Es wurde hier schon seit Jahren und mit Blick auf ganz unterschiedliche Themen darauf hingewiesen, dass es in der öffentlichen Berichterstattung geradezu eine Sucht gibt nach der einen (möglichst großen) Zahl, mit der (ebenfalls möglichst, wegen der erwarteten Resonanz) ein Problem auf den Punkt gebracht werden kann. Dieser Mechanismus lässt sich in der Pflege beobachten – wie viele Pflegekräfte fehlen in Deutschland? Oder hinsichtlich der Wohnungen und des Mangels an Wohnraum. Und auch in der Kindertagesbetreuung finden wir dieses Muster. Wie viele Erzieherinnen und Erzieher fehlen für die kleinen Staatsbürger? Oder wie an diesem Tag: Wie viele Kita-Plätze für die unter dreijährigen Kinder in unserem Land fehlen?
Darauf wird uns nun (erneut) eine (scheinbar) klare Antwort geliefert: »Der Ausbau neuer Betreuungsangebote für Kleinkinder geht in Deutschland zu langsam voran. Zwar wurden seit 2015 mehr als 135.000 zusätzliche Plätze in Kitas und bei Tageseltern geschaffen, allerdings wollen auch viel mehr Eltern als früher ihr Kind betreuen lassen. So fehlen 2020 in Deutschland mehr als 340.000 Plätze für Kinder unter drei Jahren, wie Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigen.« Das findet man in dieser Meldung: In Deutschland fehlen immer mehr Betreuungsplätze. Und ergänzend erläutert das Institut der deutschen Wirtschaft als Urheber der Botschaft: »Obwohl die Zahl der Kinder unter drei Jahren in öffentlich geförderter Betreuung zwischen den Jahren 2015 und 2020 von 693.000 auf 829.000 gestiegen ist, hat die Betreuungslücke von 215.000 auf 342.000 zugenommen. Grund hierfür sind neben den sich sukzessive verändernden Betreuungswünschen der Eltern auch die gestiegenen Kinderzahlen, die ihren Höchststand inzwischen jedoch überschritten haben dürften.«
Die Zahlen stammen aus dieser Ausarbeitung des Instituts der deutschen Wirtschaft:
➔ Wido Geis-Thöne (2020): Kinderbetreuung: Über 340.000 Plätze für unter Dreijährige fehlen. IW-Kurzbericht 96/2020, Köln: Institut der deutschen Wirtschaft (IW), Oktober 2020
Wie kommen die auf so eine genaue Zahl, wird sich der eine oder andere fragen. Das lässt sich beantworten, wenn man in die zitierte Veröffentlichung aus dem IW schaut: Man nimmt die Daten über die vorhandenen Plätze in Kindertageseinrichtungen (und in der Kindertagespflege), wie sie vom Statistischen Bundesamt einmal im Jahr für den März des jeweiligen Jahres ausgewiesen werden (vgl. dazu die im September 2020 veröffentlichte Ausgabe Kinder und tätige Personen in Tageseinrichtungen und in öffentlich geförderter Kindertagespflege am 01.03.2020). Dem Material kann man beispielsweise entnehmen, dass die Zahl der Kinder unter drei Jahren in Kindertagesbetreuung zum 1. März 2020 gegenüber dem Vorjahr um rund 10.700 auf insgesamt 829.200 Kinder gestiegen. Damit lag die Betreuungsquote am Stichtag bundesweit bei 35,0 % (2019: 34,3 %).
