„Flexibilisierung“ des Arbeitszeitgesetzes: Angriff auf ein Museumsstück? Der Acht-Stunden-Tag und die wirklichen Absichten der Deregulierer

Eigentlich wurde der landläufig als die „fünf Wirtschaftsweisen“ bezeichnete Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) in den vergangenen Jahren kaum noch wirklich beachtet, wenn sie einmal jährlich immer im November ihre meist voluminösen Jahresgutachten veröffentlicht haben. Das lag weniger an der Qualität der Vorhersagen der wirtschaftlichen Entwicklung, über die man auch streiten kann, als an den zahlreichen wirtschaftspolitischen Belehrungen, was die Politik zu machen habe. Die waren und sind in der Regel eingebettet in eine rigide angebotsorientierte Sicht auf Wirtschaftspolitik. Bei einigen gab es bei den Jahresgutachten lediglich den fast schon unterhaltsamen Faktor, neben den Inhalten die Zahl der „Eine andere Meinung“-Äußerungen des Außenseiters Peter Bofinger, dem letzten Keynesianer in dem Gremium, zu registrieren, mit denen die Jahresgutachten eine ganz eigene Färbung bekommen. Im neuen Jahresgutachten 2017/18 unter der schön daherkommenden Überschrift „Für eine zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik“ sind es insgesamt fünf Minderheitenvoten, die Bofinger abgegeben hat.

Aus sozialpolitischer Sicht mehr als irritierend ist der Tatbestand, dass sich diese fünf Wirtschaftsweisen legitimiert sehen, teilweise umfangreiche Stellungnahmen und vor allem konkrete Maßnahmen in der Sozialpolitik in ihren Jahresgutachten zu entfalten – selbst wenn man ihre Expertise in Geldpolitik oder welchem ökonomischen Teilgebiet auch immer nicht in Frage stellt, in dem hyperkomplexen Feld der Sozialpolitik sind sie definitiv keine ausgewiesenen Experten (vgl. dazu als Beispiel aus dem vergangenen Jahr Unbeirrt die Fahne hoch im eigenen sozialpolitischen Schützengraben. Die „fünf Wirtschaftsweisen“ machen auch in Sozialpolitik und das wie gewohnt. Also extrem einseitig vom 2. November 2016).

Im Jahresgutachten 2017/18 hat sich die Mehrheit des Sachverständigenrates auch zur Arbeitszeitfrage geäußert – und das ganz offensichtlich mit der Absicht, die aktuell im Vorfeld der anstehenden Koalitionsverhandlungen seitens der Arbeitgeber vorgetragenen Forderungen nach einer „Flexibilisierung“ des Arbeitszeitgesetzes offensiv als wirtschaftspolitische Notwendigkeit herauszustellen und damit zu unterstützen.

Schauen wir zuerst einmal genauer hin, was dort niedergeschrieben wurde und dann in solchen  Meldungen seinen Niederschlag gefunden hat: Wirtschaftsweiser hält Achtstundentag für „veraltet“: » Dass die Arbeit mit dem Feierabend ende, sei „veraltet“, sagte der Chef der Wirtschaftsweisen.« Im Gutachten selbst finden wir diese Hinweise zum Thema:

»Im Zuge einer Reform des Arbeitszeitgesetzes könnte eine Anpassung von einer Tageshöchstzeit auf eine Wochenhöchstzeit helfen, die Arbeitszeit flexibler auf die Wochentage zu verteilen. Zudem dürfte es sinnvoll sein, bei kollektiven Regelungen Abweichungen von der Mindestruhezeit von elf Stunden zuzulassen, um die Flexibilität von Arbeitszeit und -ort zu fördern. Forderungen nach einer weiteren Verkürzung der Arbeitszeit erscheinen mit Blick auf den im Zuge des demografischen Wandels voraussichtlich zunehmenden Fachkräfteengpass unzeitgemäß. Von einem Rechtsanspruch auf Rückkehr in Vollzeit abzusehen, ist nach wie vor richtig, denn Teilzeitbeschäftigte könnten sich aufgrund des Rechtsanspruchs veranlasst sehen, ihren Wiedereinstieg in die Vollzeitbeschäftigung unnötig lange hinauszuzögern.« (SVR 2017: 36)

Die schaffen es, in einem Absatz nicht nur den Arbeitgebern Schützenhilfe zukommen zu lassen, sondern gleich auch noch den Vorstoß der IG Metall  in der gerade begonnenen Tarifrunde hinsichtlich eines Anspruchs auf vorübergehende Teilzeitarbeit für bestimmte Personengruppen vom Tisch zu wischen und sonstige mögliche Ansprüche auf der Arbeitnehmerseite – Stichwort Rückkehrrecht von Teil- in Vollzeit auch gleich noch für nicht der Rede wert zu erklären.

Diese Forderung wurde dann von vielen Medien aufgegriffen und eine angesichts der tatsächlichen Verhältnisse auf den unterschiedlichen Arbeitsmärkten fast schon skurrile Debatte über den „8-Stunden-Tag“ brach sich Bahn.

