Sie haben es getan. Nach einem sehr langen Prozess vom ersten Referentenentwurf aus dem Bundesarbeitsministerium, der am 16.11.2015 vorgelegt und schnell wieder zurückgezogen wurde, bis hin zu einem Gesetzentwurf (BT-Drs. 18/9232), über den dann – versehen mit einigen wenigen Korrekturen (vgl. Drucksache 18/10064 vom 19.10.2016) – heute im Bundestag abschließend abgestimmt wurde, so dass die Änderungen am Arbeitnehmerüberlassungsgesetz zum 1. April 2017 in Kraft treten werden.
Neue Regelungen zu Werkverträgen und Leiharbeit beschlossen, meldet der Deutsche Bundestag folglich Vollzug: „Ordnung auf dem Arbeitsmarkt“: Das will die Koalition mit ihrer Neuregelung von Leiharbeit und Werkverträgen erreichen, die der Bundestag am Freitag, 21. Oktober 2016, mit den Stimmen von Union und SPD verabschiedet hat. Die Opposition spricht dagegen von „Etikettenschwindel“.
Zu den Inhalten der Gesetzesänderungen kann man der Mitteilung des hohen Hauses entnehmen: »Damit sollen ab April 2017 Leiharbeiter nach neun Monaten den gleichen Lohn wie Stammbelegschaften bekommen. Zugleich wird die Höchstverleihdauer auf 18 Monate begrenzt. In beiden Fällen sind jedoch Ausnahmen möglich, wenn Tarifverträge etwas anderes regeln.« Und da sind wir schon mittendrin in der notwendigen Bewertung der gesetzgeberischen Bemühungen, die tatsächlich in der Gesamtschau als gescheitert betrachtet werden müssen – selbst wenn man nicht die Maßstäbe der Oppositionsparteien anlegt, sondern den starting point des Unternehmens, also den Koalitionsvertrag aus dem Dezember 2013. Dort findet man auf den Seite 49 und 50 die Ziele unter den Überschriften „Missbrauch von Werkvertragsgestaltungen verhindern“ sowie „Arbeitnehmerüberlassung weiterentwickeln“.
Gemessen daran muss man zu dem Ergebnis kommen, dass man zwar mit den nun verabschiedeten gesetzlichen Regelungen formal den Auftrag des Koalitionsvertrags abgearbeitet hat, inhaltlich aber ist daraus ein Abarbeitungsgesetz geworden, das darunter leidet, dass hier zwei „Partner“, die in unterschiedliche Richtungen laufen wollten, ein Gesetz gezimmert haben, was in der Abbildung der völlig konträren Sichtweise auf die (Nicht-)Regulierung der Leiharbeit zu einem Regelwerk geführt hat, das im besten Fall an den Betroffenen völlig vorbei geht, also keine Wirkungen entfalten kann. Es gibt aber auch handfeste Verschlechterungen.
Eine umfassende Analyse der gesetzlichen Neuregelungen ist im Vorfeld der heutigen Abstimmung von verschiedener Seite vorgelegt und veröffentlicht worden. Beispielsweise findet man eine umfangreiche Auseinandersetzung in
➔ Nadine Absenger et al. (2016): Leiharbeit und Werkverträge. Das aktuelle Reformvorhaben der Bundesregierung. WSI-Report Nr. 32, Oktober 2016
sowie anlässlich der Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages am 17.10.2016 die Stellungnahmen der Verbände und Einzelsachverständigen:
➔ Schriftliche Stellungnahmen zur öffentlichen Anhörung von Sachverständigen in Berlin am 17. Oktober 2016, Ausschussdrucksache 18(11)761, 14.10.2016
Die skeptisch-ablehnende Bewertung der vorgenommenen Änderungen soll anhand einiger weniger Punkte begründet werden.
„Die Koalition will die Leiharbeit auf ihre Kernfunktionen hin orientieren“, so eine Zielformulierung im Koalitionsvertrag. Aber was sind die „Kernfunktionen“ der Leiharbeit? Diese wurden im Koalitionsvertrag nicht weiter präzisiert.
