Aus der Welt der Jobcenter: 60 Millionen Euro Kosten für 18 Millionen Euro auf der Haben-Seite. Und einen Schüler-PC gibt es nicht vom Amt

Jobcenter müssen auch kleine Beträge von Hartz-IV-Empfängern zurückfordern. Das verursacht einen enormen Verwaltungsaufwand. Den kann man jetzt beziffern: 2018 wurden insgesamt 18 Millionen Euro an Kleinbeträgen bis 50 Euro zurückgefordert. Gekostet aber hat das rund 60 Millionen Euro. Das berichtet Henrike Roßbach auf der Basis von Daten der Bundesagentur für Arbeit, die der CDU-Bundestagsabgeordnete Kai Whittaker erfragt hat. Und im Zeitverlauf scheint es immer schwieriger und teurer zu werden, die Kleinbeträge bei den Betroffenen wieder einzusammeln: 2016 war das Verhältnis von Aufwand und Ertrag noch nicht ganz so ungünstig, wenn auch damals schon tiefrot: Forderungen von zwölf Millionen Euro standen damals Verwaltungskosten von rund 26,2 Millionen Euro gegenüber.

Und Roßbach berichtet in ihrem Artikel Jobcenter geben 60 Millionen Euro aus, um 18 Millionen einzutreiben: »Je geringer die Beträge sind, um die es geht, desto größer ist das Missverhältnis: 2018 summierten sich Forderungen von bis zu 20 Euro auf 4,6 Millionen Euro und verursachten einen fast neunmal so hohen Verwaltungsaufwand von 40,6 Millionen Euro.« Der Bundestagsabgeordnete Whittaker, der auch Mitglied im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales ist, wird mit diesen Worten zitiert: „Hartz IV verwaltet sich selbst und verliert sich in Kleinigkeiten. Dann geht es wirklich nicht mehr um die Menschen, sondern um die Bürokratie.“

Während die einen argumentieren werden, dass es hier eben ums Prinzip geht, das nicht deswegen außer Kraft gesetzt werden darf, weil es sich um ein Klecker-Betrag handelt, könnten andere auf die Idee kommen, dass hier offensichtlich Aufwand und Ertrag in keinem vernünftigen Verhältnis mehr zueinander stehen und man doch sogar eine Menge Geld (des Steuerzahlers) sparen würde, wenn man hier auf das Prinzip verzichten würde. Und im ganz geringfügigen Bereich gibt es das schon heute: »Der Spielraum für die Ämter ist gering. Als „Soll“ erfassen muss die BA in ihrem Finanzsystem grundsätzlich alle Ausstände ab einem Cent. Für allerkleinste Beträge bis sieben Euro greift die „Kleinbetragsgrenze“ der Bundeshaushaltsordnung. Das heißt, ob ein Erstattungsbescheid verschickt wird, steht im Ermessen des Jobcenters; gemahnt wird nicht.«

Aber für Ausstände zwischen sieben und 36 Euro müssen Erstattungsbescheide verschickt werden und auch Mahnungen, ab 36 Euro werden „Vollstreckungsmaßnahmen“ eingeleitet. So die bisherige Regelung, an die sich die Jobcenter halten müssen.

Und Roßbach benennt auch die Verantwortlichen für diese Situation – es sind nicht die Jobcenter als ausführende Behörde: »Dafür, dass die BA auch bei Forderungen von weniger als sieben Euro tätig werden muss, hatten Ende 2014 die damaligen Minister für Finanzen und Arbeit, Wolfgang Schäuble (CDU) und Andrea Nahles (SPD), gesorgt. Ihre Häuser stellten durch eine Weisung klar, dass sämtliche Forderungen zumindest erfasst und „auf Soll“ gestellt werden müssen. Dadurch sind die Fallzahlen deutlich gestiegen.«

Und die BA? „Wir wünschen uns seit Jahren die Einführung einer Bagatellgrenze“, wird der Vorstandsvorsitzende der BA, Detlef Scheele, zitiert.

