Bis zum nächsten Jahr. Der „Tag der Arbeit“ zwischen erneut ausfallender Revolution und Gottesdienst-Dilemma

Gestern war es wieder soweit: Der „Kampftag der Arbeiterklasse“ stand auf der Tagesordnung. Na ja, selbst der Deutsche Gewerkschaftsbund hat seine nicht nur an Lehrer gerichtete Darstellung der Geschichte des 1. Mai so überschrieben: Vom Kampftag zum Feiertag. Und das drückt dann wohl ziemlich genau aus, wie die meisten Menschen den gestrigen Tag wahrgenommen und genutzt haben.

An die Umrisse, was ein „Kampftag“ in einer ganz unmittelbaren Form auch bedeuten kann, erinnern nicht nur Bilder aus der fernen Vergangenheit: »Frankreich ringt um die Reformen von Präsident Macron. Mehr als tausend Vermummte greifen in der Hauptstadt Sicherheitskräfte an. In der Türkei geht die Polizei hart gegen Demonstranten vor«, kann man dieser Meldung entnehmen: Straßenschlachten in Paris, 80 Festnahmen in Istanbul. Ja, es gibt sie, die Länder wie die Türkei, in der engagierte Menschen sogar ihr Leben aufs Spiel setzen, um an diesem Tag auf die Straße gehen zu können.

Davon sind wir in Deutschland – glücklicherweise – ganz weit weg. Hier hat man aber sogar dem Rot der DGB-Plakate zum 1. Mai jeden aggressiven Grundton entzogen und um ganz sicher zu gehen auch inhaltlich auf amorphe, jedenfalls keinen wirklich beunruhigende Nicht-Aussagen gesetzt: „Europa. Jetzt aber richtig!“ Das könnte so erst einmal auch ein Christian Lindner von der FDP unterschreiben.

Maiplakate: Die Plakatmotive des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zum 1. Mai 2019, dem Tag der Arbeit

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Wenn der starke Arm es will, dann gibt es mehr in der Brieftasche. (Nicht nur) kräftige Lohnzuwächse bei den Tariflöhnen werden für 2018 bilanziert

Mit den Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst der Länder hat die Tarifrunde 2019 Fahrt aufgenommen. Die Forderungen der Gewerkschaften liegen zumeist zwischen 5,5 und 6,0 Prozent. Damit bewegen sie sich auf einem ähn- lichen Niveau wie im Vorjahr – und für das liegt nun eine detaillierte Bilanzierung des Erreichten vor. „Kräftige Lohnzuwächse und mehr Selbstbestimmung bei der Arbeitszeit“, so ist der Tarifpolitische Jahresbericht 2018 des WSI-Tarifarchivs überschrieben.

»Wie das Tarifarchiv des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung in seinem … tarifpolitischen Jahresbericht 2018 aufzeigt, sind die Tarifvergütungen im Jahr 2018 nominal im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt um 3,0 Prozent gestiegen. Gegenüber Steigerungsraten von jeweils 2,4 Prozent in den beiden Vorjahren hat die Lohnentwicklung damit deutlich an Dynamik gewonnen. Nach Abzug des Verbraucherpreisanstiegs von 1,9 Prozent ergibt sich für 2018 ein realer Zuwachs der Tarifvergütungen um 1,1 Prozent.«

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Ein flächendeckender Tarifvertrag für die stationäre und ambulante Altenpflege? Es ist und bleibt kompliziert

Manche Dinge lassen sich leichter formulieren als in die Wirklichkeit bringen. So findet man im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD aus dem Jahr 2018 diese schlanke Absichtserklärung:

»Wir wollen die Bezahlung in der Altenpflege nach Tarif stärken. Gemeinsam mit den Tarifpartnern wollen wir dafür sorgen, dass Tarifverträge in der Altenpflege flächendeckend zur Anwendung kommen. Wir wollen angemessene Löhne und gute Arbeitsbedingungen in der Altenpflege. Dafür schaffen wir die gesetzlichen Voraussetzungen.«

Wie so oft im Leben hört und liest sich das einfacher als es dann in der Praxis ist. Die Altenpflege heute ist ein mehr als vermintes Gelände für die Absicht, eine flächendeckende Tarifbindung erreichen zu können. Dies hat mehrere Gründe. Einer die wichtigsten Aspekte dabei ist die Tatsache, dass es gar keinen auch nur annähernd relevanten Tarif in diesem Bereich gibt. Das wiederum resultiert zum einen aus der Trägerschaft der ambulanten und stationären Altenpflege.

