Endlich mal eine gute Nachricht: Die Zweiklassengesellschaft wird beendet. Also bei der Deutschen Post und ihren Paketzustellern

Im Jahr 2015 wurde hier ein Beitrag veröffentlicht, der sich mit dem damaligen Streik bei der Deutschen Post beschäftigt hat. Folgende Ausgangssituation wurde beschrieben: »Die Ausgründung von Billig-Tochtergesellschaften (DHL Delivery) und die zwischen 20 und 30 Prozent geringere Bezahlung der dort Beschäftigten wurde völlig zu Recht erkannt als eine Rutschbahn nach unten für die gesamten Beschäftigungsbedingungen im Konzern. Dagegen hat man sich zur Wehr setzen wollen – verständlich, denn warum sollen die Beschäftigten auch noch dabei zusehen, wie sie dafür herhalten müssen, die nach oben getriebenen Renditeversprechen des Konzernvorstands zu bedienen – wohlgemerkt in einem Unternehmen mit einem Gewinn in Höhe von fast 3 Milliarden Euro, also keinesfalls in erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckend, die ein Entgegenkommen der Mitarbeiter nachvollziehbar bzw. diskussionswürdig hätte erscheinen lassen?« Wegen der Ausgliederung der damals noch 49 regionalen Zustell-Tochtergesellschaften, die seither jeweils unter dem Namen „Delivery“ firmieren, war es im Sommer 2015 zu wochenlangen Streiks gekommen. Der Titel des damaligen Beitrags – Das Ende des Post-Streiks: Ein „umfassendes Sicherungspaket“ (für die, die drin sind) und ein verlorener Kampf gegen die Billig-Post – verhieß nichts Gutes hinsichtlich dessen, was der Arbeitskampf gebracht hat: »Und was ist nun raus gekommen nach vier Wochen Dauer-Streik? In der Gesamtschau von außen muss man zu dem Ergebnis kommen – nicht viel. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Gewerkschaft einen unbefristeten Streik, also gleichsam die letzte Stufe des Arbeitskampfes, gezündet hatte, drängt sich der Eindruck auf: Eine krachende Niederlage für die Gewerkschaft.«

»Es sei nicht gelungen, die Deutsche Post AG von einer Rücknahme der DHL Delivery GmbHs zu überzeugen.« So der damalige O-Ton der Gewerkschaft. Und das ist nur die eine Hälfte der Wahrheit. Man hatte zwar Bestandsschutz für die Insider bekommen – aber die andere Seite der Medaille: alle Neueinstellungen in der boomenden Paketzustellung sollen über die Billig-Töchter laufen. So war das 2015.

Der Post-Konzern hatte sich am Ende gegen die Gewerkschaft durchsetzen können. Auf Initiative des damaligen Brief- und Paketvorstands Jürgen Gerdes hatte die Post ihren fast 20.000 befristet beschäftigten Paketzustellern einen fragwürdigen Deal angeboten. Man wolle ihre Verträge entfristen, teilte ihnen die Geschäftsleitung mit, jedoch nur unter der Bedingung, dass sie in die neuen Delivery-Gesellschaften wechselten. Für die Beschäftigten hatte das gravierende Folgen. Anstatt weiterhin nach dem besseren Haustarifvertrag der Post entlohnt zu werden, mussten sie sich mit den Branchentarifverträgen in den Bundesländern begnügen. Mit rund 13 Euro Stundenlohn erhielten Delivery-Paketboten im Schnitt ein Fünftel weniger als ihre bisherigen Kollegen.

Und noch vor kurzem schien der Weg weiter nach unten zu gehen: Deutsche Post will Paketzustellung mit Billigtochter Delivery zusammenlegen, so war einer der Artikel überschrieben, die im Februar dieses Jahres die Runde gemacht haben: »Die Deutsche Post baut einem Bericht zufolge den Konzern um. Der Paketversand der Billigtochter Delivery soll demnach mit dem der Post AG fusioniert werden. Zahlreiche Arbeitsplätze gelten als gefährdet.« Und weitere Befürchtungen wurden vorgetragen:

»Sollten die aktuellen Fusionspläne umgesetzt werden, würde der Konzern Neuland betreten: Paketboten aus zwei komplett unterschiedlichen Arbeits- und Lohnwelten könnten künftig direkt nebeneinander arbeiten. Betroffen wären Mitarbeiter der Deutschen Post Aktiengesellschaft, die nach dem Haustarifvertrag angestellt sind. Auf der anderen Seite die rund 13.000 Beschäftigten der Tochterfirma Delivery, die nach dem Logistiktarif der jeweiligen Bundesländer bezahlt werden. Dieser Tarif liegt etwa ein Viertel unter den Löhnen des Konzerns. Auch die Arbeitszeit ist unterschiedlich.«

