Tarifflucht bei einem privaten Reha-Konzern sowie neben dem Kreuz. Und Kommunen mit (schein)selbständigen Musikschullehrern sollten aufpassen

Wieder einmal wächst die Sammlung zum Thema Tarifflucht. Beginnen wir mit einem Beispiel aus der Welt der privaten, auf Gewinn gerichteten Gesundheitskonzerne, denen man das irgendwie auch zutraut und werfen wir dann den kritischen Blick in das große Lager der unter der Flagge kirchlicher Trägerschaft segelnden Einrichtungen.

Die Median Kliniken GmbH ist der größte private Betreiber von Reha-Einrichtungen in Deutschland. Das Berliner Unternehmen mit rund 13.000 Beschäftigten und 78 Standorten deutschlandweit soll nun Tarifflucht in richtigem großen Stil praktizieren, so der Vorwurf der Gewerkschaft ver.di: Größter privater Reha-Konzern Median begeht Tarifflucht im großen Stil – Fast alle Tarifverträge gekündigt – Betriebsräte erteilen Verhandlungsabsage.

Der Konzern will keine Tarifverträge mehr für die Beschäftigten abschließen. Seit Dezember 2014 ist das Unternehmen in Besitz des niederländischen Investmentfonds Waterland.

Median hat inzwischen für fast alle Kliniken die Manteltarifverträge gekündigt, die unter anderem Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen regeln. Mit der Begründung, so ein „marktorientiertes Handeln“ zu ermöglichen, will das Unternehmen Entgelte und Arbeitsbedingungen künftig mit Betriebsräten und einzelnen Beschäftigten aushandeln.

Die Gewerkschaft wirft dem Reha-Unternehmen vor, Betriebsräte an den einzelnen Standorten massiv unter Druck zu setzen, um so schnell wie möglich Betriebsvereinbarungen abzuschließen. Die Betriebsräte erteilten dem Ansinnen der Konzernspitze jedoch eine Absage. Für Verhandlungen auf betrieblicher Ebene »stehen wir nicht zur Verfügung«, heißt es in einer von zahlreichen Betriebsräten unterzeichneten Resolution.

„Das ist ein Schlag ins Gesicht der Beschäftigten, die jeden Tag und rund um die Uhr einen engagierten und wichtigen Job machen“, wird ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler zitiert. Ohne Tarifverträge seien die Beschäftigten der Willkür des Arbeitgebers ausgeliefert.

Die Gewerkschaft hat versucht, auch mit Arbeitsniederlegungen auf die Herausforderung zu reagieren, darüber wurde im Juni berichtet, beispielsweise in diesem Artikel: Streiksaboteur des Tages: Median Kliniken GmbH.  So waren Beschäftigte der Rehaklinik Berlin-Kladow zum Streik aufgerufen.

»Streik? Ohne mich!« konterte das Unternehmen in einem Flugblatt … Median wolle »nicht zurück in die kapitalistische Steinzeit«, beteuert der Konzern in dem Propagandafoyer … Nur Tarifverträge soll es nicht mehr geben. Statt dessen will man »faire flexible Lohnmodelle« mit den Betriebsräten und einzelnen Beschäftigten aushandeln.«

Nun hatte die Gewerkschaft ver.di ja darauf hingewiesen, dass die Betriebsräte angekündigt haben, dass sie nicht für Einzelverhandlungen zur Verfügung stehen. Das war wohl auch so, am Anfang, wie das Beispiel der Fontana-Klinik in Bad Liebenwerda zeigt. Über die Situation dort wurde noch am 16. Juni 2016 berichtet: »In einer Resolution beharren Betriebsräte unterschiedlicher Median-Standorte demnach auf Verhandlungen mit der Gewerkschaft. Das bestätigt Gewerkschaftssekretär Ralf Franke für den Standort Bad Liebenwerda. Der dortige Betriebsrat habe diese Resolution ebenfalls unterzeichnet, wolle sich aber dennoch die Vorschläge der Geschäftsführung anhören.«
Das hat mittlerweile stattgefunden und offensichtlich mehr, denn am 27. Juni 2016 meldet der Konzern in einer Mitteilung: MEDIAN Fontana-Klinik: Gemeinsam flexibles Lohnmodell für alle Beschäftigen beschlossen:

»Geschäftsleitung und Betriebsrat der MEDIAN Fontana-Klinik in Bad Liebenwerda haben am Donnerstag einen Durchbruch erzielt und sich … bei gemeinsamen Gesprächen auf höhere Bezüge für die Beschäftigten geeinigt. Damit hat man es an der Klinik trotz heftigem Gegenwind durch die Gewerkschaft ver.di geschafft, hausintern eine schnelle und von beiden Seiten getragene Lösung zu finden. Bereits zum 1. Juli werden sich danach Löhne und Gehälter an der Fontana-Klinik in erster Stufe flexibel und berufsgruppenspezifisch erhöhen. Gleichzeitig wurden die Eckpunkte einer Arbeits- und Sozialordnung definiert.«

Und in einem anderen Artikel wird Dieter Stocker, Geschäftsbereichsleiter Ost bei MEDIAN, mit diesen Worten zitiert: „Wir gehen aber nicht mit der Gießkanne vor, wie bei der klassischen gewerkschaftlichen Tariferhöhung, sondern schauen genau, gemeinsam mit dem Betriebsrat, was in den einzelnen Berufsgruppen möglich ist. Dieses Modell könnte auch für andere Standorte von MEDIAN Schule machen.“

Man erkennt, dass es dem Konzern hier darum geht, die Gewerkschaft rauszudrängen bzw. zu verhindern, dass sie noch irgendwas mitzureden hat hinsichtlich der Arbeitsbeziehungen und man das vor Ort mit den Betroffenen selbst „regeln“ will. Dabei wird man auch am Anfang den Betriebsräten einige Zugeständnisse machen, um sie rüberzuziehen. Offensichtlich ist das an dem Standort bereits gelungen.

Und dass die Gewerkschaft, also ver.di, Schwierigkeiten hat, in den Einrichtungen des Sozial- und Gesundheitswesens überhaupt Fuß fassen zu können, was ja Voraussetzung ist, um was für die Beschäftigten überhaupt tun zu können, liegt nicht nur in dem niedrigen Organisationsgrad begründet, sondern kann auch mit der Trägerschaft der Einrichtung zu tun haben, also wenn die unter dem Dach konfessioneller Trägerschaft operiert und damit die Sonderregelungen des kirchlichen Arbeitsrechts für sich beanspruchen kann.

Und auch aus diesem Lager gibt es wieder ein Beispiel für Tarifflucht, gleichsam in fortgeschrittenem Stadium, zu berichten. Konkret geht es um das katholische Dominikus Krankenhaus in Berlin, ein konfessionelles Krankenhaus in der Trägerschaft der Dominikus-Krankenhaus Berlin-Hermsdorf GmbH, die wiederum bei der Caritas Mitglied ist.
Und dieses Unternehmen macht auch gerade Schlagzeilen: „Vorne beten, hinten treten“ – ver.di kritisiert Kündigung von  über 80 Beschäftigten bei der Dominikus Service GmbH. So hat die Gewerkschaft ver.di Berlin-Brandenburg eine Pressemitteilung überschrieben. Der kann man entnehmen:

»Das katholische Dominikus Krankenhaus (Caritas) in Berlin löst seine Tochterfirma die Dominikus Service GmbH (DSG) auf und entlässt über 80 Beschäftige zum Ende des Jahres. Ein entsprechendes Kündigungsschreiben haben die Beschäftigten der DSG erhalten. In der DSG sind die Bereiche Küche/Cafeteria, Logistik, Reinigung, Hauswirtschaft und Bettenaufbereitung ausgelagert. Die Tätigkeiten sollen zukünftig von der Firma Klüh erbracht werden. Die Geschäftsführung begründet ihre Maßnahme, mit Einsparpotentialen durch die Vergabe an Klüh.«

Nun muss man wissen, dass mit der DSG bereits Tarifflucht begangen wurde, denn  jetzt wird in diesem Bereich des Krankenhauses nicht nach den Arbeitsvertragsrichtlinien der Caritas (AVR Caritas) bezahlt, sondern nur nach den branchenüblichen Löhnen. Das war das Ziel der damaligen Ausgliederung. So auch die Überschrift »Caritas hat schon Tarifflucht begangen« zu einem Interview mit Kalle Kunkel, Gewerkschaftssekretär bei ver.di. Offensichtlich gibt es eine gewisse Irritation über die Motive des nun anstehenden Abstoßens der DSG:

»Warum das Management von Dominikus diese Entscheidung getroffen hat, wissen wir nicht. Denn der größte Teil der bei der Servicegesellschaft Beschäftigten arbeitet im Reinigungsbereich. Auch in der Logistik, sowohl im Patienten- wie im Gütertransport, sind einige tätig. Ebenfalls in der Service GmbH angesiedelt sind die Stationsassistenz und die Küche. Für die meisten dieser Bereiche wird das Entgelt durch Mindestlohnregelungen oder allgemeinverbindliche Tarifverträge bestimmt. Im Reinigungsbereich liegt der Mindestlohn bei etwas unter zehn Euro. Das muss auch bei der neuen Firma gezahlt werden.«

