Der AOK-Bundesverband hat sich zu Wort gemeldet mit mehr als bedenklichen Zahlen vor dem Hintergrund des sowieso schon enormen Personalmangels in der Pflege und den kontinuierlich steigenden Anforderungen wie auch einer zunehmenden Nachfrage nach Pflegeleistungen, vor allem in der Langzeitpflege.
»Nie zuvor waren Beschäftigte in der Pflege so oft krankgeschrieben wie im vergangenen Jahr: Drei von vier Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die professionell pflegen, haben sich 2022 mindestens einmal arbeitsunfähig gemeldet. Insgesamt fielen sie an 8,8 Prozent aller Arbeitstage aus, so oft wie nie zuvor. 2021 hatte dieser Anteil noch bei 7,2 Prozent und vor elf Jahren sogar bei 6,1 Prozent gelegen. Damit ist der Krankenstand in der Pflege in den vergangenen elf Jahren um 44,2 Prozent gestiegen.« Das geht aus einer aktuellen Analyse der Arbeitsunfähigkeitsdaten des AOK-Bundesverbandes hervor.
„Die Anforderungen an die Pflege sind in den vergangenen Jahren gestiegen. Hinzu kommen Belastungen durch den andauernden Personalmangel. Das geht häufig zulasten der Gesundheit der Beschäftigten“, so die Einordnung von Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes.
Wie sieht es aus im Vergleich mit anderen Berufsgruppen? Mehr als 30 Prozent über dem Durchschnitt aller Berufstätigen
»Der Krankenstand-Vergleich mit anderen Berufsgruppen zeigt: Die knapp 700.000 AOK-versicherten Beschäftigten in der Pflege lagen im vergangenen Jahr durchschnittlich bei 32 Arbeitsunfähigkeitstagen (AU-Tage) je AOK-Mitglied und damit acht Fehltage (30,6 Prozent) über dem Durchschnitt aller bei der AOK versicherten Berufstätigen.«
Die Abbildung mit der Entwicklung des Krankenstandes seit 2012 verdeutlicht nicht nur, dass es in allen Jahren ein deutlich überdurchschnittliches Niveau der Arbeitsunfähigkeiten bei Pflegeberufen gegeben hat, sondern man erkennt auch den markanten Anstieg bei allen Beschäftigten im vergangenen Jahr. Hierzu kann man der Analyse entnehmen:
»Am häufigsten krankgeschrieben waren Beschäftigte in Pflegeberufen aufgrund von Atemwegserkrankungen. Die Anzahl der Fälle mit dieser Diagnose hat sich im Vergleich zu 2021 mehr als verdoppelt. Statistisch hat fast jede Pflegeperson diese Diagnose einmal bekommen und blieb damit durchschnittlich acht Tage zu Hause. Im Vergleich: Um eine Muskel- und Skelett-Erkrankung auszukurieren, waren durchschnittlich 20 Tage nötig, für eine psychische Erkrankung etwa 33 Tage.«
Wir erinnern uns – das waren oftmals die Ausfälle, die durch die Corona-Pandemie zu beklagen waren. In der Corona-Pandemie und während der außergewöhnlich starken Infektionswelle im Herbst 2022 wurden die Folgen des Personal- und Fachkräftemangels schlagartig für nahezu jeden und jede deutlich spürbar. Auch in vielen Unternehmen außerhalb des Gesundheitswesens.
Quelle: AU-Daten aller AOK-Mitglieder, AOK-Bundesverband 2023
Es ist ein besonders problematischer Teufelskreis, der hier erkennbar wird. Bei einer bereits vorhandenen erheblichen Personalmangellage in vielen Einrichtungen und Diensten reißen die überdurchschnittlich hohen Krankenstände der Beschäftigten weitere Löchern in die fragilen Dienstpläne, denn es handelt sich um Tätigkeiten, die beispielsweise in den Pflegeheimen an 7 Tagen in der Woche 24 Stunden lang erbracht werden müssen, wo man die Arbeit nicht liegen lassen kann. Was dann natürlich bei denen, die noch an Bord sind, zu einer strukturellen Überlastung führt und diese verstärkt, weil man in der Not, die auf Dauer gestellt wird, immer auf den Rest zurückgreifen muss, was bei vielen von denen die eigene Ausfallwahrscheinlichkeit nach oben treibt.
Mit dem Thema „Gesundheitsrisiko Personalmangel“ hat sich auch der DAK Gesundheitsreport 2023 detailliert auseinandergesetzt:
➔ Andreas Storm (Hrsg.) (2023): Gesundheitsreport 2023. Analyse der Arbeitsunfähigkeiten. Gesundheitsrisiko Personalmangel: Arbeitswelt unter Druck. Beiträge zur Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung Band 44, Hamburg: DAK-Gesundheit, April 2023
Daraus einige Erkenntnisse zu allen Bereichen der Arbeitswelt, nicht nur der Pflege: 45 Prozent der Beschäftigten erleben regelmäßigen starken oder sehr starken Personalmangel im eigenen Arbeitsbereich. Sie sind durchgängig mit der Situation konfrontiert, dass die Arbeit mit dem vorhandenen Personal für sie nur schwer zu bewältigen ist. Durch den Personalmangel steigen die Belastungen bei der Arbeit stark an. Der Termin- und Leistungsdruck ist deutlich erhöht, es werden (noch) mehr Überstunden gemacht, viele Beschäftigte können ihre Pausen nicht nehmen. Die höhere Belastung im Beruf wirkt sich auch negativ auf den privaten Bereich aus. Bei den von erhöhter Arbeitsbelastung Betroffenen kommt es zu vermehrten gesundheitlichen Beschwerden. Das Auftreten von Beschwerden nimmt stetig zum Umfang des erlebten Personalmangels zu.
Der Krankenstand in den Berufsgruppen, die regelmäßig Personalmangel erleben, liegt deutlich über dem bundesweiten Wert von 5,5 Prozent. Eine Ausnahme bilden dabei nur die Berufe in der Informatik- und anderen IT-Berufen. In der Krankenpflege, der Altenpflege oder in der Kinderbetreuung und Erziehung Tätigen sind insbesondere die Fehlzeiten durch psychische Erkrankungen erhöht. Zusätzlich dazu kommt es bei Beschäftigten, die regelmäßig Personalmangel erleben, deutlich häufiger vor, dass sie auch dann arbeiten, wenn sie krank sind.
Wie reagieren Beschäftigte auf diese Situation? Beschäftigte suchen aktiv nach geeigneten Wegen, die hohe Arbeitsbelastung zu reduzieren. Etwa ein Viertel ist bereits verstärkt auf das Arbeiten im Homeoffice ausgewichen (wenn man das denn machen kann, was in vielen Berufsfeldern schlichtweg nicht möglich ist). Etwa sechs Prozent der Beschäftigten haben ihre Arbeitszeit bereits reduziert und weitere 19 Prozent ziehen diesen Schritt in Erwägung.
Und dann landen wir wieder bei der Pflege: Die Beschäftigten in der Krankenpflege, in der Altenpflege und in der Kinderbetreuung haben ihre Arbeitszeit aufgrund der hohen Arbeitsbelastung zu einem deutlich höheren Anteil bereits reduziert oder erwägen diesen Schritt, was den Druck in diesen Beschäftigtengruppen weiter erhöht.
Das aber wird den angesprochenen Teufelskreislauf weiter antreiben.