Das ist natürlich allein schon angesichts des Gewichts der Teilzeitarbeit in ihren unterschiedlichen Ausformungen bis hinunter zu den Minijobs eine irritierende Stoßrichtung. Und nicht bei allen, aber bei vielen Arbeitnehmern sieht die Realität doch ganz anders – beispielsweise durch die teilweise erhebliche Mehrarbeit, die von den Beschäftigten geleistet wird. So prognostiziert das IAB für das kommende Jahr 1,7 Mrd. Überstunden in Deutschland, davon 946 Mio. unbezahlte Überstunden.
Und diese Formulierung des Vorsitzenden des Sachverständigenrats, Christoph Schmidt, wird bei vielen Arbeitnehmern nicht einmal mehr ein müdes Lächeln produzieren können: „Die Vorstellung, dass man morgens im Büro den Arbeitstag beginnt und mit dem Verlassen der Firma beendet, ist veraltet“, so wird Schmidt zitiert. Gerade bei den Bürotätigkeiten gibt es viele, die „selbstverständlich“ Arbeit mit nach Hause nehmen, die auch abends ihre Mails checken, die was am Wochenende vorbereiten. Und wie ist das eigentlich mit der ganz eigenen Form der Mehrarbeit, die erst vor kurzem wieder thematisiert worden ist – die Nebenjobs, deren Zahl in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen ist? 3,2 Mio. Menschen haben einen oder mehrere Nebenjobs – vgl. dazu ausführlicher den Beitrag Wer macht das warum? Neue Erkenntnisse über die Menschen in der boomenden Welt der Nebenjobber vom 18. Oktober 2017.

Und über mangelnde Flexibilität können sich die Arbeitgeber in Deutschland bei den Arbeitszeiten eigentlich nun wirklich nicht beklagen. Dafür muss man nicht auf die expandierende Form der „Arbeit auf Abruf“ verweisen (vgl. dazu Kapo – was? Der DGB nimmt mit der Arbeit auf Abruf das Schmuddelkind der Arbeitszeitflexibilisierung ins Visier vom 26. September 2016), wo wirklich Missbrauch betrieben wird mit dem Zugriff auf die Beschäftigten. Arbeitnehmer sind flexibel, Arbeitgeber eher nicht, so Nadine Oberhubers Überschrift: »Forscher warnen: Schon jetzt arbeiten viele Deutsche mehr als das Gesetz erlaubt.« Was man seit geraumer Zeit in Deutschland beobachten kann ist eine „Polarisierung“ dergestalt, dass wir »einerseits eine generelle Arbeitszeitverkürzung, weil die Zahl der Teilzeitverträge stark zugenommen hat«, erleben, »andererseits sehen wir einen großen Teil von Beschäftigten, der Überstunden macht«, so wird der Arbeitsmarktforscher Gerhard Bosch von der Universität Duisburg-Essen in dem Artikel von Oberhuber zitiert.

Die Diagnose von Gerhard Bosch ist eindeutig: „Wir sind in Europa dasjenige Land mit der höchsten Arbeitszeitflexibilität“. Trotz Arbeitszeitgesetz.

Und selbst die Gewerkschaften helfen den Arbeitgebern bei einer sehr weitreichenden Flexibilisierung der Arbeitszeit. Man schaue sich nur die Abbildung am Anfang dieses Beitrags an – am Beispiel der tarifvertraglich geregelten Arbeitszeitregelungen für die baden-württembergische Metallindustrie werden die Handlungsspielräume für die Arbeitgeber nun wirklich erkennbar. Die können sich aus einem breit gefächerten Baukasten die Arbeitszeitmodelle zusammenstellen.

Das wird auch an anderer Stelle erkannt: »Schluss mit dem Achtstundentag: Politik und Wirtschaft wollen Regeln aus dem Arbeitszeitgesetz abschaffen. Dabei ist jetzt schon erstaunlich viel erlaubt«, so Matthias Kaufmann in seinem Artikel Das ist Arbeit – und das nicht. Er zitiert schlicht die geltende Arbeitszeitrechtslage.

Auch Arbeitszeitexperten wie Andreas Hoff sind genervt von der nun wieder ausgebrochenen Debatte: »Die Forderungen des Sachverständigenrats ärgern mich. Die Behauptung, das Arbeitszeitgesetz sehe einen Acht-Stunden-Tag vor, ist schlichtweg falsch. Die Diskussion ist überflüssig. Die Grenze liegt nicht bei acht Stunden, sondern bei zehn Stunden, und zwar nicht wie häufig dargestellt in Ausnahmefällen, sondern ohne weitere Hürden. Auch die maximale wöchentliche Arbeitszeit von 48 Stunden gilt grundsätzlich nur im Durchschnitt von sechs Monaten, sodass pro Woche ohne rechtliche Probleme bis zu 60 Stunden gearbeitet werden kann. Und schließlich darf die Zehn-Stunden-Regelung unter bestimmten Bedingungen auch noch überschritten werden. Insgesamt sind die Regelungen zur täglichen Höchstarbeitszeit also angemessen und ausreichend flexibel.« Vgl. dazu das Interview mit Hoff: Wenn Angestellte ihre Arbeitszeit selbst bestimmen.

