Betreuungsrecht: Das Bundesverfassungsgericht stärkt die Rechte von demenziell erkrankten und geistig behinderten Menschen. Angehörige dürfen nicht (einfach) übergangen werden

Die rechtliche Betreuung ist eine höchst komplizierte, zugleich elementare Angelegenheit und viele Betroffene erfahren erst dann von dessen Untiefen, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Und auch der Gesetzgeber hatte schon länger zugestehen müssen, dass die rechtlichen Grundlagen einer Modernisierung bedürfen. »Das Vormundschaftsrecht stammt in weiten Teilen aus der Entstehungszeit des Bürgerlichen Gesetzbuchs aus dem Jahr 1896. Es enthält detaillierte Regelungen zur Vermögenssorge des Vormunds, die allerdings weithin die Verhältnisse um das Jahr 1900 abbilden, und nur wenige Regelungen zur Personensorge. Durch zahlreiche Ergänzungen und Änderungen ist das Vormundschaftsrecht unübersichtlich geworden und bildet die aktuelle Praxis nicht zutreffend ab. Hinzu kommt, dass das im Jahr 1992 eingeführte Betreuungsrecht vor allem zur Vermögenssorge und zur gerichtlichen Aufsicht auf die Regelungen für den Vormund verweist. Dies führt zur Unübersichtlichkeit und birgt für die Rechtsanwender etliche Probleme«, so die Aufführungen des Bundesjustizministerium zu einem Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts. Das Vormundschaftsrecht gilt seit mehr als 100 Jahren, das Betreuungsrecht seit 30. »Auch das Betreuungsrecht bedarf einer grundlegenden Modernisierung.« Die Ergebnisse von zwei Studien aus den Jahren 2015 bis 2017 »haben gezeigt, dass das Gebot größtmöglicher Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen … im Vorfeld und innerhalb der rechtlichen Betreuung nicht durchgängig zufriedenstellend verwirklicht ist und es zudem Qualitätsmängel bei der praktischen Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben gibt.«

Das hört sich alles technokratisch an, dahinter stehen basale Lebensfragen und viele Betroffene: Selbst bestimmen, wie das eigene Leben aussehen soll – das steht jedem zu. In Deutschland haben 1,3 Millionen Menschen einen rechtlichen Betreuer, der sie zum Beispiel bei den Finanzen oder Anträgen unterstützt. Man ahnt, wie wichtig da die Auswahl derjenigen ist, die Betreuungsaufgaben übernehmen (dürfen). Die Wünsche des Betreuten müssen „im Regelfall Vorrang haben“, so steht es im Gesetzestext. Wie immer wird der lebenserfahrene Skeptiker an dieser Stelle darauf hinweisen, dass Papier geduldig ist.

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Asylbewerber in Gemeinschaftsunterkünften: Das Bundesverfassungsgericht soll sich damit beschäftigen, ob ein Alleinstehender automatisch durch die anderen Geld sparen kann

Es gibt ja diese Urteile des Bundesverfassungsgerichts, die immer wieder aufgerufen werden, da man in ihnen wegweisende Hinweise finden kann, zuweilen auch in beeindruckender Eindeutigkeit ausformulierte Stopp-Schilder, die der Politik vor die Nase gestellt werden. Der eine oder andere wird beim Thema Asylbewerber sicher an die grundlegende Entscheidung des hohen Gerichts aus dem Jahr 2012 denken (vgl. BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10), mit der die Verfassungswidrigkeit der damaligen Regelungen zu den Grundleistungen in Form der Geldleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz festgestellt wurde. Die Leitsätze dieser Entscheidung haben Schneisen geschlagen im Bereich der Existenzsicherung: »Die Höhe der Geldleistungen nach § 3 des Asylbewerberleistungsgesetzes ist evident unzureichend, weil sie seit 1993 nicht verändert worden ist.« Und dann dieser Passus: »Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG garantiert ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums … Art. 1 Abs. 1 GG begründet diesen Anspruch als Menschenrecht. Er umfasst sowohl die physische Existenz des Menschen als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben. Das Grundrecht steht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu.«

Das vom BVerfG hervorgehobene Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums war bereits im Urteil des Verfassungsgerichts zum Arbeitslosengeld II (Hartz IV) aus dem Jahr 2020 Dreh- und Angelpunkt (vgl. BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 09. Februar 2010 – 1 BvL 1/09). Dieses Grundrecht als Gewährleistungsrecht »ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst werden.« Auch in der BVerfG-Entscheidung zum Asylbewerberleistungsgesetz aus dem Jahr 2012 findet man daran anknüpfend deutliche Worte.

