Die fortschreitende Programmitis in der Arbeitsmarktpolitik und ein sich selbst verkomplizierendes Förderrecht im SGB II

Es wird seit vielen Jahren beklagt. In der Arbeitsmarktpolitik wird zum einen das Förderrecht immer komplizierter, weil man über dieses Instrumentarium versucht, ganz andere Ziele zu adressieren als eine möglichst passgenaue Förderung der Arbeitslosen, dabei vor allem haushaltpolitische Ziele, also die Verteilung begrenzter und in den vergangenen Jahren deutlich schrumpfender Mittel für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen. Zum anderen hat man natürlich den Effekt, dass je komplizierter das Förderrecht ausgestaltet ist, desto mehr Schnittstellen ergeben sich, die man dann wieder, wenn es nötig erscheint, mit neuen Regelungen einzufangen versucht.

Zum anderen liebt man es in der Politik, mit Hilfe von Sonderprogrammen energisches Handeln gegen erkannte bzw. kritisierte Probleme zu signalisieren. Manche Skeptiker wenden an dieser Stelle ein, oftmals geht es dabei nur um eine Aktivitätssimulation. Für diese Kritiklinie spricht, dass viele der Sonderprogramme hinsichtlich der Anforderungen, die (potenzielle) Teilnehmer erfüllen müssen, derart restriktiv bzw. hoch selektiv sind, dass von vornherein klar ist, dass nur wenige tatsächliche Förderfälle realisiert werden können, was auch vor dem Hintergrund der knappen Budgets für diese Programme ein eigenes, natürlich nicht offen kommuniziertes Ziel ist.

Derzeit können wir wie in einem Lehrbuch genau diese skeptische Einschätzung in der Realität bestätigt beobachten. Gemeint sind die Sonderprogramme zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit, die von der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) aufgelegt worden sind, um das offensichtliche und manifeste Problem einer sich trotz der allgemein guten Arbeitsmarktverfassung der vergangenen Jahre verhärtenden und verfestigenden Langzeitarbeitslosigkeit zu „bekämpfen“. 

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Die Jugend: Ausbleibende Rebellion und alle wollen Mainstream sein. Aber ist das so? Und gibt’s die überhaupt, die Jugend?

Bereits die Überschriften verdeutlichen den Eindruck: Endlich mal wieder eine Nachricht über unsere Jugend, die man gut unter die Leute bringen kann als Erwachsener: Alle wollen Mainstream sein oder Die Rebellion bleibt aus, um nur zwei Beispiele zu zitieren.

Was ist passiert? »Noch nie seit der Nachkriegszeit ist die Jugend in Deutschland so wenig rebellisch wie heute gewesen. Zumindest sagt das die Sinus-Jugendstudie«, berichtet Johannes Leithäuser. Und Barbara Vorsamer sekundiert: »“Mainstream“ ist kein Schimpfwort mehr. Für die heute 14- bis 17-Jährigen ist es wichtig, Teil der Mehrheitsgesellschaft zu sein. Jugendliche „gehen“ nicht online, sie sind es – immer. Das Internet ist eine Selbstverständlichkeit für sie, das Sinus-Institut spricht von „digitaler Sättigung“.«

Strebsam, pragmatisch und fast schon überangepasst – so wird „die“ heutige Jugend typisiert. »Mehr noch als vor einigen Jahren wollten nun viele Jugendliche bewusst so sein „wie alle“. Die Mehrheit greife stärker als früher auf einen gemeinsamen Wertekanon zurück. Die Autoren stellen eine „gewachsene Sehnsucht nach Aufgehoben- und Akzeptiertsein“ fest sowie stärker als früher den Wunsch nach Geborgenheit, Halt und Orientierung in zunehmend unübersichtlichen Verhältnissen einer globalisierten Welt«, so Leithäuser in seinem Artikel.
»Der Wertekanon der jungen Menschen ist größtenteils identisch mit dem der Erwachsenen: Anpassungs- und Leistungsbereitschaft, stabile Beziehungen, Halt und Orientierung in der Gemeinschaft«, ergänzt Barbara Vorsamer in ihrem Beitrag.

