Deutsche Post DHL bald allein zu Haus? Noch nicht. Zur Post-Variante modernen Streikbrechertums. Dazu gehört: Festes Schuhwerk mitbringen

Gegen die Ausgliederung von Unternehmensteilen haben mittlerweile mehr als 32.000 der insgesamt etwa 140.000 inländischen Beschäftigte der Post ihre Arbeit niedergelegt. So die Angaben der Gewerkschaft ver.di. Die Fronten zwischen Verdi und der Post sind verhärtet. Um seine Lohnkosten zu drücken und auf Dauer mit der billigeren Konkurrenz auf dem Paketmarkt mithalten zu können, hat der Konzern die Paketzustellung teilweise in neue Regionalgesellschaften mit niedrigeren Löhnen ausgelagert. Die Hintergründe sind hier in mehreren Beiträgen dargestellt und eingeordnet worden, vgl. beispielsweise Endlich viele neue Jobs. Und dann wieder: Aber. Die Deutsche Post DHL als Opfer und Mittäter in einem Teufelskreis nach unten vom 25.01.2015, Billiger, noch billiger. Wo soll man anfangen? Karstadt, Deutsche Post DHL, Commerzbank … und Primark treibt es besonders konsequent vom 08.02.105 oder Die Deutsche Post DHL schiebt den Paketdienst auf die Rutschbahn nach unten und einige sorgen sich um Ostergrüße, die liegenbleiben könnten vom 30.03.2015.
Seit drei Wochen nun bestreikt die Gewerkschaft ver.di die Deutsche Post DHL.

Und die Folgen werden immer offensichtlicher, zumindestens berichten viele Medien über einen enormen Rückstau an Sendungen in den Verteilzentren und teilweise müssen Lagerhallen angemietet werden für die Postsendungen, die ihren Empfänger nicht erreichen können. Der Konzern versucht dagegen zu halten, erst am Wochenende wieder durch Sonntagsarbeit bis hin zur Beschäftigung von Freiwilligen und Mitarbeitern aus „Kundenunternehmen“ – aber vor allem durch den Einsatz von Streikbrechern aus Osteuropa. Und da geht es – neben dem Sonderfall des Einsatzes von Beamten – wieder um Leiharbeit und Werkverträge. Wenn man diese Instrumente kombiniert mit der Ausnutzung des enormen Wohlstandsgefälles zwischen Deutschland und Osteuropa, dann bekommt man die Umrisse modernen Streikbrechertums.

In der Print-Ausgabe der FAZ vom 26.06.2015 wird darüber in dem Artikel „Freiwillige Paketzusteller dringend gesucht“ berichtet. Und das, was man dort zu lesen bekommt, entbehrt nicht bei allem Ernst der Lage einer gewissen Situationskomik:

»Der Konzern trommelt seine Hilfstruppen zusammen, um sich auf die vierte Streikwoche vorzubereiten. „Die Lage ist unverändert – speziell in der Paketzustellung“, heißt es in einer Rundmail, mit der die Post um neue Freiwillige in der Paketzustellung wirbt. Gesucht werden Ausputzer für Hamburg, Düsseldorf, Nürnberg und Berlin, mindestens für drei Tage, möglichst aber für die ganze kommende Woche. Wohnen werden sie auf Kosten der Post im Hotel, die Buchung „erfolgt über die Kollegen direkt vor Ort“. Damit die Pakete in der fremden Stadt auch ankommen, muss improvisiert werden. Navigationsgeräte sind bei der Post anscheinend Mangelware. „Um die Zustelladressen finden zu können“, sollen die Freiwilligen von zu Hause mitbringen, was so da ist, egal ob Smartphone oder TomTom, „idealerweise mit Fahrzeugladegerät“, steht in der Mail. Auch Dienstkleidung ist rar. T-Shirts mit DHL/Post-Logo stünden „vermutlich“ zur Verfügung, aber alles andere, vor allem festes Schuhwerk, sollen die Freiwilligen in den Koffer packen.«

Beamte und Freiwillige füllen im Arbeitskampf derzeit einige Lücken. Gegen den Beamteneinsatz als Streikbrecher klagt Verdi vor dem Arbeitsgericht Bonn, das kommenden Donnerstag entscheiden will, vgl. hierzu den Artikel Ver.di bringt Streit um Beamteneinsatz erneut vor Gericht. Wohl wesentlich relevanter ist der Einsatz von ausländischen Streikbrechern.