Dann geht man hin und schaut sich die „Bedarfsseite“ an, also die über Umfragen ermittelte „gewünschte Nachfrage“. Und die Differenz zwischen dem, was Eltern (angeblich) wünschen und was tatsächlich an Angebot zur Verfügung steht, das ist dann die „Betreuungslücke“. Dazu kann man Geis-Thöne (2020) auf der ersten von drei Seiten entnehmen:
»So gaben in einer Befragung im Jahr 2019 rund 81,2 Prozent der Eltern in Gesamtdeutschland an, für ihre Zweijährigen und 64,1 Prozent für ihre Einjährigen einen Betreuungsbedarf zu haben. Noch im Jahr 2015 lagen die Werte mit 73,0 Prozent und 54,7 Prozent deutlich niedriger. Bezogen auf alle unter Dreijährigen ergibt sich aktuell eine Bedarfsquote von 49,4 Prozent, die hochgerechnet mit der Kinderzahl am 31.12.2019 einer Zahl von 1,17 Millionen Plätzen für das erste Halbjahr 2020 entspricht. Allerdings haben am 1.3.2020 nur 829.000 unter Dreijährige tatsächlich eine öffentlich geförderte Betreuungseinrichtung oder Tagespflege besucht …, sodass eine Lücke von 342.000 bleibt.« Und fertig ist das, über das dann in den Medien so berichtet wird: »Immer mehr Kinder wurden in den vergangenen Jahren geboren, immer mehr Eltern wollen zudem Betreuung für ihre unter Dreijährigen. Die Folge: Es fehlen Hunderttausende Kitaplätze für Kleinkinder – so das Ergebnis einer Studie«, so die Online-Ausgabe der Tagesschau. Und Zeit Online schreibt: »Für unter Dreijährige gibt es weiterhin zu wenig Betreuungsplätze. Einer Studie zufolge vergrößert sich die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage.« Auch hier wird von einer „Studie“ gesprochen – die dann aber doch eher ein ziemlich simpler Rechenschritt ist, was nicht als abwertend missverstanden werden soll, aber man muss sowas auch nicht aufpumpen.
Viel interessanter ist neben der Frage, was uns jetzt bei einem solchen Vor-Ort-Problem – denn die außerfamiliale Kinderbetreuungsfrage ist und bleibt in der lokalen, zuweilen sublokalen Dimension verankert – eine bundesweite Zahl oder selbst die vom Institut der deutschen Wirtschaft veröffentlichten Bundesländerzahlen helfen soll. So erfahren wir auf der IW-Seite beispielsweise über das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen: „98.100 Kinder unter drei Jahren hatten keinen Betreuungsplatz, obwohl sich die Eltern einen wünschen. Das entspricht 18,9 Prozent. Derzeit befinden sich in Nordrhein-Westfalen 151.736 Kinder unter drei Jahren in Betreuung. Bedarf besteht aber für 249.800 Kinder.“ Am schlimmsten sei die Lage im Saarland – dort fehle für 19,8 Prozent der Kinder unter drei Jahren ein öffentlich geförderter Betreuungsplatz. Und auch nicht überraschend vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Kita-Kulturen in Ost und West: In den ostdeutschen Bundesländern ist die Diskrepanz zwischen dem, was die Eltern wollen und was an Angebot da ist, mit Abstand geringer als in Westdeutschland. Die geringste Abweichung zwischen dem Soll und Ist wird für Mecklenburg-Vorpommern ausgewiesen, dort sind es mit nur 2.000 Kindern unter drei Jahren lediglich fünf Prozent der Kleinen, die angeblich keinen Kita-Platz bekommen haben.
Wie ist das eigentlich mit dem „Bedarf“?
