„Sozialwidriges Verhalten“ von Hartz IV-Empfängern – von der unscharfen Theorie in die vielgestaltige Praxis der sozialgerichtlichen Auslegung

Im Januar 2019 hat sich der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts einen Tag Zeit genommen, um unterschiedliche Stimmen zum Thema Sanktionen lim Hartz IV-System anzuhören. Denn das hohe Gericht hat über eine Richtervorlage des Sozialgerichts Gotha zu entscheiden, mit der die dortigen Sozialrichter prüfen lassen möchten, ob die Sanktionen überhaupt verfassungsgemäß sind oder nicht. Nun warten alle gespannt auf eine Entscheidung aus Karlsruhe. In der Zwischenzeit aber gehen die Sanktionen täglich weiter und darunter sind auch ganz besonders „harte Nüsse“, denn bei ihnen geht es um „sozialwidriges Verhalten“ und der Möglichkeit, auf der Basis der Feststellung eines solchen Verhaltens Leistungen bis zu drei Jahre lang rückwirkend einzufordern, also nicht „nur“ die Leistung für eine gewisse Zeit zu kürzen. Man kann sich vorstellen, dass so eine Konsequenz zur Folge hat, dass die Betroffenen versuchen werden, sich vor den Sozialgerichten zu wehren. Aber zuerst einmal zum Hintergrund dieser ganz besonderen Regelung:

»Die Bundesagentur für Arbeit (BA) will … schärfer gegen Hartz-IV-Empfänger vorgehen, die ihre Bedürftigkeit selbst verursacht oder verschlimmert haben. Demnach sollen Betroffene, die ihre Hilfebedürftigkeit selbst herbeiführen, sie verschärfen oder nicht verringern, künftig sämtliche erhaltenen Leistungen für bis zu drei Jahre zurückzahlen müssen. Strenger ahnden sollen die Ämter demnach auch „sozialwidriges Verhalten“ von Hartz-Empfängern.« Das konnte man im September 2016 diesem Artikel entnehmen: Jobcenter sollen „sozialwidriges Verhalten“ sanktionieren. Hintergrund war das damals gerade verabschiedete  9. SGB II-Änderungsgesetz, in dem es einige Verschärfungen gegeben hat, obgleich die damalige Änderung des Hartz IV-Gesetzes eigentlich als „Rechtsvereinfachung“ und „Bürokratieabbau“ in den Ring geworfen wurde. 

mehr

Die Hartz IV-Debatte brodelt weiter. Jenseits aller Visionen und Widerstände gibt es aber eine Gewissheit: Sie steigen und steigen. Die Verwaltungsausgaben des bestehenden Systems

Das „Hartz IV-System“, also die Grundsicherung für Arbeitsuchende, wie das SGB II offiziell überschrieben ist, war und ist in den vergangenen Monaten immer wieder Thema der öffentlichen Diskussionen gewesen. Viele versuchen sich an diesem Thema. Bürgergeld, Bonuspunkte: Wie Hartz IV abgelöst werden soll, so ist ein Interview mit der SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles am heutigen Tag überschrieben. Allerdings sollte jeder, der jetzt erwartungsvoll und freudig erregt das Gespräch mit ihr zu lesen beginnt, den folgenden Warnhinweis zur Kenntnis nehmen: Die Überschrift führt in die Irre, denn eines ist unbeschadet der Wertung ihrer Vorschläge hervorzuheben: Hartz IV würde auch mit Frau Nahles nicht abgeschafft werden.

mehr

Die Jobcenter und die „angemessenen“ Kosten der Unterkunft. Hoffnung auf höhere Zuschüsse durch neue Entscheidungen des Bundessozialgerichts

Gerade in den zurückliegenden Monaten hatten wir wieder einmal eine „Hartz IV-Debatte“. Dabei ging es auch und vor allem um die Frage, ob und wie man das Grundsicherungssystem (SGB II) weiterentwickeln sollte und könnte. Auch das vor dem Bundesverfassungsgericht anhängige Verfahren zur Frage der verfassungsrechtlichen (Nicht?-)Zulässigkeit von Sanktionen wurde und wird diskutiert.

