Die Tafeln und die Flüchtlinge. Zwischen „erzieherischer Nicht-Hilfe“ im bayerischen Dachau und der anderen Welt der Tafel-Bewegung

Derzeit gibt es mehr als 900 Tafeln in Deutschland. Alle sind gemeinnützige Organisationen. Bundesweit unterstützen sie regelmäßig über 1,5 Millionen bedürftige Personen mit Lebensmitteln – knapp ein Drittel davon Kinder und Jugendliche. Rund 60.000 Menschen in Deutschland engagieren sich ehrenamtlich und spenden ihre Freizeit und ihr Know-how: als Helfer vor Ort, Fahrer, Berater oder Dienstleister. Ein paar Stunden am Tag, in der Woche oder im Monat, so wie es die persönlichen Möglichkeiten zulassen. Soweit die Selbstdarstellung der Tafeln. Es geht hier nicht um die immer wieder geführte Debatte um das Für und Wider dieser Hilfe (vgl. dazu nur beispielsweise die Blog-Beiträge Wird die „Vertafelung“ unserer Gesellschaft durch eine unaufhaltsame Effizienzsteigerung auf Seiten der Lieferanten erledigt? vom 19. April 2015 sowie Von der fortschreitenden „Vertafelung“ der unteren Etagen unserer Gesellschaft und warum die Zahl derjenigen, die nicht in Urlaub fahren können, kein geeigneter Maßstab ist vom 29. Mai 2014). Sondern es geht um einen aktuellen Konflikt, der sich an dem (Nicht-)Umgang mit den Flüchtlingen entzündet hat. Das ging los mit so einer Meldung, die aus Dachau kommt: Kein Zutritt für Asylbewerber. Anna-Sophia Lang berichtete in ihrem Artikel: »Die Tafel gibt keine Lebensmittel an Flüchtlinge aus. Diese sollten lernen, mit ihrem Geld umzugehen, sagt Vorsitzender Bernhard Seidenath.« Der Mann ist einer dieser Mehrfachfunktionäre: Er ist als Kreisvorsitzender des Bayerischen Roten Kreuzes für die Tafel in Dachau zuständig und sitzt zugleich als Abgeordneter für die CSU im bayerischen Landtag. Der Mann hat so seine eigene Sicht auf die Dinge. Er wird beispielsweise mit diesen Worten zitiert: „Wer hier in Deutschland aufgewachsen ist, weiß, wie er sich sein Geld einteilen muss. Menschen, die aus anderen Kulturkreisen zu uns kommen und sich in unserem Land nicht auskennen, wissen das nicht.“ Und die Leiterin der Dachauer Tafel, Edda Drittenpreis, sekundiert dem forschen Rot-Kreuzler: „Das, was wir haben, essen die Asylbewerber ja alles nicht, die wollen Couscous und Kichererbsen.“ Offensichtlich wird es unappetitlich in dieser Geschichte.

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Schäuble allein zu Haus? Hartz IV für Flüchtlinge absenken, fordert der Bundesfinanzminister. Oder plaudert er nur ein wenig?