Wie dargestellt ergeben sich diese (angeblich) fehlenden Kita- und Tagespflege-Plätze aus einem quantitativen Abgleich der von den Eltern in Umfragen gemeldeten Bedarfen und der Ist-Situation an Plätzen in Einrichtungen und in der Tagespflege (am Stichtag 1. März 2020). In der Abbildung, die dem Kurzbericht des IW entnommen wurde, findet man in der Fußnote den Hinweis: „Für das Jahr 2020 wurden die Angaben zu den Betreuungswünschen aus dem Jahr 2019 zugrunde gelegt, da noch keine aktuellen Befragungsergebnisse vorliegen.“ Im Quellenverzeichnis findet man mit Blick auf die Herkunft der Bedarfszahlen nur den Hinweis auf diverse Jahrgänge der Veröffentlichung „Kindertagesbetreuung Kompakt“ des Bundesfamilienministeriums. Die letzte Ausgabe wurde im Juni 2020 veröffentlicht:
➔ Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (2020): Kindertagesbetreuung Kompakt – Ausbaustand und Bedarf 2019, Berlin 2020
Dort findet man tatsächlich die „Bedarfsquoten“ ausgewiesen, so die Bedarfsquote von 49,4 Prozent aus dem Jahr 2019, die vom IW verwendet werden. Zur Herkunft der Daten findet man seitens des Ministeriums diesen methodischen Hinweis:
»Um den Betreuungsbedarf der Eltern zu bestimmen, werden die Daten der DJI-Kinderbetreuungsstudie U12 (KiBS) herangezogen. In der Studie werden Eltern von unter zwölfjährigen Kindern befragt. Ihre Antworten werden an die Verteilung der Kinder in den Ländern und an die Altersstruktur angepasst. Das heißt, die Daten werden gewichtet. Dies ist notwendig, da in jedem Land, unabhängig von der tatsächlichen Anzahl von Kindern, gleich viele Eltern (jeweils ca. 800 Eltern von unter Dreijährigen, 500 Eltern von Kindern zwischen drei Jahren und Schuleintritt sowie ca. 750 Eltern von Kindern im Grundschulalter) befragt werden. Die Daten werden weiterhin an die Anteile von Kindern in institutioneller Betreuung (KJH-Statistik) angepasst.
Der „Betreuungsbedarf der Eltern“ ist die entsprechend gewichtete Antwort auf die Frage: „An welchen Tagen und zu welchen Zeiten wünschen Sie sich aktuell eine Betreuung für Ihr Kind?“ Da es sich um Befragungsdaten handelt, ist die statistische Genauigkeit im Bereich der Nachkommastellen nicht gegeben. Diese werden nur zum Zweck der vereinfachten Vergleichbarkeit mit den amtlichen Daten ausgewiesen.«
(BMFSFJ 2020: 15)
Die Ausgangsquelle ist also eine Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI), die KiBS. Wer mehr dazu wissen will, dem sei dieser Beitrag aus dem DJI empfohlen:
➞ Sandra Hubert, Kerstin Lippert und Christian Alt (2019): Unerfüllte Betreuungswünsche, in: DJI-Impulse, Nr. 1/2019, S. 10-13
Das, was derzeit in den Medien mit Bezug auf die „Betreuungslücke“ berichtet wird, kann man in dieser Anfang 2019 erschienen Veröffentlichung für das Jahr 2018 schon nachlesen: »Während im Jahr 2018 lediglich für die Hälfte der ein- und zweijährigen Kinder (49 Prozent) ein Betreuungsplatz zur Verfügung stand (Ost: 76 Prozent; West: 44 Prozent), äußerten in der DJI-Kinderbetreuungsstudie 71 Prozent der Eltern einen Betreuungsbedarf (Ost: 89 Prozent; West: 66 Prozent). Die Differenz zwischen Angebot und Nachfrage beträgt damit durchschnittlich 21 Prozentpunkte. Das bedeutet: Jede fünfte Familie mit einem ein- oder zweijährigen Kind gibt an, dass ihr Kind derzeit nicht institutionell betreut wird, obwohl Bedarf besteht.« (S.11). An dem „jede fünfte Familie“ hat sich nichts geändert.
Dort erfährt man einerseits: »KiBS ist die einzige Studie in Deutschland, die gesicherte Aussagen zu den Betreuungswünschen von Eltern auf Bundesländerebene treffen kann.« Dann aber auch so etwas: »Zu berücksichtigen ist dabei, dass die Antwort der Eltern zum Bedarf keine Auskunft darüber gibt, ob sie sich um den gewünschten Betreuungsplatz auch tatsächlich bemüht haben.«
Das muss man sich an dieser Stelle verdeutlichen: Hier werden sehr unspezifische, weil sehr allgemein gehaltene Bedarfslagen verglichen mit sehr spezifischen, konkreten Angeboten der außerfamilialen Kindertagesbetreuung, sei es in Einrichtungen oder in der Tagespflege. Die Eltern waren beispielsweise nicht danach befragt, ob sie den Bedarf an außenhäuslicher Betreuung auch haben, wenn sie dafür jeden Monat einen Elternbeitrag in Höhe von x Euro zu bezahlen haben. Oder würden sie den Kita-Platz auch in Anspruch nehmen (wollen), wenn das Kind jeden Wochentag mehrere Stunden in einer Kita betreut wird bzw. werden muss, da es sich bei den meisten Einrichtungen Gott sei Dank eben nicht um Stundenhotels handelt.
