RISGantes Vorhaben: Beatmungspatienten zukünftig (fast) immer ins Heim oder in eine Intensivpflege-WG? Von vermeintlich guten Absichten, monetären Hintergedanken und einem selbstbestimmten Leben

So hatte sich das der umtriebige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sicher nicht vorgestellt. Am vergangenen Wochenende wurden die Bürger von der Bundesregierung zum Tag der offenen Tür eingeladen und auch das Gesundheitsministerium erwartete viele interessierte und beeindruckbare Besucher, denen sich der Minister, der gleichsam im Akkord neue Gesetze und Vorschläge unter die Leute bringt, bei dieser medientauglichen Gelegenheit als tatkräftiger und zugleich sympathischer Macher präsentieren sollte.

Und da waren sicher auch viele dieser von den Gastgebern gewünschten Besucher anwesend – aber eben zugleich aufgewühlte, empörte Rollstuhlfahrer und andere Menschen mit Behinderungen, die zum einen versucht haben, eine Bühne für ihren Protest zu bekommen, zum anderen wollten sie den Minister zur Rede stellen. Denn sie waren und sind aufgebracht aufgrund der neuesten gesetzgeberischen Aktivitäten des Herrn Spahn. Und dabei geht es nicht um belangloses Zeug, sondern um die „außerklinische Intensivpflege“, um Menschen, die beatmet werden (müssen), um schwerste Krankheiten und bedrückende Schicksale, zugleich um Menschen, die teilhaben wollen am Leben, die sich trotz und gerade wegen ihrer Lage engagieren für Selbstbestimmung. Warum aber haben die Aktivisten aus der Behindertenbewegung versucht, dem Minister einen so schönen Sonntag zu versauern? Ist das nicht traurig angesichts der Tatsache, dass das Haus des Herrn Spahn einen Referentenentwurf für ein Intensivpflegestärkungsgesetz vorgelegt hat, es also doch offensichtlich darum geht, dass etwas besser werden soll?

„Am … Tag der offenen Tür der Bundesregierung demonstrierten 200 Menschen mit Behinderungen im Bundesgesundheitsministerium. Sie besetzten die Bühne, stellten Fragen auf der Bundespressekonferenz … Wenige Minuten nachdem der Aktivist Raul Krauthausen sich Minister Spahn in den Weg stellte und ihm die Forderung der Protestierenden zum Entwurf des Reha- und Intensivpflegestärkungsgesetz (RISG) mitteilte, twitterte das BMG ein Foto der Zwei. Jens Spahn habe sich mit Raul Krauthausen zu einem Gespräch getroffen, heißt es in diesem.« Dem hat Krauthausen – siehe Tweet – widersprochen. „Es war ein bezeichnendes Symbolbild für die Welten, die aufeinander prallten.“ (Quelle: Pressemitteilung nach Protest zum #RISG, 18.08.2019)

mehr

Immer diese böse Bürokratie. Sie verhindert die Besetzung neuer Stellen in der Altenpflege. So die gut platzierte Botschaft. Ist das aber auch so?

Viele werden sich erinnern: »Wir wollen das Vertrauen der Pflegekräfte durch Sofortmaßnahmen zurückgewinnen und den Alltag der Pflegekräfte schnellstmöglich besser machen. Deshalb sorgen wir mit dem Sofortprogramm Pflege für mehr Personal, eine bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege. Stationäre Einrichtungen und Krankenhäuser erhalten finanzielle Anreize, um mehr Pflegekräfte einzustellen und auszubilden: Jede zusätzliche Pflegekraft in Krankenhäusern wird finanziert. In der stationären Altenpflege sorgen wir für 13.000 neue Stellen.« So kann man es auf der Seite des Bundesgesundheitsministeriums lesen unter dem Punkt „3. Stellen schaffen (Sofortprogramm Pflege)“ bei den Erläuterungen, wie man sich die Pflegestrategie der Bundesregierung vorstellen soll. Das war im vergangenen Jahr – und ursprünglich sollten es eigentlich nur 8.000 Stellen sein für die stationäre Altenpflege, die hatte man dann nach den ersten Reaktionen – angesichts der Tatsache, dass wir mehr als 13.000 stationäre Pflegeeinrichtungen in Deutschland haben – auf die 13.000 augehübscht.

Unabhängig von einer Bewertung der Größenordnung der zusätzlichen neuen Stellen muss man auch das hier in Erinnerung rufen: Es sollte nicht nur um „irgendwelche“ Pflegekräfte gehen, sondern die 13.000 versprochenen Stellen werden für einen ganz bestimmten Bereich finanziert – der „medizinischen Behandlungspflege“ in den Einrichtungen. Darunter versteht man ausschließlich medizinische Leistungen, die von examinierten Pflegekräften bei einem pflegebedürftigen Patienten in diesem Fall in einer stationären Einrichtung durchgeführt werden und zwar auf der Basis einer ärztlichen Verordnung. Es geht hier um Tätigkeiten wie Wundversorgung, Verbandswechsel, die Medikamentengabe, Dekubitusbehandlung oder Blutdruck- und Blutzuckermessung.

mehr

Pflege als Pflegefall: Die Pflege anderer geht bei vielen Pflegekräften auf deren Gesundheit. Befunde aus dem Gesundheitsreport 2019 der Techniker Krankenkasse

Mittlerweile sollte es bei jedem angekommen sein: In den Pflegeberufen herrscht Mangel. Überall offene Stellen, die über Monate nicht oder nie besetzt werden können. In der Hierarchie der Not steht die Altenpflege ganz oben. Und während die Politik immer noch darüber rätselt, wie sie ihrem Versprechen beispielsweise auf höhere Löhne in der Altenpflege echtes Leben einhauchen kann, halluzinieren andere, vor allem die Funktionäre der privatgewerblichen Träger von Pflegeheimen, von unzähligen gut qualifizierten Pflegekräften aus allen Ländern der Welt, die nur darauf warten, hier bei uns den Pflegenotstand zu lösen, wenn man sie nur endlich rein lassen würde.

Derweilen saufen viele derjenigen, die in den Pflegeheimen, den ambulanten Diensten und den Kliniken den Betrieb am Laufen halten, ab. Das kann man beispielsweise daran erkennen, dass selbst die teilweise mehr als fragwürdig niedrig angesetzten Pflegepersonaluntergrenzen in vielen Krankenhäusern nicht eingehalten werden können – dazu der Beitrag Krankenhäuser zwischen Volksbegehren gegen den Pflegenotstand und unsicheren Pflegebudgets im kommenden Jahr vom 18. Juni 2019. Und die Flucht aus der Pflege wird dann für einen Teil derjenigen, die noch da sind, immer attraktiver, weil sie nicht auf Dauer verschlissen werden wollen durch die Überlast, die gefahren werden muss mit denen, die da sind. Ein offensichtlicher Teufelskreis. Und das hat auch Folgen für die eigene Gesundheit, wie man nun an den neuen Daten aus dem Gesundheitsreport 2019 der Techniker Krankenkasse zeigen kann.

mehr