Bei so einer Meldung spitzt man die sozialpolitischen Ohren: Wolfgang Schäuble will Hartz IV für Asylbewerber senken. Und reibt sich anschließend die Augen ob der Begründung, die in dem Artikel kolportiert wird: »Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble will den Hartz-IV-Satz für Flüchtlinge senken. „Können wir nicht wenigstens die Kosten für die Eingliederungsleistungen abziehen?“, fragte Schäuble am Dienstag in Berlin. „Wir werden darüber noch diskutieren müssen.“ Sonst erhalte ein Flüchtling, der noch die Sprache und zum Teil Lesen und Schreiben lernen müsse, ebenso viel wie jemand, der 30 Jahre gearbeitet habe und nun arbeitslos sei.« Allein in dieser Aussage sind zwei richtig große Klöpse enthalten. Zum einen sein Hinweis auf die Eingliederungsleistungen. Der ist richtig putzig, denn er vermittelt den Eindruck, die werden den Hartz IV-Empfängern ausgezahlt. Was nun wirklich nicht der Fall ist, denn es handelt sich hierbei um Mittel, die verwendet werden können beispielsweise für Arbeitsgelegenheiten oder Qualifizierungsmaßnahmen, wenn sie denn da sind. In den vergangenen Jahren wurden diese Eingliederungsmittel erheblich gekürzt und außerdem bedienen sich viele Jobcenter an diesem Topf, denn die Mittel sind gegenseitig deckungsfähig mit dem Budget für Verwaltungsausgaben, also werden Gelder für die Förderung umgewidmet für die Verwaltungsausgaben der Jobcenter (vgl. hierzu beispielsweise Unterfinanzierte Jobcenter: Von flexibler Nutzung zur Plünderung der Fördergelder für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen). Also das war schon mal nichts.

Wie aber ist es mit seinem zweiten Punkt? Man müsse Hartz IV absenken, »erhalte ein Flüchtling, der noch die Sprache und zum Teil Lesen und Schreiben lernen müsse, ebenso viel wie jemand, der 30 Jahre gearbeitet habe und nun arbeitslos sei.« Das nun wiederum ist eine totale Verkennung der Grundprinzipien des Grundsicherungssystems. Denn das von ihm wohl offensichtlich in spalterischer Absicht vorgetragene Argument ist keines, denn dieses Problem stellt sich auch in einer Hartz IV-Welt ohne Flüchtlinge.

In der alten Prä-Hartz-Welt gab es neben dem beitragsfinanzierten Arbeitslosengeld die bedürftigkeitsabhängige, allerdings am früheren Arbeitseinkommen orientierte Arbeitslosenhilfe und als eigenes, letztes Auffangsystem die Sozialhilfe. Mit den „Hartz-Reformen“ hat man die beiden unteren Etagen zusammengelegt, dabei allerdings den Bezug auf das frühere Arbeitseinkommen beseitigt. Das bedeutet im Klartext für den Normalfall: Ein Arbeitnehmer, der seinen Job verliert und ein Jahr lang Arbeitslosengeld I als Versicherungsleistung bezieht, fällt in das Grundsicherungssystem (SGB II) mit dem Arbeitslosengeld II – und bekommt genau so viel oder wenig wie eine Person, die ihr Leben lang nie gearbeitet hat. Sollte der Herr Bundesfinanzminister hier ein Problem sehen oder ar eine Ungerechtigkeit, dann hätte er das schon längst thematisieren können und müssen. Ganz offensichtlich geht es hier um etwas ganz anderes: Er bedient die Abgrenzungsgefühle nach unten gegen die Gruppe der Flüchtlinge bei denjenigen, die selbst ganz unten angekommen sind.

Ansonsten hätte man von einem Bundesminister schon erwartet, dass er die Rechtsprechung des höchsten deutschen Gerichts kennt und berücksichtigt. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in der hier interessierenden Causa mit einem wegweisenden Urteil bereits zu Wort gemeldet und vor allem dieser eine Satz aus der Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 2012 sollte auch dem Bundesfinanzminister bzw. seinen Zuarbeitern bekannt sein und seine Zitation könnte die weitere Auseinandersetzung mit den Gedankenspielereien des Ministers beenden:

»Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.« (BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10, Randziffer 121)

Dieses Urteil des BVerfG ist insofern von besonderer Relevanz für die aktuelle Debatte, als die Verfassungsrichter hier eine wichtige Klarstellung vorgenommen haben: Regelungen zu den Grundleistungen in Form der Geldleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz verfassungswidrig, so die Pressemitteilung des Gerichts zur damaligen Entscheidung. Die klare Botschaft der damaligen Entscheidung: Es gibt die Verpflichtung zur Sicherstellung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Und das Gericht spricht hier von Existenzminimum im Singular, keineswegs im Plural – genau darum aber geht es Schäuble mit seinem Vorschlag (oder sagen wir besser: mit seiner Idee). Er will offensichtlich Existenzminima in den politischen Raum stellen. Das nun ist durch die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht gedeckt.