Ist die Kernfunktion der Leiharbeit die temporäre Überbrückung eines eben nicht dauerhaften Personalbedarfs oder/und die (angebliche) Integration von Geringqualifizierten in den Arbeitsmarkt über einen Einstiegs- und vor allem Klebeeffekt der Leiharbeit? Die empirischen Befunde zum angeblich und immer wieder gerne ins Feld geführten „Klebeeffekts“ sind seit Jahren mehr als ernüchternd.
Eine „klassische“ Sichtweise auf Leiharbeit – wenn man nicht grundsätzlich die Existenzberechtigung dieser besonderen Art und Weise des Personaleinsatzes ablehnt – fokussiert auf den Charakter der Überbrückungsfunktion der Leiharbeit, sei es für Auftragsspitzen oder für einen temporären Arbeitsausfall innerhalb der Stammbelegschaft. Daraus resultiert die zwingende Logik eines nur vorübergehenden Verleihs von Arbeitnehmer/innen an den Entleiher. Das korrespondiert übrigens mit der EU-Leiharbeitsrichtlinie 2008/104/EG, in der Leiharbeit auf eine „vorübergehende Überlassung“ beschränkt wird. Das bisherige Problem war allerdings, dass man nicht definiert und konkretisiert hat, wann eine Überlassung (noch oder nicht mehr) „vorübergehend“ ist.
Hier bringen die gesetzlichen Änderungen – scheinbar – endlich Klarheit. Sollte man jedenfalls meinen, wenn man erfährt, dass die Überlassungshöchstdauer auf 18 Monate festgelegt wird.
Auch hier muss man von der Zielsetzung ausgehen, die man im Koalitionsvertrag finden kann und dem, was jetzt rausgekommen ist:
Die Zielsetzung des Koalitionsvertrags hinsichtlich der Überlassungsdauer lässt sich auf diese Formel eindampfen: 18 (+ x).
Damit ist das hier gemeint: Die Präzisierung des „vorübergehenden“ Verleihs soll durch eine Fixierung der zulässigen Höchstdauer auf 18 Monate präzisiert werden – zugleich werden „abweichende Lösungen“ durch tarifvertragliche Regelungen in Aussicht gestellt.
Was ist daraus geworden? Auch hier wieder ein Formel-Ansatz:
18 + (ohne Obergrenze) oder (24).
Das sieht nicht nur nicht einfacher aus, sondern ist auch komplizierter und (noch) problematischer als schon der ursprüngliche Ansatz mit den 18 Monaten, geschweige denn der tarifvertraglichen Öffnungsklausel.
Wir bekommen also eine „Obergrenze“ von 18 Monaten. Sogleich folgt allerdings die Umsetzung der (+ x)-Öffnungsklausel, denn in einem Tarifvertrag (der Tarifparteien der Einsatzbranche wohlgemerkt) können abweichenden Regelungen und eine längere Einsatzdauer vereinbart werden. Damit gibt es im Fall der tarifvertraglichen Regelung nach oben keine definierte Grenze bei der Überlassungsdauer. Aber es kommt noch „besser“: Diese Option gilt aber nicht nur für tarifgebundene Unternehmen auf der Entleiher-Seite, denn: Im Geltungsbereich eines Tarifvertrages der Einsatzbranche können auch nicht tarifgebundene Entleiher von der Höchstüberlassungsdauer abweichende tarifvertragliche Regelungen durch Betriebs- oder Dienstvereinbarungen übernehmen. Bei denen wird dann aber eine zweite Höchstüberlassungsdauergrenze eingezogen, die bei 24 Monate liegt.
Offensichtlich geht hier einiges durcheinander. Das Ziel einer Stärkung der Tarifparteien (das hebt die Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) immer so hervor) wird erkennbar, zugleich aber hinten rum wieder ausgehebelt. Die zitierte Öffnungsklausel konterkariert im Ergebnis die Besserstellungsabsicht der Tarifebene, da den nicht-tarifgebundenen Unternehmen ein weitgehend gleicher Vorteil ermöglicht wird, so dass mehr als begründungsbedürftig ist, wo hier eine anvisierte Stärkung der Tarifbindung angereizt werden soll. Eher das Gegenteil ist der Fall.
Und mal grundsätzlich gedacht: Ist es nicht eigentlich der Sinn tarifvertraglicher Regelungen, dass damit die Arbeitnehmer besser gestellt werden und gerade nicht schlechter? Man muss sich klar machen: Hier wird durch einen Tarifvertrag eine Abweichung ermöglicht, bei dem sich die betroffenen Leiharbeitnehmer schlechter stellen als würde es nur die gesetzliche Begrenzung auf 18 Monate geben.