Und nun, wenige Wochen später, werden wir mit dieser überraschend daherkommenden Meldung konfrontiert, die einem erst einmal die Augen reiben lassen: Paketdienst DHL beendet die tarifliche Zweiklassengesellschaft: Die Paketsparte der Deutschen Post beendet die umstrittene und seit vier Jahren andauernde Zweiklassengesellschaft in ihrem Haus: »Die 46 ausgegliederten Tochtergesellschaften der Deutschen Post mit 13.000 Beschäftigten kehren zum 1. Juli 2019 wieder in den Haustarifvertrag zurück … Wie der Bonner Konzern bestätigt, werden die 46 ausgegliederten Tochtergesellschaften, in denen nach einem niedrigeren Tarif gezahlt wird, zum 1. Juli 2019 aufgelöst. Die 13.000 dort beschäftigten Zusteller erhalten somit künftig wieder den gleichen Lohn wie alle übrigen Kollegen im Post-Konzern.«

Nun also kommt es anders, als man es bislang vermuten musste. Mit der Überführung der Beschäftigten der DHL Delivery GmbHs in die Deutsche Post AG zum 1. Juli 2019 ist der vom Arbeitgeber seit Januar 2018 angestrebte gemeinsame Betrieb vom Tisch. Die Gewerkschaft Verdi jubiliert dann auch unter der Überschrift: Deutsche Post AG: Irrweg beendet: Die »ehemaligen Delivery-Beschäftigten erhielten künftig ein 13. Monatsentgelt, eine betriebliche Altersversorgung, Kündigungsschutz und eine deutlich bessere Entgeltperspektive. Die Rückführung der Delivery-Gesellschaften in die Deutsche Post AG bezeichnete Kocsis als „riesigen gewerkschaftlichen Erfolg“.« Das hört sich ordentlich an. Außerdem wurden weitere Zugeständnisse gegenüber den Mitarbeitern ausgehandelt: Beide Seiten einigten sich darauf, weiterhin darauf zu verzichten, in der Brief- und Verbundzustellung Subunternehmen zu beschäftigen. Die Zusage gilt bis zum 31. Dezember 2020.

Natürlich wird der eine oder andere Berufsskeptiker die Frage in den Raum werfen, ob das alles vom Himmel gefallen ist – oder ob die Gewerkschaft einen Preis hat zahlen müssen, der bei der ersten Inaugenscheinnahme dieser für viele Außenstehende erst einmal überraschenden Wendung des Geschehens bei der Deutschen  Post nicht sofort auffällt. Nun ist das bei Tarifverhandlungen und solchen Grundsatzentscheidungen immer und nicht wirklich vermeidbar so, dass es um ein Geben und Nehmen geht, um Kompromisse, mit denen man die zwangsläufig divergierenden Interessen von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite auszutarieren versucht.

In der Pressemitteilung der Gewerkschaft findet man bereits erste Hinweise auf die andere Seite der Medaille: „Wir waren zu moderaten Veränderungen im Tarifvertrag für neue Arbeitsverhältnisse bereit“, so wird die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Andrea Kocsis zitiert. Was das konkret bedeutet? »Der bestehende Entgelttarifvertrag der Deutschen Post AG wird zum 1. Juli für alle übergeleiten Beschäftigten und für neue Arbeitsverhältnisse verändert; künftig werden die Zeiten zum Aufstieg in die nächste Erfahrungsstufe, die mit einem monatlichen Entgeltzuwachs von in der Regel 75 Euro verbunden ist, von derzeit 24 auf 36 bis 48 Monate verlängert.«

Auch Christoph Schlautmann schüttet in seinem Artikel Paketdienst DHL beendet die tarifliche Zweiklassengesellschaft Wasser in den Wein:

»Für das ausgehandelte Ende der umstrittenen Delivery-Gesellschaften musste die Arbeitnehmerseite dem Vorstand allerdings entgegenkommen. Schon in den vergangenen Jahren hatte die Gewerkschaft zu akzeptieren, dass der Lohnabstand zwischen den DHL-Boten der Deutschen Post und den Billig-Dienstleistern wie Hermes, GLS oder DPD schrumpfte. Die wettbewerbsgefährdende Kluft hatte den Post-Vorstand 2015 erst veranlasst, als Druckmittel die Delivery-Gesellschaften zu gründen.
Darüber hinaus stimmte Verdi nun in den Tarifverhandlungen zu, die bislang zweijährigen Entgeltstufen auf vier Jahre zu verlängern – für alle Neueinsteiger bei der Post. Sie müssen damit künftig doppelt so lange warten, bis der nächste Gehaltssprung laut Tarif erreicht wird.«