Warum dann dieser Vorstoß? Man kann es hinsichtlich der Interpretation so halten, wie es in dem Artikel Schäuble irritiert mit Kürzungsvorschlag für Flüchtlinge vorgetragen wird:

»Möglicherweise war der Minister bei dem von der Journalistin Nina Ruge moderierten Gespräch schlicht in Plauderlaune. So berichtete er auch von einem Scherz, den er sich vergangene Woche bei der Herbsttagung von IWF und Weltbank erlaubt habe. „Ich hab gesagt, als ich in Peru war, in Lima bei der IWF-Tagung, ich könnt‘ ja schnell nach Chile fliegen – ist nicht mehr so weit und die Frau Honecker lebt ja noch – und fragen, wie hat’s eigentlich der Erich gemacht mit der Mauer?“«

Sehr witzig. Vielleicht war es ja auch in Wirklichkeit so, dass der Bundesfinanzminister einfach seiner Plauderlaune erneut freien Lauf gelassen hat. Bei dem Thema wäre das allerdings mehr als fragwürdig, es geht hier immerhin um die Frage des Existenzminimums.

Es könnte natürlich auch sein, dass hinter dem Vorstoß eine bestimmte Strategie steckt, die sich darüber bewusst ist, dass der konkrete Vorschlag – gleichsam als Bauernopfer – gar keine Chance hat, sehr wohl aber das dahinter stehende Einsparmotiv.

Da verwundert es auch nicht, dass gewisse journalistische Hilfstruppen sogleich dem an sich nur plaudernden Finanzminister beigesprungen sind – immer im Dienst der Sache, hier des Abbaus sozialer Leistungen. So kommentiert Heike Goebel in der Online-Ausgabe der FAZ unter der Überschrift Sozialleistungen müssen überprüft werden und zugleich – wenn schon, denn schon – den Bogen weiter spannend: »Die Sozialleistungen für Flüchtlinge müssen auf Fehlanreize überprüft werden. Das allein wird aber nicht reichen, um den Anstieg der Sozialausgaben zu bremsen. Hält der starke Zustrom an, müssen die Sozialleistungen durchforstet werden. Es wird Kürzungen geben, nicht nur für die Flüchtlinge.« Aber so ganz sicher ist sich die Apologetin des Sozialabbaus nun auch wieder nicht, denn sie stellt etwas verunsichert – man weiß ja nie – die Frage in den Raum: »Oder wollte Schäuble mit seinem Hinweis auf Hartz IV das Feld für höhere Steuern und Schulden vorbereiten?«

Das mag alles vielleicht so sein. Sicher ist hingegen, dass der Bundesfinanzminister weiß, was auf ihn bzw. den Bundeshaushalt zukommen wird, wenn auch nur in Umrissen, die aber genügen. „Im Hartz-IV-System fehlen Milliarden“, konnte man in der Print-Ausgabe der FAZ am 6. Oktober 2015 lesen. Da bekommt man einen ersten Eindruck von den Größenordnungen, über die wir hier sprechen – und erneut werden wir auch wieder mit den Verwaltungskosten der Jobcenter konfrontiert:

»Die 408 deutschen Jobcenter sollen nach dem Willen von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) im kommenden Jahr bis zu 3,3 Milliarden Euro zusätzlich vom Bund erhalten, damit sie die Mehrausgaben für die vielen Flüchtlinge decken können. Der Betrag ist aber womöglich viel zu knapp kalkuliert – selbst wenn man die bisherige Prognose von 800 000 Asylbewerbern in diesem Jahr zugrunde legt. Das zeigen Berechnungen der Bundesländer. Danach müsste nun allein das Budget der Verwaltungskosten, mit denen die Jobcenter ihr Personal und ihren laufenden Betrieb finanzieren, um 1,1 Milliarden Euro im Jahr steigen … Bisher sieht Nahles’ Etat für 2016 insgesamt 4 Milliarden Euro für Verwaltungskosten der Jobcenter vor, ebenso viel in diesem Jahr und 650 Millionen Euro weniger als noch 2014. Die Verwaltungskosten machen knapp ein Zehntel aller Hartz-IV-Ausgaben aus; der größte Posten ist mit gut 19 Milliarden Euro das Arbeitslosengeld II. Überträgt man diese Kostenverteilung auf die von Nahles nun angestrebte Budgetaufstockung um 3,3 Milliarden Euro, dann wären darin rund 300 Millionen für Verwaltungskosten enthalten – also nur etwas mehr als ein Viertel dessen, was nun nach gemeinsamer Überzeugung der Länder nötig ist … Seit Jahren buchen Jobcenter laufend Gelder aus dem Topf für Eingliederungs- und Fördermaßnahmen für Arbeitslose um, damit sie ihre eigenen Personal-, IT- und Heizkosten bezahlen können. Schon 2014 hatten sie dafür fast 500 Millionen Euro aus dem Fördertopf entnommen, der ebenfalls ein Gesamtvolumen von rund vier Milliarden Euro hat. In diesem Jahr werden es sogar fast 650 Millionen Euro sein.«

Und dann erfahren wir auch den wohl wahrscheinlichsten Grund für die Schäuble’sche Plauderei: Die Bundesarbeitsministerin Nahles verhandelt derzeit mit Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) über jene 3,3 Milliarden. Details werden voraussichtlich erst im November nach der neuen Steuerschätzung festgezurrt. Und bis dahin kann man ja ein wenig herumzündeln, denn auch wenn es inhaltlich wie gezeigt keine Substanz hat – bei vielen Menschen bleibt die Botschaft hängen, die unters Volk gebracht werden sollte. Insofern kann und darf man das nicht nur abtun als Merkwürdigkeit eines Bundesfinanzministers, der sich ein wenig hat gehen lassen. Wir haben es hier immerhin mit einem echten Profi zu tun.

Viele kommen schnell in einen Job und zugleich in Hartz IV. Zur Arbeitsmarktintegration von Rumänen und Bulgaren

Am Anfang des Jahres 2014 sind für Arbeitskräfte aus den beiden südosteuropäischen EU-Ländern Rumänien und Bulgarien die letzten Hürden bei der Jobsuche in Deutschland gefallen. Kritiker hatten damals einen Ansturm von Arbeitssuchenden aus beiden Ländern auf den deutschen Arbeitsmarkt befürchtet. Es gab damals eine intensive Diskussion über die „Armutszuwanderung“ aus diesen Ländern und zahlreiche Berichte über die Probleme einiger Großstädte im Ruhrgebiet oder in Mannheim mit Tausenden von Zuwanderern aus diesen Armenhäusern der EU gingen durch die Medien. Mittlerweile ist Deutschland mit ganz anderen Zuwanderern beschäftigt – aber auch kreist ein Teil der Debatte immer um die Frage der Arbeitsmarktintegration.

Vor diesem Hintergrund ist es hilfreich, dass das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung diese Frage für die Rumänen und Bulgaren kontinuierlich begleitet und regelmäßig einen „Zuwanderungsmonitor“ veröffentlicht. Die neueste Ausgabe wurde im September 2015 veröffentlicht (Zuwanderungsmonitor Bulgarien und Rumänien). Der Artikel Rumänen und Bulgaren – schnell im Job, schnell in Hartz IV fasst eine scheinbar irritierende Gleichzeitigkeit zusammen, die sich aus den Daten ableiten lässt: »Der Irrtum von den arbeitslosen Rumänen und Bulgaren in Deutschland ist verbreitet. Doch neue Zahlen zeigen: 80 Prozent der Neuankömmlinge aus diesen Ländern fanden zuletzt sehr schnell eine Tätigkeit. Und warum kriegen dennoch so viele Hartz IV?«

Zuerst aber einige Daten aus dem Zuwanderungsmonitor des IAB: Im August 2015 ist die in Deutschland lebende Bevölkerung aus Bulgarien und Rumänien um 12.000 Personen auf insgesamt 637.000 Personen gewachsen.

