche Erkrankungsdauer von psychischen Erkrankungen übertraf somit sogar die von Krebserkrankungen (32 Tage).

Unterschiede zeigen sich auch im Ost-West-Vergleich: »Berufstätige in den östlichen Bundesländern waren mit einem Krankenstand von 5,5 Prozent häufiger und länger krankgeschrieben als im Vorjahreszeitraum (2015: fünf Prozent). Im Westen ist der Krankenstand mit 4,2 Prozent deutlich niedriger. Das wirkt sich auf die Anzahl der Fehltage aus: Im Osten wurden 32 Prozent mehr Ausfalltage dokumentiert als im Westen (Ost: 1.000 Fehltage pro 100 Versicherte/West: 758 Fehltage pro 100 Versicherte).«

Die zitierten Daten beziehen sich auf die Gruppe der bei der DAK Gesundheit versicherten Personen. Konkret: Für die aktuelle Krankenstands-Analyse hat das Berliner IGES Institut die Daten von 2,6 Millionen erwerbstätigen DAK-Versicherten für das erste Halbjahr 2016 ausgewertet.

Die Abbildung verdeutlicht die Datenlage für die gesetzliche Krankenversicherung insgesamt. Auch hier ist der Anstieg für das erste Halbjahr 2016 zu erkennen. Und der nun erreichte Höchststand ist einer bezogen auf die letzten Jahre, in den 1990er Jahre lag die Krankenstandsquote schon mal höher als derzeit.

Der wirkliche Krankenstand in den Unternehmen wird aber noch höher liegen, denn: Die Daten der gesetzlichen Krankenkassen berücksichtigen in der Regel nur die Fehlzeiten, die auch in Form von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bei den Kassen gemeldet werden. Da diese Krankschreibungen erst ab einer Fehldauer von drei Tagen abgegeben werden müssen, dürfte die tatsächliche Zahl der Fehltage noch höher liegen, so der Hinweis in dem Artikel Neuer Hochstand bei Krankschreibungen.

Immer wieder wird auch der Einfluss der wirtschaftlichen Lage und der Arbeitslosigkeit auf die Höhe des Krankenstandes diskutiert. Historisch betrachtet sinkt in wirtschaftlich schwachen Phasen, in denen viele Menschen Angst vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes haben, die Zahl der Krankmeldungen. Umgekehrt kann das dann auch gelten und für viele Menschen ist die Arbeitsmarktlage in Deutschland derzeit sehr gut.

Wie ei jeder Medaille gibt es natürlich auch hier eine zweite Seite: Gut zwei Drittel gehen krank zur Arbeit, so hat Matthias Kaufmann noch im April 2016 seinen Artikel überschrieben. »Die Krankheit, die bei deutschen Arbeitnehmern am weitesten verbreitet ist, heißt Präsentismus. Sie ist immer dann akut, wenn ein Kollege zur Arbeit kommt, obwohl er so krank ist, dass er eigentlich das Bett hüten sollte.« Nach einer Untersuchung des DGB »schleppten sich im vergangenen Jahr mehr als zwei Drittel der Arbeitnehmer an wenigstens einem Tag krank zur Arbeit.«

Für die Untersuchung hat der DGB eine repräsentative Befragung aus dem Jahr 2015 ausgewertet, an der über 4.600 Arbeitnehmer teilgenommen haben. Eine Umfrage für die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin kam vor drei Jahren zu einem ähnlichen Ergebnis und berichtete von 57 Prozent Krankarbeitern (vgl. hierzu Jeder Zweite geht trotz Krankheit zur Arbeit vom 05.02.2013), so Matthias Kaufmann.

Der „Präsentismus“ ist in mehrfacher Hinsicht problematisch: »Wer krank arbeitet, braucht länger, um gesund zu werden. Oft verschlechtert sich sein Zustand, und er fällt später doch aus. Es ist aus anderen Studien bekannt, dass bei erkrankten Mitarbeitern das Unfall- und Fehlerrisiko steigt, ihre Produktivität nimmt ab. Und oft stecken sie noch ihre Kollegen an.«

Sie lassen nicht locker: Sozialrichter aus Gotha legen dem Bundesverfassungsgericht erneut die Sanktionen im SGB II vor. Und die aus Leipzig mögen keine unpassenden SGB III-Maßnahmen