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Sterbehilfe: Eine normativ höchst anspruchsvolle Debatte über die (Un-)Möglichkeit des „freien Sterbens“ – oder doch nur auf der Rutschbahn in ein Geschäftsmodell mit outgesourcten „Suizidhelfern“?

»Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) umfasst ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen. Die in Wahrnehmung dieses Rechts getroffene Entscheidung des Einzelnen, seinem Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren.«

Mit diesen Worten hat das Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 eine dieser wegweisenden Entscheidungen gefällt, die wie ein Fallbeil wirken. Es handelt sich um den Anfang der Mitteilung des hohen Gerichts, die unter der unmissverständlichen Überschrift Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung verfassungswidrig gesetzt wurde. Wer die Entscheidung des Gerichts im Original und damit in aller Ausführlichkeit nachlesen will, der kann das hier machen: BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020 – 2 BvR 2347/15

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Auch Lebensmittel im Müllcontainer können strafrechtlich geschütztes Eigentum sein, wenn der Gesetzgeber es so will. Das Bundesverfassungsgericht zum „Containern“ und die eigentlich relevante Frage in einer Wegwerfgesellschaft

»Der Gesetzgeber darf das zivilrechtliche Eigentum grundsätzlich auch an wirtschaftlich wertlosen Sachen strafrechtlich schützen.«

So das Bundesverfassungsgericht unter der Überschrift Erfolglose Verfassungsbeschwerde bei einer strafgerichtlichen Verurteilung wegen „Containern“ zu einem Beschluss, mit dem begründet wird, warum das hohe Gericht zwei Verfassungsbeschwerden, die sich gegen eine strafgerichtliche Verurteilung wegen Diebstahls von Lebensmitteln aus einem verschlossenen Abfallcontainer eines Supermarktes („Containern“) richten, nicht zur Entscheidung angenommen hat. Dazu ausführlicher BVerfG, Beschluss vom 05. August 2020 – 2 BvR 1985/19. Wie so oft muss man schon zwischen den Zeilen graben, um Hinweise der Verfassungsrichter an die Politik zu lesen: »Es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, den Bereich strafbaren Handelns verbindlich festzulegen. Das Bundesverfassungsgericht kann diese Entscheidung nicht darauf prüfen, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat … Der Gesetzgeber hat (die) Verfügungsbefugnis des Eigentümers nicht durch eine gegenläufige, verhältnismäßige Inhalts- und Schrankenbestimmung eingegrenzt.« Was er, anders formuliert, durchaus hätte tun können.

Auch hier muss man zuerst einmal einen Blick auf den Sachverhalt werfen. Dazu kann man dem Beschluss des BVerfG die folgende Beschreibung entnehmen:

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Ein „Doppelpack“ vom Bundesverfassungsgericht zugunsten des Streikrechts der Gewerkschaften

Das mit dem Streikrecht ist in Deutschland so eine Sache. Immer wieder wird auf unsere Verfassung verwiesen, konkret auf Artikel 9 Grundgesetz, der diesen Absatz 3 enthält: »Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.« Das war’s dann auch schon mit dem, was die Verfassung zu einem Streikrecht ausführt. In Deutschland gibt es kein Streikgesetz und auch kein ausdrücklich so genanntes „Recht auf Streik“, doch in langjähriger Rechtsprechungspraxis hat sich das faktische Streikrecht durch die Entscheidungen der Gerichte – vor allem des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesarbeitsgerichts – etabliert und konkretisiert. Wir haben es in diesem Bereich vor allem mit Richterrecht zu tun. Wichtig dabei: Ein Streik muss von einer Gewerkschaft ausgerufen werden und zudem bestimmte Kriterien erfüllen, um nicht rechtswidrig zu sein.

Vor diesem Hintergrund sind zwei aktuelle Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu lesen, mit denen ausdrücklich das Streikrecht auf Seiten der Arbeitnehmer gestärkt wird.

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