»Das IW bezieht sich auf eine Umfrage unseres Instituts, für die das DJI Eltern befragt hat, ob sie sich einen Kita-Platz für ihr Kind wünschen. Daraus geht aber nicht hervor, wie viele Eltern einen Platz abgelehnt haben, zum Beispiel weil die Öffnungszeiten nicht passten oder weil ihnen das Konzept nicht gefiel. Manche suchen vielleicht auch nur eine Betreuung für zwei bis drei Stunden – und ihre Kinder kommen in einer Krabbelgruppe oder bei der Oma unter. Solche Angebote erfasst die amtliche Statistik aber nicht. Einige Eltern gehen zunächst auch leer aus, bekommen dann aber einige Monate später doch noch einen Platz. Wie viele Plätze genau fehlen, ist schwer zu sagen.«
Dieses Zitat von Christiane Meiner-Teubner aus dem Interview „Es gibt mehr Plätze – aber auch mehr Kinder“ findet man in diesem hier bereits am 17. Mai 2017 veröffentlichten Beitrag Mach mir die eine große Zahl. 300.000 Kita-Plätze fehlen – wirklich? Eine Wiederauflage des gleichen Spiels. Die dort dargestellten methodischen und eben auch inhaltlichen Fragezeichen an der nun erneut durchs Dorf getriebenen und von den meisten abgeschriebenen einen großen Zahl müssen auch 2020 erneut gesetzt werden. Möglicherweise ist die beklagte „Betreuungslücke“ kleiner als angegeben, aber vielleicht ist sie auch noch deutlich größer, weil sich eine Teil der Eltern frustriert zurückgezogen haben von der Suche nach einem Betreuungsangebot, weil man der Meinung ist, man findet sowieso nichts oder das, was angeboten wird, entspricht nicht dem, was man sich für sein Kind vorstellt oder bereit ist, zu akzeptieren.
Und selbst wenn wir einmal akzeptieren, dass die ausgewiesenen Werte auf der Ebene der Bundesländer die wirkliche Wirklichkeit annähernd gut widerspiegeln – verdecken diese Zahlen nicht möglicherweise aufgrund des besonders ausgeprägten lokalen Charakters der Kindertagesbetreuung mehr als das sie uns weiterhelfen? Wenn ich beispielsweise darüber informiert werde, dass angeblich 20.800 Kinder unter drei Jahre in Rheinland-Pfalz keinen Betreuungsplatz haben, während das gleichzeitig auf 35.831 Kinder zutrifft, dann haben wir nicht nur eine beeindruckende Diskrepanz und den Hinweis auf eine massive Unterversorgung in diesem Bereich, zugleich aber ist diese Lücke eben nicht gleichverteilt über das Land der Reben und Rüben, sondern wir haben eine ausgeprägte regionale Streubreite und zuweilen sogar innerhalb der Kommunen die reinen Bedarfe der Eltern nicht deckende Ungleichgewichte, weil sich beispielsweise die Kitas in anderen Stadt- oder Ortsteilen befinden, als da, wo jetzt die Familien mit kleinen Kindern leben.
Damit hier keine Missverständnisse aufkommen: Es geht nicht darum, die nun wieder hervorgehobene „Betreuungslücke“ klein- oder gar wegzurechnen, aber so einfach ist es eben auch nicht, wie man erneut suggeriert. Zugleich besteht die sicher nicht gewollte Gefahr, dass die Kita-Frage wieder einmal reduziert wird auf eine reine Quantitäten-Frage unter Ausblendung der (Nicht-)Qualität dessen, was in den Einrichtungen und in der Tagespflege passiert.