  • Im Jahr 2015 ist mit einem Bevölkerungszuwachs um 130.000 bis 150.000 Personen zu rechnen. Im Juli 2015 lag die Zahl der Beschäftigten bei rund 342.000 Personen. Die Beschäftigungsquote der bulgarischen und rumänischen Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter beträgt damit rund 64 Prozent.  Hinzu kommt ein Anteil von 15 bis 20 Prozent Selbständigen und nicht abgabepflichtigen Saisonarbeitskräften, so dass sich eine geschätzte Erwerbsquote von 79 bis 84 Prozent ergibt.
  • Der Anteil der SGB-II-Leistungsbezieher an der Bevölkerung aus diesen beiden Ländern steigt allerdings weiterhin kontinuierlich. Die SGB-II- Leistungsbezieherquote betrug im Juni 2015 17,1 Prozent und liegt damit 0,7 Prozentpunkte über dem durchschnittlichen Wert der ausländischen Bevölkerung in Deutschland. Die SGB-II- Leistungsbezieherquote hat damit den Durchschnitt der ausländischen Bevölkerung überschritten (16,4 Prozent), und ist höher als die Leistungsbezieherquoten der Zuwanderer aus den vier südeuropäischen Krisenstaaten (12,0 Prozent) und der EU-8-Staaten (11,4 Prozent). Die Entwicklung bei den SGB-II-Leistungsbezieherquoten zwischen der bulgarischen und rumänischen Bevölkerung läuft zudem weiterhin auseinander. Während der Anteil der SGB-II-Leistungsbezieher der Rumänen sich dem Niveau der anderen EU-Zuwanderungsgruppen annähert, hat dieser Anteil bei den Bulgaren den Durchschnitt der ausländischen Bevölkerung inzwischen deutlich überschritten. 

Wie passt das zusammen – eine steigende Beschäftigungsquote und gleichzeitig dieser Anstieg bei den Hartz IV-Beziehern unter den Zuwanderern aus den beiden südosteuropäischen Ländern?
Das liegt vor allem daran, dass die Formel „Hartz IV oder Erwerbsarbeit“ nicht gilt, sondern: »Auffallend hoch ist der Anteil an erwerbstätigen Leistungsbeziehern. So waren im Mai 2015 rund 41,2 Prozent der erwerbsfähigen SGB-II-Leistungsempfänger aus Bulgarien und Rumänien erwerbstätig, im Vergleich zu 30,0 Prozent in der ausländischen Bevölkerung in Deutschland. Der Anteil der „Aufstocker“ belief sich an den abhängig beschäftigten Bulgaren und Rumänen im Mai 2015 auf 8,0 Prozent.« So das IAB. Und die Wissenschaftler des Instituts schreiben noch etwas:

»Im Mai 2015 bezogen 2.600 selbständige Bulgaren und Rumänen Leistungen nach dem SGB II. Im Vergleich zum Vorjahresmonat ist diese Zahl um rund 30 Personen gesunken. Der Anteil der Leistungsbezieher an den selbständigen Bulgaren und Rumänen dürfte damit nicht höher als bei den abhängig Beschäftigten sein. Es gibt somit keine statistischen Hinweise darauf, dass Bulgaren und Rumänen gezielt Gewerbe anmelden, um SGB-II-Leistungen zu beziehen.«

Damit wäre ein Mythos als solcher entlarvt. Dennoch zeigen die Zahlen vor allem eins: Viele  Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien arbeiten in Jobs, die ganz unten in dem Mehretagenbau Arbeitsmarkt angesiedelt sind und wo die Verdienste so niedrig sind, dass aufstockend Hartz IV in Anspruch genommen werden kann.