Es ist noch gar nicht so lange her, da wurde hier berichtet, dass das Bundesverfassungsgericht eine Richtervorlage des Sozialgerichts Gotha hinsichtlich einer (möglichen) Verfassungswidrigkeit der Sanktionen im Hartz IV-System nicht zur weiteren Verhandlung angenommen hat. Vgl. dazu den Beitrag Das Bundesverfassungsgericht will (noch?) nicht: Keine Entscheidung über die Frage der Verfassungswidrigkeit von Sanktionen im Hartz IV-System vom 2. Juni 2016. Eine Kürzung des Arbeitslosengeldes II bei Pflichtverstößen des Empfängers ist nach Ansicht des Sozialgerichts Gotha verfassungswidrig – weil sie die Menschenwürde des Betroffenen antasten sowie Leib und Leben gefährden kann. Die 15. Kammer des Gerichts ist der Auffassung, dass die im Sozialgesetzbuch (SGB) II festgeschriebenen Sanktionsmöglichkeiten der Jobcenter gegen mehrere Artikel des Grundgesetzes verstoßen. Das wollte man vom BVerfG prüfen lassen – und die Verfassungsrichter haben ihre Arbeitsverweigerung begründet mit verfahrensrechtlichen Fehlern in dem Vorlagebeschluss, denn der würde nur teilweise den Begründungsanforderungen entsprechen. Zugleich gab es inhaltlich einen interessanten Hinweis seitens der Verfassungsrichter: Der Vorlagebeschluss aus Gotha „wirft … durchaus gewichtige verfassungsrechtliche Fragen auf“, heißt es in der Pressemitteilung Unzulässige Richtervorlage zur Verfassungswidrigkeit von Arbeitslosengeld II-Sanktionen vom 2. Juni 2016.

Die Enttäuschung bei den vielen Beobachtern, die sich verfassungsrechtliche Positionierung gegen die Sanktionen im Hartz IV-System erhofft hatten, war groß. Aber die Sozialrichter aus Gotha lassen offensichtlich nicht locker. Denn sie haben es wieder getan.

Das Sozialgericht Gotha hält Hartz-IV-Sanktionen weiterhin für verfassungswidrig. Darum wird es erneut das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anrufen. Dies habe eine Verhandlung am Dienstag ergeben, so wird ein Behördensprecher in dem Artikel Sanktionen gefährden Leben von Susan Bonath zitiert.

In den nächsten Tagen werde die Kammer eine zweite Richtervorlage in Karlsruhe einreichen. Die erste Eingabe vom Mai 2015, hatte das BVerfG Anfang Juni wegen eines Formfehlers ab- und an die Thüringer Sozialrichter zurückgewiesen. Es geht auch bei der zweiten Vorlage um den gleichen Fall:

»Geklagt hatte ein Mann, den das Jobcenter Erfurt im Jahr 2014 zweimal für jeweils drei Monate sanktioniert hatte. Nachdem er ein Arbeitsgebot abgelehnt hatte, kürzte ihm das Amt die Grundsicherung um 30 Prozent. So musste er mit 273,70 statt damals 391 Euro über die Runden kommen. Daraufhin hatte das Jobcenter ihn zu einem Praktikum verpflichtet. Auch dem hatte der Kläger nicht zugestimmt. Die Folge war eine weitere Kürzung seiner Bezüge um 234,60 Euro, also 60 Prozent. Es blieben ihm dadurch gerade noch 156,40 Euro zum Überleben. Bei der Klage hatte der Mann beteuert zu wissen, worauf er sich eingelassen habe. Die Sanktionen halte er allerdings für verfassungswidrig.«

Mit der inhaltlichen Frage einer möglichen Verfassungswidrigkeit hat sich das BVerfG wie bereits erwähnt gar nicht weiter auseinandergesetzt, sondern einen Formfehler herangezogen, um das Verfahren wieder zurückzugeben. Dazu der BVerfG in seiner Pressemitteilung vom 02.06.2016:

