Zwischen medialen und realen Verteilungskämpfen ganz unten, niedrigschwelliger Armutslinderung, einem überstrapazierten Ehrenamt und dann noch die Grundatz-Kritiker der „Vertafelung“

Um es gleich an den Anfang des Beitrags zu stellen: Beim Thema Tafeln kann man es nicht richtig machen. Für die einen gehören die Tafeln abgeschafft, für manche darunter sind sie zum nicht nur symbolischen, sondern handfesten Ort der Kapitulation des Sozialstaats vor der staatlichen Aufgabe der Gewährleistung der Existenzsicherung armer Menschen degeneriert, an die man die Menschen verweisen kann, denen man nicht genug Mittel zur Verfügung stellt, um sich selbst und ohne Rückgriff auf Almosen zu helfen. Die Kritiker arbeiten sich ab an der angeblichen oder tatsächlichen Funktionalität der Tafeln im Sinne einer neuen „Abspeisung“ von Menschen, denen man zu geringe Sozialleistungen gewährt und die man dann auf die fast flächendeckende Versorgungsinfrastruktur der Tafeln verweisen kann, bei denen man sich ja das besorgen kann, was nicht über die staatlichen Leistungen abgedeckt werden kann.

Auf der anderen Seite zeigt die Expansionsgeschichte der Tafeln, dass es offensichtlich eine reale Nachfrage nach den dort verteilten Lebensmitteln gibt – und dieser Nachfrage ist die theoretische Debatte ziemlich egal bzw. sie kommt für die Betroffenen kopflastig daher. Hinter dieser Nachfrage stehen Menschen, die mit den Lebensmitteln der Tafeln über den Monat kommen, denen der Genuss von Obst und Gemüse ermöglicht wird. Und wie ein Luftballon aufgeblasen werden kann, so spiegelt auch die Entwicklung der Tafeln nicht nur die faktische Ausweitung nicht-existenzsichernder Lebenslagen derjenigen, die schon immer hier waren, sondern die enorme Zuwanderung der letzten Monate ist natürlich nicht spurlos an diesem Bestandteil einer „Überlebensökonomie“ vorbeigegangen. Die Zahl der Bedürftigen, die Tafelleistungen in Anspruch nehmen möchten, also die Nachfrage, ist nicht nur, aber auch durch die Flüchtlinge angestiegen.

Das geht nicht ohne Konflikte ab in einem System, das auf Freiwilligkeit und Verteilung dessen, was man von Dritten bekommt, basiert. Das wurde bereits im vergangenen Jahr in diesem Blog-Beitrag hier thematisiert: Die Tafeln und die Flüchtlinge. Zwischen „erzieherischer Nicht-Hilfe“ im bayerischen Dachau und der anderen Welt der Tafel-Bewegung vom 14.10.2015.

Das Bild von einem (real durchaus vorhandenen und angesichts der Mengenrestriktionen auf der Angebotsseite auch zwangsläufigen) Verteilungskampf derer da unten untereinander wurde von einem Teil der Medien gerne aufgegriffen, hat das doch neben allen Realitäten in den Ausgabestellen einen „Gänsehautfaktor“ für viele Konsumenten solcher Berichte.
So beginnt beispielsweise Rolf-Herbert Peters seinen Artikel Das untere Ende der Gesellschaft mit dieser Beschreibung: »Manfred Baasner verteilt Essen, das sonst im Müll landen würde. Immer mehr Alte, Arme und Flüchtlinge kommen zu ihm. Der Verteilungskampf am unteren Ende der Gesellschaft eskaliert. Ein Besuch bei Deutschlands größter Tafel.«

Es ist leider im Kontext der aufgeheizten Stimmung rund um das Thema Flüchtlinge kaum verwunderlich, dass häufig in höchst aggressiver Art und Weise gerade in den sozialen Netzwerken Stimmung gemacht wird gegen Flüchtlinge, in dem beispielsweise auf die immer wieder berichteten Konflikte in den Tafeln Bezug genommen und mit dem „Argument“ gearbeitet wird, dass es „unsere“ Bedürftigen schlechter haben durch die zusätzlichen Nachfrager in den Tafeln.

Und solche Artikel scheinen das Problem zu bestätigen: Mehr Spenden, aber auch mehr Bedürftige, so Johannes Leithäuser von der FAZ: »Die Tafeln in Deutschland versorgen deutlich mehr Menschen als noch vor eineinhalb Jahren. Unter ihnen sind auch viele Flüchtlinge.« Fabian Lambeck berichtet im Neuen Deutschland unter der Überschrift Armut wächst – Tafeln droht die Überlastung.