»Zusätzlich greift der Konzern in großem Stil auf Leiharbeitnehmer zurück. Nach Recherchen von Verdi sind rund 2.300 dieser Aushilfen im Einsatz, darunter viele aus Osteuropa. Fast 2.000 Leiharbeitnehmer seien allein in den Paketzentren beschäftigt.«

Anwendung findet dabei das Instrumentarium der Leiharbeit in Kombination mit Werkverträgen. Denn die Rechtslage ist an sich kompliziert. Aus der deutschen Binnenperspektive ist erst einmal hervorzuheben, dass das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz ausführt, dass Leiharbeiter nicht gegen ihren Willen als Streikbrecher eingesetzt werden dürfen. Nun wird man bereits an dieser Stelle mit einer ordentlichen Portion Zweifel anmerken können und müssen, dass es wie so oft einen Unterschied geben kann und wird zwischen Theorie und Praxis, denn auch wenn Leiharbeiter theoretisch das Recht haben, sich einem solchen Einsatz zu verweigern, dann wird es in praxi angesichts der prekären Lage, in der sich viele Leiharbeiter befinden, zweifelhaft sein, ob sie eine solche Verweigerung auch tatsächlich realisieren können.

In dem FAZ-Artikel wird dazu auch ein Konzernsprecher der Deutschen Post selbst zitiert:

Die Post arbeite seit Jahren mit unterschiedlichen Zeitarbeitsfirmen in der EU zusammen, auch im Falle von Streiks greife man auf deren Mitarbeiter zurück. „Dabei hält sich die Deutsche Post AG an alle gesetzlichen Vorschriften, das heißt, wir setzen nicht rechtswidrig Streikbrecher ein.“

Die über den DGB-Tarifvertrag gebundenen Leiharbeitsfirmen stellen keine Arbeitnehmer für bestreikte Arbeitsplätze ab. Deshalb geht ja die Deutsche Post auch einen anderen Weg: Die Post kooperiert entweder mit nichttarifvertragsgebundenen Unternehmen oder sie zieht einen Werkvertrag dazwischen. Dadurch läuft die Streikklausel des DGB-Tarifvertrages und ebenso das gesetzlich normierte Leistungsverweigerungsrecht für Leiharbeitnehmer ins Leere.

Welche Formen das dann praktisch annehmen kann, schildert Kirsten Bialdiga in ihrem Artikel Aushilfen aus dem Container: »Während Tausende Mitarbeiter streiken, setzt die Post slowakische Saisonarbeiter ein. Ein Teil von ihnen lebt in beengten Unterkünften. Betriebsräte sind deshalb empört: Der Konzern nutze „die Notsituation dieser Leute“ aus«, so beginnt ihr Bericht.

»Kanariengelb sind sie angestrichen, die Container. Gelb wie die Farbe der Deutschen Post. Doch in diesen Containern im Münsterland lagern keine Päckchen oder Briefe. In diesen Containern wohnen Saisonarbeiter aus der Slowakei, die für die Post arbeiten. Dicht an dicht stehen die Behausungen, in mehreren Reihen an unbefestigten Wegen auf dem Gelände eines Gartenbaubetriebes. Zur Schicht im Paketzentrum im nahegelegenen Greven werden die Arbeiter von einem Bus abgeholt, später wieder zurückgebracht.
Drinnen im Container ist es dunkel, das Auge muss sich erst an das Dämmerlicht gewöhnen. Im hinteren Teil stehen vier Stockbetten, davor ein paar primitive Regale. Der Raum in der Mitte ist so schmal, dass schon eine Person sich kaum umdrehen kann, ohne irgendwo anzustoßen. Geschweige denn vier. So viele sind es, die sich mitunter einen dieser Wohncontainer teilen.«