Die erste Stufe der Tarifflucht war also die Auslagerung der Beschäftigten in die DSG und deren Abkoppelung von der katholischen AVR-Vergütung. Der zweite Schritt ist nun zum einen die weitere Verschärfung der Situation, indem die langjährigen Beschäftigten vor die Tür gesetzt werden. Denn es handelt sich nicht um einen Betriebsübergang, die betroffenen Arbeitnehmer müssen also nicht weiterbeschäftigt werden. Sie können sich dann bei dem neuen Unternehmen bewerben, aber haben keinen Anspruch auf Übernahme und vor allem nicht zu den alten Konditionen. Und zum anderen – so eine plausible These -, erhofft man sich weitere Einsparungen schlichtweg dadurch, dass der neue Dienstleister mit (noch) weniger Personal versuchen wird, die Bereiche abzudecken.

Anders formuliert: Der Träger entsorgt die bereits ausgelagerten Beschäftigten. Und er wird auf keinen Widerstand stoßen, selbst der Gewerkschaftsfunktionär merkt frustriert an:

Die Beschäftigten sehen für sich keine Perspektive, noch etwas zu erreichen. Deren Stimmung ist nicht so, dass sie sagen: »Morgen gehen wir in den Arbeitskampf.«

Sein Fazit: »Da zeigt sich mal wieder, dass die kirchlichen Unternehmer betriebswirtschaftlich kalkulierende Arbeitgeber wie alle anderen auch sind. Das christliche Aushängeschild, dass sie sich dranhängen, hat wenig Aussagekraft. Zumindest nicht in Bezug auf den Umgang mit den Beschäftigten, insbesondere, wenn es um die unteren Lohngruppen geht.«

Gibt es denn für Arbeitnehmer nicht wenigstens irgendwelche positiv daherkommenden Botschaften? Bei denen sie mal nicht das Nachsehen haben?

Wie wäre es vielleicht mit diesem Fall, der sicher zahlreichen Kommunen einige Schweißperlen auf die Stirn treiben wird: Sozialversicherungspflicht für „selbständigen“ Musikschullehrer, so ist der Bericht über ein Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen in Essen überschrieben (Az.: L 8 R 761/14). „Selbstständige“, auf Honorarbasis bezahlte Lehrer an Musikschulen sind bei einer regelmäßigen umfassenden Tätigkeit gar nicht selbstständig. Sind zudem Arbeitsort, Zeit und auch die Lehrpläne vorgegeben, spricht dies für eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, so die Quintessenz.

Zum Sachverhalt, der vielen anderen Kommunen sehr bekannt vorkommen wird:

»Der Musiklehrer war zwischen 2005 bis 2007 noch in der Musikschule angestellt. Aus Kostengründen beschloss 2008 der Rat der Stadt, die Musiklehrer nur noch als Honorarkräfte einzusetzen.
Zwischen 2011 und 2014 war der Gitarrenlehrer daraufhin nur noch eine Honorarkraft. Die Musikschule vereinbarte mit ihm ausdrücklich eine „selbstständige Tätigkeit als freier Mitarbeiter“.
Doch so „selbstständig“ war der Musiklehrer gar nicht, urteilte das LSG. Er war vielmehr mit seinem Unterricht an das Lehrplanwerk des Verbandes deutscher Musikschulen vertraglich gebunden. Weder hinsichtlich Arbeitszeit noch Arbeitsort oder gar bei der Auswahl der Schüler sei er frei gewesen. Auch habe er kein Unternehmerrisiko getragen, dem gleichwertige unternehmerische Chancen gegenübergestanden hätten.«

Diese Entscheidung des LSG NRW wird so einige Kommunen ins Grübeln bringen (müssen). Denn wie schreibt das LSG NRW in seiner Pressemitteilung zu dieser Entscheidung: »Der Senat hat die hergebrachten Rechtsgrundsätze zur Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit angewen­det und deshalb die Revision nicht zugelassen. Das Urteil hat dennoch grund­sätzliche Bedeutung für den Status von Lehrern an Musikschulen.«

Krankenhäuser jenseits der Fallpauschalen und der Investitionsstau-Malaise? Die Baustelle Krankenhausfinanzierung und ihre Inaugenscheinnahme im Parlament

