Gutes Hartz IV, schlechtes Hartz IV? Die Diskussion ist mal wieder im Entweder-Oder-Modus. Dabei gibt es eine Menge zu tun

Wenn man sich nur ein wenig mit dem beschäftigt, was im Grundsicherungssystem, umgangssprachlich auch als „Hartz IV“ bezeichnet, passiert und sich die Entwicklungen in diesem Bereich anschaut angesichts der Tatsache, dass jeder zehnte Haushalt in Deutschland SGB II-Leistungen bezieht, dann wird man wieder einmal kopfschüttelnd folgende  Kommentierungen zur Kenntnis nehmen (müssen): »Zehn Jahre nach dem Start von Hartz IV sind viele Kritiker verstummt. Entkräftet ist der Vorwurf, alles sei eine reine Sparmaßnahme. Ganz gelöst ist das Langzeitarbeitslosen-Problem aber leider bis heute nicht.« So hat es Heike Göbel in ihrem Beitrag Gute Hartz-Bilanz formuliert. Dazu auch meine Anmerkungen unter Einer geht noch … einer muss noch sein. Ein Kommentar zur Dauerbaustelle Hartz IV bzw. zu ihrer journalistischen Verwurstung.

Gleichsam als Gegenpol zu diesen rührig daherkommenden Einbettungsversuchen der „Hartz-Reformen“ in die „Erfolgsgeschichte“ vom deutschen „Jobwunder“ stehen Positionierungen wie die des Kölner Politikwissenschaftlers Christoph Butterwegge: Wer arm ist, muss mit Misstrauen rechnen. Seine Bilanz ist vernichtend: »Hartz IV hat in erheblichem Ausmaß zur sozialen Entrechtung, Entsicherung und Entwertung eines wachsenden Bevölkerungsteils beigetragen, der besonders in einer wirtschaftlichen Krisensituation als „unproduktiv“ und „unnütz“ gilt.« An anderer Stelle wird Butterwegge noch deutlicher: »Fragt man nach den immateriellen Schäden, seelischen Verwundungen und Veränderungen im Alltagsbewusstsein, die besonders Hartz IV unter den Betroffenen hervorgerufen bzw. hinterlassen hat, braucht das Gesetzespaket womöglich selbst einen Vergleich mit beiden Weltkriegen nicht zu scheuen«, schreibt er in einem Beitrag mit der Überschrift Hartz IV braucht den Vergleich mit den beiden Weltkriegen nicht zu scheuen für die Online-Ausgabe des Focus. Er spricht von einem totalitären Arbeitsmarkt- und Armutsregime: »Totalitär ist das Hartz-IV-System insofern, als es sämtliche Poren der Gesellschaft durchdringt und die Betroffenen nicht mehr loslässt, ihren Alltag völlig beherrscht und sie zwingt, ihr gesamtes Verhalten danach auszurichten.« Und nun meldet sich auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) zu Wort: DGB geißelt fünf Kernfehler von Hartz IV oder Beschönigt, verschleiert, verfehlt, so lauten die Schlagzeilen in der Berichterstattung der Presse über das, was der DGB in einem Positionspapier zu Protokoll gegeben hat.

Der DGB stellt seine Überlegungen unter die Überschrift: Zehn Jahre Hartz IV: Ziele verfehlt, großer Reformbedarf. Sie basieren auf einem Papier, das Wilhelm Adamy, der Arbeitsmarktexperte des DGB, verfasst hat: DGB-Analyse. Zehn Jahre Hartz IV: Ein Grund zum Feiern?
„Die Ziele dieses Umbaus von Sozialstaat und Arbeitsförderung waren hoch gesteckt. Insbesondere sollte eine ganzheitliche Betreuung und bessere Kombination von Arbeitsförderung und sozialen Hilfen eröffnet und eine Leistung ‚aus einer Hand‘ sichergestellt werden“, heißt es in der DGB-Analyse zu zehn Jahren Hartz IV. Allerdings seien die entsprechenden Maßnahmen zum Teil schlecht umgesetzt worden oder „beschönigten oder verschleierten die tatsächlichen Absichten“.
„Hartz IV wurde nicht nur schlecht gemacht, sondern hat zentrale Eckpfeiler und die Grundarchitektur des bundesdeutschen Sozialsystems massiv verschoben“, so ein Fazit der DGB-Analyse.

