Alles ist ungleich verteilt, auch der Paketboom und seine (Nicht-)Folgen

Da wurde stundenlang mehr oder weniger, auf alle Fälle virtuell gerungen in der Runde der Ministerpräsidenten und der Bundeskanzlerin, wie es nun weiter gehen soll, mit dem Teil-Lockdown in Deutschland. Und während selbst der gutmütigste Bürger langsam aber sich an die Grenzen der nur noch durch komplexe tabellarische Darstellungen einschließlich zahlreicher Fußnoten darstellbarer Regelungen und Ausnahmen kommt und ein Bachelor-Studium notwendig wird, um dem noch im Detail folgen zu können, gibt es auch Unternehmen, die erneut eine oder mehrere Flaschen Schaumwein köpfen können: die Online-Händler, allen voran Amazon und die Paketdienste, bei denen die Kennzahlen die gleiche Richtung haben wie die Corona-Infektionen in der ersten Phase der ersten und nunmehr der zweiten Welle: nach oben, aber richtig steil nach oben. Damit kann ein seit Jahren anhaltendes außerordentliches Wachstum fortgesetzt werden, das zurückzuführen ist auf die Expansion der Online- und Versandhändler.

In der Abbildung mit der monatlichen preisbereinigten Umsatzentwicklung kann man erkennen: Seit 2015 macht sich insbesondere das Weihnachtsgeschäft im Online-Einzelhandel bemerkbar. Mit Aktionsan­geboten wie dem „Black Friday“ oder „Cyber Monday“ locken die Einzelhändler, um das Weihnachtsgeschäft anzukurbeln. Die Umsätze im Online-Einzelhandel stiegen von Oktober auf November 2019 real um 17,5 %, von November auf Dezember noch einmal um 1,8 %. Auch in den Jahren davor gab es immer wieder diese starken Umsatzausschläge nach oben im jeweiligen November.

mehr

Mit dem „Paketboten-Schutz-Gesetz“ will der Bundesarbeitsminister den Wilden Westen der Paketzustellung einhegen. Die Nachunternehmerhaftung soll kommen. Aber das wird nicht reichen

Das muss man dem Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) lassen – er verzichtet auf die emotionalisierende Ummäntelung eines seiner neuen Gesetze und hat sich nicht zu einem „Gute-Arbeit-für Paketboten-Gesetz“ verführen lassen. Aber selbst der nüchterner daherkommende Titel „Paketboten-Schutz-Gesetz“ atmet noch etwas von diesem Geist, denn die Botschaft ist klar und unmissverständlich: Endlich werden die schwächsten Glieder am Ende einer langen Meile unter die Schutzfittiche des Staates genommen: die Tag für Tag einer immer beschwerlicher werdenden Don Quichotterie gegen Verkehrschaos in den Straßen, nicht anwesenden Kunden und uneinlösbaren Mengen- und Zeitvorgaben kämpfenden Paketzusteller. Jeder kennt diese teilweise nur noch zu bedauernden Menschen, die einzigen lebenden Menschen, die man nach dem online getätigten Kaufakt zu Gesicht bekommt – wenn man denn zufällig da ist, wenn der Paketbote klingelt. Und die haben wahrlich viel zu tun – allein in diesem Jahr wird mit etwa 3,7 Milliarden Paketen in Deutschland gerechnet. Und wir sprechen von einer Branche, in der mehr als 200.000 Beschäftigte unterwegs sind.