Aber es kommt noch doller: Man hat sich entschieden, statt einer arbeitsplatzbezogenen Definition des „vorübergehenden“ Verleihs eine arbeitnehmerbezogene Abgrenzung zu wählen. Anders formuliert: Die zeitliche Überlassungsgrenze gilt nur für Personen, nicht für Arbeitsplätze. Mit gravierenden Folgewirkungen, denn das ermöglicht es dem Entleiher eine nach wie vor und jetzt gesetzlich fixierte zeitlich unbegrenzte Inanspruchnahme von Leiharbeit auf ein und demselben Dauerarbeitsplatz in seinem Unternehmen, man muss jetzt nur die arbeitnehmerbezogene Grenze einhalten und den betroffenen Leiharbeiter nach 18 Monaten austauschen gegen einen neuen Leiharbeiter.
Aber selbst auf den alten Leiharbeitnehmer kann man wieder zurückgreifen: Man muss an dieser Stelle auf eine deutliche Verschlechterung einer Regelung gegenüber dem ersten Referentenentwurf vom 16.11.2016 hinweisen, die sich auf die Person des Leiharbeitnehmers bezieht: Zeiträume vorheriger Überlassung werden angerechnet, wenn zwischen den Einsätzen jeweils nicht mehr als drei Monate liegen. In dem ersten Referentenentwurf betrug dieser Zeitraum noch sechs Monate. Die kurze Frist von drei Monaten wird für Verleihunternehmen und Arbeitgeber unter Zuhilfe- nahme von Überbrückungsleistungen der Agentur für Arbeit (Arbeitslosengeld) oder der Jobcenter (Arbeitslosengeld II) kein Hindernis für den dauerhaften Einsatz von Leiharbeitern darstellen.
Und um dem Wahnsinn die Krone aufzusetzen, muss man an dieser Stelle darauf hinweisen, dass selbst eine „saubere“, weil eindeutige und nicht wie Kaugummi dehnbare 18-Monats-Regelung für die übergroße Mehrheit der Leiharbeiter überhaupt keine praktische Bedeutung hat – bereits bei mehr als der Hälfte von ihnen endet das Beschäftigungsverhältnis mit der Leiharbeitsfirma bereits nach drei Monaten.
Ein zweites Beispiel: Von denen, die sich lobend über die gesetzlichen Änderungen äußern müssen, wird gerne in den Raum gestellt: Endlich ist klar, nach neun Monaten bekommen die Leiharbeiter „equal pay“, also die gleiche Bezahlung wie die Stammbelegschaft. Und auch der Blick zurück gibt Hinweise, dass das so sein sollte, denn die Zielformulierung im Koalitionsvertrag ist eigentlich eindeutig: „Die Koalitionspartner sind sich darüber einig, dass Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer künftig spätestens nach neun Monaten hinsichtlich des Arbeitsentgelts mit den Stammarbeitnehmern gleichgestellt werden.“
Und wie wird das jetzt umgesetzt?
Aus 9 wird 9, aber auch 15.
Auch hier wieder: Tarifvertragliche Regelungen als Schlechterstellung, denn die 9 Monate können darüber zu 15 Monaten gestreckt werden. Muss ich noch anmerken, dass auch hier die nicht-tarifgebundenen Arbeitgeber die „Segnungen“ der tarifvertraglichen Schlechterstellung selektiv „mitnehmen“ können und dürfen?
Und auch die drei Monate tauchen hier wieder auf: Zeiträume vorheriger Überlassungen durch denselben oder einen anderen Verleiher an denselben Entleiher sind auf die Wartezeit von equal pay anzurechnen, wenn zwischen den Einsätzen nicht mehr als drei Monate liegen. Wenn sie darüber hinaus reichen, dann fängt das Spiel wieder von vorne an. Und auch hier sind die ursprünglich mal vorgesehenen sechs Monate unterwegs in Berlin verloren gegangen.