»Es fehlt … an einer hinreichenden Begründung, warum die Verfassungswidrigkeit der §§ 31 ff. SGB II im Ausgangsverfahren entscheidungserheblich sein soll. Dem Vorlagebeschluss ist nicht hinreichend nachvollziehbar zu entnehmen, ob der Kläger des Ausgangsverfahrens vom Jobcenter vor Erlass der Sanktionsbescheide nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II den gesetzlichen Anforderungen entsprechend über die Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung belehrt wurde, obwohl Ausführungen hierzu geboten sind. Fehlte es bereits an dieser Tatbestandsvoraussetzung für eine Sanktion, wären die angegriffenen Bescheide rechtswidrig und es käme auf die Verfassungsgemäßheit der ihnen zugrunde liegenden Normen nicht mehr an.«

Nun also schickt man den Fall erneut nach Karlsruhe. Um zu vermeiden, dass das hohe Gericht erneut den Fall abweist, »habe das Sozialgericht Gotha einerseits klargestellt, dass die Rechtsfolgenbelehrung des Klienten den gesetzlichen Vorgaben entsprach, so der Sprecher. »Zum anderen konnte der Kläger ausführlich darlegen, dass ihm die Folgen bewusst waren.« … Zudem hatte er sich geweigert, eine Eingliederungsvereinbarung zu unterzeichnen. Eine solche enthält sanktionsbewährte Auflagen wie Ortsanwesenheit, beständige Bewerbungsbemühungen und die Annahme zugewiesener Jobs«, so Susan Bonath in ihrem Artikel.

Man darf gespannt sein, wie das BVerfG mit dem Sanktionsthema umgehen wird. Viele Betroffene hoffen natürlich, dass Sanktionen im SGB II für verfassungswidrig erklärt werden und auch im politischen Anti-Hartz IV-Raum gibt es entsprechende Erwartungen. Die verfassungsrechtliche Fragwürdigkeit der Sanktionierung des Existenzminimums wird zudem von einigen Juristen hervorgehoben – aber, das gehört auch zur Wahrheit, eine grundsätzliche Ablehnung von Sanktionierung ist keinesfalls die Mehrheitsmeinung, unter den Juristen gibt es Vertreter, die eine Verfassungswidrigkeit nicht erkennen können (vgl. dazu bereits die Darstellung in meinem Blog-Beitrag Hartz IV: Sind 40% von 100% trotzdem noch eigentlich 100% eines „menschenwürdigen Existenzminimums“? Ob die Sanktionen im SGB II gegen die Verfassung verstoßen, muss nun ganz oben entschieden werden vom 27.05.2016).

Auch eine Sanktionen stützende Rechtsprechung ist vorhanden, als aktuelles Beispiel sei auf diese Entscheidung des Sozialgerichts Leipzig (das gleich noch eine andere Rolle spielen wird) hingewiesen: „Hartz IV“-Sanktion wegen Ablehnung von Sonntagsarbeit rechtmäßig, so ist eine Pressemitteilung des Gerichts vom 20.06.2016 überschrieben: »Das Sozialgericht Leipzig hat mit Urteil vom 24. März 2016 (S 17 AS 4244/12) entschieden, das eine Kürzung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch („Hartz IV“) rechtmäßig ist, wenn ein Arbeitsplatz abgelehnt wurde, bei dem für die Dauer der siebeneinhalbmonatigen Befristung eine Tätigkeit u.a. an fast jedem Sonntag vorgesehen war.«

Auf der anderen Seite findet man Entscheidungen, in diesem Fall vom Bundessozialgericht (Keine Vereinbarung von Bewerbungsbemühungen ohne Vereinbarung zur Bewerbungskostenübernahme!), die Sanktionen zurückweisen. Hartz-IV-Vollsanktionen unverhältnismäßig, so ist ein Artikel zur BSG-Entscheidung überschrieben. »Zwischen Dezember 2011 und November 2012 hatte es gegen den Mann drei 100-Prozent-Sanktionen für jeweils drei Monate verhängt. Nach Ansicht des Amtes hatte er sich unzureichend um Arbeit beworben. Das Bundessozialgericht (BSG) erklärte die Strafen jedoch Ende vergangener Woche in letzter Instanz für rechtswidrig, wie es in einer Mitteilung informiert. Bereits die zugrunde liegende Eingliederungsvereinbarung (EGV) sei »einseitig fordernd« und damit unverhältnismäßig und nichtig, so das BSG. Jobcenter dürften Klienten nämlich zu nichts verpflichten, ohne anfallende Kosten zu übernehmen.«

Allerdings hat das Bundessozialgericht auch in die andere Richtung entschieden, also für die Zulässigkeit von Sanktionen. Dazu beispielsweise aus diesem Jahr und thematisch nah dran an der strittigen Frage nach der Verfassungswidrigkeit der Sanktionen an sich: Aufrechnung in Höhe von 30% mit der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar! vom 9.03.2016. Da hatte sich das BSG weit aus dem Fenster gelehnt: »Die gesetzliche Ermächtigung zur Aufrechnung in Höhe von 30% des Regelbedarfs über bis zu drei Jahre ist mit der Verfassung vereinbar«, so das BSG.