Diese Berichte haben ihr Quelle beim Bundesverband Deutsche Tafel. Der hat sich unter der Überschrift Tafeln meistern Flüchtlingskrise durch niederschwellige Soforthilfe zu den Ergebnissen der Tafel-Umfrage 2016 zu Wort gemeldet – und ein Anliegen ist der Versuch, sich von der Instrumentalisierung und Vereinnahmung zu distanzieren.
Fast 1,8 Millionen Menschen besuchen regelmäßig einen der bundesweit 2.100 Tafelläden und Ausgabestellen der 900 Tafeln in Deutschland. Im Vergleich zu 2014 sei die Zahl der Tafelkunden um 18 Prozent gestiegen.  Die Warenspenden sind im gleichen Zeitraum um etwa 10 Prozent gestiegen. Besonders deutlich wird die Expansion, wenn man einen Blick wirft auf das Jahr 2005: Damals zählten die Tafeln noch „nur“ 500.000 regelmäßige Besucher.

Aktuell unterstützen die über 900 Tafeln bundesweit zusätzlich etwa 280.000 Flüchtlinge, so der Bundesverband.

„Trotz angestiegener Spendenmenge bekommt jeder Einzelne im Durchschnitt etwas weniger Lebensmittel“, so der Bundesvorsitzende der Tafeln, Jochen Brühl. Angesichts der höheren Steigerungszahlen bei den Bedürftigen im Vergleich zu den Lebensmittelspenden ist das auch kein Wunder. Der Bundesvorsitzende versucht dann offensichtlich, die „Konkurrenz-Debatte“ zwischen „Einheimischen“ und Zugewanderten, die sich in den vergangenen Monaten teilweise verselbständigt hat, wieder einzufangen und zu relativieren: „Dennoch hat sich die vormals zum Teil angespannte Situation bei den Tafeln weiter entspannt“, wird er zitiert.

Fabian Lambeck erläutert uns, was man sich unter der „vormals zum Teil angespannten Situation“ praktisch vorstellen muss:

»Wegen kultureller Unterschiede und Sprachproblemen habe es manchmal Anlaufschwierigkeiten gegeben, so Brühl. Syrische Männer etwa hätten Probleme damit gehabt, Hilfe von Frauen anzunehmen. Zudem seien bestimmte Lebensmittel für einige Gruppen ungeeignet. So verbieten die islamischen Speisevorschriften den Konsum von Schweinefleisch. Auch hätten viele Tafeln ihren neuen Kunden deutlich machen müssen, dass Tafeln keine staatlichen Einrichtungen seien und sie deshalb auch keinen Anspruch auf Lebensmittel hätten.«

Aber der Bundesvorsitzende der Tafeln geht noch weiter: „Tafeln sind zu einem zentralen Motor der Integration geworden“. Wie das?

»Viele Anfangsschwierigkeiten konnten mittlerweile behoben werden. Vor allem Sprach- und Verständigungsprobleme machten den Tafeln zu schaffen. Durch den Einsatz von Dolmetschern oder mehrsprachigem Informationsmaterial konnte Abhilfe geschaffen werden. Besonders die Einbindung von Flüchtlingen und Menschen mit Migrationshintergrund in die Tafel-Arbeit ist für beide Seiten ein Gewinn. Mittlerweile helfen in 40 Prozent der Tafeln Flüchtlinge als Ehrenamtliche oder als Bundesfreiwillige mit. Tendenz steigend.«

Und der Bundesverband positioniert sich so:

„Mit Sorge beobachten wir jedoch die Versuche von außen, einen Keil zwischen die Ärmsten in diesem Land zu treiben. Armut in Deutschland ist längst zum Dauerzustand geworden … Tafeln leisten niederschwellige Soforthilfe und fördern die Integration. Unsere Angebote dürfen seitens der Politik jedoch nicht länger überstrapaziert werden.“

Das ist ein wichtiger Hinweis an die Politik auf die Fragilität der Tafeln, deren Arbeit ja fase ausschließlich eine ehrenamtlich geleistete Arbeit ist und es handelt sich hier eben nicht um angestellte Menschen, sondern deren Engagement muss jeden Tag erneut abgerufen werden und abrufbar sein, sondern bricht das System auseinander. In diesem Kontext sollte man auch nicht unterschätzen, welche Folgewirkungen die neue Mischung der Menschen auf der Nachfrageseite für die ehrenamtlichen Helfer haben kann, wenn die kulturellen Konflikte stark zunehmen oder ein Teil der Helfer an der Legitimation dessen zweifelt, was sie tun. Insofern kann und muss man die Ausführungen des Bundesvorsitzenden der Tafeln so verstehen, dass er diese Flasche wieder verschließen und damit beruhigen möchte. Die Botschaft lautet: Die letzte Zeit war eine des doppelten Übergangs – viele neue „Kunden“ und zugleich ganz andere Hintergründe bei diesen, das muss natürlich am Anfang zu Überforderung führen, aber die Lage habe sich normalisiert.