Interessant ist natürlich, welche Reformvorschläge vom DGB gemacht werden. Hierzu findet man die folgenden Punkte:

Das Hartz-IV-System muss entlastet und die vorgelagerten Sicherungssysteme (insbesondere die Arbeitslosenversicherung)  ausgebaut werden. So sollten befristet Beschäftigte bei Jobverlust einen besseren Zugang zur Arbeitslosenversicherung erhalten und über ein Mindest-Arbeitslosengeld die Zahl jener reduziert werden, die nach Job-Verlust unmittelbar auf staatliche Fürsorge abrutschen. Sozialversichert Beschäftigte mit aufstockendem Hartz IV sollten gleichfalls von der Arbeitslosenversicherung betreut werden.

Die Arbeitsförderung muss ausgebaut werden. So sollte die Dominanz des „Forderns“ zugunsten des Förderns korrigiert und Rechte für die Betroffenen auf Förderung ausgebaut werden.

Existenzgefährdende Sanktionen müssen aufgehoben werden. Sozialstaatliche Zumutbarkeitsregelungen sind ebenso notwendig, die keine Sanktionen mehr bei nicht existenzsichernder Arbeit vorsehen.

Insbesondere die Mittel für Weiterbildung müssen erhöht und finanzielle Anreize für Hartz-IV-Empfänger geschaffen werden, die einen Berufsabschluss anstreben. Bisher sind sie finanziell schlechter gestellt als jene, die einen Ein-Euro-Job ausüben.

Die sozialen Integrationshilfen und das Ziel der sozialen Teilhabe müssen für jene ausgebaut werden, die auf absehbare Zeit keine Chance auf dem regulären Arbeitsmarkt haben. Dies sollte mit einer besseren Zusammenarbeit und Kooperation unterschiedlicher Institutionen – wie den Jobcentern und den Krankenkassen – verknüpft werden.

Arbeitsförderung sollte eine „neue Ordnung auf dem Arbeitsmarkt“ unterstützen. Prekäre Beschäftigung muss zurückgedrängt und auch Langzeitarbeitslosen Mindestlöhne von 8,50 Euro gezahlt werden.

Um Armut von Erwerbstätigen mit Kindern wirksamer bekämpfen zu können, sollte ergänzend zum Mindestlohn der Kinderzuschlag sowie das Wohngeld für Geringverdiener ausgebaut werden.

Wie die Situation vor Ort aussieht, kann man beispielhaft dem folgenden Artikel entnehmen, der die Lage in einer Großstadt im Ruhrgebiet beschreibt: Essen bekommt Langzeitarbeitslosigkeit nicht in den Griff. Es ist wie das Strampeln im Sack, so wird der Sozialdezernent Peter Renzel zitiert und er meint damit die Frage: Wie kriegt man insbesondere jene Menschen, die seit Jahren arbeitslos sind, wieder in Jobs? Die Zahlen sprechen für sich: Fast zwei Drittel der über 29.000 Jobcenter-Kunden in Essen gelten als langzeitarbeitslos. Und in dem Artikel wird korrekterweise auch auf die fatalen Auswirkungen der massiven Kürzungen in der Arbeitsförderung hingewiesen:

»Essen schrammt knapp am Hartz-Stillstand vorbei: Die drastische Kürzung der so genannten Eingliederungsmittel durch den Bund von 81 Millionen Euro in 2010 auf 55,3 Millionen Euro in diesem Jahr allein für Essen, minimierte die Chancen der Betroffenen massiv. Es ist zu wenig Geld da, um zu qualifizieren, zu stabilisieren oder zu aktivieren für einen Essener Arbeitsmarkt, der überdurchschnittlich hohe Anforderungen stellt … Zwar finden 3.500 bis 4.500 Jobcenter-Kunden jeden Monat einen Job. Doch 40 Prozent von ihnen kommen innerhalb eines Jahres wieder zurück, tausende verlieren ganz den Anschluss. Es ist eine erschreckende Zahl: Inzwischen weist Essen eine SGB-II-Hilfequote von 19,0 Prozent aus. Das ist landesweit der zweitschlechteste Wert. Nur Gelsenkirchen ist mit 22,5 Prozent noch ärmer dran.«