Wie dem auch sei, man muss den Sozialrichtern aus Gotha dankbar sein, dass sie da nicht locker lassen und man wünscht sich, bei den Beratungen des BVerfG Mäuschen spielen zu können, wie die mit diesem wahrhaft heißen Eisen umgehen werden.

Und wenn wir es schon mit den Sozialgerichten haben, dann darf diese Nachricht nicht fehlen: Leipziger Gericht: Arbeitslose müssen unpassende Kurse nicht akzeptieren: »Dieses Urteil lässt Arbeitsagenturen und Arbeitslose in ganz Deutschland aufhorchen: Eine 61-jährige Ingenieurin hat sich gegen eine sogenannte Aktivierungsmaßnahme der Agentur für Arbeit zur Wehr gesetzt. Ihr Anwalt sieht das Urteil des Sozialgerichtes als wegweisend an.« Was ist passiert?

»Eine 61-jährige gekündigte Buchhalterin aus Schkeuditz, die sich gegen eine für sie sinnlose Maßnahme der Agentur gewehrt hat, gewann jetzt ihren Prozess am Leipziger Sozialgericht. Es hielt die Bildungs-Module für die Diplom-Wirtschaftsingenieurin für nicht zumutbar. Das Urteil ist bereits rechtskräftig … die Schkeuditzerin sollte an neue Tätigkeiten in den Sparten Holztechnik, Pflegehilfe, Metall, Farbe, Lager oder Garten- und Landschaftsbau herangeführt werden. Die Ingenieurin, die seit 2005 bis zu ihrer betriebsbedingten Kündigung Ende 2014 als Buchhalterin tätig war, empfand die Option einer „künftigen Vogelhäuschen-Erbauerin“ oder Pflegehilfskraft als „reine Schikane“. Sie kam der Verpflichtung zur Kurs-Teilnahme nicht nach. Ihre Widersprüche wies die Behörde zurück. „Hätte ich mich nicht gewehrt und vor Gericht geklagt, wäre mir das Arbeitslosengeld I gesperrt worden“, ist Monika K. überzeugt. Sie möchte andere Betroffene ermutigen, sich keine unpassenden Maßnahmen aufzwingen zu lassen.«

Die Entscheidung des SG Leipzig (S 1 AL 251/15) – die sich auf den SGB III-Bereich, also nicht auf das Hartz IV-System bezieht, was bei der Bewertung beachtet werden sollte – kann durchaus als wegweisend eingeordnet werden. Der die Klägerin vertretende Rechtsanwalt Sebastian E. Obermaier wird in diesem Zusammenhang mit diesen Worten zitiert:

„Damit wird der Auffassung der Bundesagentur für Arbeit, dass gegen Zuweisungen in Maßnahmen kein Rechtsschutz gegeben ist, eine klare Absage erteilt“.

Das Leipziger Sozialgericht habe erstmals in Deutschland entschieden, dass Betroffene nicht erst gegen Leistungssperren, sondern primär auch gegen Sinnlos-Maßnahmen Rechtsschutz erhalten können. Vielmehr müssten die Kurse zum Profil des Betroffenen passen. Die Richter bezeichneten die Zuweisung im Fall von Monika K., die noch bis März 2017 Arbeitslosengeld I beziehen wird, als „rechtswidrig“.

Nun steht die Frage im Raum, ob das auch für den SGB II-Bereich gilt, denn die meisten „Aktivierungsmaßnahmen“ finden hier statt und die Jobcenter greifen in diesem Kontext auch zur Sanktionierung derjenigen, die sich aus ihrer Sicht sinnlosen oder gar kontraproduktiven Maßnahmen verweigern. Man darf auch hier gespannt sein.