Aber die Tafeln sind ja nicht nur deshalb unter Druck, weil die in diesen Institutionen nicht aufhebbare Rationierungsmechanik angesichts einer weiter ansteigenden und in den vergangenen Monaten sprunghaft gestiegenen Nachfrage eben immer auch ihre konflikthafte Schattenseite zeigen muss. Vielleicht noch größeres Ungemach droht den Tafeln von der Angebotsseite, denn dort laufen Veränderungen ab, die tendenziell dazu führen werden, dass die zur Verfügung gestellten Lebensmittel von der Menge (und der Zusammensetzung) abnehmen werden. Auf die hier ablaufenden Prozesse wurde bereits am 19. April 2015 in diesem Blog-Beitrag hingewiesen: Wird die „Vertafelung“ unserer Gesellschaft durch eine unaufhaltsame Effizienzsteigerung auf Seiten der Lieferanten erledigt?

Wie dem auch sei, eines ist sicher: Die Tafeln können – wenn überhaupt – nur ein zusätzliches Angebot sein für Menschen, die in äußerst knappen Verhältnissen leben müssen. Sie können die – von vielen als per se zu niedrig kritisierte – sozialstaatliche Existenzsicherung auf gar keinen Fall auch noch substituieren. Das sollen sie aber, wenn beispielsweise Jobcenter ihr „Kunden“ explizit auf die Inanspruchnahme der Tafel-Infrastruktur verweisen, damit könne man ja eine akute Notlage „überbrücken“. Das ist eine Instrumentalisierung einer sicher gut gemeinten Idee und einer Institution, die zwar in der Vergangenheit Wachstumsraten hatte, die sich mit denen von Apple messen lassen, die aber, dass sollte man nie vergessen, ein auf Ehrenamt aufbauendes und damit notwendigerweise immer auch fragiles Unterfangen darstellt. Der Bundesverband versucht auch immer wieder, in seinen Stellungnahmen auf diese Punkte aufmerksam zu machen und sich der „freundlichen Umklammerung“ seitens der Politik und des Systems zu entziehen. Eine sicher schwierige und nicht wirklich lösbare Aufgabe. Das ist es sicher einfacher, entweder gar nicht hinzuschauen und zu hoffen, dass die da unten schon weiter funktionieren werden bei der Armenspeisung oder aber die gegenteilige Position einzunehmen und wohlfeil für eine Abschaffung des „Tafel-Systems“ zu plädieren und für die Betroffenen dann höhere Leistungen in Aussicht zu stellen, mit denen sie keine Tafeln mehr brauchen.

Neues Spiel, neues Glück? Die „neue“ Betriebsrente soll kommen – arbeitgeberzugewandt, tarifvertragsorientiert und noch mehr staatlich gepampert

Man könnte durchaus zu dem Ergebnis kommen, dass die Versicherungswirtschaft sehr kreativ ist, wenn es um die Substitution wegbrechender Geschäftsmodelle durch neue Einnahmequellen geht. Wenn man sich die Einbrüche im Bereich der privaten Altersvorsorge anschaut und die Ernüchterung – um das mal vorsichtig zu formulieren – über die staatlich subventionierte Riester-Rente zur Kenntnis nimmt, die bei vielen Menschen auch durch die kritische Berichterstattung eingesetzt hat und das im Zusammenspiel mit dem Wegbrechen des klassischen Lebensversicherungsgeschäfts bilanziert, dann wird verständlich, dass ein Ersatz her muss. Da trifft es sich gut, dass die große Koalition noch eine rentenpolitische Baustelle offen hat, deren Bearbeitung es ermöglichen würde, an neue Versichertengelder zu kommen. Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD setzt seinen Schwerpunkt auf die Stärkung der betriebliche Altersvorsorge. Vor allem, so die Vereinbarung, sollen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, Betriebsrenten auch in kleinen und mittleren Unternehmen besser zu verankern – und auch Geringverdiener sollen stärker als bislang einbezogen werden. Da geht was.

Und offensichtlich funktioniert das auch. Schäuble und Nahles einigen sich auf Reform der Betriebsrente, so die FAZ und fast schon euphorisch Schäuble und Nahles wollen Betriebsrente ankurbeln auf ZEIT Online. »Arbeits- und Finanzministerium sind sich über eine Reform der Betriebsrente einig. Es geht um neue Zuschüsse.« Da wird der eine oder andere denken, dass sich das doch sehr nach Riester 2.0 anhört. Schauen wir also genauer hin, was derzeit überhaupt bekannt geworden ist:

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) haben am Dienstag ein Spitzengespräch mit Vertretern von Arbeitgebern und Gewerkschaften geführt (konkret: DGB, IG Metall, IG BCE und Verdi sowie die Bundesvereinigung BDA für die Arbeitgeber, Gesamtmetall und die Chemie-Unternehmen) und in diesem Rahmen einige „Durchbrüche“ erzielen können:

Kernstück ist ein „Sozialpartnermodell“ für mehr Betriebsrenten per Tarifvertrag. Zudem ist das Finanzministerium für Zuschüsse zugunsten von Geringverdienern offen. »Demnach soll die betriebliche Altersvorsorge (bAV) unter anderem durch neue Zuschüsse und höhere steuerliche Förderung sowie einen Wegfall von Rentengarantien durch den Arbeitgeber gestärkt werden«, kann man dem Artikel Nahles und Schäuble einigen sich bei Reform der Betriebsrenten entnehmen.

