Geht der Kindertagespflege die Luft aus?

Das Thema „Kita-Notstand“ füllt mittlerweile Regalmeter an Berichten. »Das System kollabiert leise, jeden Tag ein bisschen mehr. Noch läuft der Alltag, weil Erzieherinnen und Erzieher sich aufreiben, um die Lücken zu schließen. Aber in vielen Kitas reichen die Kräfte nicht mehr. Deutschlandweit meldeten Kitas den Jugendämtern im vergangenen Kita-Jahr tausendfach, dass sie die Betreuung nicht mehr gewährleisten konnten und früher oder zeitweise ganz schließen musste. Weil sie zu wenig Personal hatten«, so beginnt beispielsweise dieser Artikel, der im November 2023 veröffentlicht wurde: Kitanotstand: Wie das System versagt. Und aus dem bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen wird diese Tage berichtet: »Eine neue Studie macht Eltern keine Hoffnung – und Kita-Beschäftigten auch nicht: Im Jahr 2030 werden mindestens 16.000, im schlechteren Fall mehr als 20.000 Fachkräfte fehlen.« Dabei beziehen sich die Zahlen zu den fehlenden Fachkräften „nur“ auf die Kindertageseinrichtungen, andere Betreuungsbereiche mit Personalbedarf, wie die Ganztagsbetreuung an Grundschulen, sind hier noch gar nicht berücksichtigt, so der Artikel Dramatischer Personalmangel in NRW-Kitas bleibt für viele Jahre. Die Zahlen basieren auf einer umfassenden Studie, die Thomas Rauschenbach, der ehemalige Leiter des Deutschen Jugendinstituts (DJI) im nordrhein-westfälischen Landtag präsentiert hat. Sein ernüchterndes Fazit: „Es gibt mit Blick auf die Zukunft keine Signale: Es wird alles wieder gut.“

➔ Bereits derzeit fährt das System auf Verschleiß und die Ausfälle häufen sich – mit fatalen Folgen für die Familien (und auch für die Beschäftigten selbst): »Im Januar übermittelten nordrhein-westfälischen Einrichtungen den Landesjugendämtern über 2.700 Mal die Meldung, dass die normale Betreuung nicht zu gewährleisten sei. In der Folge gab es fast hundert Schließungen und knapp 1.400 Teil- oder Gruppenschließungen.« In einem Monat.

Dabei haben wir Jahre hinter uns, in denen es einen gewaltigen Wachstumsschub gegeben hat – sowohl bei der Zahl der Kinder in öffentlich geförderter Kindertagesbetreuung wie auch mit Blick auf das Personal in diesem Bereich.

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Ab 30 geht es bergab und die Corona-Pandemie war doch nicht so schlimm? Der Gender Pay Gap und das erste Kind als Konstante

Jedes Jahr wird diese eine Zahl berichtet, so auch für das vergangene: »Frauen haben im Jahr 2023 in Deutschland pro Stunde durchschnittlich 18 % weniger verdient als Männer.« Das berichtet das Statistische Bundesamt. Danach erhielten Frauen mit durchschnittlich 20,84 Euro einen um 4,46 Euro geringeren Bruttostundenverdienst als Männer (25,30 Euro). Das wird dann überall abgeschrieben und bei nicht wenigen bleibt der Eindruck hängen, dass es diesen erheblichen Verdienstunterschied zwischen den Geschlechtern für die gleiche Arbeit gibt. Vor diesem Hintergrund sollte man die Mitteilung der Bundesstatistiker genauer lesen.

Wenn aus 18 Prozent 6 werden: »Bereinigter Gender Pay Gap: Frauen mit vergleichbaren Qualifikationen, Tätigkeiten und Erwerbsbiografien wie Männer verdienten im Schnitt 6 % weniger pro Stunde.« Die zitierten 18 Prozent sind also die „unbereinigte“ Lohnlücke. Nach einer Bereinigung werden daraus „nur“ noch 6 Prozent. Was muss man sich darunter vorstellen?

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Vom „Fallbeil“ für Mütter, den Einkommensunterschieden zwischen Männern und Frauen und dem Rollenmodell des Sozialstaates in Deutschland

Im März 2019 wurde hier dieser Beitrag veröffentlicht: Der jährliche K(r)ampf um die Anteilswerte: Lohnungleichheit zwischen den Geschlechtern und das große Fallbeil für viele Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Dort wurde auf eine Studie hingewiesen, in der verglichen wurde, wie sich die Gehälter von Frauen und Männern nach der Geburt des ersten Kindes in verschiedenen Ländern entwickeln. Die Studienautoren haben dafür Daten aus Österreich, Deutschland, Schweden, Dänemark, Großbritannien und den USA analysiert. Eine Geburt bedeutet in jedem dieser Länder für Frauen, dass sie in den Folgejahren weniger verdienen. Wobei es enorme Unterschiede gibt.