Schwarze sowie einige andere Haushaltshilfen

So kann man es auf den Punkt bringen: 80 Prozent aller Haushaltshilfen arbeiten illegal. Was hängen bleibt, muss nicht weiter erläutert werden. Man könnte durchaus aber auch so eine Botschaft platzieren: Die Schwarzarbeit bei Haushaltshilfen ist »trotz der weiterhin hohen Zahlen in den vergangenen zehn Jahren erheblich zurückgegangen.« Beide Aussagen sind für sich genommen richtig und beziehen sich auf eine neue Veröffentlichung aus dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW):

Dominik Enste: Arbeitsplatz Privathaushalt. IW-Kurzberichte 45/2016, Köln 2016.

Enste hat das Sowohl-als-auch in diese Formulierung gepackt: »Die Schwarzarbeit in Privathaushalten ist in den letzten 10 Jahren um bis zu einem Viertel gesunken. Dies ist insbesondere auf den großen Anstieg der Haushaltshilfen in Minijobs (plus 270 Prozent) zurückzuführen. Dennoch arbeiten weiterhin rund drei Millionen Haushaltshilfen in Deutschland schwarz.«
Dabei ist die Zahl der Privathaushalte, die eine Haushaltshilfe beschäftigen, in den vergangenen Jahren – Enste betrachtet die zehn Jahre von 2005 bis 2015 – relativ konstant geblieben. 2005 waren das 3,86 Millionen, für 2015 werden 3,62 Millionen Haushalte ausgewiesen. Zwischen 8 und 10 Prozent aller Haushalte haben in den zurückliegenden Jahren demnach eine Haushaltshilfe beschäftigt.

»Haushaltshilfen helfen überwiegend einerseits älteren Menschen und andererseits (gutverdienenden) Familien. Haushaltshilfen – zu schätzungsweise fünf Sechstel Frauen – können dabei grundsätzlich zwischen vier verschiedenen Beschäftigungsformen wählen. Neben einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in einem Haushalt besteht die Möglichkeit, über eine Dienstleistungsagentur seiner Arbeit nachzugehen, die Arbeit im Privathaushalt als Minijob anzumelden oder sich selbstständig zu machen«, so Dominik Enste.

Und es gibt natürlich noch eine fünfte Beschäftigungsform: die Haushaltshilfen arbeiten schwarz. Und das tun 80 Prozent von ihnen, folgt man den Schätzungen des IW. Auf der Grundlage der IW-Schätzung für das Jahr 2015 ergibt sich, dass »in etwa 3,6 Millionen Haushalte eine Haushaltshilfe beschäftigt (war). In demselben Jahr lag die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Haushaltshilfen nur bei etwa 47.000 Personen. Rund 300.000 Haushaltshilfen waren bei der Minijob-Zentrale angemeldet und rund 20.000 waren offiziell selbständig tätig. Unter der Annahme, dass eine Haushaltshilfe mit angemeldetem Minijob durchschnittlich in zwei bis drei Haushalten tätig ist, arbeiten damit zwischen 2,67 und 3 Millionen Haushaltshilfen in Deutschland schwarz.«

Man kann der Abbildung aber eben auch entnehmen, dass die Zahl der schwarz beschäftigten Haushaltshilfen in den vergangenen zehn Jahren deutlich abgenommen hat, die Schätzwerte des IW sind um ein Viertel kleiner geworden. »Insbesondere ist dies auf den großen Anstieg der Haushaltshilfen in Minijobs (plus 270 Prozent) zurückzuführen.« Eine besonders bedeutsame Rolle dabei spielt das „Haushaltscheck-Verfahren“ der Minijob-Zentrale, das die Anmeldung von Haushaltshilfen als Minijobber vereinfacht. Wenn der Arbeitgeber Privathaushalt diesen Weg nutzt, dann ist die Haushaltshilfe nicht nur legal beschäftigt, sondern mit einer Anmeldung über die Minijob-Zentrale können die Arbeitgeber 20 Prozent ihrer jährlichen Kosten, bis zu 510 Euro, steuerlich geltend machen.

Trotz dieser Vorteile sind „nur“ 300.000 Minijobberinnen in Privathaushalten offiziell gemeldet – das liegt aber auch daran, dass die geringfügige Beschäftigung bei 450 Euro gedeckelt ist und nicht wenige Putzfrauen haben einen offiziellen Minijob und arbeiten in den Privathaushalten zusätzlich schwarz. Viele, die eine Haushaltshilfe auf Minijobbasis, also ganz legal einstellen wollen (oder müssen), werden das kennen – wenn, dann bekommt man nur Angebote auf der Basis „brutto für netto“, als schwarz. Der theoretisch nutzbare Minijob ist schon „vergeben“.