Und da in letzter Zeit immer zu lesen oder zu hören ist, die Zahl der Hartz IV-Empfängern sei rückläufig und die Langzeitarbeitslosen würden auch profitieren von der tollen Arbeitsmarktlage der letzten Jahre, hier ein paar korrigierende Fakten aus Essen: Nicht weniger, sondern über die Jahre eine zunehmende Zahl an Menschen ist auf öffentliche Leistungen aus dem Hartz IV-System angewiesen. »Startete die Grundsicherung in Essen mit 51.415 Hilfebedürftigen, stieg die Zahl der so genannten erwerbsfähigen Leistungsberechtigten auf knapp 62.000 in diesem Jahr. Addiert man deren Nachwuchs hinzu, leben in dieser Stadt 85.326 Menschen von Hartz IV-Leistungen. So viele wie noch nie.«

Und dann der wichtige Hinweis auf eine wichtige Gruppe, an die viele nicht denken, wenn es um Hartz IV-Empfänger geht: die arbeitenden Aufstocker:
»Einen großen Anteil an dieser Entwicklung hat die weiter wachsende Gruppe der Ergänzer. Allein zwischen 2007 und 2014 ist die Zahl der Essener, die arbeiten und dennoch auf SGB-II-Leistungen angewiesen sind, um 5.126 auf jetzt 14.620 gestiegen. Ein Großteil der Menschen kommt in der Leiharbeitsbranche unter oder hat einen Minijob, der allerdings nur geringe berufliche Perspektiven bietet. Auch für sie ist das Strampeln im Sack.«

Der Sozialdezernent Renzel bringt das zentrale Probleme im Bereich der verfestigten Langzeitarbeitslosigkeit auf den Punkt: Es fehlen die Arbeitsplätze für die geringer Qualifizierten. Er macht konkrete Vorschläge, was man durch gesetzgeberische Aktivitäten endlich ermöglichen sollte, denn gerade in Kommunen wie Essen liegt die Arbeit im wahrten Sinne des Wortes auf der Straße und man kann angesichts der Haushaltslage der meisten Kommunen gestrost davon ausgehen, dass der größte Teil dieser Arbeit nicht erledigt werden kann, weil man gar nicht die Mittel hat, um das vor Ort in Form eines regulären Auftrags vergeben zu können:

»Die Lösung für die Zukunft sei eine „öffentlich geförderte Beschäftigung“, meint nicht nur der Sozialdezernent: Mit den Mitteln der Grundsicherung und der Wohnungs- und Heizkosten, die sich für Essen in diesem Jahr auf fast 230 Millionen Euro summieren, müssten Teile der Löhne für Langzeitarbeitslose bezahlt werden, wenn sie bei einem privaten oder gemeinnützigen Unternehmen wie der Essener Arbeit Beschäftigungsgesellschaft (EABG) einen Job bekommen.« Vgl. zur Arbeit der EABG auch das Interview mit Ulrich Lorch, dem Vorsitzenden der Geschäftsführung dieser Beschäftigungsgesellschaft.

Aber selbst hier hat man schon vorweggenommen, dass man nur das zu hören bekommt, was man seit Jahren hört: Geht nicht, kommt nicht. Was bleibt ist die Bitte um wenigstens einen Modellversuch:
Einen oder mehrere Versuche sei es aber wert, meint Renzel, der an die Verantwortlichen in Berlin appelliert: „Mindestens ein Modell in der Region Ruhrgebiet sollte der Gesetzgeber ermöglichen.“

Abschließend wieder zurück zu einer ganz grundsätzlichen – und im wahrsten Sinne des Wortes zornigen – Sicht auf Hartz IV: Der Jurist Jürgen Borchert, 65, hat im Dezember sein Amt als Vorsitzender Richter am hessischen Landessozialgericht abgegeben und ist in den (Un)Ruhestand getreten. Man kann ihn sicher als einen der streitbarsten Sozialrichter dieses Landes bezeichnen. Die Süddeutsche Zeitung hat ihn interviewt, auch zum Thema Hartz IV: „Ja, es stimmt: Ich bin zornig“, so ist der Bericht über das Interview in der Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung überschrieben.

„Der Zustand unseres Sozialstaates ist desaströs. Er ist an Intransparenz nicht zu überbieten“, beginnt Borchert. Beispiel Hartz IV: Das Gesetz wurde innerhalb von zehn Jahren mehr als 70 mal verändert hat. Davon einige Male tiefgreifend. Das schaffe kein Vertrauen – es führe dazu, dass die Bürger kein Rechtsbewusstsein mehr entwickelten, so der ehemalige Sozialrichter.