Dazu wurden laut Teilnehmern des „vertraulichen“ Treffens folgende Eckpunkte vereinbart, die für sich und in der Summe betrachtet ein durchaus stimmiges Bild ergeben:

Beitrags- statt Rentengarantie: Unternehmen sollen künftig nicht mehr garantieren müssen, dass Betriebsrenten in einer bestimmten Höhe ausgezahlt werden. Stattdessen soll eine reine Zusage über die Höhe der Beiträge reichen – allerdings nur unter der Voraussetzung, dass Arbeitgeber und Gewerkschaften sich in einem Tarifvertrag darauf einigen.

Zuschüsse: Arbeitgeber sollen künftig Zuschüsse von 30 Prozent erhalten, wenn sie für Geringverdiener 240 bis 480 Euro pro Jahr in die betriebliche Altersvorsorge einzahlen. Diesen Betrag können sie von der Lohnsteuer einbehalten. Wo die Einkommensgrenze liegen soll, ist noch unklar – angeblich soll Schäuble ein Jahresbruttoeinkommen von 24.000 Euro genannt haben.

Steuervorteile: Finanzminister Schäuble hat angeboten, die bereits bestehende steuerliche Förderung auszuweiten. Arbeitnehmer sollen angeblich künftig bis zu sieben Prozent ihres Lohns steuerfrei in Betriebsrenten umwandeln können. Bislang sind es rund 6,4 Prozent.

Niedrigere Sozialbeiträge bei Rentenbezug: Bislang müssen bei der Auszahlung von Betriebsrenten Krankenkassen- und Pflegeversicherungsbeiträge bezahlt werden, und zwar zum vollen Beitragssatz. Hier sollen Betroffene künftig entlastet werden – sofern sie betriebliche Altersvorsorge und private Riester-Rente kombinieren.

Betriebsrenten sollen gerade für Niedrigverdiener attraktiver werden, indem sie bei der Auszahlung nicht mehr vollständig auf die Grundsicherung im Alter angerechnet werden. Unklar ist, wie hoch der Anteil sein soll, den Betroffene behalten dürfen.

Der höhere (aus Steuermitteln zu finanzierende) Förderrahmen und die Variante einer Beitragszusage mit geringeren Haftungsrisiken für Betriebe sind die beiden zentralen Punkte in dem Modell.

Bisher gab und gibt es in der betrieblichen Altersvorsorge drei unterschiedliche Arten von Zusagen: Leistungszusage, beitragsorientierte Leistungszusage und Beitragszusage mit Mindestleistung. Bei allen drei Zusagearten besteht arbeitsrechtlich eine subsidiäre Haftung des Arbeitgebers für die Erfüllung der zugesagten Leistung. Genau das soll geändert werden mit der Einführung einer reinen Beitragszusage: Der Arbeitgeber hätte nur noch für die korrekte Ermittlung und Abführung der zugesagten Beiträge zu sorgen („pay and forget“-Prinzip) – das Erfüllungs- und Haftungsrisiko ginge vollständig auf einen externen Versorgungsträger über.

Für diesen Entlastungsvorstoß zugunsten der Arbeitgeber gibt es einen handfesten Hintergrund, auf den beispielsweise Nadine Oberhuber in ihrem Beitrag Versprochen und gebrochen hingewiesen hat:

»Das Loch ist riesig: 30 Milliarden Euro fehlen derzeit, um all die Pensionszusagen zu erfüllen, die deutsche Betriebe Mitarbeitern gegeben haben. Das hat die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen festgestellt. Vor allem in den neunziger Jahren garantierten viele Betriebe hohe monatliche Auszahlungen, sie machten sogenannte Direktzusagen – im Vertrauen auf gute Gewinne und anhaltend hohe Zinsen.
Die Niedrigzinsphase jedoch „bringt die Arbeitgeber zunehmend in Bedrängnis“, stellt die Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung fest. Laut einer Umfrage der Unternehmensberatung Willis Towers Watson denkt mehr als die Hälfte der Mittelständler darüber nach, ihre betriebliche Altersvorsorge (bAV) anzupassen, jeder dritte will sogar sein Versorgungswerk schließen.«

Und Stefan Sauer berichtet in seinem Artikel Betriebsrenten werden zur Last von einem krassen Beispielsfall:

»Die Lasten waren untragbar geworden. Das Unternehmen zählte nur noch 33 Beschäftigte, denen mehr als 600 ehemalige Belegschaftsmitglieder mit betrieblicher Altersversorgung gegenüber standen. Das konnte nicht gut gehen. Und das tat es auch nicht. Nach 128 Jahren meldete der traditionsreiche Modelleisenbahnhersteller Fleischmann mit Sitz im bayerischen Ansbach im August 2015 Insolvenz an. Die Pensionsverpflichtungen übernahm der Pensions-Sicherungs-Verein. Er war 1975 von den großen Arbeitgeberdachverbänden BDA und BDI gegründet worden, um im Fall der Fälle einzuspringen.« Und: »Die Firma Fleischmann übrigens existiert immer noch. Befreit von den Pensionslasten konnte das Insolvenzverfahren für das Unternehmen, das sich seit sieben Jahren im Besitz einer österreichischen Holding befindet, im Januar mit Erfolg abgeschlossen werden.«