Beide schöpfen aus einer neuen Studie mit dem Titel „Wie ticken Jugendliche 2016?“ des SINUS-Instituts (vgl. dazu auch die Pressemitteilung Neue SINUS-Jugendstudie: Die Jugend rückt zusammen). Die Sozialwissenschaftler haben bei den jungen Menschen eine „generelle Anpassungsbereitschaft und selbstverständliche Akzeptanz von Leistungsnormen und Sekundärtugenden“ gefunden und darauf sogleich ein neues Etikett geklebt: „Neo-Konventionalismus“, so nennen sie das. Deutschlands brave Jugend, so hat Matthias Kaufmann seinen Artikel über die Sinus-Studie überschrieben. Das wird all denen, die immer noch „der“ Jugend irgendwelche gesellschaftsverändernden Potenziale zuschreiben, endgültig den letzten Zahn ziehen.

Die zitierte Studie wird von der Bundeszentrale für politische Bildung, von kirchlichen Trägern und weiteren Stiftungen und Verbänden finanziert. Den Wissenschaftler interessiert natürlich vor allem, auf welcher Datengrundlage diese nun durch viele Medien geisternde Studie beruht. Und da muss man sogleich eine Menge Wasser in den „Studien“-Wein gießen. Dazu Johannes Leithäuser in seinem Artike

»Die Ergebnisse der Studie basieren auf langen und persönlichen Interviews mit 72 Teenagern aus verschiedenen Milieus, erläuterte Projektleiter Marc Calmbach. Die Forschung schätzt diese Methode wegen ihrer Tiefenschärfe als seriös ein, allerdings nicht als repräsentativ.«

Also 72 Tiefeninterviews mit Teenagern bilden die Basis für das, was nun überall als gesichertes Wissen in den Raum gestellt wird – aber dennoch schreiben fast alle Medien darüber ohne Hinweis auf die eben nicht repräsentative Datenbasis und vermitteln den Lesern den Eindruck, so tickt „die“ Jugend.

Das ist gelinde formuliert sehr sportlich bzw. anmaßend angesichts der Heterogenität der Gruppe, über die wir hier reden.

Einen Blick auf die junge Generation kann man auch auf einer anderen empirischen Basis werfen. Wie beispielsweise in der Shell Jugendstudie 2015. Die ist zum einen eine seit 1953 laufende Langzeitbeobachtung (mittlerweile liegt die 17. Shell-Jugendstudie vor), zum anderen basiert sie auf einer repräsentativ zusammengesetzten Stichprobe von 2.558 Jugendlichen im Alter von 12 bis 25 Jahren aus den alten und neuen Bundesländern. Was schon mal eine andere Hausnummer ist. Wobei es inhaltlich einige Überschneidungen zwischen den Studien gibt – allein schon an der Begrifflichkeit ablesbar: „Eine pragmatische Generation“, so heißt das in der jüngsten Shell-Jugendstudie. Die aber „im Aufbruch“ sei:

»Im Vergleich zu den vorangegangenen Studien stellen die Autoren bei den Jugendlichen Anzeichen für einen Sinneswandel fest. Seit 2002 charakterisierte die Studie die Jugendlichen als „pragmatisch und unideologisch“. 2006 zeigte sich eine Kontinuität dieser Grundhaltung, jedoch mit steigender Unsicherheit, ob die Jungen und Mädchen ihr Leben tatsächlich so gestalten können, wie sie es sich wünschen. 2010 begannen die Druck- und Angstgefühle zu weichen. Der Optimismus für die persönliche Zukunft wuchs. Und: statt wie in den Vorjahren vor allem auf das eigene Leben und das private Umfeld zu sehen, zeigten Jugendliche wieder wachsendes politisches Interesse und Bereitschaft zum politischen Engagement. Dieser Trend hat sich 2015 deutlich verstärkt.«

Das hört sich doch alles rundum gut an. „Der“ Jugend geht es also gut und zugleich – man denke an dieser Stelle nur an die aktuelle Berichterstattung über die Lage auf dem Ausbildungsstellenmarkt, wird immer offensichtlicher, dass die jungen Menschen im Gefolge der demografischen Entwicklung immer mehr zu einem knappen Gut werden, was derzeit – im im Zusammenspiel mit gesellschaftlichen Wertewandelprozessen, Stichwort Hinwendung zu (formal) höheren Schuldabschlüssen und eine stärkere Orientierung auf Studium – Teilbereiche des dualen Berufsausbildungssystems schmerzhaft zu spüren bekommen, denn ihnen gehen schlichtweg die Bewerber aus.