Im Januar werden die Hartz-IV-Reformen zehn Jahre alt und die Zahl der Arbeitslosen ist so niedrig wie seit langem nicht mehr. Auch dies sei, so Borchert, kein Erfolg: „Das Arbeitsvolumen blieb seit 2000 gleich, wurde durch Leih-und Teilzeitarbeit nur auf mehr Personen verteilt. So haben wir eine Abwärtsspirale der Löhne in Gang gesetzt – mit der Folge, dass immer mehr Löhne subventioniert werden müssen.“ Hier handele es sich um eine Marktverzerrung sondergleichen. „Das stinkt nicht nur zum Himmel , sondern konkurriert auch die Arbeitsmärkte unserer Nachbarn in Europa in Grund und Boden.“ Hartz IV erwecke den Eindruck, als ob die Langzeitarbeitslosigkeit ein persönliches Versagen sei. „Man macht Opfer zu Tätern“, so Borchert.

Da war doch was im „Jobwunderland“ Deutschland … Langzeitarbeitslose beispielsweise. Und um die ging es im Deutschen Bundestag

Deutscher Bundestag: Debatte zu Langzeitarbeitslosigkeit am 13.11.2014

Debatte im Bundestag zu Langzeitarbeitslosigkeit mit Reden von Sabine Zimmermann (Die Linke), Matthias Zimmer (CDU), Brigitte Pothmer (B90/Grüne), Daniela Kolbe (SPD), Matthäus Strebl (CSU), Matthias W. Birkwald (Die Linke), Katja Mast (SPD), Wolfgang Strengmann-Kuhn (B90/Grüne), Christel Voßbeck-Kayser (CDU), Matthias Bartke (SPD) und Jutta Eckenbach (CDU):

Sie wächst und wird weiter wachsen – die Altersarmut. Neue bedrückende Zahlen am Anfang einer bitteren Wegstrecke

Fast genau eine halbe Million Menschen sind es, die in den Statistiken auftauchen als Empfänger von Leistungen der Grundsicherung für Ältere nach SGB XII, also dem „Hartz IV“ eigener Art für ältere Menschen. Die Bundesstatistiker erfüllen ihre Berichtspflicht ordnungsgemäß mit einem Tabellenwerk und einer knappen Pressemitteilung dazu: 2013: Zahl der Empfänger/-innen von Grund­sicherung ab 65 Jah­ren um 7,4 % gestiegen. Ergänzend kann man den Zahlenangaben zu den Älteren noch entnehmen: »Neben den rund 499.000 Empfängerinnen und Empfängern von Grundsicherung im Alter ab 65 Jahren gab es am Jahresende 2013 deutschlandweit rund 463.000 Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherung wegen dauerhafter Erwerbsminderung im Alter von 18 bis unter 65 Jahren. Damit bezogen am Jahresende 2013 rund 962.000 volljährige Menschen in Deutschland Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII.« Diese fast eine Millionen Menschen, die sich im SGB XII befinden, müssen also noch zu den derzeit 6.012.781 Menschen hinzugezählt werden, die aktuell Leistungen aus dem eigentlichen „Hartz IV“-System beziehen, also dem SGB II.

Die Abbildung zeigt den Anstieg der Empfänger-Zahlen in der Grundsicherung für Ältere seit 2003. Innerhalb der vergangenen zehn Jahre hat sich die Zahl der älteren Grundsicherungsempfänger schlichtweg verdoppelt. Und man muss an dieser Stelle sogleich anfügen: Es handelt sich hier um die Älteren, die auch tatsächlich Leistungen beziehen – wenn es um das Thema Altersarmut geht, dann müsste man natürlich noch die älteren Menschen hinzuzählen, die eigentlich Anspruch hätten auf die Grundsicherungsleistungen, diese aber aus ganz unterschiedlichen Gründen faktisch nicht in Anspruch nehmen. Dabei handelt es sich um keine kleine Gruppe.