Die Arbeitnehmer sollen motiviert werden mit der Inaussichtstellung geringerer Sozialabgaben in der Auszahlungsphase, ein Thema, das die heutigen Betriebsrentner aufregt und frustriert (vgl. dazu beispielsweise Für die Altersrücklage doppelt zur Kasse gebeten). Allerdings ist es schon perfide, dass die damit verbundene Entlastung angeblich nur dann gelten soll, wenn die Betroffenen die betriebliche Altersvorsorge mit einer Riester-Rente kombiniert haben. Warum diese Koppelung, außer es geht um die Schaffung eines Arguments für das für viele tote Pferd Riester?

Und auch der Punkt, dass Betriebsrenten bei der Auszahlung nicht mehr vollständig auf die Grundsicherung im Alter angerechnet werden sollen, hört sich – unabhängig von der derzeit wohl noch nicht festgelegten anteiligen Höhe der Nicht-Anrechnung – zwar gut an, öffnet aber zugleich ein neues, sozialpolitisch systematisches Problem, auf das Johannes Steffen auf dem Portal Sozialpolitik hingewiesen hat:

»Bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung handelt es sich um ein subsidiäres Sicherungssystem (Fürsorge), das unabhängig von den Ursachen (Kausalität) einer Notsituation sowie ohne das Erfordernis irgendwelcher Vorleistungen (wie etwa Beitragszahlungen in der Sozialversicherung) Hilfebedürftigkeit im Einzelfall beseitigen will (Finalprinzip). Bevor die Grundsicherung (aufstockende) Leistungen erbringt, kann und muss sie daher im Gegenzug verlangen, dass Hilfesuchende zunächst ihre eigenen Kräfte und Mittel einsetzen, um Hilfebedürftigkeit zu vermeiden, zu vermindern oder zu beseitigen. Dies betrifft bei Älteren und voll Erwerbsgeminderten vor allem den Einsatz grundsätzlich sämtlicher Einkünfte und zumutbar verwertbarer Vermögensteile (Anrechnung). Der voraussetzungslosen Bedarfsdeckung auf der einen Seite entspricht also die Bedürftigkeitsprüfung auf der anderen Seite … Einkommensfreibeträge in der Fürsorge führen allerdings c. p. zu einem (evtl. deutlichen) Anstieg des leistungsberechtigten Personenkreises, damit zu steigenden öffentlichen Ausgaben und statistisch schließlich auch noch zu einem höheren Ausweis der Grundsicherungsquote … Davon abgesehen ginge mit einer Privilegierung von Alterseinkommen aus betrieblicher bzw. privater Vorsorge ein tragender Grundsatz der Fürsorge über Bord: Die ausnahmslos final orientierte und von Vorleistungen unabhängige Leistungsbemessung. Ergebnis wäre eine »vorleistungsabhängige Fürsorge«. Mit der Privilegierung ausgewählter, vorleistungsbasierter Einkommen (-steile) in der Grundsicherung käme es wieder – wie in den historischen Anfängen der (staatlichen) Fürsorge – zu einer (sozial- / gesellschaftspolitischen) Unterscheidung zwischen bzw. Separierung in »würdige« und »unwürdige« (Alters-)Arme.«

Bereits in dem Beitrag Die nächste rentenpolitische Baustelle mit der Noch-Hoffnung auf einen großen Wurf ante portas: Betriebliche Altersvorsorge vom 20. Juli 2016 wurde diese Prognose als Fazit in den Raum gestellt, die sich nun zu bewahrheiten scheint – auch mit den angesprochenen Folgen für die Arbeitnehmer:

Um den Verbreitungsgrad der betrieblichen Altersvorsorge vor allem in kleinen und mittleren Unternehmen zu erhöhen, wird es die Einführung der reinen Beitragszusage und die vollständige Enthaftung des Arbeitgebers hinsichtlich der Versorgungsleistungen („pay and forget“) geben. Aus Sicht der Arbeitgeber ist das zentral. Wahrscheinlich wird auch der Betrag für die abgabenfreie Entgeltumwandlung deutlich angehoben. Und damit wird eines sicher eintreten – eine weitere deutliche Erhöhung des Finanzierungsanteils der Beschäftigten an ihren „Betriebsrenten“.

Diese ersten Hinweise mögen verdeutlichen, dass wir es mit einem hoch konfliktären Thema zu tun haben. Und wir haben an dieser Stelle noch gar nicht die grundsätzlichen Anfragen an alle kapitalgedeckten Wege der Altersvorsorge angesprochen.