Bleibt an dieser Stelle nur anzumerken: Die einfachste Lösung des Problems wäre natürlich die Gewährung von equal pay ab dem ersten Tage der Beschäftigung, maximal eine vorgeschaltete, allerdings eng begrenzte Einarbeitungszeit mit einer abgesenkten Vergütung. Dann könnte man sogar auf die Festschreibung einer (in den meisten Fällen sowieso nur theoretischen) Höchstüberlassungsdauer verzichten, denn Lohndumping wäre in diesem Fall vom Tisch.
Vor diesem, hier nur partiell angeleuchteten Hintergrund kann so eine Nachricht auch nicht überraschen: Leiharbeit kann auch mit neuem Gesetz missbraucht werden, so Thomas Öchsner. Er berichtet, dass der der unabhängige Wissenschaftliche Dienst des Bundestags den Kritikern, die schon immer gesagt haben, dass Nahles‘ Gesetz nicht weit genug gehe, eine Steilvorlage geliefert habe mit einem Gutachten, das erstellt wurde auf Anfrage der grünen Bundestagsabgeordneten Beate Müller-Gemmeke.
Die Gutachter des Bundestags sehen nach wie vor Schlupflöcher: „Tatsächlich bleibt nach dem Gesetzentwurf eine Rotationslösung denkbar, wenn ein Verleiher beispielsweise zwei Leiharbeitnehmer halbjährlich wechselnd in zwei Entleih-Betrieben einsetzt“, heißt es in der Ausarbeitung. Die Gutachter verweisen auf Arbeitsrechtler, die das „Pingpong“ und „Karussell-Gestaltungen“ nennen. Und auch die hier bereits angesprochene verkürzte Drei-Monats-Frist wird von den Gutachtern kritisiert: „Im Ergebnis wird es nach dem Gesetzesentwurf möglich bleiben, Arbeitsplätze langfristig mit Leiharbeitnehmern zu besetzen, sofern diese spätestens nach 18 Monaten ausgetauscht werden.“ Und auch hier seien „Rotationslösungen“ denkbar. Die Bundestagsabgeordnete Müller-Gemmeke charakterisiert denn auch das neue Gesetz leider zutreffend als „Nebelkerze“.
Am Ende des Artikels findet man dann diesen Hinweis: »Nahles hätte gern mehr durchgesetzt, scheiterte aber am Widerstand des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall und der CSU. So stellte sie es vor ein paar Tagen bei einer Tagung in Frankfurt dar. Ihr ursprünglicher Entwurf, sagte sie, sei „kleingehäckselt“ worden.«
Kann man denn nicht irgendwie positiv enden? Doch, eine kleinen Lichtblick gibt es zu vermelden, ein Ergebnis der Sachverständigenanhörung am 17.10.2016 und der dort vorgetragenen Kritik. Und zwar an der sensiblen Stelle der Abgrenzung zwischen einem Werkvertrag und Arbeitnehmerüberlassung. Hier gab es in der Vergangenheit in den Fällen, in denen tatsächlich statt eines zulässigen Werkvertrags illegale Arbeitnehmerüberlassung betrieben wurde, ein elegantes Schlupfloch für den faktischen Verleiher, denn wenn der eine Überlassungserlaubnis hatte, dann konnte er diese „ziehen“ und der faktische Entleiher hatte keine ansonsten vorgesehenen negativen rechtlichen Folgen zu spüren bekommen. Dieses Schlupfloch wurde geschlossen – gleichzeitig aber, so die Experten-Kritik, wurde mit einer neu eingebauten „Widerspruchsmöglichkeit“ ein neues Schlupfloch eingebaut. Vgl. dazu ausführlicher den Beitrag Ein „Kuckuckskind“ inmitten der „historischen Reform“ der Leiharbeit? Eine handfeste Rosstäuscherei? Auf alle Fälle eine Verschlechterung und ein „toller Trick“ vom 19. Mai 2016. An dieser Stelle kann man nun Entwarnung dergestalt geben, als dass durch eine vom Ausschuss für Arbeit und Soziales nach der Anhörung verabschiedete und übernommene Änderung eine Konstellation durchgesetzt wurde, die dem ganzen Instrument seinen Zahn gezogen haben (vgl. dazu den Beschlussempfehlung und den Beschluss des Ausschusses auf Drucksache 18/10064 vom 19.10.2016).
Fazit: Wieder einmal kein guter Tag für die bald eine Million Leiharbeitnehmer in unserem Land.