Und zu der 11-Stunden-Pausenregelung zwischen den Arbeitseinsätzen hat er eine klare Meinung: »Derzeit liegt die gesetzlich vorgeschriebene Ruhezeit grundsätzlich bei elf Stunden, kann bei entsprechender Tarifregelung aber auf bis zu neun Stunden verkürzt werden. Eine darüber hinausgehende Verkürzung lehne ich ab, weil sie langfristig den Arbeitnehmern schadet. Aus arbeitsmedizinischer Sicht ist eine Schlafdauer von sieben bis acht Stunden pro Nacht sinnvoll.« Und er präsentiert auch Alternativen, ohne diese zu überhöhen:

»Ich halte viel von Vertrauensarbeitszeit, in der die Mitarbeiter ihre Arbeitszeit eigenverantwortlich einteilen können. Allerdings muss es den Mitarbeitern möglich sein, die Arbeitsmenge innerhalb der Vertragsarbeitszeit zu bewältigen; es dürfen keine überzogenen Ziele vorgegeben werden, wie dies leider häufig der Fall ist. Ich schätze, dass Vertrauensarbeitszeit bereits für etwa 20 Prozent der Arbeitnehmer gilt. Es ist beispielsweise das Standardmodell im Vertrieb. Im Schichtbetrieb lässt sich das Modell allerdings nicht umsetzen, weil die Mitarbeiter nicht für die Einhaltung ihrer Vertragsarbeitszeit verantwortlich gemacht werden können.«

Und bei allem Flexibilisierungsgerede muss man schlichtweg mal zur Kenntnis nehmen, dass Millionen Arbeitnehmer in Industrie und Dienstleistungen Schichtarbeit leisten und das auch in Zukunft machen müssen, weil es schlichtweg nicht geht, beispielsweise die Pflege alter Menschen im Home Office zu erledigen. Und gerade hier wird der Stellenwert von Schutzbestimmungen durch die Forschungslage mehr als deutlich:

Im März 2015 hat die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) im Rahmen der öffentlichen Konsultation zur Überarbeitung der europäischen Arbeitszeitrichtlinie (Richtlinie 2003/88/EG) eine Stellungnahme abgegeben. Darin wird beispielsweise auf den Forschungsstand die weit verbreitete Schichtarbeit betreffend hingewiesen:

»Mit ansteigender Dauer der Arbeitszeit nehmen auch die Unfallzahlen zu. Bereits nach der neunten Arbeitsstunde zeigt sich ein deutlicher Anstieg des Unfallrisikos. Dies hat auch eine Untersuchung aus dem Jahr 1998, bei der 1,2 Millionen Unfälle analysiert wurden, deutlich gemacht … Die Analyse hat ergeben, dass das Unfallrisiko generell nach der neunten Arbeitsstunde exponentiell ansteigt. Darüber hinaus ergab sich eine signifikante Wechselwirkung von aktueller Arbeitsdauer und Tageszeit. Die Unfallhäufigkeit nach unterschiedlichen Arbeitsdauern hing davon ab, zu welcher Tageszeit die Arbeit begann. Bei späterem Schichtbeginn stieg die Unfallrate nach der achten Arbeitsstunde dramatisch an.«

Und weiter:

»Darüber hinaus haben Langzeitanalysen gezeigt, dass lange wöchentliche Arbeitszeiten mit einem höheren Unfall- und Erkrankungsrisiko assoziiert sind. So wurde zum Beispiel von Dembe et al. ermittelt, dass eine wöchentliche Arbeitsdauer von mehr als 60 Stunden – nach Kontrolle von personen- und arbeitsplatzbezogenen Merkmalen wie Alter, Geschlecht, Branche – mit einem 23 % höheren Verletzungsrisiko einhergeht im Vergleich zu einer geringeren Stundenzahl … Auch Beeinträchtigungen wie Schlafprobleme oder Herzerkrankungen nehmen mit Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit zu.«

Die Schlussfolgerung ist eindeutig: »Um die Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit zu gewährleisten sind von daher nach Auffassung der gesetzlichen Unfallversicherung Schichtdauern von mehr als acht Stunden pro Tag und Wochenarbeitszeiten von mehr als 40 Stunden im Sinne der Prävention nicht zu empfehlen.«

Wenn man das alles Revue passieren lässt, dann muss es andere Gründe geben für die hufescharrenden Aktivitäten der Arbeitgeber in diesem Bereich. An dieser Stelle sollen zwei ausgewählte Aspekte besonders hervorgehoben werden:

1.) Zum einen ist das natürlich anlassbezogen im Kontext der Sondierungsgespräche für eine mögliche Jamaika-Koalition zu verstehen, denn man muss frühzeitig die Themen platzieren, die Eingang finden sollen in den Koalitionsvertrag. Hier geht es ihnen vor allem um ein Ziel: Die Arbeitgeber wollen die tägliche Begrenzung der Arbeitszeit schleifen und statt dessen auf die wöchentliche Höchstarbeitszeit abstellen. Aber warum ist das so wichtig?