Es geht hierbei um das Problem der „verdeckten Armut“. Die Verteilungsforscherin Irene Becker hat dazu 2012 einen Beitrag publiziert, in dem sie die Ergebnisse einer Untersuchung vorgestellt hat, die der Frage nachgegangen ist, wie sich die verdeckte Armut unter Älteren seit der 2003 erfolgten Einführung der „Grundsicherung im Alter“ entwickelt hat (vgl. Irene Becker: Finanzielle Mindestsicherung und Bedürftigkeit im Alter. In: Zeitschrift für Sozialreform, Heft 2, 2012, S. 123-148). Man muss hier erinnern: Das „Grundsicherungsgesetz“ (für Ältere wie auch für dauerhaft Erwerbsgeminderte, 2005 dann in das SGB XII übernommen) muss als ein Antwortversuch verstanden werden auf den lange vorher beklagten Tatbestand der erheblichen „verdeckten Armut“ unter den älteren Menschen. Bereits in den 1990er-Jahren war nach den damals vorliegenden empirischen Studien deutlich geworden:

»Auf jeden Sozialhilfeempfänger könnte ein Sozialhilfeberechtigter kommen, der seine Ansprüche nicht einlöst. Und unter Älteren war die verdeckte Armut besonders verbreitet. Deshalb wurde 2003 die „Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung“ eingeführt. Sozialhilfeempfänger im Rentenalter brauchen nun in der Regel nicht mehr zu fürchten, dass das Amt sich das Geld bei ihren Kindern zurückholen könnte. Und die Rentenversicherung wurde verpflichtet, Kleinrentner auf ihren potenziellen Grundsicherungsanspruch aufmerksam zu machen«, so die Erläuterungen in einem Artikel über die Ergebnisse der Untersuchung von Irene Becker.

Ihre damaligen Berechnungen beruhen auf Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) für das Jahr 2007. Aus den Zahlen der repräsentativen Befragung ergibt sich: Von gut einer Million Menschen ab 65 Jahren, denen damals Grundsicherung zustand, bezogen nur 340.000 tatsächlich Leistungen. Die „Quote der Nichtinanspruchnahme“, so der technische Begriff für die Dunkelziffer der Armut, betrug 68 Prozent (vgl. auch die Abbildung „Verdeckte Armut oft bei Älteren“).

Nun haben sich die Verhältnisse – möglicherweise – seit damals geändert. Wir wissen darüber aber nichts genaues und es ist durchaus plausibel, immer noch von einer nicht unerheblichen Dunkelziffer auszugehen, gerade bei den älteren Menschen, bei denen beispielsweise Scham-Faktoren eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen. Auf alle Fälle sollte nicht vergessen werden, dass die – auch jetzt wieder – in der öffentlichen Wahrnehmung stehende Zahl an Grundsicherungsempfängern bei den Älteren nur als eine Untergrenze anzusehen ist.

Zurück zu den aktuellen Daten. Die Berichterstattung greift die Zahlen auf und ordnet sie ein in das Thema wachsende Altersarmut: Die Alten werden immer ärmer, so Thomas Öchsner in der Süddeutschen Zeitung oder Altersarmut nimmt in Deutschland zu. Öchsner schreibt zu den (möglichen) Gründen: »Für die wachsende Menge der hilfebedürftigen alten Menschen gibt es mehrere Gründe: Einerseits nimmt die Zahl der Alten schlicht zu – und damit auch die Gruppe derjenigen, deren Einkünfte nicht zur Deckung des Existenzminimums reichen. Zudem haben Frauen in Westdeutschland häufig nur Anspruch auf eine Mini-Rente, weil sie zu wenig gearbeitet und verdient haben. Auch reichen bei vielen der sogenannten etwa 1,6 Millionen Erwerbsminderungsrentner, die wegen einer Krankheit vorzeitig mit dem Arbeiten aufhören mussten, die eingezahlten Beiträge für eine auskömmliche Rente nicht aus.«

Der entscheidende Punkt aber ist: Wenn wir die Systeme so weiterlaufen lassen, wie sie mittlerweile aufgestellt sind, dann wird es in den vor uns liegenden Jahren nicht nur einen weiteren Anstieg der Altersarmut aus den bereits ins Feld geführten Gründen geben, sondern auch Menschen, die unter alten Bedingungen eine Rente bekommen hätten, die oberhalb des Grundsicherungssystems liegt, werden unter diese Schwelle rutschen. Das ist nun von vielen und an vielen Stellen und schon seit längerem nachgewiesen worden (vgl. dazu nur beispielhaft für das vergangene Jahr den Blog-Beitrag Altersarmut?! Von einer „Tabelle der Schande“ über halbe Wahrheiten bis hin zu einer Sau, die durch das Rentendorf getrieben wird vom 11.06.2013 oder auch Altersarmut von unten und von denen, die früher mal oben gewesen wäre vom 08.07.2013). Zur Debatte über die vor uns liegende Entwicklung vgl. auch die Übersichtsarbeit Zukünftige Altersarmut vom DIW.