Offensichtlich arbeitet die Deutsche Post hier mit Bedingungen, wie man sie in Deutschland sonst eher beim Spargelstechen oder in der Fleischindustrie findet. Werden sie wenigstens ordentlich bezahlt? Keine Frage, so die Post: »Der Stundenlohn betrage für alle Arbeiter inklusive der Zuschläge und Zulagen 13 Euro.«

Kirsten Bialdiga befragt die Arbeiter in den Containern. Auf den ersten Blick scheint das zu stimmen, was die Post behauptet: » Er verdiene zehn Euro in der Stunde plus Zuschläge, sagt er. Also in etwa 13 Euro«, so wird ein Arbeiter zitiert. Also alles in Ordnung? Offensichtlich nicht, denn:

»Doch dann gibt der slowakische Arbeiter etwas zu Protokoll, das die Rechnung verändern würde. Für den Wohncontainer, sagt der junge Mann, zahle er pro Tag zehn Euro Miete. Das wären 300 Euro im Monat. Dass die Arbeiter für ihre beengte Unterkunft zahlen müssen, bestätigte auch ein Insider, der nicht Arbeitnehmerkreisen zuzurechnen ist.«

Und am Ende des Artikels wieder der Hinweis auf das, was man als „Asymmetrie“ am Arbeitsmarkt bezeichnen kann – oder aber schlicht als Ausnutzung des Wohlstandsgefälles zwischen hier und Osteuropa, auf dem weite Bereiche des modernen Tagelöhnertums in unserem Land basieren: Der Arbeiter, der gegenüber der Journalistin Auskunft erteilt hat, »braucht Geld, und deshalb ist er in Deutschland. So sehen es auch seine Kollegen. Nicht alle sind daher über seine Auskünfte erfreut. Ein Landsmann stellt sich den Besuchern in den Weg, er will, dass sie gehen. Zu groß sei die Sorge, dass es Konsequenzen geben könnte, dass sie ihren Job verlieren.«

Billig hat einen hohen Preis. Die Piloten bei Ryanair und die „zu teuren Auslaufmodelle“ bei der Deutschen Post

Viele Menschen in Deutschland lieben es – billig fliegen. Was gibt es im Luftverkehr mittlerweile für Angebote: für wenige Euro in andere Länder reisen. Und immer ganz vorne dabei: Ryanair. Bei dem irischen Billigflieger brummt das Geschäft.  Allein im Geschäftsjahr 2014 konnte diese Billigairline den Gewinn um knapp zwei Drittel auf  867 Millionen Euro steigern. Ein neuer Rekord. In einem Artikel über den Billigflieger-Markt berichtet Stephan Happel: »Billig ist auf einem neuen Höhenflug: In Deutschland fliegen Low-Cost-Airlines auf so vielen Strecken wie nie zuvor … Gut für die Passagiere: Der steigende Wettbewerbsdruck lässt die Preise fallen … Der Einfluss der der günstigen Airlines ist insgesamt hoch: Sie verkauften im vergangenen Jahr rund 67 Millionen der 209 Millionen an deutschen Verkehrsflughäfen gelösten Tickets. Im Klartext: Fast jeder dritte Passagier setzt auf die Billigheimer.«

Eine aktuelle Marktübersicht findet sich im Low Cost Monitor 1/2015 des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Analysten warnen schon vor einem „Preiskrieg“ durch Überkapazitäten am Himmel über Europa. Vor allem in Deutschland wachse das Angebot an Flügen deutlich stärker als die Nachfrage, was wiederum den Druck auf die (niedrigen) Preise und damit den Kostensenkungsdruck erhöht. Der DLR-Marktübersicht kann man entnehmen: Je nach Linie lagen die über alle Strecken ermittelten Durchschnittspreise inklusive Gebühren und Steuern zwischen 50 und 130 Euro. Anfang 2014 lag die durchschnittliche Preisspanne zwischen 70 und 160 Euro brutto. Dieser enorme Wettbewerbsdruck (nach unten) strahl auch auf andere Unternehmen aus: Die Deutsche Lufthansa baut gerade die Tochter Eurowings zu einem veritablen Billigflug-Anbieter aus. Die Kosten der Noch-Regionalfluggesellschaft Eurowings liegen nach Schätzungen 40 Prozent unter dem Lufthansa-Niveau – aber immer noch über dem Kostenniveau bei Ryanair. 