Eine plausible Vermutung geht in die in diesem Blog schon mehrfach darstellte Problematik einer Kollisionen der arbeitszeitlichen Realität in Branchen wie Hotel und Gaststätten mit den Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes und der Tatsache, dass diese in der Vergangenheit schlichtweg nicht entdeckt wurden, weil keiner kontrolliert hat, sich das aber mittlerweile durch das Mindestlohngesetz geändert hat, denn der Zoll muss zur Mindestlohnkontrolle auch die gearbeiteten Stunden nachvollziehen. Selbst wenn der Mindestlohn ordnungsgemäß gezahlt wurde, kommt dann ein Verstoß gegen die Arbeitszeitvorschriften ans Tageslicht. Würde die tägliche Höchstarbeitszeitbegrenzung flexibilisiert oder gar beseitigt werden, dann könnte man wieder schalten und walten, denn – daran sei an dieser Stelle erinnert – bei der Wochenarbeitszeit ist man nicht an die „normalen“ 48 Stunden gebunden, sondern kann bis zu 60 Stunden nach oben gehen. In so einem Gefecht wird praktische Arbeitszeitkontrolle von außen verunmöglicht. Vor allem überall dort, wo es keine Betriebsräte gibt, was gerade in den für Missbrauch empfänglichen Branchen regelhaft der Fall ist.

In diesen Zusammenhang passt dann auch der massive Druck der Arbeitgeber in Richtung Deregulierung bei den Dokumentationspflichten für Arbeitgeber bestimmter Branchen nach dem Mindestlohngesetz, denn wenn die fallen, dann wären der schrankenlosen Flexibilität (und damit verbunden auch dem massiven Missbrauch) Tür und Tor geöffnet, da man nicht mehr nachhalten kann, wer wie viele Stunden wirklich gearbeitet hat. Vgl. zu diesem Aspekt den Beitrag Ein Vorstoß zur „Entlastung“ der Arbeitgeber beim Mindestlohn – ein Vorgeschmack auf das, was von einer Jamaika-Koalition sozialpolitisch zu erwarten ist? vom 17. Oktober 2017.

2.) Zum anderen werden die Arbeitgeber damit konfrontiert, dass die Arbeitszeitfrage (erneut) von den Gewerkschaften aufgerufen wird, konkret von der IG Metall. »Die IG Metall startet die Tarifverhandlungen mit einem Coup: Neben sechs Prozent mehr Lohn fordert sie ein Recht auf eine befristete Arbeitszeitverkürzung. Arbeitnehmer sollen für bis zu zwei Jahre ihre Arbeitszeit auf 28 Stunden in der Woche reduzieren können. Wer kleine Kinder hat oder die Mutter pflegt, soll dafür sogar einen finanziellen Zuschuss vom Arbeitgeber erhalten.« So die Kurzfassung dessen, was in den kommenden Wochen verhandelt werden muss in dem Artikel Arbeiten, wie es zum Leben passt von Tina Groll.

Man sollte sich an dieser Stelle – gerade auch angesichts des massiven Aufstöhnens der Arbeitgeber – klar machen, dass die IG Metall schon mit einer reduzierten Variante auf das Spielfeld tritt, denn es wir ja nicht eine generelle Arbeitszeitverkürzung gefordert, sondern eine befristete Regelung für diejenigen, die das wollen und nur eine finanzielle Teilkompensation für einige wenige definierte Personengruppen, ebenfalls nicht für alle.
Man muss zugleich auch die Arbeitgeberseite verstehen, denn tatsächlich gibt es auf der Ebene der Fachkräfte durchaus und zunehmend Probleme, überhaupt ausreichend qualifiziertes Personal zu finden und jeder Anspruch auf eine (befristete) Arbeitszeitverkürzung würde dieses Problem natürlich verschärfen. Aber unabhängig davon ist es natürlich nicht wirklich konsistent, wenn die Arbeitgeber und die Wirtschaftsweisen eine deutliche Erhöhung der Arbeitszeitflexibilität von den Arbeitnehmern einfordern, denen diese aber zugleich verweigern, weil sie ihnen möglicherweise nicht in den betriebswirtschaftlichen Kram passen. Vielleicht ist das aber durchaus konsistent, nämlich einseitig konsistent.

Und schlussendlich wird an der einen oder anderen Stelle im Arbeitgeberlager sicher registriert, welche Arbeitszeitverkürzungswünsche sich generell bei vielen Menschen aufgebaut haben. Man kann das an einem Beispiel illustrieren: Wenn auch mit Einschränkungen kann man die Zahl und die Intensität von Retweets auf Twitter als Indikator verstehen für Themen, die die Menschen bewegen.