Und in der Pressemitteilung der Gewerkschaft gibt es einen weiteren Passus, den man erst einmal dechiffrieren muss: Nach der Vorbemerkung »Die Überleitung führt in der Regel unmittelbar zu einem Plus im Tarifentgelt« stellt sich die Frage, warum da „in der Regel“ steht, wo also die Ausnahme zu finden ist. Die kommt im nächsten Satz: »Für die Beschäftigten aus Baden-Württemberg und Bayern wird durch die Überleitungsregelungen sichergestellt, dass kein Beschäftigter weniger Tarifentgelt als bisher erhält.« Soll also offensichtlich heißen, dass sich die dort in den „Billig-Töchtern“ der Deutschen Post DHl beschäftigten Paketzusteller durch die Überleitung in den Haustarifvertrag der Deutschen Post nicht besser stellen.

In den genaueren Erläuterungen der Gewerkschaft unter der Überschrift Schutzverträge verlängert und Deliverys kommen zurück! wird hierzu ausgeführt: »Die Mehrzahl der Beschäftigten hat zum 1. Juli 2019 unmittelbar ein Plus im Entgelt. Das Plus liegt je nach Tarifgebiet zwischen 47 Euro und 316 Euro im Monat. Die Beschäftigten aus den Tarifgebieten Bayern, Südbaden und Baden-Württemberg (Württemberg, Nordbaden) erhalten eine persönliche Ausgleichszulage. Diese stellt sicher, dass kein Beschäftigter weniger Tarifentgelt als bisher hat. Die persönliche Ausgleichszulage wird nicht gegen künftige Tariferhöhungen gerechnet.«

Hintergrund dieser Verrenkungen: 2015 hatte die Deutsche Post wie bereits skizziert »seinen zeitlich befristeten Zustellern (angeboten), in der Tochtergesellschaft Delivery einen unbefristeten Vertrag zu erhalten, dafür aber weniger Lohn und sehr viel weniger Zuschläge zu bekommen. Zudem sind die Arbeitszeiten dort länger. In zwei der Gesellschaften allerdings wird sogar mehr bezahlt als nach dem Haustarifvertrag, nämlich in den Bezirken Nordbaden-Württemberg und Südbaden, weil dort sonst keine Zusteller zu bekommen sind.« So Helmut Bünder und Christoph Schäfer in ihrem Beitrag Post beendet ihre Zweiklassengesellschaft in der FAZ. Und sie nennen einen weiteren Aspekt, der für das Entgegenkommen des Konzerns sicher hilfreich war: »Auch in den übrigen Tochtergesellschaften sind die Löhne wegen der Engpässe auf dem Arbeitsmarkt zuletzt verhältnismäßig stark gestiegen, so dass sich der Abstand zum Haustarifvertrag verringerte, was der Post den als „Zukunftsvertrag für Wachstum und Beschäftigung“ gepriesenen Kompromiss mit der Gewerkschaft erleichterte.«

Und sie weisen darauf hin, dass der Konzern Verdi auch einiges abverlangt hat. Nicht nur, was bereits ausgeführt wurde, dass die bisher bei Delivery beschäftigten und alle neu eingestellten Zusteller werden künftig länger auf die bisher jeweils nach zwei Jahren üblichen automatischen Lohnerhöhungen verzichten müssen. Die Frist wird für die ersten Stufen auf vier Jahre gestreckt, für ältere Mitarbeiter sind es drei Jahre. Das werde den Anstieg der Arbeitskosten in den kommenden Jahren bremsen. Hinzu kommt: »Die Wiedereingliederung der Tochtergesellschaften in den Konzern verspricht zudem hohe Einsparungen in der Verwaltung, weil bisher doppelt besetzte Funktionen wegfallen.« Außerdem müsse man auch diesen Aspekt zur Kenntnis nehmen: »Gleichzeitig will die Post Niederlassungen für das Brief- und Paketgeschäft zusammenlegen. Von den bisher 50 Niederlassungen sollen nur 40 übrig bleiben. Damit verbunden ist die Streichung Hunderter Arbeitsplätze in der Verwaltung, während die Post in der Zustellung in diesem Jahr bis zu 5000 neue Leute einstellen will.«

»Die Neuorganisation der Niederlassungen soll bis April 2020 abgeschlossen sein. Viele Verwaltungsstellen sind bisher mit Beamten besetzt, für die die Post nach der Absenkung ihrer Gewinnprognose schon im vorigen Jahr ein Vorruhestandsprogramm aufgelegt hatte, für das 400 Millionen Euro Rückstellungen gebildet worden sind« – sprich: die teuren Noch-Mitarbeiter werden entsorgt, was sich dann mittel- und langfristig auf der Kostenseite bemerkbar machen wird.