Hinweise darauf findet man auch bei Geis-Thöne (2020). Hierzu ein Beispiel, das man nicht teilen muss, aber verdeutlicht, dass die Interpretation der einen Betreuungslücke mit Vorsicht erfolgen sollte:
»Besonders große Lücken, die ebenfalls auf einen starken Handlungsbedarf hindeuten, weisen aktuell mit 19,8 Prozent das Saarland, mit 19,1 Prozent Bremen und mit 18,9 Prozent Nordrhein-Westfalen auf. Dabei kommt im Fall Nordrhein-Westfalen noch hinzu, dass der Anteil der betreuten Kinder, die ausschließlich von öffentlich geförderten Tageseltern betreut werden, mit 33,7 Prozent sehr viel höher liegt als in allen anderen Ländern und im Bundesschnitt mit nur 16,2 Prozent … Diese Betreuungsoption ist zwar nicht per se schlechter als die Kita, hat aber das Manko, dass die Qualifikationsanforderungen an die Betreuungspersonen wesentlich niedriger sind … Daher sollten Eltern, sofern sie dies wünschen, auch in jedem Fall einen Kita-Platz bekommen, und nicht bei Engpässen an die Tagespflege verwiesen werden können, wie das im seit dem Jahr 2013 auf Bundesebene bestehenden Rechtsanspruch für die unter Dreijährigen möglich ist.«
In einem zweiten, qualitätsrelevanten Beispiel weist Geis-Thöne (2020) darauf hin:
»Während in Westdeutschland insbesondere vor dem Hintergrund der zu erwartenden weiteren Anstiege der Bedarfsquoten in den nächsten Jahren die Zahl der Betreuungsplätze für unter Dreijährige überall noch deutlich erhöht werden muss, stellt sich die Lage im Osten mit Ausnahme Berlins anders dar … Allerdings ist die Personalausstattung der Einrichtungen oft kaum ausreichend, um eine qualitativ hochwertige Betreuung zu gewährleisten. So kamen in U3-Gruppen im Osten im Schnitt 5,7 Kinder auf eine Betreuungsperson und damit deutlich mehr Kinder als im Westen mit 3,6 Kindern, wobei ein Wert von 3,0 Kindern pädagogisch sinnvoll wäre … Vor diesem Hintergrund sollte in den nächsten Jahren gerade im Osten gezielt in die Steigerung der Qualität der Betreuungsangebote investiert werden.«
Und die Frage der Qualität bzw. der Rahmenbedingungen, die wichtig sind für die Möglichkeit einer guten Arbeit in Kitas und Tagespflege, wurden vor Corona und den besonderen Herausforderungen für die Kindertagesbetreuung in viralen Zeiten intensiv diskutiert und zentrale Schwachstellen im bestehenden System wurden herausgestellt: Das betrifft vor allem den teilweise, vor allem in den städtischen Regionen, wo zugleich die Bedarfe tatsächlich am stärksten ansteigen, eklatanten Personalmangel – dazu beispielsweise dieser Beitrag vom 29. September 2019: Neue alte Zahlen aus dem Land der Rechtsansprüche und des strukturellen Mangels: Die Kitas und ihr Personal. Und selbst wenn man (auf dem Papier) scheinbar ausreichend Personal hat, wird man in vielen der eher kleinteiligen Kitas mit solchen Problemen konfrontiert: Aus der Welt des realen Fachkräftemangels: Pädagogische Fachkräfte in den Kindertageseinrichtungen fehlen immer mehr und länger und andere fallen aus (20. Januar 2020). Bereits heute muss man bei allen kleinteiligen Verbesserungen, von denen hier und da berichtet wird, eine teilweise das Kindeswohl gefährdende Personalsituation in einem Teil der Kitas zur Kenntnis nehmen (vgl. dazu aus der Vielzahl an Veröffentlichungen den Beitrag Vier Kinder gleichzeitig wickeln, wie soll das gehen? von Caroline Rosales: »Unbetreute Kinder und überforderte Erzieher: Das ist Realität in deutschen Kitas. Dass die Familienministerin den Personalmangel infrage stellt, grenzt an Ignoranz.«