#Arbeitszeit: Sechs Stunden am Tag sind genug. #Schweden verkürzt im Gesundheits- und Sozialsektor den Arbeitstag bei gleichem Lohn. Qualität und Produktivität steigen, der Krankenstand sinkt: https://t.co/2f89RF3Yvw

Nehmen wir als Beispiel den hier zitierten Tweet, über den dieser Artikel von Reinhard Wolff verlinkt wurde: Sechs Stunden am Tag sind genug: »Schweden verkürzt im Gesundheits- und Sozialsektor den Arbeitstag bei gleichem Lohn. Qualität und Produktivität steigen, der Krankenstand sinkt.«

Darauf sind sehr viele angesprungen – viele mit großer Sympathie für das, was sie da lesen. Nur muss man natürlich genau lesen, denn zuweilen verzerren Überschriften ziemlich stark die tatsächlichen Vorgänge. Nun wird hier so getan, als würde in Schweden demnächst der 6-Stunden-Tag eingeführt, was sich allerdings beim Weiterlesen dann schnell relativiert, denn hier wird von Modellversuchen berichtet.

So das Sahlgrenska-Uni-Krankenhaus in Göteborg. »Ein zunächst auf ein Jahr angelegter Versuch mit dem Sechsstundentag wurde zwischenzeitlich mehrfach verlängert – und wird nun vermutlich Dauerzustand. Mit einem Sechstel mehr an Personal – das wurde plötzlich gefunden – konnte die Produktivität sogar erhöht werden: Die Orthopäden schaffen jetzt ein Fünftel mehr an Operationen. Die Wartezeiten für PatientInnen sind gesunken, und die Wirtschaftlichkeit der Klinik hat sich verbessert.« Ja, aber nicht im Gesundheits- und Sozialsektor insgesamt, sondern erst einmal nur in dem Krankenhaus.

Das betont auch der Verfasser des Artikels: »Derzeit laufen überall in Schweden – vorwiegend in Krankenhäusern und im Sozialsektor – Versuche mit dem Sechsstundentag.«

Aber auch solche Erfahrungen über die Einführung des Sechs-Stunden-Tags:

»So bis Ende vergangenen Jahres für 70 Beschäftigte eines kommunalen Altenheims in Göteborg. Der Krankenstand sank dort um ein Fünftel, während er in vergleichbaren Einrichtungen im gleichen Zeitraum um 10 Prozent anstieg. Die Angestellten beschrieben sich als zufriedener, ausgeruhter, weniger gestresst. Die AltenheimbewohnerInnen teilten diese Einschätzung: Sie fühlten sich besser versorgt, das Personal habe nun mehr Zeit für Aktivitäten im Freien – oder für ein Schwätzchen.«

Das hört sich doch gut und selbst Betriebswirte können angesichts der ökonomischen Effekte zu dem Ergebnis kommen, dass das eine unterm Strich sogar lohnenswerte Investition ist. Und jetzt das „Aber“: »Der Versuch wurde abgebrochen, weil sich in der rot-grünen Kommunalkoalition die Sozialdemokraten durchsetzten. Ihnen waren die Zusatzkosten, etwa 80.000 Euro im Jahr, zu hoch.«

Dabei, so der Verfasser des Artikels, würde sich nach vorliegenden Studien die Investition langfristig rechnen – auch in der engen Kategorienwelt der Betriebswirte: »Zwar verursache die Reform zunächst höhere Kosten, könne langfristig aber Gewinn abwerfen.«

Wie dem auch sei – der Artikel endet mit dem Hinweis, dass die schwedische Linkspartei nun Sechsstunden-Tests in allen Kommunen fordert, „um mehr Erfahrungen sammeln zu können“. Das ist aber etwas anderes als die Aussage, Schweden würde jetzt die Arbeitszeit auf sechs Stunden verkürzen und das bei vollem Lohnausgleich. Das nun kann man wirklich nicht dem Artikel entnehmen.

Dennoch adressiert der Beitrag eine bei vielen vorhandene und tief sitzende Sehnsucht nach kürzeren Arbeitszeiten, was nicht nur, aber eben auch ein Resultat der enormen Zunahme nicht nur von Arbeitstempo, sondern auch generell der Arbeitsintensität, ist.

Ein Vorstoß zur „Entlastung“ der Arbeitgeber beim Mindestlohn – ein Vorgeschmack auf das, was von einer Jamaika-Koalition sozialpolitisch zu erwarten ist?