Die enormen Kosten, die hier produziert werden, könnte man mit einer einfachen Regel vermeiden, kommentiert heike Roßbach unter der Überschrift Schluss mit der Millionen-Verschwendung: »Die Nürnberger Behörde fordert seit Jahren, dass sie bei Kleinbeträgen nicht mehr tätig werden muss. Dass also Hartz-IV-Empfänger 14,73 Euro, die sie wegen einer erst nachträglich berücksichtigen Übungsleiterpauschale zurückzahlen müssten, schlicht behalten dürfen – und die Jobcenter-Mitarbeiter nicht die ganze Rückforderungsmaschinerie anschmeißen müssen.« Und sie weist darauf hin: »Der Bund schreibt seinen Behörden ein besonders redliches Verhalten vor – natürlich zu Recht. Und in der Tat bringen Bagatellgrenzen Probleme mit sich.« Und sie argumentiert so: »Es kann nicht sein, dass ausgerechnet die Jobcenter gezwungen sind, auf diese Weise Millionen Euro zum Fenster hinaus zu werfen. Immer wieder wird gefordert, Hartz IV zu entbürokratisieren. Jobcenter-Mitarbeiter sollen mehr Zeit haben für ihre eigentliche Arbeit – die Vermittlung von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt oder in eine sinnvolle Weiterbildung. Zudem wird in der Grundsicherung mit spitzer Feder gerechnet. Die Zuverdienste, die Hartz-IV-Sätze, die Heizkosten – für alles gibt es detaillierte Vorschriften und Regeln. Was durchaus berechtig ist, denn all diese Leistungen müssen von der Allgemeinheit finanziert werden, auch von Menschen mit harten, anstrengenden und nicht gerade üppig bezahlten Jobs. Gerade denen aber lässt sich überhaupt nicht vermitteln, warum der Bedarf eines Hartz-IV-Empfängers auf den Cent genau statistisch ermittelt und festgelegt wird, gleichzeitig aber Millionen ausgegeben werden für rein gar nichts.«

Bleibt eine Frage offen, die auch Roßbach nicht beantwortet: Wie hoch darf/soll sie denn sein, die Bagatellgrenze?

Und runden wir das Bild von einer ganz anderen Seite ab: Während bei den Rückforderungen der Rubel rollt, ist die Geldzufuhr für wirklich wichtige Dinge blockiert. Katharina Schmidt berichtet unter der Überschrift Kein Schüler-PC vom Jobcenter über den folgenden Sachverhalt: Ein Sechstklässler, vertreten durch seine Mutter, hatte im März 2018 beim Jobcenter Charlottenburg-Wilmersdorf die Kostenübernahme für einen Computer beantragt. Er habe seine Hausaufgaben bisher im Internetcafé erledigen müssen. Der Schulleiter des Gymnasiums bescheinigte der Behörde die Notwendigkeit eines eigenen PCs für den Schüler. Der als Zeuge geladene Schulleiter erklärte in der Verhandlung, Kinder bräuchten auch von zu Hause aus einen Zugang zu digitalen Endgeräten. Für die zum Schulabschluss anstehenden Präsentationsprüfungen müssten SchülerInnen schon vorher üben.

Jedoch lehnte das Jobcenter die Kostenübernahme ab. Laut Landesgesetz sei es Pflicht der Schulbehörde, den Schulen und Schüler nötige Lehrmittel zur Verfügung zu stellen. Das wurde nun vom Sozialgericht Berlin bestätigt.

»Die VertreterInnen der Senatsverwaltung wandten ein, in dem Wilmersdorfer Gymnasium stünden 78 Computer einschließlich Notebooks zur Verfügung. Sie wiesen zudem darauf hin, dass die in den Schulcomputern eingebauten Medienschutzfilter die Aufsicht gewährleisten. Der Schulleiter räumte auf Nachfrage des Gerichts ein, dem Jungen im Rahmen der Hausaufgabenbetreuung bis 16 Uhr einen Laptop zur Verfügung stellen zu können.«

Interessant dann auch dieser Appell des Sozialgerichts: »Im Schlusswort erklärte der Vorsitzende Richter, er hoffe, die Verhandlung habe „Pilotwirkung“ für das Schulwesen. In Berlin seien die Schulen und nicht das Jobcenter in der Verantwortung, Kindern ihren Anspruch auf Bildung zu erfüllen. Die Schulen sollten ihre Verantwortung ernst nehmen.«