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Wenn der Appel den Mehdorn macht, ist Gefahr im Verzug. Oder: Wenn Streikaktionen der Gewerkschaften bei der Deutschen Post mehrere und leider auch gute Gründe haben

Bei der Deutschen Post hat es Warnstreikaktionen gegeben. Während sich der eine Teil der Berichterstattung auf möglicherweise nicht zugestellte österliche Grüße fokussiert, wird in anderen Berichten der Frage nachgegangen, warum die Arbeitskampfaktionen, die sich nach dem 14. April, wenn die nächste Verhandlungsrunde zwischen Gewerkschaften und Deutscher Post ansteht, nicht nur fortgeführt und intensiviert werden, sondern warum das auch seine Berechtigung hat.
Hierzu beispielsweise der Artikel Appels Sparkurs gefährdet Service und Qualität von Jacqueline Goebel. »Mit drastischen Einsparungen will Post-Chef Frank Appel den Gewinn von drei auf fünf Milliarden Euro im Jahr 2020 steigern. Doch der Kurs gefährdet die Qualität des Angebots und damit langfristig auch das Geschäft«, so ihre Zusammenfassung.

Einige weitere Punkte aus dem Artikel seien hier zitiert:

Um 60 Prozent stieg im vergangenen Jahr die Zahl der Beschwerden von Verbrauchern bei der Bundesnetzagentur über schlechte und unpünktliche Zustellung von Briefen und Paketen.
Nach Schätzungen des Postagenturnehmerverbandes droht 30 Prozent der 25.000 Filialen und Paketshops hierzulande das Aus, weil die Deutsche Post sie mit neuen Verträgen an den Rand der Wirtschaftlichkeit drängt.

Schon lange nicht mehr war der Arbeitsfrieden bei der Post so in Gefahr wie jetzt. Auslöser ist die Gründung von Niedriglohntöchtern für neue Paketboten. Die Gewerkschaften fühlen sich maximal provoziert, erstmals seit Jahrzehnten droht ein Streik im ganzen Unternehmen.

Post-Chef Appel seine Personalchefin Melanie Kreis und den Chef der Brief- und Paketsparte, Jürgen Gerdes, zum kompromisslosen Kostendrücken in Deutschland verpflichtet. Das ist nur möglich, wenn er vor allem an den Lohnkosten spart, denn eine Erhöhung des Paketportos wird durch den verschärften Wettbewerb kaum gelingen.

Goebel argumentiert hinsichtlich der Gefahren, die der eingeschlagene Kurs der Führungsspitze der Deutschen Post beinhaltet, mit einer interessanten Analogie:

»Appels Kurs ruft Erinnerungen an die Deutsche Bahn wach. Um den Staatskonzern fit für die Börse zu machen, sparte der damalige Vorstand Hartmut Mehdorn … das Unternehmen in Grund und Boden: beim Personal, bei der Pflege und Instandhaltung des Schienennetzes, bei den Zügen. Die Finanzkrise vereitelte den Börsengang, Mehdorn trat ab. Zurück blieb ein ausgezehrter Konzern mit gravierenden Mängeln bei Service und Pünktlichkeit. Nachfolger Rüdiger Grube blieb nur, von der Kostenbremse zu gehen und kräftig Personal einzustellen.«

Aber die Deutsche Post spielt nicht nur mit den eigenen Mitarbeitern durch die Verlagerung in Billigtöchter rabiat um, sondern verschlechtert auch massiv die Bedingungen für die vielen Selbständigen, die in der Fläche (noch) das Angebot der Post aufrechterhalten:

»Um die Gewinne zu steigern, verlangt die Post von ihren selbstständigen Filialbetreibern, den sogenannten Postagenturpartnern, große finanzielle Zugeständnisse. Sie sollen künftig keine festen Zuschüsse mehr für Angebote wie Postfächer oder Geldauszahlungen der Postbank erhalten, sondern nur noch Provisionen, abhängig von den Einnahmen. „Damit sind alle Kosten und Risiken auf die Agenturpartner ausgelagert“, sagt Carsten Kaps vom Postagenturnehmerverband (PAGD) in Gießen.«

Teilweise kann dann nach der Aufgabe aller privaten Anbieter ein Schmalspurangebot nur noch durch Subventionierung seitens des Steuerzahlers aufrechterhalten werden:

»Die 5000-Einwohner-Gemeinde Seelbach im Schwarzwald etwa unterhält seit 15 Jahren einen Postschalter im Rathaus und zahlt dafür ununterbrochen drauf. Im Laufe der Jahre hat sich der Fehlbetrag mehr als verdoppelt, jedes Jahr schießt die Kommune knapp 25.000 Euro zu, fünf Euro pro Einwohner. Wie teuer es kommt, einen Postschalter auch nur auf Sparflamme zu betreiben, zeigt das hessische Dorf Weinbach. Das öffnet für seine 4400 Einwohner die kommunale Poststelle nur für zwei Stunden am Tag. Trotzdem kostet dies den Gemeindekämmerer 14.000 Euro pro Jahr.«

Letztendlich werden auch die Kunden zur Ader gelassen, um die Einsparungen beim Personal erreichen zu können – gerade da, wo es aufwärts geht:

»Weil immer mehr Pakete … versendet werden, sollen die Kunden vermehrt Paketboxen oder Packstationen nutzen, also Schließfächer zum Beispiel auf Supermarktparkplätzen.«

Zurück zu den Beschäftigten der Deutschen Post DHL.

»Das Konfliktpotenzial ist gewaltig. Verdi und die DPVKOM, die früher die Beamten organisierten und heute viele Briefzusteller vertreten, kämpfen nicht nur gegen die Niedriglohntöchter für neue Paketboten. Sie verlangen auch höhere Löhne für die nach Haustarif bezahlten Zusteller. Zum Ende des Jahres läuft außerdem die Vereinbarung aus, in der die Post auf betriebsbedingte Kündigungen verzichtet. Ab dann darf der Konzern auch weitere Bezirke an Subunternehmer vergeben …  Ausgerechnet in dieser Situation ist das Klima zwischen Vorstand und Arbeitnehmervertretern auf einem historischen Tiefststand.«

Und das hat nicht nur, aber eben auch mit Personen zu tun.

Als neue Personalchefin fungiert mittlerweile »Melanie Kreis, seit elf Jahren bei der Post und wie Konzernchef Appel einst Beraterin bei McKinsey. Damit sind die Reihen im Post-Vorstand, die Gewinnziele gegen die Gewerkschaften durchsetzen, dicht geschlossen.«

Un das hier lässt nichts Gutes ahnen: Allen Beteiligten sei klar, »dass die von Brief- und Paketchef Gerdes angepeilte Ertragssteigerung bis 2020 letztlich nur bei den Beschäftigten zu holen ist, gilt unter Anlegern als sicher. Wenn das Gewinnziel von drei Prozent erreicht werden solle, schreibt Penelope Butcher, Analystin bei der US-Investmentbank Morgan Stanley, dann sei „der erfolgreiche Abschluss der Tarifverträge entscheidend“.«

Es erübrigt sich eigentlich, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass in diesem Kontext „erfolgreicher Abschluss von Tarifverträgen“ etwas anderes meint, als das, was vielleicht ein Arbeitnehmer damit verbinden würde. Weniger, deutlich weniger meint das. Sicher nicht mehr und auch nicht wie bisher.
Was bleibt da anderes übrig, als in den Konflikt zu gehen? Das sollte man alles berücksichtigen, wenn sich der eine oder die andere demnächst über streikende Post- und Paketboten aufregen meint zu müssen.