Es sind bereits drei Wochen vergangen seit der Bundestagswahl 2017 – und nach dem Ergebnis war und ist klar, dass es wenn, dann eine „Jamaika“-Koalition aus Union, FDP und Grünen geben muss. Aber die Sondierungsgespräche, also die Phase vor der Aufnahme offizieller Koalitionsverhandlungen, haben immer noch nicht begonnen. Zum einen musste sich die Union sammeln und interne Streitigkeiten um die unnennbare Obergrenze für Flüchtlinge semantisch befrieden, zum anderen wollte die Bundeskanzlerin offensichtlich erst einmal in aller Ruhe die Landtagswahlen in Niedersachsen abwarten, die nun am 15. Oktober stattgefunden und der Union ein weitere Problem verschafft haben, da die für klinisch tot erklärte SPD dort überraschend hat gewinnen können. Vor diesem Hintergrund muss der aufmerksame Beobachter weiter warten, was denn nun sozialpolitisch auf uns zu kommen könnte, wenn die mal richtig anfangen zu verhandeln.
In der Not gibt man sich auch mit Brosamen zufrieden und sammelt alles auf, was als Hinweis gewertet werden könnte, wohin die Reise einer „Jamaika“-Koalition gehen wird. Und da erweist es sich als hilfreich, dass es diese Koalitionsformation bereits gibt, in Schleswig-Holstein. Und von dort werden „interessante“ Aktivitäten vermeldet. Die vielleicht einen Vorgeschmack liefern können.

Dabei geht es um den gesetzlichen Mindestlohn. Was war das für eine Schlacht vor und bei seiner Einführung. Mit harten Bandagen wurde gekämpft. Und neben dem Spiel mit den angeblichen, mittlerweile bekanntlich widerlegten Jobkiller-Ängsten wurde auch heftig auf die Tränendrüse des „Bürokratiemonsters“ gedrückt. Und eigentlich müsste man im Oktober 2017 zu dem Ergebnis kommen, dass der „Schock“ des Mindestlohns und die mit ihm verbundenen Auflagen irgendwie Geschichte ist, hört man doch von „normalen“ Unternehmen diesbezüglich keine massive Kritik mehr, außer vielleicht, dass man generell beklagt, dass Löhne immer Kosten sind und stören. Also könnte man sich anderen Themen widmen, aber nein – offensichtlich wird die Kritik an bestimmten Bestandteilen des Mindestlohns bzw. seiner Umsetzung weiter vorangetrieben und sie stößt bei dem einen oder anderen Politiker auf einen entsprechenden Resonanzboden.

Dabei stand und steht nicht etwa die Lohnauszahlung an sich unter Beschuss, selbst die Höhe des Mindestlohns nicht (mehr), sondern neben den Kontrollen seitens des Zolls war und ist es die Arbeitszeitdokumentation, die von einigen als schmerzender Stachel im betrieblichen Fleisch empfunden wird. Und die seit Anbeginn des Mindestlohns Sturm laufen, um eine „Entlastung“ von diesem bürokratischen „Aufwand“ zu erreichen. Und das hat bei den meisten gar nichts mit dem Mindestlohn an sich zu tun, sondern mit der Arbeitszeit, die nun nachgehalten und für eventuelle Kontrollen vorgehalten werden muss.

Dazu bereits die Hinweise in dem Beitrag (Schein-)Welten des gesetzlichen Mindestlohns nach seiner Geburt vom 22. April 2015, in den turbulenten Wochen nach dem Inkraftreten der gesetzlichen Lohnuntergrenze. In diesem Beitrag wurde von einer Demonstration „gegen Bürokratismus und Dokumentationswahn“ des bayerischen Hotel- und Gaststättenverbands in München berichtet. Dort wurde beklagt, „das Gastgewerbe drohe unter der Last der Bürokratie zu zerbrechen“. „Gastfreundschaft statt Doku-Wahn“ und „Wirtsstube statt Schreibstube“ lauteten die Parolen, oder auch „Ich will jeden Sonntag arbeiten“ und „Ich will kochen statt dokumentieren“. Dann wurde in dem Beitrag der Finger auf die echte Wunde gelegt, denn wenn man genau hinschaut, »dann öffnet sich eine ganz andere Sichtweise auf den eigentlichen Gegenstand des Protestes. Denn der ist weniger bis gar nicht das Mindestlohngesetz und die damit verbundene Auflage, mindestens 8,50 Euro pro Stunde zu zahlen, sondern das Arbeitszeitgesetz, wobei die Verstöße gegen dieses Gesetz in der Vergangenheit oftmals und in der Regel kaschiert werden konnten, nunmehr aber durch die Stundendokumentation der beschäftigten Arbeitnehmer offensichtlich werden, wenn es denn mal eine Kontrolle geben sollte.« Und weiter: »Es geht den Hoteliers und Wirten … um die Pflicht, die geleistete Arbeitszeit minutiös Woche für Woche aufzulisten und gleichzeitig um die Arbeitszeitgrenzen nach dem schon viel länger geltenden Arbeitszeitgesetz, das maximal zehn Stunden Arbeit pro Tag festschreibt.«

Wie das mit der Arbeitszeitdokumentation geregelt ist, verdeutlicht die Abbildung am Anfang dieses Beitrags. Eine Dokumentationspflicht gibt es branchenübergreifend, also für alle Arbeitgeber (außer den Privathaushalten) nur für die geringfügig Beschäftigten, den Minijobbern. Und dann für Arbeitnehmer/innen in zehn Branchen, die im Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz explizit genannt werden als Branchen, in denen man es überdurchschnittlich oft mit Schwarzarbeit zu tun habe, in denen also ein Teil der Unternehmen anfällig ist für Missbrauch zuungunsten der Beschäftigten. Und für die hat man auch eine Dokumentation der Arbeitszeit vorgeschrieben.