Kapo – was? Der DGB nimmt mit der Arbeit auf Abruf das Schmuddelkind der Arbeitszeitflexibilisierung ins Visier

Arbeitszeiten sind naturgemäß ein in mehrfacher Hinsicht höchst strittiges Thema: Nicht nur mit Blick auf den grundsätzlichen Konflikt, der daraus resultiert, dass die Arbeitgeber möglichst viel bekommen möchten, während die Arbeitnehmer ein Interesse daran haben, nicht über die Maßen hinaus geben zu müssen. Auch die Verteilung der Arbeitszeiten bietet Stoff für zahlreiche Auseinandersetzungen. Das fängt bei der Urlaubsplanung an und geht über bezahlte bzw. unbezahlte Mehrarbeit oder Nacht-, Wochenend- und Feiertagsarbeit bis hin zu wechselnden Arbeitszeitmustern, beispielsweise bei den Schichtarbeitsmodellen. Wir haben es bei allen hier genannten (potenziellen) Konfliktfeldern rund um das Thema Arbeitszeit immer auch mit der Machtfrage zwischen Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage zu tun, denn eine Verweigerung von Arbeitszeiten muss man sich als Arbeitnehmer erst einmal „leisten“ können, sei es durch die eigene Marktstärke oder aber – im Regelfall – durch gesetzliche oder tarifliche Schutzbestimmungen, zu denen in ganz besonderem Maße auch die betriebliche Mitbestimmung gehört, wenn es denn eine solche gibt. Was in vielen kleinen Unternehmen nicht der Fall ist und in vielen personalintensiven Dienstleistungsbetrieben auch nicht. Dann müssen sich die Beschäftigten warm anziehen, denn gerade in diesen Unternehmen gibt es einen starken betriebswirtschaftlich für sich genommen durchaus verständlichen Impuls, den  Höhepunkt der unternehmerischen Arbeitszeitflexibilisierung zu erreichen – die „Arbeit auf Abruf“.

Mit der „Arbeit auf Abruf“ wird die Flexibilisierung zulasten der Arbeitnehmer auf die Spitze getrieben: »Bei der Arbeit auf Abruf, in der Sprache der Personaler auch kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit (KAPOVAZ) genannt, erbringen die Beschäftigten einen Großteil ihrer Arbeitsleistung je nach betrieblichem Arbeitsanfall. Sie arbeiten also nach Bedarf, über dessen Vorliegen allein der Arbeitgeber entscheidet. Sowohl Lage als auch Umfang der von den Beschäftigten zu erbringenden wöchentlichen Arbeitsleistung kann der Arbeitgeber kurzfristig (laut Gesetz mindestens vier Tage im Voraus) und nach Gutdünken festlegen. Der Zeitraum zwischen den einzelnen Arbeitseinsätzen gilt als sogenannte Rufbereitschaft und wird (anders als Bereitschaftsdienst) nicht bezahlt. Im Extremfall befinden sich KAPOVAZ-Beschäftigte also in ständiger Arbeitsbereitschaft«, so Markus Krüsemann in seinem Blog-Beitrag KAPOVAZ, Arbeit auf Abruf – ein ganz mieses Teilzeitmodell vom 29.10.2015.

Und auch hier wurde bereits über das Thema berichtet: Das deutsche „Jobwunder“ und seine Kelleretagen: „Arbeit auf Abruf“ auf dem Vormarsch. Den möglichen Endpunkt – „Null-Stunden-Verträge“ – kann man schon auf der Insel besichtigen, so ist ein Beitrag vom 31. Mai 2016 überschrieben. Dort wurde berichtet, das beispielsweise in den Läden von Toys“R“Us neun von zehn Mitarbeiter Teilzeitbeschäftigte mit flexibler Arbeitszeit sind. Und der in dem damaligen Blog-Beitrag zitierte Artikel Toys’R’Us-Mitarbeitern reicht Gehalt nicht zum Leben von Anette Dowideit weist zugleich auch auf einen Profiteur hin:

»Für Arbeitgeber sind solche kapazitätsorientierten Verträge attraktiv, da sie – gerade im hart umkämpften Einzelhandel – helfen, die Personalkosten gering zu halten. Sie verhindern, dass Mitarbeiter bezahlt werden müssen, wenn die Läden leer sind, während in Spitzenzeiten keine zusätzlichen Kräfte eingestellt werden müssen.«

Die Inanspruchnahme der Arbeit auf Abruf, die kein neues Phänomen ist, geht offensichtlich nach oben, wie Anette Dowideit in einem anderen Artikel – Die bittere Wahrheit über das deutsche Jobwunder – berichtet:

»Bundesweit sind bereits etwas über anderthalb Millionen Menschen betroffen von den „kapazitätsorientierten variablen Arbeitszeiten“, kurz Kapovaz. Dies hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin auf Anfrage der „Welt“ berechnet.«

Und offensichtlich ist damit noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht, wenn es nach den Arbeitgebern geht: »Tatsächlich ruft die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) bereits nach einer Lockerung der derzeitigen gesetzlichen Vorgaben für solche Verträge: Die Ankündigungsfrist von zurzeit vier Tagen, wann ein Mitarbeiter zum Dienst eingeteilt werde, müsse verkürzt werden, sagte ein BDA-Sprecher auf Anfrage«, berichtet Anette Dowideit in ihrem Artikel Toys’R’Us-Mitarbeitern reicht Gehalt nicht zum Leben. Die totale Flexibilisierung des KAPOVAZ-Arbeitnehmers (der häufig eine Arbeitnehmerin ist), so könnte man das zusammenfassen.