„Es geht darum, dass wir fairen Wettbewerb wollen, dass anständige Unternehmen nicht die Dummen sein sollen“, sagte Heil. Die in der Branche arbeitenden Menschen bräuchten faire Arbeitsbedingungen. In vielen Bereichen werde mit „Konstruktionen von Sub-, Sub-, Subunternehmern gearbeitet“. Dort würden Löhne gedrückt und Sozialbeiträge hinterzogen: „Das werden wir nicht weiter zulassen.“ So wird der Minister in dem Beitrag Ein Gesetz gegen Ausbeutung von Sub-, Sub-, Subunternehmern zitiert. Selbst das Ministerium macht mit der Überschrift der eigenen Pressemitteilung eine klare Ansage, die jeder verstehen kann: „Ausbeutung einen Riegel vorschieben“. Und auch darin finden wir einen O-Ton des Ministers: „Die Entwicklung in Teilen der Paketbranche ist so schon länger nicht mehr akzeptabel. Arbeitende Menschen werden ausgebeutet, oft Menschen aus Mittel- und Osteuropa, die nur wenig Deutsch sprechen. Dieser üblen Praxis schieben wir mit dem Paketboten-Schutz-Gesetz einen Riegel vor, indem wir die Nachunternehmerhaftung für Sozialversicherungsbeiträge auch für die Paketbranche auf den Weg bringen.“ Na endlich, werden viele denken und zustimmend zur Kenntnis nehmen, dass nun etwas auf den konkreten gesetzgeberischen Weg gebracht wurde.

mehr

Endlich wird was für die Paketboten und gegen die Wild-West-Strukturen in der Branche getan. Dennoch bleiben kritische Anmerkungen angesichts der kursierenden Jubelmeldungen

Bekanntlich geht es in einer Koalition unterschiedlicher Partner im Regelfall zu wie auf einem orientalischen Basar, wenn der eine was will und der andere das eigentlich nicht, sich aber die Zustimmung abkaufen lässt. Das kann man diese Tage wieder einmal besichtigen am Beispiel der seit Jahren geforderten Maßnahmen gegen die desaströsen Arbeitsbedingungen vieler Paketzusteller. Aus dieser Kelleretage des Arbeitsmarktes wird nun ein Durchbruch vermeldet, wird landauf landab berichtet: Koalition einigt sich auf Verbesserungen für Paketboten. Man achte auf solche Formulierungen: »Dabei sollen große Paketdienste verpflichtet werden, Sozialabgaben für ihre säumigen Subunternehmer nachzuzahlen. Dafür sollen kleine und mittelständische Unternehmen an anderer Stelle entlastet werden, wie Union und SPD mitteilten.« Bei dem letzten Punkt geht es um das Versprechen eines sogenannten „Bürokratie-Entlastungsgesetzes (BEG III)“, das man auf den Weg bringen will. Details nannten die Koalitionäre zunächst nicht.

Schauen wir auf die Paketboten: »Nach wochenlangen Diskussionen sind sich Union und SPD endlich einig: Paketboten sollen in Zukunft besser vor Ausbeutung geschützt werden … (Ein Gesetzentwurf soll) Versandunternehmen wie Hermes, UPS oder DHL in die Verantwortung dafür (nehmen), dass auch all jene Zusteller einen Mindestlohn erhalten und über Sozialbeiträge abgesichert werden, die nicht direkt bei ihnen, sondern bei einem Subunternehmen angestellt sind. Im Ernstfall sollen die Dienstleister für nicht gezahlte Entgelte und Beiträge einstehen«, so dieser Bericht: So sollen Paketboten vor Ausbeutung geschützt werden. Das hört sich doch gut an. Kein Wunder, dass es große Zustimmung in den meisten Medienberichten gab und neben der SPD, die sich das auf ihrer Erfolgsliste abbuchen lassen möchte, gab es auch von der Gewerkschaft Verdi Begeisterung für das, was man da in Aussicht stellt (denn das muss ja erst noch den gesetzgeberischen Weg durchlaufen).

mehr

Die Paketbranche boomt – und die Löhne der Paketzusteller sinken? Das darf doch gar nicht sein. Eigentlich

Erst vor kurzem konnten hier erfreuliche Nachrichten aus der Welt der Paketzusteller berichtet werden: Die Paketsparte der Deutschen Post beendet die umstrittene und seit vier Jahren andauernde Zweiklassengesellschaft in ihrem Haus, so der Beitrag Endlich mal eine gute Nachricht: Die Zweiklassengesellschaft wird beendet. Also bei der Deutschen Post und ihren Paketzustellern vom 28. März 2019. Und dort konnte man sogar den Vorstandschef der Deutschen Post, Frank Appel, mit den Worten zitieren, man wolle sich „bewusst von einem Niedriglohnwettbewerb in der Branche“ abgrenzen. 13.000 Mitarbeiter, die zuvor ausgelagert und nach den Tarifverträgen des Logistikgewerbes bezahlt wurden, kehren künftig unter den höheren Post-Haustarifvertrag zurück. Ein starkes Signal und längst überfällig.