Bereits Anfang September 2015 hatte Sven Astheimer in seinem Artikel Mehr Bulgaren beziehen Hartz-IV-Leistungen berichtet: »Das IAB bemerkt, dass es sich in mehr als 40 Prozent um Aufstocker handelt, die neben der Sozialleistung auch ein Erwerbseinkommen beziehen.«

Erneut ein Beleg, wo die Musik spielen wird, wenn es darüber hinaus um die Arbeitsmarktintegration der Flüchtlinge geht: Natürlich überwiegend in den untersten Etagen des Arbeitsmarktes.

Ruf mich (lieber nicht) an. Vom Recht auf Durchwahl in Zeiten der Jobcenter

Die Jobcenter – diese letzten Außenposten unseres Sozialstaates – sind schon eigenartige Gebilde. Auf der einen Seite sind sie die sichtbaren Zitadellen des Hartz IV-Systems und stehen immer wieder vor Ort und auch ganz grundsätzlich in der Kritik, nicht nur seitens der Betroffenen, sondern auch aus Wissenschaft und Politik. Auf der anderen Seite müssen sie eine Menge ausbaden, so eine hyperkomplexe Gesetzgebung mit einer Vielzahl an unbestimmten Rechtsbegriffen, die in der Realität dann mit mehr oder eben weniger Leben zu füllen sind. Oder eine kapitale Unterfinanzierung vor allem der einen Seite des „Fordern und Fördern“. Zugleich sind sie Objekt einer „BWL-besoffenen“ Ausrichtung von Verwaltung, symbolhaft am deutlichsten erkennbar an der Etikettierung der Menschen, die Leistungen aus dem Grundsicherung bedürfen, als „Kunden“. Bei diesem Begriff denkt der Normalbürger nicht selten an Zuschreibungen wie der „Kunde ist König“. Und das im Jobcenter, wird jetzt der eine oder andere denken. Genau. Allein schon diese eben durchaus naheliegende Assoziation verdeutlicht die leider nicht nur semantische Verirrung, die wir in diesem Bereich beklagen müssen.

Man muss sich klar machen, dass es bei vielen Kontakten zum Jobcenter nicht um ein Coaching-Seminar nach dem Motto, was würden sie denn gerne machen wollen, geht. Sondern um existenzielle Geldleistungen. Um das Dach über dem Kopf, das man möglicherweise zu verlieren droht. Um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Es ist unmittelbar einleuchtend, dass diese Konfiguration zu einem Dilemma werden muss, wenn man beide Seite berücksichtigt. Also vereinfachend gesagt: Aus der Perspektive der betroffenen Menschen kann und ist es nicht selten existenziell, die eigenen Probleme besprechen zu können, was voraussetzt, dass man Zugang hat zu jemanden, mit dem man kommunizieren kann. Also den Sachbearbeiter oder den Fallmanager, der für einen „zuständig“ ist. Auf der anderen Seite des Schreibtisches ist es aber zugleich eben auch so, dass genau das angesichts der enormen Heterogenität der Fälle den Laden blockieren kann, dass man nicht mehr zu seiner anderen Arbeit kommen kann, dass es nicht möglich ist, in einer notwendigen Ruhe Fälle oder Menschen zu bearbeiten.

Genau um dieses Dilemma geht es letztendlich, wenn man eine solche Nachricht serviert bekommt: Vom Recht auf Durchwahl, so hat Thomas Öchsner seinen Artikel überschrieben. Und weiter erfahren wir: »Müssen Jobcenter interne Nummern nennen? Ein Rechtsanwalt hat bereits 70 Klagen eingereicht. Jetzt kann er seinen ersten Erfolg vorweisen.«

Bevor wir uns vertiefen in den aktuellen Fall, den Öchsner hier aufgreift, muss eingefügt werden, dass der eine oder andere „alte Hase“ stutzen und die Frage aufwerfen wird, war da nicht schon mal was genau in diese Richtung – und sogar vom gleichen Verfasser? Eine Kompetenz übrigens, die in unserer schnelllebigen Zeit immer mehr ausdünnt. Ja, da war was.

