Bessere Arbeitsbedingungen in der Plattformökonomie – eine mögliche Regelung auf der europäischen Ebene „von Deutschland“ blockiert?

Die Bundesregierung besteht bekanntlich aus drei Parteien, die sich in einer „Ampel-Koalition“ zusammengeschlossen haben: SPD, Grüne – und FDP. Während sich Sozialdemokraten und Grüne in vielen gerade sozialpolitisch relevanten Fragen durchaus nahe stehen, vertritt die FDP oftmals davon abweichende Positionen und die Liberalen tun sich erkennbar schwer mit so manchem Vorhaben der beiden anderen Partner. Das reicht dann bis hin zu einer versuchten Positionierung der FDP-Politik als Gegengewicht zu den beiden „linken“ Parteien im eigenen Regierungsbündnis, wie das der FDP-Chef, der amtierende Bundesfinanzminister Christian Lindner, auch öffentlich vorträgt.

Eine solche Vorbemerkung erscheint wichtig, um solche viele erst einmal irritierende Meldungen einordnen zu können: »Verhandlungen in der Europäischen Union über bessere Arbeitsbedingungen von Beschäftigten bei Onlineplattformen wie Lieferando, Uber oder Gorillas sind vorerst gescheitert. Offenbar konnte sich die Bundesregierung nicht auf eine gemeinsame Linie einigen. Hätte Berlin dem Vorhaben zugestimmt, hätte es nach Informationen von EU-Diplomaten eine ausreichende Mehrheit dafür gegeben«, kann man diesem Bericht entnehmen: EU-Regeln für Dienste wie Lieferando: Bessere Arbeitsbedingungen blockiert. Und direkt unter der Überschrift werden wir darüber informiert: »Alle EU-Staaten waren bereit – nur die Bundesregierung wegen des FDP-Widerstands nicht: Die Verhandlungen über bessere Arbeitsbedingungen für Beschäftigte von Onlineplattformen sind gescheitert – zumindest vorerst.« Was ist da los?

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„Uber-Nurses“? In Kalifornien könnte die App-basierte Personalvermittlung von „selbstständigen“ Pflegekräften Wirklichkeit werden

Vielleicht erinnert sich der eine oder andere noch an diese Volksabstimmung im US-amerikanischen Bundesstaat Kalifornien: Parallel zur Wahl des Präsidenten im November 2020 haben die Kalifornier auch über die Zukunft von Uber und Co. abgestimmt. Das Ergebnis: Sie müssen ihre Fahrer weiterhin nicht fest anstellen. »Die Fahrdienstanbieter Uber und Lyft sowie die Lieferdienste Doordash und Postmates haben im Rahmen einer Volksabstimmung im US-Bundesstaat Kalifornien ein Gesetz gekippt, das Fahrern auf ihren Plattformen den Status von Mitarbeitern zusprach«, berichtete Jana Kugoth unter der Überschrift Uber und Co. müssen Fahrer nicht anstellen. 58 Prozent hatten sich dafür ausgesprochen, die Fahrer als Selbstständige zu behandeln, knapp 42 Prozent waren dagegen. »Die Signalwirkung dieser Abstimmung dürfte weit über die Grenzen des Bundesstaates hinausgehen.«

Die „Proposition 22“ war die von Konzernen vorangetriebene und finanzierte Reaktion auf ein bereits in Kraft getretenes Gesetz. Darin verpflichtete die kalifornische Regierung die Unternehmen dazu, die auf der Plattform registrierten unabhängigen Auftragnehmer regulär anzustellen. Sie sollten damit den Anspruch auf Zusatzleistungen wie Urlaub und Arbeitslosenversicherung bekommen. Das Ergebnis des Referendums zugunsten der Plattformbetreiber war speziell in Kalifornien überraschend – die dort eigentlich dominierenden Demokraten hatten sich vor der Abstimmung klar gegen Uber, Lyft und die anderen Anbietern gestellt. Ein Gericht des Bundesstaates hat dann später das Abstimmungsergebnis für verfassungswidrig erklärt, wogegen die Konzerne, die hinter der „Prop 22“ stehen, Berufung eingelegt haben.

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Selbstständig oder doch nicht? Von abhängigen Not- und weiteren Ärzten auf der einen und Chefdirigenten auf der anderen Seite

»Seit vielen, sehr vielen Jahren wird immer wieder auch vor Gericht darüber gestritten, ob jemand als „freier Mitarbeiter“ und damit als Selbstständiger arbeitet bzw. arbeiten kann – oder aber nicht. Denn dann handelt es sich um einen abhängig beschäftigten Arbeitnehmer, für den andere Spielregel gelten, beispielsweise müssen Sozialabgaben gezahlt werden und es wird ein Arbeitsverhältnis begründet, mit dem für den Arbeitgeber ganz andere Pflichten verbunden sind als wenn der einen Auftrag vergeben würde an einen (formal) selbstständigen Unternehmer (seiner selbst).« So beginnt der Beitrag Über einen unfreien, als freien Mitarbeiter deklarierten Physiotherapeuten und die Bedeutung eines Urteils für andere (nicht nur) Gesundheitsberufe, der hier am 1. Oktober 2021 veröffentlicht wurde. Darin ging es nicht nur um (scheinselbstständige) Physiotherapeuten, sondern auch um den allerdings gerichtlich zurückgewiesenen Versuch, „freiberufliche“ Pflegekräfte in Pflegeheimen und Kliniken, eingebettet in „normale“ Belegschaften und Abläufe, zu nutzen (vgl. dazu z.B. BSG Urteil vom 7.6.2019 – B 12 R 6/18 R – BSGE 128, 205 = SozR 4-2400 § 7 Nr 44).

Man ahnt bereits hier, dass wir uns in einer höchst umstrittenen, weil ganz unterschiedliche Interessen betreffende Zone befinden. Aus einer sozialstaatlichen Perspektive und damit nicht nur, aber auch mit Blick auf die immer noch überwiegend an die Löhne aus abhängiger Erwerbsarbeit gekoppelten Sozialversicherungsbeiträge wird man verhindern wollen, dass sich Arbeitgeber ihren Pflichten aus einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis – und das sind nicht nur Finanzierungspflichten – dadurch zu entziehen versuchen, in dem sie an sich abhängige Arbeit in eine „selbstständige“ umetikettieren. Dahinter steht das legitime Interesse, Scheinselbstständigkeit zu verhindern.

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