Aber wie immer im Leben ist es dann doch komplizierter. Das könnte man aufzeigen an dem gerade erwähnten Thema „Lehrlingsmangel“, also den über 40.000 unbesetzten Ausbildungsstellen, die diese Tage in vielen Medienbeträgen beklagt werden. Schaut man genauer hin, dann wird man sehen, dass es gleichwohl auch eine andere, dunkle Seite der Medaille gibt mit nicht wenigen „unversorgten“ Bewerbern. Das aber ist ein eigenes Thema für einen eigenen Blog-Beitrag.

Wenn man mehr wissen möchte über „die“ Jugend und dabei Wert legt auf einen differenzierten Blick auf das, was sich in dieser großen Gruppe an unterschiedlichen Prozessen abspielt, dann lohnt ein (virtueller) Besuch des Deutschen Jugendinstituts, die sich den ganzen Tag mit diesen Fragen beschäftigen. In deren Arbeit werden dann auch deutlich mehr Schattenbereiche und Problemstellen erkennbar. Dafür verfügen die Forscher über ein ganz anderes Instrumentarium als einige Tiefeninterviews, beispielsweise „AID:A“ (die Abkürzung ist kein künstlerischer Versuch, sondern sie steht für „Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten“), ein Kinder-, Jugend- und Familiensurvey, mit einem Querschnitt- und Längsschnittdesign. Dabei werden die objektivierbaren Lebensverhältnisse von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen ebenso erfasst wie subjektive Einstellungen; „weiche“ Faktoren wie individuelles Wohlbefinden stehen neben „harten“ Indikatoren wie Armutsrisiken oder dem (Nicht-)Erreichen schulischer Abschlüsse. Ein Übersicht über erste Befunde aus dem Survey 2015 findet man in dieser Veröffentlichung:

Sabine Walper / Walter Bien / Thomas Rauschenbach (Hrsg.): Aufwachsen in Deutschland heute. Erste Befunde aus dem DJI-Survey AID:A 2015. München 2015

Und natürlich darf an dieser Stelle auch nicht der Hinweis auf den in jeder Legislaturperiode zu erstellenden Kinder- und Jugendbericht fehlen. Der aktuellste, 14. Kinder- und Jugendbericht wurde 2013 veröffentlicht. Auch dort finden sich zahlreiche differenzierte Befunde.

Fazit: Die mediale Resonanz, die man diese Tage beobachten kann ausgehend von den Ergebnissen der „Sinus-Studie“, sollte mit zwei großen Fragezeichen versehen werden. Zum einen muss man einfach methodisch zur Kenntnis nehmen, dass das alles auf 72 Tiefen-Interviews mit Teenagern basiert, die für sich genommen sicher einen Eigenwert haben, die aber nicht wirklich geeignet sind, in der Berichterstattung darüber von „der“ Jugend zu sprechen. Das ist methodisch schlichtweg nicht zulässig, verführt aber angesichts der Tatsache, dass das so gemacht wird, zu dem Eindruck, mit „der“ Jugend sei alles in Ordnung und die werden sogar immer angepasster und konventioneller. Daraus resultiert das zweite Fragezeichen, ob man damit nicht – gleichsam als Kollateralschaden – den Blick vernebelt auf die unbestreitbar vorhandenen Teilgruppen an jungen Menschen, die unter erheblichen Restriktionen aufwachsen (müssen) und die oftmals mit „beschädigten“ Biografien in das Erwachsenenleben starten.

Dass es die gibt kann man – auch, aber nicht nur – an den extremen Rändern aufzeigen, vgl. dazu beispielsweise den Blog-Beitrag Durch alle Netze gefallen, vergessen und jetzt ein wenig angeleuchtet: Der Blick auf die „entkoppelten Jugendlichen“ vom 11. Juni 2015 sowie ergänzend das im November 2015 veröffentlichte Schwerpunktheft Abgewandt? Schwierig? Eigensinnig?! Jugendliche, die aus unserem Rahmen fallen von „dreizehn. Zeitschrift für Jugendsozialarbeit“.