Interessant sind natürlich die politischen Debatten, die sich um die Präsentation dieser Zahlen entwickeln. „Der Staat sollte Schwarzarbeit tolerieren“, so ist beispielsweise ein Artikel dazu überschrieben. Von wem dieses Zitat stammt? Natürlich, von Friedrich Schneider, „Schwarzarbeit-Experte“ an der Universität von Linz.

Er »fordert … sogar, dass der Staat Schwarzarbeit im Haushaltssektor tolerieren sollte. Der Wohlstandseffekt überwiege im Vergleich zum Steuerausfall, denn insbesondere Frauen könnten durch Haushaltshilfen mehr arbeiten, was dem Staat auch in Form von Abgaben wiederum zugutekomme, betonte Schneider: „Deshalb sollte sich der Staat hier großzügig zeigen und Schwarzarbeit im Haushaltssektor tolerieren“.«

Ganz offensichtlich hat der Experte hier einen eher volkswirtschaftlichen Blick auf das Themenfeld. Und man könnte natürlich ergänzend anführen, dass doch bereits heute, wo Schwarzarbeit verboten ist und zu entsprechenden rechtlichen Konsequenzen führt (oder sagen wir korrekter: führen würde), dennoch fast drei Millionen nicht-angemeldete Haushaltshilfen unterwegs sind, wir also de facto bereits eine von Schneider geforderte Tolerierung haben. Das liegt natürlich auch an dem evidenten Kontrollproblem in privaten Haushalten.

Aber die Forderung Schneiders muss weiter verstanden werden, er will offensichtlich eine Legalisierung der Schwarzarbeit in diesem Bereich.

»Wolfgang Buschfort, Sprecher der Minijob-Zentrale, ist von dieser Idee wenig begeistert. „Wer Schwarzarbeit im Haushaltsbereich akzeptiert, müsste das dann auch im gewerblichen Bereich tun. Das wäre ein fatales Signal“, sagte er.«

Aber es ist schon ein echtes Dilemma, das auch der Sprecher der Minijob-Zentrale anspricht: Den Druck zu erhöhen und Privathaushalte strenger zu kontrollieren, sei jedoch „nicht durchsetzbar“, so wird er in dem Artikel zitiert.

Gibt es Alternativen? Sabine Zimmermann, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, wird mit diesem Vorschlag zitiert:

Sie fordert …, dass Minijobs in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse überführt werden müssen. „Die Beschäftigten sollten über Vermittlungsagenturen regulär angestellt sein. Auf die Weise würde der ganze Bereich transparent, und wir kämen vom Vier-Augen-Prinzip hinter verschlossenen Türen weg.

Auch Brigitte Pothmer, Arbeitsmarkt-Expertin der Grünen im Bundestag, scheint diesem Ansatz folgen zu wollen: »Speziell geförderte Dienstleistungsagenturen könnten helfen, die Arbeit in Privathaushalten von Bürokratie zu befreien und existenzsichernde Jobs zu schaffen.« Aber zugleich kennt sie die Untiefen dieses nur auf den ersten Blick überzeugenden Lösungsansatzes: »Das könne aber nur eine Antwort sein, denn haushaltsnahe Dienstleistungen seien individuelle Beschäftigungsverhältnisse, die den sehr privaten und persönlichen Bereich betreffen würden.«

So ist das, die Idee mit den Agenturen gibt es schon lange, auch entsprechende Modellversuche wurden durchgeführt. Mit sehr ernüchternden, um nicht zu sagen mehr als enttäuschenden Ergebnissen. Zum einen wollen viele Kunden nicht einer Agentur, die dann irgendwen schickt, den Zugang zur eigenen Wohnung ermöglichen. Zum anderen aber, man muss es auch ansprechen, wollen offensichtlich viele Privathaushalte nicht auf die Kostenvorteile durch die Schwarzarbeit verzichten.

Was bleibt? Eine gewisse Ratlosigkeit aus Sicht derjenigen, die sich eine Welt der legalen Beschäftigungsformen wünschen.