Und die Perspektiven für die uns vor uns liegenden Jahre sind hinsichtlich des erforderlichen Personalbedarfs sowie der Zahl derjenigen, die im bestehenden System nachrücken, düster. Darauf wurde anhand einer neuen Studie in diesem Beitrag vom 16. März 2020 hingewiesen: Diesseits und jenseits der Herausforderungen durch das Coronavirus: Bereits unter Normalbedingungen läuft es vielerorts nicht gut bei der Kindertagesbetreuung: »… allein für den Bereich der Kindertagesbetreuung wird bis 2025 von einem zusätzlichen Personalbedarf von rund 310.000 Fachkräften ausgegangen … Bleibt es bei den aktuellen Ausbildungskapazitäten und schließen jährlich etwa 30.000 Personen erfolgreich ihre Ausbildung zum/zur Erzieher/in ab, wäre damit nicht einmal der Bedarf an Personal gedeckt, der für die demografischen Veränderungen, die Erfüllung des Rechtsanspruchs sowie den Ersatz desjenigen Personals, das aus unterschiedlichen Gründen (z.B. alters- oder krankheitsbedingt) das Arbeitsfeld verlässt, benötigt wird … Zudem ist zu erwarten, dass bei der Umsetzung des Rechtsanspruches auf Ganztagsschulbetreuung weitere pädagogische Fachkräfte benötigt werden und beide Einsatzfelder in Konkurrenz stehen.«
Auch wenn das alles scheinbar die Sache verkompliziert, weil man natürlich gerne mit einer plakativen Botschaft und scheinbar eindeutigen Zahlen durchs Leben wandern möchte, so ist es gerade in so einem bedeutsamen Feld der modernen Daseinsvorsorge, die eben nicht mehr die Betreuung und Erziehung und übrigens auch Bildung der kleinen Kinder ausschließlich und meistens auf Kosten der Mütter in die Familien privatisiert, wichtig, dass man die vielfältigen strukturellen Barrieren identifiziert, die einem weiteren und gar bedarfsdeckenden Ausbau im Wege stehen. Und in diesem Zusammenhang soll hier nur daran erinnert werden, dass es zwar gefällig ist, dem Staat ein Ausbauversagen zu unterstellen (vor allem angesichts der Tatsache, dass wir seit Jahren auf dem Papier einen individuellen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr haben, der offensichtlich in einigen Regionen erheblich eingeschränkt bis verunmöglicht wird durch fehlende Angebote), man aber zugleich darauf hinweisen muss, dass es zum einen in den zurückliegenden Jahren sehr wohl einen Ausbau an Kita-Plätzen gegeben hat, verbunden mit einer erheblichen Expansion der Zahl der in diesem Bereich beschäftigten Menschen, die mittlerweile mit mehr als 800.000 Beschäftigten die vieldiskutierte Automobilindustrie in Deutschland überholt hat, zum anderen aber ist das alles nicht umsonst, sondern kostet eine Menge Geld. Und hier sind wir an einer strukturell sehr hohen Hürde angekommen: die Finanzierungsfrage. Seit Jahren wird immer wieder darauf hingewiesen, dass wir enorme Fehlanreize dadurch haben, dass die (teilweise erheblich variierenden) Finanzierungsarchitekturen in und zwischen den Bundesländern eine ausgeprägte Schieflage zwischen Nutznießern und Kostenträgern aufweist: Vereinfacht gesagt: Die (monetär) gesehen größten Nutznießer der Kindertagesbetreuung sind der Bund und die Sozialversicherungen, während der Hauptkostenträger immer noch im Schnitt über die Bundesländer die Kommunen sind. Und seit Jahren wird völlig zu Recht gefordert, dass diese Asymmetrie zugunsten einer deutlichen Entlastung der Kommunen dahingehend aufgelöst werden muss, als dass die Nutznießer über eine regelgebundene Mitfinanzierung der laufenden Kosten der Kindertagesbetreuung beteiligt werden. Nur dann könnte man einen weiteren, durchaus notwendigen quantitativen Ausbau der Kita-Landschaft vorantreiben und das dann auch noch in Kombination mit einer qualitativen Aufwertung, beispielsweise hinsichtlich der Verbesserung der Personalschlüssel.