Die Jugendgewalt geht zurück und verschiebt sich zugleich in die Großsiedlungen am Stadtrand. Über verblassende Mythen, die Umrisse deutscher Banlieues und die Bedeutung von Arbeit

Immer wieder ploppt das im Strom der von den Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie beherrschten Medien auf, wird an die Spitze der aufgeregt plappernden Medien gespült, um kurz darauf von der nächsten gesellschaftlichen Sau, die durchs Dorf getrieben wird, abgelöst zu werden. Auslöser ist zumeist ein schrecklicher Einzelfall exzessiver Jugendgewalt, auf den sich die Medien stürzen und der allein schon aufgrund der Tatsache, dass alle ein paar Tage lang rauf und runter darüber berichten, bei den Nachrichten- und Kommentar-Konsumenten den Eindruck vermitteln muss, unser Land versinkt in einem Morast außer Kontrolle geratener Gewalt immer hemmungsloser agierender junger Menschen. In Talkshows wird dann darüber geplaudert, wie man die Sicherheit wieder herstellen kann. Aber wie so oft bei diesem monothematischen Herdentrieb vieler Medien fehlt die sorgfältige Nachbeobachtung und die Berichterstattung, wenn es positive Botschaften zu vermelden gibt, vielleicht weil damit die Angst- und Bedrohungsgefühle nicht aktiviert werden können und ohne Skandalisierung kein Geschäft zu machen ist. So setzen sich bestimmte Bilder in den Köpfen fest, etwa die von der – angeblich – stetig zunehmenden Jugendgewalt, von immer enthemmter ihren Aggressionen freien Lauf lassenden Jugendlichen, von der Korrelation der Jugendgewalt mit Migrationshintergrund.

Wie so oft bleibt es dann der unaufgeregten wissenschaftlichen Beobachtung überlassen, die eigentlich relevante Frage zu stellen und Antwortversuche zu geben: Ist das wirklich so? Was kann man – über spektakuläre Einzelfälle hinaus – generell beobachten?

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Erschöpfende Lehre oder erschöpfte Leere? Jeder dritte Azubi hängt – angeblich – in den Seilen

Die AOK hat ihren neuen Fehlzeiten-Report veröffentlicht – neben den allgemeinen Informationen über den Krankheitsstand von elf Millionen AOK-versicherten Arbeitnehmern im Jahr 2014, der mit 5,2 Prozent auf dem Niveau des Vorjahres lag – damit hat jeder Beschäftigte im Durchschnitt 18,9 Tage aufgrund einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Betrieb gefehlt – gibt es auch in diesem Jahr ein Schwerpunktthema. Herausforderung für die Betriebe: Mehr als jeder fünfte Auszubildende zeigt riskantes Gesundheitsverhalten, so hat der AOK-Bundesverband seine Pressemitteilung dazu überschrieben. Immer wieder interessant, was die Presse daraus macht. So lautet die Artikel-Überschrift im Tagesspiegel beispielsweise Erschöpfende Lehre. Da drängt sich der Eindruck auf: Jetzt schlägt die brutale Arbeitswelt schon bei Beginn des Erwerbsleben derart hart zu, dass man zur Kenntnis nehmen muss, dass Azubis überdurchschnittlich oft krank sind. Ein Drittel leidet häufig unter körperlichen und psychischen Beschwerden. Schauen wir uns die neuen Befunde einmal genauer an. Zuerst einmal die Datenbasis: Es handelt sich um die erste repräsentative Befragung von Auszubildenden, so die Selbstdarstellung der AOK. Ende 2014 gab es knapp 1,4 Millionen Auszubildende in Deutschland. Für die Studie wurden rund 1.300 Auszubildende in kleinen  und mittelständischen Betrieben mit 50 bis 200 Mitarbeitern Anfang des Jahres 2015 befragt.