Nunmehr hat sich der DGB der Sache angenommen und zu dem Themen- und Problemkreis diese Studie veröffentlicht:

DGB: Arbeit auf Abruf: Arbeitszeitflexibilität zulasten der Beschäftigten, Berlin: DGB Bundesvorstand, September 2016

Der Zusammenfassung kann man entnehmen:

»Arbeit auf Abruf ist in § 12 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) geregelt und liegt vor, wenn Beschäftigte ihre Arbeitsleistung entsprechend des betrieblichen Arbeitsanfalls – also nach Bedarf – zu erbringen haben. Der Arbeitgeber kann kurzfristig die Lage und teilweise auch das Volumen der von dem/der Beschäftigten zu erbringenden wöchentlichen Arbeitsleistung festlegen. Der/die Beschäftigte in Arbeit auf Abruf ist immer nur dann zur Arbeitsleistung verpflichtet, wenn der Arbeitseinsatz mindestens vier Tage im Voraus angekündigt wird.

Arbeit auf Abruf ist keine Randerscheinung am Arbeitsmarkt. Rund 13 Prozent der Betriebe mit mehr als 10 Beschäftigten nutzen diese Arbeitszeitform (IAB) und mindestens rund 5 Prozent der Beschäftigten sind davon betroffen (SOEP). Eventuelle Dunkelziffern berücksichtigt, dürfte die Zahl sogar noch höher liegen. Die Beschäftigten tragen ein höheres Risiko in Arbeit auf Abruf tätig zu sein, wenn sie in kleinen Betrieben, in bestimmten Branchen (wie bspw. Einzelhandel oder Gastronomie) und/oder wenn sie in Minijobs tätig sind.

Arbeit auf Abruf ist für die Beschäftigten mit Risiken verbunden. In der betrieblichen Praxis bleibt Arbeit auf Abruf oftmals durch die Nichtgewährung von Arbeitnehmerrechten hinter den sozialen und rechtlichen Standards zurück. Hinzu kommen eingeschränkte Möglichkeiten bei der Planbarkeit des Alltags sowie schwankende Einkommen, oftmals gepaart mit niedrigen Löhnen.«

Offensichtlich ist die „Arbeit auf Abruf“ an sich legal, der DGB hat ja schon den Hinweis auf § 12 TzBfG gegeben. Schauen wir uns den Paragrafen einmal genauer an:

§ 12 Arbeit auf Abruf
(1) Arbeitgeber und Arbeitnehmer können vereinbaren, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung entsprechend dem Arbeitsanfall zu erbringen hat (Arbeit auf Abruf). Die Vereinbarung muss eine bestimmte Dauer der wöchentlichen und täglichen Arbeitszeit festlegen. Wenn die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nicht festgelegt ist, gilt eine Arbeitszeit von zehn Stunden als vereinbart. Wenn die Dauer der täglichen Arbeitszeit nicht festgelegt ist, hat der Arbeitgeber die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers jeweils für mindestens drei aufeinander folgende Stunden in Anspruch zu nehmen.
(2) Der Arbeitnehmer ist nur zur Arbeitsleistung verpflichtet, wenn der Arbeitgeber ihm die Lage seiner Arbeitszeit jeweils mindestens vier Tage im Voraus mitteilt.

Gesetzlich ist also bei grundsätzlicher Zulässigkeit der Arbeit auf Abruf als Minimalstandard normiert ein Minimum von 10 Stunden pro Woche (wenn nichts anderes festgelegt wurde) und mindestens drei aufeinanderfolgende Stunden pro Tag (erneut: wenn nichts anderes festgelegt wurde). Das ist natürlich eine äußerst „dünne“ Schutzvorschrift.
Hinzu kommt: Im Absatz 3 des § 12 findet man diese Unterlaufensregelung:

»Durch Tarifvertrag kann von den Absätzen 1 und 2 auch zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden, wenn der Tarifvertrag Regelungen über die tägliche und wöchentliche Arbeitszeit und die Vorankündigungsfrist vorsieht. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages können nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung der tariflichen Regelungen über die Arbeit auf Abruf vereinbaren.«

Das muss man sich mal vorstellen: Die sowieso nicht üppigen Schutzvorschriften für die Arbeitnehmer können durch tarifvertragliche Regelungen – die ja eigentlich einer Besserstellung der Arbeitnehmer zu dienen haben – noch unterlaufen werden. Und gleichsam als Krönung gibt es dann die Option für nicht-tarifvertraglich organisierte Arbeitgeber (und Arbeitnehmer) in diesem Fall einer schlechteren Regelung für die Arbeitnehmer als im Gesetz sich auf den Tarifvertrag, den man ja ansonsten nicht befolgen will, zu beziehen, um davon auch profitieren zu können.