Die Krankenhäuser sind immer wieder auch Thema hinsichtlich der Art und Weise ihrer Finanzierung. Aber hat nicht erst im vergangenen Jahr die derzeitige Bundesregierung  ein Krankenhausstrukturgesetz verabschiedet, um die Geldsorgen der Krankenhäuser zu lösen und – natürlich – die Qualität der stationären Versorgung zu verbessern? Um in die mit der gegebenen Finanzierung  verbundenen Herausforderungen eindringen zu können, muss man sich in einem ersten Schritt klar machen, dass wir in Deutschland mit einer ganz spezifischen Konfiguration der (dualen) Krankenhausfinanzierung konfrontiert sind, also neben den – viel zu gering dimensionierten – Mitteln der Bundesländer für die sächliche Seite vor allem die Finanzierung der Betriebskosten über Fallpauschalen auf DRG-Basis. Mit beiden Säulen des Krankenhausfinanzierungssystems sind teilweise erhebliche Probleme verbunden: Hinsichtlich der sächlichen Investitionsseite kann man beispielsweise dem Krankenhaus Rating Report 2015 entnehmen: »Nach wie vor ist die Kapitalausstattung der Krankenhäuser … unzureichend. Ihr jährlicher Investitionsbedarf (ohne Universitätskliniken) beträgt rund 5,3 Milliarden Euro. Die Länder steuern derzeit nur die Hälfte davon bei. Der kumulierte Investitionsstau beträgt mindestens 12 Milliarden Euro.«

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Krankenhäuser, ihre Patienten, deren Wohl und die Ethik. Und dann die real existierende Monetik mit ihren ethischen Verwerfungen

Salus aegroti suprema lex, also: Das Heil des Kranken sei höchstes Gesetz! Man sollte meinen, dass dieser Grundsatz selbstverständlich in den Krankenhäusern gilt. Oder sollte man eher hoffen? Zweifler könnten sich bestätigt fühlen, wenn sie solche Überschriften serviert bekommen: Gespart wird am Patientenwohl. »Krankenhäuser müssen ans Geld denken. Das Nachsehen haben dem Deutschen Ethikrat zufolge oft die Patienten.« Und weiter erfahren wir: »Zu wenig Zeit zum Reden, hoher Kostendruck: Eine zu starke Ausrichtung am Umsatz statt am Patienten führt zu zahlreichen Missständen in deutschen Krankenhäusern. Das ist der Tenor einer … Stellungnahme des Deutschen Ethikrats, der die Politik in ethischen Fragen berät. Mit Blick auf das Patientenwohl gebe es Anlass zur Sorge.« Die Kliniken tendieren dem Ethikrat zufolge dazu, gewinnbringende Behandlungen im Übermaß anzubieten. Lücken entstünden dagegen bei der Versorgung weniger lukrativer Patienten.

Eine Kritiklinie, die vielen bekannt ist, die sich seit langem mit den Schattenseiten dessen beschäftigen, was man mit dem großen Wort von der Ökonomisierung der Krankenhäuser einzufangen versucht. Dieser Terminus hat sehr wohl seine positiven Seiten, wenn man mit knappen Ressourcen wirtschaftlich umgeht, keine Verschwendung betreibt, die Prozesse besser macht. Aber viele verstehen unter Ökonomisierung eher die andere Seite der gleichen Medaille – Zeitmangel, Fehlanreize, Kostendruck. In dieser Gemengelage hat sich nun also der Deutsche Ethikrat zu Wort gemeldet mit einer Stellungnahme unter der Überschrift Patientenwohl als ethischer Maßstab für das Krankenhaus. Eine Selbstverständlichkeit. Oder? Zahlreiche Entwicklungen deuteten allerdings darauf hin, „dass das stationäre Versorgungssystem in Deutschland zunehmend hinter diesem Anspruch zurückbleibt“, so der Ethikrat.


»Derzeit komme es bei den Klinikmitarbeitern immer wieder zu Konflikten zwischen ihrem Berufsethos und der Realität des Berufsalltags. Mit dem Papier will der Deutsche Ethikrat keinen politischen Vorschlag für ein weiteres Krankenhaus-Reform-Gesetz vorlegen. Man habe es vielmehr für nötig befunden, „Überlegungen zu den leitenden normativen Maßstäben“ anzustellen,« wird das Ratsmitglied Thomas Heinemann in dem Artikel Der Patient sollte der Maßstab sein zitiert. 
Adelheid Müller-Lissner fasst in ihrem Artikel zusammen: »Um dem Wohl der Kranken zu dienen, müssen Kliniken danach drei ethische Kriterien beachten und ausbalancieren: Sie müssen natürlich gute Qualität bieten, und das nicht allein bei der Behandlung, sondern auch bei Diagnostik und Therapieentscheidung. Sie müssen sich mit „selbstbestimmungsermöglichender Sorge“ um die Patienten kümmern, und sie müssen auf Gerechtigkeit beim Zugang zu ihren Leistungen und bei deren Verteilung achten. Der Ethikrat spricht in diesem Zusammenhang ausdrücklich von „ressourcen-reflexivem“, also wirtschaftlichem Verhalten.«
Interessant vor dem Hintergrund der seit Anbeginn kritischen Diskussion über die – möglichen – Fehlanreize durch das Krankenhaus-Finanzierungssystem auf Basis von Fallpauschalen: »Das seit mehr als einem Jahrzehnt gültige „DRG“-System, bei dem Krankenhäuser von den Krankenkassen diagnosebezogene Fallpauschalen vergütet bekommen, wird in der neuen Stellungnahme ausdrücklich nicht infrage gestellt.«