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Die Besserstellung gewerkschaftlich organisierter Arbeitnehmer in einem Tarifvertrag ist verfassungsrechtlich zulässig

Das Trittbrettfahrerproblem ist ein Dauerbrenner in der Diskussion über Tarifverträge und deren Nutzen. Die Ökonomen diskutieren die mit diesem Begriff angesprochene Problematik im Kontext echter öffentlicher Güter (bei denen nicht alle Nutzer dieser Güter bereit sind, für deren Entstehungs- und Unterhaltskosten aufzukommen) und auch bei den Allmendegütern, wo es zu einer Übernutzung kommen kann. Das alles, weil man Nutznießer werden kann, ohne eine Gegenleistung erbringen zu müssen, da man vom Konsum bzw. der Inanspruchnahme nicht ausgeschlossen werden kann.

Mit einer vergleichbaren Problematik sind die Gewerkschaften, die mit den Arbeitgebern Tarifverhandlungen führen und einen Tarifvertrag abschließen, gegenüber den Arbeitnehmern konfrontiert, die zwar die vereinbarten Entgelte und deren Erhöhung gerne „mitnehmen“, aber auf eine Mitgliedschaft in der Gewerkschaft und damit auf die Zahlung eines Mitgliedsbeitrags verzichten. Und der Homo oeconomicus unter den Beschäftigten würde an dieser Stelle – rational durchaus begründet – die Frage aufwerfen: Warum soll ich zahlen und mich vielleicht sogar noch zusätzlich in der Gewerkschaft engagieren, wenn ich die Vorteile auch so mitnehmen kann? Denn der Tarifabschluss gilt ja für alle Beschäftigten des tarifgebundenen Unternehmens, ohne Differenzierung nach Gewerkschaftszugehörigkeit. 

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Die Leiharbeit trotzt der angeblich existenzbedrohenden Regulierung und die Gewerkschaften wollen mehr, sind aber auch Teil des Systems

Als die letzte GroKo im Jahr 2016 Änderungen im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG), der gesetzlichen Grundlage für die Leiharbeit, vorgenommen hat, da war die Wehklage aus der Branche groß – und manche der Leiharbeit geneigten Medien fabulierten von einem „Erdrosselungseffekt“ für diese angeblich so wichtige Branche für den Arbeitsmarkt. Damit würde man eine bedeutsame Brücke, über die (ebenfalls angeblich) viele Arbeitslose in eine ordentliche Beschäftigung wandern, weiter destabilisieren.

Im September dieses Jahres konnte man dann solche Meldungen zur Kenntnis nehmen: Anteil der Leiharbeiter auf Rekordhoch: »In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Menschen in Zeitarbeit um gut 40 Prozent erhöht. Ein Übergang in einen regulären Job gelingt eher selten.« Der Anteil der Leiharbeiter an der Gesamtbeschäftigung lag 2017 bei 2,8 Prozent. In der Metallbearbeitung und im Lager- und Postbereich ist er mit 14,9 beziehungsweise 12 Prozent deutlich höher gewesen. Es wurde berichtet, dass Leiharbeit nur bedingt reguläre Beschäftigung ermöglicht. Demnach hatten rund 40 Prozent der Menschen, die im zweiten Halbjahr 2017 ein Beschäftigungsverhältnis in Leiharbeit beendeten, 90 Tage danach noch keinen neuen Job. Rund 60 Prozent hätten in diesem Zeitraum eine neue Beschäftigung gefunden – etwa 40 Prozent von ihnen jedoch ein weiteres Mal in Leiharbeit. 

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