Also eigentlich, denn zugleich hat man dem zuständigen Bundesarbeitsministerium (BMAS) gesetzlich die Möglichkeit eröffnet, durch eine Rechtsverordnung ohne Zustimmungspflicht des Bundesrates die Dokumentationspflicht zu erweitern – oder einzuschränken. Von der letzteren Variante hat das BMAS dann auch mit der Mindestlohndokumentationspflichtenverordnung (MiLoDokV)vom 29. Juli 2015 Gebrauch gemacht – um die damaligen Kritiker etwas zu beruhigen. Das wurde damals in diesem Beitrag vom 30. Juni 2015 analysiert und kommentiert: Der Mindestlohn mal wieder. Er wirkt vor sich hin und Andrea Nahles korrigiert ein paar Stellschrauben im Getriebe. Das zentrale Entgegenkommen der Ministerin Andrea Nahles (SPD) damals an die Kritiker am Mindestlohn gerade auch in den Reihen der Großen Koalition: Sie hat die Dokumentationspflicht bei der Arbeitszeit bei bestimmten Personen verkleinert. Aufzeichnungspflichten bei der Beschäftigung von Ehepartnern, Kindern und Eltern des Arbeitgebers sind mit der neuen Verordnung entfallen. Sie ist aber noch einen Schritt weiter gegangen und man hat die Schwellenwerte von brutto 2.000 (wenn die kontinuierlich während der letzten zwölf Monate geflossen sind) bzw. 2.598 Euro pro Monat eingeführt, bei deren Überschreiten man die Arbeitszeit nicht mehr dokumentieren muss. Diese Beträge sind natürlich schon auf den ersten Blick etwas willkürlich gesetzt. Zur Kritik kann man in dem damaligen Beitrag finden:

»Da fragt sich auch der dem Mindestlohn sehr zugeneigte Leser vielleicht: Warum jetzt 2.000 Euro? Ist das empirisch ermittelt worden oder hat man gewürfelt? Oder hat man die Zahl genommen, weil sie so schön rund ist? Und wenn man das irgendwie erklärt bekommt, bleibt eine weitere Frage mit Ratlosigkeitspotenzial, denn die Absenkung gilt ja nur, »wenn das Arbeitsverhältnis schon länger besteht und der Lohn in den vergangenen zwölf Monaten regelmäßig bezahlt wurde.« Ja wie? Was genau ist denn „schon länger besteht“? Geht’s noch präziser? Oder ist das dann aus dem zweiten Teil abzuleiten, wo von den vergangenen zwölf Monaten die Rede ist. Also zwölf Monate. Warum nicht 11 oder 10 oder 9? Hat man da gewürfelt?

Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Karl Schiewerling (CDU), wird mit der kritischen Anmerkung zitiert, durch die Einführung einer weiteren Gehaltsschwelle werde das Gesetz für Arbeitgeber und Kontrollbehörden noch komplizierter. Das ist nicht von der Hand zu weisen. Insgesamt erscheint das nicht wirklich durchdacht, offensichtlich will Andrea Nahles den Mindestlohnkritikern in der Union und in den Wirtschaftsverbänden irgendwie entgegenkommen.«
Zwischenfazit: Bereits mit den Ausnahmeregelungen aus dem Juli 2015 wurde das Mindestlohnregime komplizierter ausgestaltet.

Aber offensichtlich ist der Phantasie hier keine Grenzen gesetzt. Denn  nun meldet sich die real existierende „Jamaika“-Koalition zu Wort, also die aus Schleswig-Holstein. Die hat den Bundesrat am 10. Oktober 2017 aufgefordert, mit einem Gesetzentwurf die Arbeitszeiterfassung beim Mindestlohn für Teilzeitkräfte „handhabbarer und praxisnäher“ zu gestalten.
Das hört sich erst einmal ganz unverdächtig an. Was genau wollen die Nordmänner und -frauen hier erreichen?

Dazu muss man einen Blick werfen in den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Mindestlohngesetzes, ein Antrag des Landes Schleswig-Holstein an den Bundesrat. Der soll in der 961. Sitzung des Bundesrates am 3. November 2017 behandelt werden.
Dort wird erst einmal behauptet: »Die Dokumentationspflicht stellt insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen einen Mehraufwand dar.«

Und weiter: »Um den Bürokratieaufwand zu reduzieren, sollen mit dem Gesetzentwurf die Dokumentationspflichten nach dem MiLoG handhabbarer und praxisnäher gestaltet werden.«

Und wie will man das erreichen?