»Ein Drittel der Auszubildenden berichtet über häufig auftretende körperliche und psychische Beschwerden. Gesundheitsgefährdendes Verhalten wie wenig Bewegung, schlechte Ernährung, wenig Schlaf, Suchtmittelkonsum oder übermäßige Nutzung der digitalen Medien ist bei jedem fünften Auszubildenden zu beobachten. Bei beinahe jedem zehnten Befragten treten gesundheitliche Beschwerden und gesundheitsgefährdendes Verhalten gleichzeitig auf«, so die AOK in ihrer Pressemitteilung. Josefa Raschendorfer schreibt in ihrem Artikel Erschöpfende Lehre:

»Mehr als die Hälfte  der befragten Auszubildenden (56,5 Prozent ) berichtet über häufige körperliche Beschwerden wie Kopfschmerzen, Rückenschmerzen und Verspannungen. Außerdem klagen 46,1 Prozent der Befragten über psychische Beschwerden wie Müdigkeit, Erschöpfung, Lustlosigkeit, Reizbarkeit oder Schlafstörungen.«

Wir kennen solche Befunde auch aus der Diskussion über die gesundheitlichen Belastungen erwachsener Arbeitnehmer und sie werden oftmals im Zusammenhang gestellt mit den möglichen krankmachenden Auswirkungen der Arbeitswelt. Dieser Aspekt findet sich übrigens auch in der neuen Ausgabe des Fehlzeiten-Reports für den allgemeinen Krankenstand der Belegschaften: Jeder »Beschäftigte (hat) im Durchschnitt 18,9 Tage aufgrund einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Betrieb gefehlt. Bedenklich sei dabei der Anstieg der psychischen Erkrankungen, die zu langen Ausfallzeiten von durchschnittlich 25,2 Tagen je Fall führen. Als Grund für den Anstieg der psychischen Erkrankungen nennt Schröder unter anderem die zunehmende Belastung in den Unternehmen auf den Mitarbeiter. „Immer mehr Arbeit lastet auf weniger Schultern.“«

Zurück zu unseren Azubis, denn die Befragungsergebnisse fördern weitere interessante Informationen zu Tage. Helmut Schröder, stellvertretender Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK, wird mit den Worten zitiert: Beim Gesundheitsverhalten der Auszubildenden zeigen sich „teilweise Defizite in den Bereichen Bewegung, Ernährung und Schlaf sowie im Umgang mit Suchtmitteln und digitalen Medien“. Und konkreter:

»Ein Viertel der Auszubildenden ist kaum sportlich aktiv, 27 Prozent nehmen kein regelmäßiges Frühstück zu sich und 15,8 Prozent verzichten auf ein tägliches Mittagessen. Hinzu kommt ein hoher Konsum von Fast Food und zuckerhaltigen Lebensmitteln.
Mehr als ein Drittel der männlichen Auszubildenden und jede vierte weibliche Auszubildende schlafen unter der Woche weniger als sieben Stunden pro Nacht. So fühlen sich mehr als 12 Prozent in Arbeit und Schule fast nie oder niemals ausgeruht und leistungsfähig. Der wenige Schlaf sei möglicherweise auch auf den hohen Medienkonsum zurückzuführen, der durchschnittlich bei insgesamt 7,5 Stunden pro Tag liege … Mehr als jeder dritte Auszubildende raucht, fast jeder fünfte zeigt einen riskanten Alkoholkonsum.«

Auch hier mag es das Henne-Ei-Problem, also die oftmals nicht zu beantwortende Frage nach dem ursprünglichen Auslöser einer Kausalkette, geben. Aber seien wir ehrlich – am Anfang des Berufslebens wird man kaum davon ausgehen können, dass die Wirkungen der Arbeitswelt schon dermaßen durchgeschlagen haben, dass sie die zitierten Werte erklären können. Letztendlich werden wir hier konfrontiert mit den Folgen eines Lebenswandels eines Teils der jungen Generation, der sich bereits zu diesem frühen Zeitpunkt negativ auszuprägen scheint, unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich bei den Befunden um Befragungsergebnisse im Sinne einer Selbstauskunft handelt. Und es betrifft wie eigentlich immer auch nur einen Teil der Gruppe, denn auch das hat die Studie ans Tageslicht gebracht: »Mehr als die Hälfte der Azubis lebt gesundheitsbewusst und hat kaum körperliche und psychische Gesundheitsbeschwerden.«