Foto: Stefan Sell

Die Deutsche Post DHL schiebt den Paketdienst auf die Rutschbahn nach unten und einige sorgen sich um Ostergrüße, die liegenbleiben könnten

Am Wochenende konnte sich die Gewerkschaft ver.di noch über den Abschluss der Tarifverhandlungen für die Angestellten im öffentlichen Dienst der Bundesländer freuen, der eine Lohnerhöhung in zwei Stufen in diesem und im kommenden Jahr vorsieht. Die von manchen befürchteten Streikaktionen sind damit vom Tisch. Aber die Großgewerkschaft ver.di hat viele Baustellen, sehr viele. Und eine davon ist die Deutsche Post DHL, eines der Nachfolgeunternehmen des ehemaligen Staatsmonopolisten Bundespost. Und die Führungsspitze dieses weltweit agierenden Konzerns ist zutiefst unzufrieden. Im vergangenen Jahr hat man einen Umsatz von 56,6 Mrd. Euro gemacht – und mit fast genau 3 Mrd. Euro EBIT (Ergebnis der betrieblichen Tätigkeit) bzw. – noch schlimmer – einem Gewinn nach Kapitalkosten (EAC) von 1,56 Mrd. Euro wurde viel „zu wenig“ Gewinn gemacht. Da muss noch mehr drin sein, die Anleger brauchen eine „Story“. Aber dafür muss man das machen, was man heutzutage so lernt auf den Business Schools dieser Welt: Kosten senken. Vor allem „natürlich“ die Personalkosten. Denn da ist aufgrund der vielen „Altlasten“ aus der Vergangenheit noch „Luft“ drin und außerdem drücken die Billigkonkurrenten vor allem bei den Paketdiensten wie Hermes oder GLS von unten mit deutlich geringeren Personalkosten – und das im Paketboom aufgrund der „Amazonisierung“ unserer Gesellschaft. In diesem Kontext hat man sich im Post-Tower in Bonn offensichtlich entschieden, den eigenen Paketdienst auf die Rutschbahn nach unten zu setzen – in Richtung auf die Billiganbieter.  Darüber wurde hier bereits berichtet, beispielsweise in dem Beitrag Endlich viele neue Jobs. Und dann wieder: Aber. Die Deutsche Post DHL als Opfer und Mittäter in einem Teufelskreis nach unten vom 25. Januar 2015. Als erste Welle des Wachstums nach unten hat man nun in ganz Deutschland 49 Zustellfirmen mit dem Namen Delivery gegründet – und dafür bereits nach eigenen Angaben etwa 5.000 Beschäftigte angestellt, die bis 2020 auf mindestens 10.000 aufgestockt werden sollen. Wobei es sich nicht um neue Arbeitsplätze handelt, sondern der weit überwiegende Teil davon sind Mitarbeiter, die zuvor beim Mutterkonzern Post AG mit befristeten Verträgen gearbeitet haben. Und die jetzt zu schlechteren Bedingungen in den neuen Billigtöchtern schaffen dürfen.

»Ab 1. April werden diese neuen Postbeschäftigten bundesweit Pakete ausfahren. Allerdings werden sie nicht mehr so wie früher bezahlt, sondern erhalten Löhne nach dem in den Bundesländern unterschiedlichen Tarif für das Speditions- und Logistikgewerbe. Das heißt, sie werden im Durchschnitt rund 20 Prozent weniger verdienen. Zur Einordnung: Ein Paketzusteller bekommt heute bei der Deutschen Post AG einen Stundenlohn von anfangs knapp zwölf Euro. Langfristig ist es das Ziel der Post, die Paketzustellung ganz auf die Delivery-Firmen umzustellen«, kann man dem Artikel Post rüstet sich mit polnischen Arbeitern für Streiks von Birger Nicolai entnehmen.