Und nun erreichen uns solche Meldungen: Die Paketbranche boomt – die Löhne der Zusteller sinken, so haben Gregor Mayntz und Eva Quadbeck ihren Beitrag überschrieben. Bitte was? Mittlerweile müsste doch jeder mitbekommen haben, unter welchen Bedingungen viele Paketzusteller arbeiten müssen und dass in der Branche immer lauter über einen Mangel an Personal geklagt wird, mit dem man die wachsenden Paketberge abarbeiten kann. Laut Bundesnetzagentur wurden 2007 rund 1,6 Milliarden Standardpakete zugestellt, 2017 waren es eine Milliarde mehr. Zugleich wird allerorten Personal knapp. Bis zu 5000 zusätzliche Zusteller will in diesem Jahr allein die Deutsche Post anheuern.

mehr

Endlich mal eine gute Nachricht: Die Zweiklassengesellschaft wird beendet. Also bei der Deutschen Post und ihren Paketzustellern

Im Jahr 2015 wurde hier ein Beitrag veröffentlicht, der sich mit dem damaligen Streik bei der Deutschen Post beschäftigt hat. Folgende Ausgangssituation wurde beschrieben: »Die Ausgründung von Billig-Tochtergesellschaften (DHL Delivery) und die zwischen 20 und 30 Prozent geringere Bezahlung der dort Beschäftigten wurde völlig zu Recht erkannt als eine Rutschbahn nach unten für die gesamten Beschäftigungsbedingungen im Konzern. Dagegen hat man sich zur Wehr setzen wollen – verständlich, denn warum sollen die Beschäftigten auch noch dabei zusehen, wie sie dafür herhalten müssen, die nach oben getriebenen Renditeversprechen des Konzernvorstands zu bedienen – wohlgemerkt in einem Unternehmen mit einem Gewinn in Höhe von fast 3 Milliarden Euro, also keinesfalls in erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckend, die ein Entgegenkommen der Mitarbeiter nachvollziehbar bzw. diskussionswürdig hätte erscheinen lassen?« Wegen der Ausgliederung der damals noch 49 regionalen Zustell-Tochtergesellschaften, die seither jeweils unter dem Namen „Delivery“ firmieren, war es im Sommer 2015 zu wochenlangen Streiks gekommen. Der Titel des damaligen Beitrags – Das Ende des Post-Streiks: Ein „umfassendes Sicherungspaket“ (für die, die drin sind) und ein verlorener Kampf gegen die Billig-Post – verhieß nichts Gutes hinsichtlich dessen, was der Arbeitskampf gebracht hat: »Und was ist nun raus gekommen nach vier Wochen Dauer-Streik? In der Gesamtschau von außen muss man zu dem Ergebnis kommen – nicht viel. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Gewerkschaft einen unbefristeten Streik, also gleichsam die letzte Stufe des Arbeitskampfes, gezündet hatte, drängt sich der Eindruck auf: Eine krachende Niederlage für die Gewerkschaft.«

»Es sei nicht gelungen, die Deutsche Post AG von einer Rücknahme der DHL Delivery GmbHs zu überzeugen.« So der damalige O-Ton der Gewerkschaft. Und das ist nur die eine Hälfte der Wahrheit. Man hatte zwar Bestandsschutz für die Insider bekommen – aber die andere Seite der Medaille: alle Neueinstellungen in der boomenden Paketzustellung sollen über die Billig-Töchter laufen. So war das 2015.

mehr