Nach der Untersuchung des DGB sind bis zu 1,9 Millionen Arbeitnehmer betroffen. In der Gastronomie arbeiten mindestens zwölf Prozent der Beschäftigten auf Abruf. Ein großes Problem liegt mit Blick auf die gesetzlichen Minimalstandards in der abweichenden Praxis: Die Arbeitgeber müssen den Beschäftigten mindestens vier Tage im Voraus über seinen Einsatz informieren – laut DGB wird jeder Dritte aber erst am selben Tag kontaktiert, ein weiteres Drittel ein bis drei Tage vorher. Und: Betriebe könnten sich zudem der Entgeltfortzahlung bei Krankheit und Urlaub relativ leicht entziehen, indem sie die Arbeit an diesen Tagen einfach nicht abrufen, so der DGB.

Zu welchen Schlussfolgerungen kommt der DGB nach seiner Bestandsaufnahme des Phänomens „Arbeit auf Abruf“?

»Aus arbeitsmarktpolitischer Sicht sind einseitig flexible Arbeitszeitregelungen wie Arbeit auf Abruf abzulehnen. Um Arbeit auf Abruf seine gesetzliche Grundlage zu entziehen, wäre eine Streichung des § 12 TzBfG notwendig. Zudem braucht es eine Regelung, dass sogenannte Null-Stunden-Verträge unzulässig sind. Solange die Regelung der Arbeit auf Abruf in § 12 TzBfG bestehen bleibt, wäre zumindest eine gesetzliche Klarstellung sinnvoll, dass die tatsächlich geleistete Durchschnittsstundenanzahl als fest vereinbart gilt … Solange Arbeit auf Abruf in ihrer derzeitigen Ausgestaltung bestehen bleibt, gilt es diese Arbeitszeitform weiter zu begrenzen:

Gewerkschaften und Betriebsräte können KAPOVAZ begrenzen, indem Gewerkschaften weiterhin keine Tarifverträge abschließen, die die im § 12 TzBfG gewährten Verschlechterungsmöglichkeiten beinhalten. Und Betriebsräte können für eine Eingrenzung sorgen, indem sie gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG die Zustimmung zur Einführung von KAPOVAZ verweigern bzw. Teilzeitregelungen vereinbaren, die KAPOVAZ ausschließen.« (DGB 2016: 15).

Aber der DGB sieht natürlich selbst und betont das auch: Damit wäre immer noch nicht den Beschäftigten in nichtmitbestimmten Betrieben geholfen.

An dieser Stelle werden die Vorschläge des DGB zwangsläufig ziemlich – na ja: So könnten Arbeitsagenturen und Jobcenter bei der Eindämmung von KAPOVAZ (und Minijobs) eine Rolle spielen, indem sie kleinere und mittlere Unternehmen auch zu arbeitsorganisatorischen Fragestellungen beraten. Das erscheint doch jetzt eher theoretischer Natur. Oder auch dieser Punkt: »Ausgebaut werden sollte ebenso die Weiterbildungsberatung für Arbeitslose und Beschäftigte. Ein Ergebnis der Analyse ist, dass das Risiko auf Abruf beschäftigt zu sein mit zunehmendem Qualifikationsniveau sinkt. Folglich steigt im Umkehrschluss das Risiko bei den weniger gut qualifizierten Arbeitskräften.« Nun wird man nicht wirklich alle zu gut qualifizierten Beschäftigten machen können, so richtig und wichtig eine vernünftige Qualifizierungsstrategie auch ist.

Fazit: Eigentlich müsste die legale Form der Arbeit auf Abruf, so der DGB, abgeschafft werden. Aber man ahnt dort auch, dass das kaum durchsetzbar sein wird, allein schon aufgrund des Gewichts, den mittlerweile die Dienstleistungen gewonnen haben, unter denen sich viele befinden, die ein großes Interesse und nicht selten auch einen betriebswirtschaftlichen Zwang haben, dass diese für sie gute Arbeitszeitflexibilisierung erhalten bleibt.

Wahrscheinlich wird man in der kommenden Zeit in einen dieser typischen Abwehrkämpfe getrieben angesichts der Forderung der Arbeitgeber, selbst die derzeit nich bestehende 4-Tage-vorher-Informationspflicht für den Arbeitgeber aufzuweichen respektive abzuschaffen. Aber wenn einem das gelingt, wird man feststellen müssen, dass dieses Kriterium zwar auf dem Papier steht, für viele Betroffene aber gar keine Relevanz hat, weil sich die Arbeitgeber (und letztendlich auch die betroffenen Arbeitnehmer) nicht daran halten und in der Praxis tagtäglich anders verfahren wird. Wir sind hier mit einem systemischen Problem konfrontiert, für das es keine einfachen Antworten gibt. Aber das ist ja nicht wirklich neu in der Sozialpolitik.