Dagegen läuft die Gewerkschaft Ver.di Sturm, was man durchaus nachvollziehen kann. »Der Konzern beschäftigt in der Brief- und Paketzustellung rund 140.000 tarifgebundene Mitarbeiter, hinzu kommen rund 50.000 Postbeamte. Eine Zweiteilung der Post – in eine „Altgesellschaft“ mit einem Haustarifvertrag und eine Delivery-Gesellschaft mit deutlich niedrigeren Löhnen – wollen Gewerkschaft und Betriebsräte nicht hinnehmen«, so Nicolai.

Letztendlich ist der Gewerkschaft bewusst, was ich mit dem Begriff der „Rutschbahn nach unten“ angesprochen habe: Hier geht es um eine systematisch angelegte Tarifflucht der Deutschen Post DHL und ist die Etablierung der neuen Billigtöchter erst einmal gelungen, dann wird auch der Rest in diese Richtung geschoben. Und alles mit dem durchaus ja nicht umplausiblen Argument hinterlegt, dass die posteigenen Billigtöchter immer noch besser seien als die Paketdienste ganz unten ihre Leute behandeln. Die Stellen in den Regionalgesellschaften seien „um Dimensionen besser als das, was die Wettbewerber anbieten“, so wird Melanie Kreis, die neue Personalchefin der Deutschen Post in dem Artikel „Die Ostergrüße könnten liegenbleiben“ aus der Print-Ausgabe der FAZ vom 30.03.2015 zitiert. Und noch mit einem anderen Zitat, das hier nicht vorenthalten werden soll:

Mit 17,70 Euro zahle die Post ihren Paketzustellern mehr als doppelt so viel wie Wettbewerber, die sich „teilweise immer noch darüber beklagen, dass sie 8,50 Euro Mindestlohn aufbringen sollen. Man muss nicht in BWL promoviert haben, um zu verstehen, dass der Lohnkostenabstand ein riesiges Problem darstellt.“

Die in den neuen Regionalgesellschaften beschäftigten Zusteller erhalten Löhne nach dem in den Bundesländern unterschiedlichen Tarif für das Speditions- und Logistikgewerbe. Das heißt, sie werden im Durchschnitt rund 20 Prozent weniger verdienen als ihre Kollegen bei der Deutschen Post DHL – aber immer noch mehr als bei den Konkurrenten im unteren Billigsegment.

Vor diesem Hintergrund hat die Gewerkschaft ver.di nun ab dem 1. April, also für die Woche vor Ostern, erste Warnstreiks angekündigt. »Wie scharf die Auseinandersetzung geführt wird, zeigt … dieses Detail: Die Deutsche Post heuert in diesen Wochen Fremdfirmen an, die an den Streiktagen in der Paketsortierung den Betrieb aufrechterhalten sollen«, berichtet Birger Nicolai in seinem Artikel. So wird beispielsweise aus der Postniederlassung in Kiel gemeldet, dass dort 35 überwiegend polnische Arbeitnehmer mit Werkverträgen aufgetaucht seien. Angeblich »stellt die Post in großem Stil Leiharbeiter ein, um an Tagen mit Warnstreiks möglichst viele Pakete bearbeiten und zustellen zu können.« Allerdings:

»Im Alltag der Post dürfte dies aber schwer möglich sein: Wenn durch Warnstreiks nur an einem einzigen Arbeitstag ein Großteil der Paketfahrer oder der Mitarbeiter in der Sortierung ausfallen, häuft sich ein Berg an Paketen an, der erst nach etlichen Tagen abgetragen werden kann. An Spitzentagen fährt die Post bis zu eine Million Pakete aus – und das an sechs Tagen in der Woche. Einen Puffer oder freie Kapazitäten gibt es praktisch nicht. Schon jetzt müssen Paketfahrer auch nach der höchstens erlaubten Arbeitszeit von zehn Stunden und 45 Minuten noch Paketsendungen zurück in die Niederlassung bringen, weil sie die Menge nicht bewältigt haben.«