Am 22. Januar 2013 hat Thomas Öchsner einen Artikel veröffentlicht unter der Überschrift Auskunft unter dieser Nummer. Und damals konnten wir lesen: »Beim persönlichen Sachbearbeiter durchklingeln, um drängende Fragen zeitnah zu klären? Bislang war das Arbeitssuchenden nicht möglich – die Jobcenter hielten die Durchwahlen ihrer Mitarbeiter mit Verweis auf den Datenschutz unter Verschluss. Ein Gerichtsurteil könnte die Telefon-Praxis nun kundenfreundlicher machen.« Ausgangspunkt für seine Überlegungen war: Das Leipziger Verwaltungsgericht hatte entschieden, dass das Jobcenter Leipzig die Durchwahlnummern seiner Sachbearbeiter herausgeben muss. Die grundsätzliche Frage, um die es damals ging: Dürfen Ämter die persönlichen Dienstnummern ihrer Mitarbeiter geheim halten oder widerspricht dies dem Informationsfreiheitsgesetz?

»Im Fall des Jobcenters meinten die Leipziger Richter, die Durchwahlnummern der Bearbeiter würden nicht unter den persönlichen Datenschutz fallen. Auch habe der Informationsanspruch der Bürger Vorrang vor der inneren Organisation des Jobcenters.«

Erreicht hat diese Aussage ein Mann, dessen Name gleich wieder auftauchen wird: Der Leipziger Rechtsanwalt Dirk Feiertag.  Eine schnelle Hilfe für Arbeitslose werde „durch die Abfertigung der Betroffenen in einem Callcenter systematisch verhindert“, so wurde er damals zitiert. Auch Anfang des Jahres 2013 gab es natürlich eine Gegenposition, die der Bundesagentur für Arbeit (BA), die hier nicht unterschlagen werden soll:

»Die Behörde weist darauf hin, dass die insgesamt 76 Callcenter für Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger jährlich gut 30 Millionen Anrufe erhielten. Mehr als 80 Prozent der Anfragen ließen sich sofort klären. Jeder Jobsuchende könne über die Hotline einen persönlichen Gesprächstermin mit seinem Vermittler buchen, der nur so Zeit und Ruhe hätte, mit dem Arbeitslosen zu reden.«

Vor diesem erneut grundsätzlichen Hintergrund ist klar, dass das Jobcenter Leipzig diese Entscheidung nicht hat akzeptieren wollen und wir werden aus dem Artikel entlassen mit dem Hinweis, dass man deshalb Revision eingelegt habe.

Und im September 2015 taucht eben dieser Rechtsanwalt Dirk Feiertag erneut auf in einem Artikel – der wie der 2013 von Thomas Öchsner geschrieben wurde: Vom Recht auf Durchwahl. Er hält die Hotline- und Callcenter-Arechitektur der meisten Jobcenter, die sich diesem System unterworfen haben,  für „alles andere als bürgerfreundlich“. Wenn die telefonische Kommunikation besser wäre, ließen sich viele Konflikte in den Jobcentern schnell ausräumen, so Feiertag. Und offensichtlich ist er ein Mann der juristischen Tat, denn er hat »bundesweit mittlerweile etwa 70 Klagen gegen Jobcenter eingereicht, um die Herausgabe von Durchwahlen gerichtlich zu erzwingen. Stets beruft er sich dabei auf das Informationsfreiheitsgesetz. Jetzt kann er seinen ersten rechtskräftigen Erfolg vorweisen.« Und es geht nicht um den 2013 beschriebenen Fall aus Leipzig, sondern:

»Das Verwaltungsgericht Regensburg verpflichtete das Jobcenter im Landkreis Regen, die Diensttelefonnummern der Mitarbeiter herauszurücken und fand dabei klare Worte: So hielten die Richter die Behauptung des Jobcenters, es gebe eine solche Liste nicht, für „verwunderlich und nicht nachvollziehbar“. Weder sei durch eine Herausgabe die öffentliche Sicherheit gefährdet, noch sei ein erhöhter Arbeitsaufwand oder ein etwaiges Interesse schutzwürdig, „von direkten Kontaktaufnahmen von Kunden verschont zu bleiben“. Dieses Urteil hat die Behörde nun akzeptiert. Gegen die Nichtzulassung der Berufung geht das Jobcenter nicht mehr vor.«

Andere Verwaltungsgerichte gaben Feiertags Klägern ebenfalls recht. Aber offensichtlich geht es hier zu wie im Fußball: Ein Spiel gewonnen, dann verloren, denn:

»In der zweiten Instanz hatte der Rechtsanwalt jedoch bislang weitgehend das Nachsehen, so zum Beispiel beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen. Dessen 8. Senat wies darauf hin, dass die Weitergabe von Informationen nicht die Funktionsfähigkeit einer Massenverwaltung gefährden dürfe. Genau dies sei der Fall, wenn viele Leistungsempfänger anrufen würden, „zu denen mitunter auch Personen mit querulatorischer Neigung zählen“. Wegen der unterschiedlichen Rechtsprechung sei aber „eine Klärung durch das Bundesverwaltungsgericht geboten“.«

Gegen die Entscheidung des OVG NRW hat der Anwalt Feiertag bereits Revision eingelegt und damit wandert das nun weiter nach oben. »Vielleicht entscheidet das Bundesverwaltungsgericht schon 2016, ob es ein Recht auf Durchwahl gibt«, so schließt der Artikel.

Ist das alles kompliziert. Der EuGH über die Zulässigkeit der Nicht-Gewährung von Sozialleistungen für einen Teil der arbeitsuchenden EU-Bürger

Man kann in diesen Tagen so gut wie kein anderes Thema aufrufen als die vielen Flüchtlinge, die zu uns gekommen sind oder es derzeit versuchen, was angesichts der um sich greifenden Abschottungsversuche der Aufnahmeländer zunehmend schwieriger wird. Da werden Staatsgrenzen geöffnet und nachdem man feststellt, dass dies eine erhebliche Sogwirkung entfaltet, vollzieht man innerhalb weniger Tage eine veritable Rolle rückwärts und führt gar wieder Grenzkontrollen ein, wie das Deutschland gerade der staunenden Öffentlichkeit vorführt. Da errichten die Ungarn einen Zaun an der Grenzen nach Serbien und behandeln die Flüchtlinge, die trotzdem ihr Staatsterritorium betreten, als Straftäter. Und die Menschen, die noch auf dem Weg sind, müssen (und werden) andere Routen finden, um in die Nähe der von ihnen begehrten Länder zu gelangen.

Mit Blick auf die Flüchtlinge, die es geschafft haben – und wir sprechen hier von Hunderttausenden -, wird sich in der vor uns liegenden Zeit die Aufgabe stellen, sie unterzubringen und zu versorgen sowie die Kinder in das Bildungssystem und die Älteren in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Natürlich wird das viel Geld kosten und dann wird auch wieder sortiert werden zwischen denen, die man nicht abweisen kann, weil sie „berechtigt“ hier sind beispielsweise als Kriegsflüchtlinge oder aus anderen anerkannten Asylgründen, während der Blick auf die so genannten „Armuts-“ oder „Wirtschaftsflüchtlinge“ ein ganz anderer sein wird und auch heute schon ist. Denen wird unterstellt, sie wollen „lediglich“ ein besseres Leben erreichen, nicht selten auch durch eine Zuwanderung in „unsere“ Sozialsysteme. Wobei die Abgrenzung wenn überhaupt dann nur auf dem Papier einfach daherkommt.

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