Interessant ist die Langzeitbetrachtung. Selbst zehn Jahre nach der Geburt des ersten Kindes liegt das Erwerbseinkommen von Frauen in Österreich im Schnitt um 51 Prozent unter dem Wert ein Jahr vor der Geburt. In Deutschland beträgt die Differenz 61 Prozent. In beiden Ländern erleiden dagegen Männer gar keine Einbußen.

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Von einem Rechtsanspruch (auf dem Papier) und einem Mangel an Plätzen und Fachkräften. Eine neue Studie über die Kita-Landschaft in West- und Ostdeutschland

»Der Ausbau der Kindertagesstätten hält mit dem Bedarf nicht Schritt. Größtes Hemmnis ist, dass nicht genügend Fachkräfte zur Verfügung stehen«, so Edeltraud Rattenhuber in ihrem Artikel unter der bezeichnenden Überschrift Viele Familien werden leer ausgehen. Es geht mal wieder um den wohlfeilen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr. »Zumindest in westdeutschen Kitas steht … auf lange Sicht zu wenig qualifiziertes Personal zur Verfügung, um mit den Wünschen der Eltern nach einem Kita-Platz Schritt halten zu können. Das liegt vor allem daran, dass die Schere zwischen Platzangebot und Nachfrage in den westdeutschen Ländern weiter auseinandergegangen ist.«

Der eine oder andere wird sich erinnern – als der damals vor allem ideologisch heftig umstrittene, schon ein vielen Jahren verabschiedete Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für die unter dreijährigen Kinder zum August 2013 scharf gestellt wurde, da gab es eine aufgeheizte Debatte über ein drohendes „Kita-Chaos“ aufgrund fehlender Angebote (vor allem in Westdeutschland). Dabei ging man damals von einer „bedarfsdeckenden Quote“ in der Größenordnung von 35 Prozent aus.

Mittlerweile wünschen sich 50 Prozent der Eltern einen Kita-Platz für ihre unter dreijährigen Kinder, berichtet Rattenhuber in ihrem Artikel. Sie stützt sich dabei auf eine neue Studie, die ein Forschungsverbund des Deutschen Jugendinstituts und der TU Dortmund dazu veröffentlicht hat:

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Diesseits des formalen Rechtsanspruchs. Jetzt sind es schon mehr als 340.000 Kita-Plätze für unter dreijährige Kinder, die fehlen. Also möglicherweise

Es wurde hier schon seit Jahren und mit Blick auf ganz unterschiedliche Themen darauf hingewiesen, dass es in der öffentlichen Berichterstattung geradezu eine Sucht gibt nach der einen (möglichst großen) Zahl, mit der (ebenfalls möglichst, wegen der erwarteten Resonanz) ein Problem auf den Punkt gebracht werden kann. Dieser Mechanismus lässt sich in der Pflege beobachten – wie viele Pflegekräfte fehlen in Deutschland? Oder hinsichtlich der Wohnungen und des Mangels an Wohnraum. Und auch in der Kindertagesbetreuung finden wir dieses Muster. Wie viele Erzieherinnen und Erzieher fehlen für die kleinen Staatsbürger? Oder wie an diesem Tag: Wie viele Kita-Plätze für die unter dreijährigen Kinder in unserem Land fehlen?

Darauf wird uns nun (erneut) eine (scheinbar) klare Antwort geliefert: »Der Ausbau neuer Betreuungsangebote für Kleinkinder geht in Deutschland zu langsam voran. Zwar wurden seit 2015 mehr als 135.000 zusätzliche Plätze in Kitas und bei Tageseltern geschaffen, allerdings wollen auch viel mehr Eltern als früher ihr Kind betreuen lassen. So fehlen 2020 in Deutschland mehr als 340.000 Plätze für Kinder unter drei Jahren, wie Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigen.« Das findet man in dieser Meldung: In Deutschland fehlen immer mehr Betreuungsplätze. Und ergänzend erläutert das Institut der deutschen Wirtschaft als Urheber der Botschaft: »Obwohl die Zahl der Kinder unter drei Jahren in öffentlich geförderter Betreuung zwischen den Jahren 2015 und 2020 von 693.000 auf 829.000 gestiegen ist, hat die Betreuungslücke von 215.000 auf 342.000 zugenommen. Grund hierfür sind neben den sich sukzessive verändernden Betreuungswünschen der Eltern auch die gestiegenen Kinderzahlen, die ihren Höchststand inzwischen jedoch überschritten haben dürften.«

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