Was folgt aus diesen Erkenntnissen? Die Position der Krankenkasse ist verständlich: „Es braucht gesundheitsförderliche Maßnahmen, die auf die speziellen Bedürfnisse der Auszubildenden abgestimmt sind“, sagt Helmut Schröder, stellvertretender Geschäftsführer des WIdO und Mitherausgeber. „Betriebliche Gesundheitsförderung für diese Zielgruppe stellt auch einen Wettbewerbsfaktor für die Unternehmen dar. Mittelfristig werden in vielen Branchen und Regionen gesunde Auszubildende händeringend gebraucht.“ Es ist sicher gut und lobenswert, wenn Unternehmen nicht nur versuchen, mit Angeboten des betrieblichen Gesundheitsmanagements die älteren und älter werdenden Mitarbeiter zu erreichen, um sie möglichst lange arbeitsfähig zu halten. Sondern sich schon um die jungen Leute zu kümmern versuchen. Aber ehrlich – gegen die Versuchungen, denen die ausgesetzt sind und vor denen so einige kapitulieren, kann man nur schwer ankommen. Bei nicht wenigen wird sich das irgendwie auswachsen, die anderen werden dann in anderen sozialpolitischen Handlungsfeldern wieder aufschlagen.

Buchcover: AOK

Durch alle Netze gefallen, vergessen und jetzt ein wenig angeleuchtet: Der Blick auf die „entkoppelten Jugendlichen“

Man stelle sich folgende Situation vor: Auf einer Veranstaltung eines Jobcenters in einer westdeutschen Großstadt wird über Fördern und Fordern berichtet. Mit einem gewissen Stolz verkündet die Führungskraft, dass es gelungen sei, „unberechtigten Leistungsbezug“ im Hartz IV-System energisch zu bekämpfen. Beispielsweise bei den jungen Menschen unter 25, die Grundsicherungsleistungen beantragt haben. Wenn die sich melden, dann werden sie gleich am Folgetag in eine Maßnahme geschickt, die jederzeit in der Lage ist, neue Teilnehmer aufzunehmen. Nichts anspruchsvolles, vielleicht sogar etwas anstrengend ausgestaltet. Und das Ergebnis? Mehr als 30 Prozent der jungen Menschen wurden in den darauffolgenden Tagen nicht mehr gesehen, nicht mehr in der Maßnahme und auch nicht im Jobcenter. Schluss und Hoffen auf große Zustimmung. Und dann eine Frage aus dem Plenum: Ob er denn wisse, was aus den jungen Menschen geworden sei? Wo sind die jetzt? Wovon leben die? Ratlose Gesichter auf dem Podium, Schulterzucken. Darüber wisse man nichts. Die sind halt weg.

Das gilt auch oft für die, die man schon im System hatte, die dann aber in die Sanktionsmaschinerie geraten sind. Nun muss man wissen, dass die Sanktionen in der Grundsicherung für die „U 25“, kein deutsches U-Boot, sondern das Kürzel für die unter 25-Jährigen, nach der gegenwärtigen Gesetzeslage strenger sind als für die „Normal-Kunden“. So kann man dem § 31a unter der Überschrift „Rechtsfolgen bei Pflichtverletzungen“ entnehmen: »Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, ist das Arbeitslosengeld II bei einer Pflichtverletzung nach § 31 auf die für die Bedarfe nach § 22 zu erbringenden Leistungen beschränkt. Bei wiederholter Pflichtverletzung nach § 31 entfällt das Arbeitslosengeld II vollständig.« Hier die Variante in einfacher Sprache: Wenn der junge Mensch beispielsweise eine „zumutbare Maßnahme“ – die das Jobcenter definiert – abbricht (auch wenn es gute Gründe dafür geben mag), dann wird ihm nicht nur etwas von seinen Hartz IV-Leistungen gestrichen, sondern sofort alles bis auf die Leistungen für für Unterkunft und Heizung. Geld fürs Leben? Weg. Und macht er dann noch mal Ärger, dann wird ihm auch das gestrichen. Rien ne va plus. Außer Lebensmittelgutscheine, wenn er oder sie die beantragen würde und nicht schon irgendwohin abgetaucht ist. 

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