Aber: „Als überprüfungsbedürftig kann das bisher im DRG-Fallpauschalen-System vorrangig zugrunde gelegte Vergütungskriterium der erbrachten ärztlichen Leistungen angesehen werden.“ Das biete einen starken Fehlanreiz zu „ethisch problematischem Verhalten“, schreibt der Ethikrat mit Blick auf die Zunahme von lukrativen Eingriffen.

Dass die finanzielle Misere vieler Kliniken auch mit dem mangelnden Engagement der Bundesländer für deren Ausstattung zu tun hat, wird in der Stellungnahme ebenfalls angesprochen.
Und es werden konkrete Veränderungsvorschläge gemacht: »Eine zentrale Malaise im gegenwärtigen Krankenhausbetrieb sei Zeitmangel und die drastische finanzielle Unterbewertung des Gesprächs mit dem Patienten. Um dem zu begegnen, schlägt der Ethikrat vor, die Zahlung der Pauschalen an den Nachweis von Gesprächen und Bedenkzeit vor einer Behandlung zu knüpfen. Außerdem sollte die Zahlung an Qualität und Ausstattung gebunden sein. Zudem solle es prinzipiell möglich sein, auch das Unterlassen einer therapeutischen Maßnahme zu honorieren, etwa durch die Einführung einer Prozedur mit dem schlichten Namen „Beobachtung“.«
Besonders interessant vor dem aktuellen wie auch grundsätzlichen Hintergrund der Debatte über Missstände in der Pflege sind die durchaus konkreten Empfehlungen hinsichtlich der „Verbesserung der Pflegesituation im Krankenhaus“ (vgl. Deutscher Ethikrat 2016: 136):

a) Das Bundesministerium für Gesundheit sollte für eine nachhaltige Verbesserung der Pflegesituation im Krankenhaus sorgen. So sollten Pflegepersonalschlüssel in Abhängigkeit von Stations- und Bereichsgrößen für Krankenhäuser entwickelt und implementiert werden, die sich an der Anzahl der zu versorgenden Patienten und ihren Erkrankungen bzw. ihrem Pflegebedarf orientieren. Dabei ist das spezifische Aufgabenspektrum des Pflegedienstes, des Ärztlichen Dienstes und anderer therapeutischer Dienste in dem jeweiligen Fachgebiet unter Einbeziehung von Zeiten etwa der Übergabe, interprofessioneller Visiten und Fallkonferenzen zwingend zu berücksichtigen.

b) Zudem sollten Mindestquoten für vollexaminierte Pflegekräfte, differenziert nach Fachabteilungen, festgelegt und transparent gemacht und ihre Einhaltung einer regelmäßigen Überprüfung unterzogen werden. Abweichungen von diesen Vorgaben sollten für Patienten und zuweisende Ärzte transparent gemacht werden.

c) In diesem Zusammenhang und unter Berücksichtigung des derzeitigen Mangels an examinierten Pflegekräften auf dem Arbeitsmarkt sollten neue Qualifizierungsmodelle entwickelt und gefördert werden, mit denen zum Beispiel Arzthelferinnen und Arzthelfer zu Pflegekräften berufsbegleitend weitergebildet werden können.

 d) Im Interesse einer Verbesserung der Qualität einer patientenwohlorientierten Pflege sollten Bedingungen gezielt gefördert werden, die eine personale Kontinuität in der Pflege der Patienten so weit wie möglich gewährleisten und Methoden des Stellen-Poolings vermieden werden.
Das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus den Empfehlungen des Ethikrats. Aber sie passen zu den fundamentalen Herausforderungen und Problembeschreibungen für die Pflege (und auch der anderen Berufsgruppen) in den Krankenhäusern (vgl. dazu die entsprechenden Beiträge in diesem Blog).

Man kann nur hoffen, dass die 150 Seiten umfassende Stellungnahme nicht einfach im Bücherregal verschwindet.