Man sollte an dieser Stelle daran erinnern, dass das Grundsicherungssystem nicht nur Arbeitslose bzw. Langzeitarbeitslose absichern soll, die immer im Zentrum der „Hartz IV-Debatten“ stehen. Die bilden sogar nur mit mehr als 1,4 Mio. Menschen eine Minderheit der insgesamt 5,9 Mio. Menschen, die in „Bedarfsgemeinschaften“ leben (müssen). Und auch die vieldiskutierten 424 Euro für einen Alleinstehenden pro Monat sind nur ein Teil der Hartz IV-Leistungen. Als zweite wichtige Säule der Grundsicherung ist die Übernahme der „angemessenen“ Wohnkosten für die Leistungsbezieher zu nennen.

mehr

Von der Armut und der Jugend. Wieder einmal wird auf die Jugendarmut in Deutschland geschaut. Für einen Moment

Die Armutsdiskussion in Deutschland pendelt zwischen den Polen einer vollständigen Ausblendung des Problems (Armut gibt es nicht in unserem Land) bis hin zu einer zuweilen schrillen Skandalisierung (und Instrumentalisierung) der Zahlen, die eine fortschreitende Verelendung eines Teils der Bevölkerung belegen (sollen). Beide Extreme sind falsch. Und sie verschütten die Zugänge zu einem höchst heterogenen Kreis von Menschen, die tatsächlich von Armut (meistens gemessen als Einkommensarmut) betroffen sind und die mit wenig, zuweilen sehr wenig Geld über die Runden kommen müssen – und manche von ihnen im wahrsten Sinne des Wortes bis zum Lebensende.

Zugleich kann man auch in der Armutsdebatte eine normative Differenzierung beobachten, hinter der eine (bewusst-unbewusste) „Hierarchie“ der (unverschuldeten) Bedürftigkeit steht: Immer wieder an erster Stelle steht die „Kinderarmut“, denn zum einen können die ja nun wirklich nichts für die Situation, zum anderen rührt Armut von Kindern die Herzen vieler Menschen und selbst Politiker, die das bestehende System verteidigen, geraten beim Blick auf die Kinder in Argumentationsnöte. Und in letzter Zeit wird zunehmend und verständlicherweise angesichts der enormen Zuwächse das Thema Altersarmut aufgerufen – und auch hier läuft immer der Gedanke mit, dass diese Form der Armut erhebliche Gerechtigkeitsprobleme aufwirft, vor allem, wenn die alten Menschen auf ein langes und oftmals hartes Arbeitsleben zurückblicken können.

Nur selten wird eine allerdings große Gruppe unter den einkommensarmen Menschen in unserem Land explizit aufgerufen und in den Mittelpunkt der Berichterstattung gestellt. Und wenn, dann berichten nur wenige Medien darüber – wie man auch in diesen Tagen erneut beobachten muss: die Jugendlichen und jungen Erwachsenen. 

mehr

Von „Irgendwohin-Integrationen egal wie lange“ zu einem differenzierteren Blick darauf, wie viele Arbeitslose wie lange in Beschäftigung integriert werden

Ursprünglich sollte es nach den Vorstellungen der viel gescholtenen „Hartz-Kommission“ nur noch eine Anlaufstelle für alle Arbeitslosen geben. Eine „one-stop-agency“-Lösung für alle erwerbsfähigen Menschen, wie es in dem vom Vorsitzenden Peter Hartz und seinen Getreuen beliebten Unternehmensberater-Deutsch hieß. Dieser Vorschlag der Kommission im Jahr 2002 muss auch vor dem Hintergrund der damaligen Kritik an der Zweiteilung der Zuständigkeit für erwerbslose Menschen in Arbeitsämter und Sozialämter gesehen und eingeordnet werden. Nun wird der eine oder andere kopfschüttelnd auf den heutigen Zustand schauen, der ziemlich weit weg ist von dem, was die Theoretiker sich überlegt hatten. Die Sozialämter gibt es heute auch noch, daneben die zu Agenturen für Arbeit semantisch aufgemotzten Arbeitsämter ebenfalls, allerdings mit einem reduzierten „Kundenkreis“ – denn hinzugekommen sind  nun nach einer längeren Wackel- und Übergangszeit die Jobcenter, die für die vielen Menschen im Grundsicherungssystem (SGB II) und damit nicht nur für Arbeitslose zuständig sind. Das hat mit Blick auf die Arbeitslosen zu einer mit vielen „Schnittstellenproblemen“ belasteten Zweiteilung geführt – die „Versicherungs-Arbeitslosen“ werden von den Arbeitsagenturen nach dem SGB III betreut und die „Fürsorge“-Arbeitslosen landen in den Jobcentern, die zudem auch noch mal zweigeteilt sind, in Jobcenter, die von der Bundesagentur für Arbeit gemeinsam mit den Kommunen betrieben und in Jobcenter, die ausschließlich von der kommunalen Seite verantwortet werden. Deutschland ist ein Meister der Differenzierung.

Nun haben wir in den vergangenen Jahren seit 2011 eine von oben betrachtet wirklich gute Arbeitsmarktentwicklung gesehen, die mit dazu beigetragen hat, dass sich die Integrationschancen von Arbeitslosen deutlich verbessert haben. Auch diese Aussage ist einmal sehr allgemein gehalten und bedarf des genaueren Hinschauens.

mehr