„Gleichzeitig grenzen wir uns bewusst von einem Niedriglohnwettbewerb in der Branche ab“, wird Vorstandschef Appel zitiert. Aber wohl weniger aus Einsicht, dass es mit den Wildwest-Methoden so nicht weitergehen darf und soll, sondern weil man in der Konzernspitze von zwei Annahmen ausgeht:

➞  »Einige Post-Konkurrenten wie Hermes oder auch die Zusteller von Amazon arbeiten mit einem System von Subunternehmern, das extrem niedrige Entgelte ermöglicht. Verdi-Chef Frank Bsirske hatte im Februar sogar von kriminellen Machenschaften gesprochen. „In der Paketzustellbranche haben sich zum Teil mafiöse Strukturen etabliert“, sagte Bsirske damals. „Unternehmen wie Hermes engagieren Firmen, die wiederum andere Firmen beauftragen, die dann Menschen aus der Ukraine, aus Moldawien oder aus Weißrussland in die Lieferfahrzeuge setzen.“ Viele hätten gefälschte Pässe. „Da werden Stundenlöhne von 4,50 Euro oder sechs Euro gezahlt und das bei Arbeitszeiten von zwölf oder sogar 16 Stunden pro Tag.“« Das und die seit Jahren andauernde Berichterstattung in den Medien hat Folgen, denn auch in der Politik gibt es nunmehr Bewegung dahingehend, die Zügel in der Branche anzuziehen: »Die öffentliche Resonanz war so stark, dass Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) Anfang März ankündigte, bis Ende des Jahres ein Gesetz gegen Dumpinglöhne in der Paketbranche vorzulegen. Wesentlicher Inhalt wird sein, dass das beauftragende Unternehmen die Haftung dafür übernimmt, dass in der gesamten Kette an Subunternehmern alle Steuern und Sozialbeiträge tatsächlich gezahlt werden.« Man kann vor diesem Hintergrund davon ausgehen, dass es hier in der nächsten Zeit entsprechende Vorstöße des Gesetzgebers geben wird (vgl. dazu ausführlicher Paketzusteller: Die Spitze der Pyramide des Preis- und Lohndrucks soll in Haftung genommen werden können. Ein Schritt vorwärts mit einem Fragezeichen vom 4. März 2019).

➞  Wahrscheinlich noch bedeutsamer sind die faktischen Markt-Verhältnisse. Denn die Branche leidet unter einem immer größer werdenden Mangel an Personal, da die Arbeitsbedingungen dermaßen schlecht sind, dass selbst der Rückgriff auf Osteuropäer nicht mehr ausreicht, um den Laden am Laufen zu halten (vgl. dazu Immer mehr Pakete auf der Suche nach Menschen, die sie transportieren und verteilen. Die Paketdienste und ein hausgemachtes Personalproblem vom 3. April 2018). Noch weiter nach unten kann es nicht gehen und die Post setzt jetzt eher auf die Strategie einer Positionierung im „oberen“ Segment.

Das zeigt bereits ein Blick auf die Situation heute im Vergleich zu anderen Anbietern – und der ebenfalls erreichten Verbesserungen seitens der Gewerkschaft im neuen Abschluss: »Während sich viele Mitarbeiter der Konkurrenz am Mindestlohn orientieren müssen, zahlt die Post ihren Zustellern nach Angaben eines Sprechers inklusive aller Zuschläge einen Einstiegslohn von 14,65 Euro in der Stunde. Im Durchschnitt seien es rund 18 Euro. Anfang Oktober kommen für die dann mehr als 140.000 Tarifangestellten 2,1 Prozent oben drauf. Auf der Haben-Seite kann die Gewerkschaft … verbuchen, dass Zusteller in Regionen, wo Arbeitskräfte besonders knapp und die Lebenshaltungskosten hoch sind, in Zukunft einen Zuschlag erhalten sollen. An der genauen Liste dieser Bonus-Gebiete werde noch gearbeitet, sagte ein Sprecher.«