Der gültige Tarifvertrag läuft zum 1. Mai aus. Insofern fragt sich der eine oder die andere, wie denn Warnstreiks schon im April möglich sind. Die Auflösung: Um schon einen Monat vorher Streiks zu ermöglichen, hat ver.di den Teil des Tarifvertrages gekündigt, der die Wochenarbeitszeit regelt. Man fordert eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit. Hierzu Birger Nicolai:

»Die Postmitarbeiter haben in früheren Tarifabschlüssen unter anderem auf freie Tage und Pausen verzichtet, um im Gegenzug eine Fremdvergabe in der Brief- und Paketzustellung zu verhindern. Genau dies ist nun aber mit den Delivery-Firmen aus Sicht der Gewerkschaft geschehen – daher wollen sich die Beschäftigten nun ihre früheren Zugeständnisse in Form von weniger Arbeitszeit ausgleichen lassen.«

Vielleicht wird es vor dem hier skizzierten Gesamtbild über den Konflikt etwas verständlicher, wenn ein paar Ostergrüße die Feiertage in den großen Postverteilzentren verbringen müssen.

Billiger, noch billiger. Wo soll man anfangen? Karstadt, Deutsche Post DHL, Commerzbank … und Primark treibt es besonders konsequent

Es muss schon nachdenklich stimmen – die deutsche Volkswirtschaft segelt von einem Rekord zum nächsten, ganz anders als viele andere europäische Staaten. Nicht nur im Außenhandel, auch bei der Beschäftigung – und das, obgleich doch ausweislich der Untergangs-Propheten zahlreicher wirtschaftswissenschaftlicher Mainstream-Institute der halbe Untergang des Abendlandes aufgrund des seit dem 1. Januar 2015 in Kraft gesetzten gesetzlichen Mindestlohns angebrochen sein müsste, dem „hunderttausende Arbeitsplätze“ zum Opfer fallen sollen. Davon ist aber nichts zu spüren, ganz im Gegenteil. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit (BA) schreibt diese Tage in dem aktuellen Bericht Einschätzung des IAB zur wirtschaftlichen Lage: »Die Beschäftigung folgt weiter ihrem stabilen Aufwärtstrend, und auch die Zahl der offenen Stellen steigt weiter. Die Arbeitslosigkeit sinkt im Januar den vierten Monat in Folge. Dem IAB-Arbeitsmarktbarometer zufolge setzt sich diese Entwicklung in den nächsten Monaten fort. Nach einem weiteren Plus um 0,2 auf 101,8 Punkte signalisiert der Indikator einen leichten Rückgang der saisonbereinigten Arbeitslosigkeit in den nächsten drei Monaten. Wesentliche Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns auf Beschäftigung und Arbeitslosigkeit sind gegenwärtig nicht wahrnehmbar.« Nicht dass das die Katheder-Kritiker irgendwie erschüttert in ihrer ideologisch einzementierten Position. Aber es deutet bei nüchterner Betrachtung darauf hin, dass es kaum eine bessere Zeit gibt als jetzt, eine gesetzliche Lohnuntergrenze einzuführen.

Die mediale Aufmerksamkeit fokussiert derzeit auf zwangsläufig sich ergebende Anpassungsprobleme für einige Billig-Geschäftsmodelle nach Einführung des Mindestlohns, wobei die betriebswirtschaftlichen Probleme einiger immer eingeordnet werden in eine Anfage an „den“ Mindestlohn und seine angeblich negativen Wirkungen. Dabei gibt es hier eine zweite Seite der Medaille, über die punktuell aufgrund des derzeit gehäuften Auftretens zwar auch berichtet wird, aber zumeist nur isoliert bezogen auf das Unternehmen A oder B und nicht eingebettet in eine vergleichbar grundsätzliche übergeordnete Anfrage, die sich allerdings anbieten würde: Die Billigheimer-Strategie vieler Unternehmen, betriebswirtschaftlich im Einzelfall rational, volkswirtschaftlich im Zusammenspiel aber desaströs. Hierzu einige Beispiele aus der deutschen Arbeitswelt.

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