»Die Verordnungsermächtigung des § 17 Absatz 3 MiLoG wird um eine Verpflichtung zur Abgrenzung von Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten ergänzt.«

In der Begründung wird ausgeführt: »So treffen die festgelegten Entgeltgrenzen keine Unterscheidung zwischen Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten. Dabei haben Teilzeitbeschäftigte aufgrund ihrer stundenreduzierten Arbeitszeit ein niedrigeres Monatseinkommen. Dadurch erreichen sie selbst bei einem Stundenlohn, der deutlich über dem derzeitigen Mindestlohn von 8,84 Euro liegt, in der Regel nicht die Schwellenwerte.«

Das ist richtig erkannt. Aber wie soll dem Abhilfe geschaffen werden? »Bei der Festlegung der Schwellenwerte ist daher die stundenreduzierte Arbeitszeit der Teilzeitbeschäftigten zu berücksichtigen, beispielsweise indem anstelle eines Monatseinkommens eine stundenbezogene Entgeltgrenze festgelegt wird.« Das war’s. Alles andere müsse das Ministerium erledigen.

Wir müssen uns das so vorstellen: Wenn die Teilzeitkräfte (angeblich) einen Stundenlohn von 10 Euro bekommen (oder – erneut angeblich – mehr), dann muss man die Arbeitszeiten in den eingangs genannten Branchen nicht mehr dokumentieren. Mit der logischen Folge, dass das dann auch nicht mehr vom Zoll geprüft werden kann, denn wo keine Stunden dokumentiert werden, da kann man auch nicht nachweisen, dass ein gesetzlich vorgeschriebener Stundenlohn vorenthalten wurde.

Dazu schreibt der DGB in der Pressemitteilung Kein Mindestlohn mehr für Teilzeitkräfte? DGB protestiert gegen Vorstoß der Jamaika-Koalition in Kiel:

»Die Jamaika-Koalition in Kiel will nichts anderes als den Mindestlohn aufweichen. Wer arbeitet, hat einen Rechtsanspruch auf einen anständigen Lohn – ob Vollzeit oder Teilzeit. Das heißt seit 2015: mindestens den Mindestlohn. Dafür muss die Arbeitszeit erfasst werden. Es gibt keinen Spielraum, wie das „handhabbarer und praxisnäher“ gemacht werden kann. Wer die Arbeitszeit nicht dokumentieren will, will nicht weniger Bürokratie, sondern mehr Ausbeutung. Diese Pläne würden Millionen Beschäftigten in Gastronomie, Handel, Logistik treffen – und vor allem Frauen, denn sie arbeiten öfter Teilzeit.«

Letztendlich geht es auch hier wieder um das ungeliebte Kind Arbeitszeitdokumentation und den darüber verstellbaren Beweis, dass ein Arbeitgeber möglicherweise gegen das Arbeitszeitgesetz verstoßen hat.

Aber ist das wirklich so ein bürokratisches Monstrum? Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales schreibt in der hauseigenen Broschüre Der Mindestlohn. Fragen & Antworten:

»Wenn Arbeitgeber zur Dokumentation nach dem MiLoG verpflichtet sind …, müssen sie Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeits­zeit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern erfassen. Diese Dokumentation erfordert keine spezielle Form, sondern kann z. B. handschriftlich auf einem einfachen Stundenzettel vermerkt werden. Auch die konkrete Dauer und Lage der Arbeitspausen muss nicht gesondert ausgewiesen werden. Bei Beschäftigten, die ausschließlich mobil tätig sind und ihre Arbeitszeit flexibel und eigenverantwortlich einteilen können, genügt es, die Dauer der Arbeitszeit festzuhalten.«

Das hört sich nicht wirklich monströs an. Zudem kann man sich sogar kostenlose Apps zur Erfassung der Arbeitszeit seitens der Mitarbeiter herunterladen.

Nein, hier geht es um etwas ganz anderes. Gerade die Teilzeitbeschäftigten (zu denen natürlich auch die Minijobber gehören) sind bekanntlich diejenigen, die am ehesten ausgenutzt und überdurchschnittlich stark in Anspruch genommen werden können. Vor allem in den Branchen, die man nunmehr entlasten will.

Der ganze Vorgang verweist auf eine hoch konfliktäre Baustelle, die auf uns zukommen wird, wenn es eine „Jamaika“-Koalition geben wird. Denn Union und FDP wollen an das Arbeitszeitgesetz und die dort normierten Schutzvorschriften heran. Das mit dem Mindestlohn ist da nur ein ganz leichtes Lüftchen, das man platziert hat, um den Boden zu bereiten.

Minijobs diesseits und jenseits vom Mindestlohn sowie darüber hinaus die Frage: Muss und sollte es so bleiben mit den Minijobs?

Es ist ruhig geworden um den gesetzlichen Mindestlohn in den vergangenen Monaten. Seit dem 1. Januar 2015 ist er für (fast) alle in Kraft und zu Beginn dieses Jahres wurde er angehoben auf 8,84 Euro pro Stunde. Die vielen Kritiker der Lohnuntergrenze sind angesichts der nicht eingetretenen Beschäftigungskatastrophe leiser geworden und auf der anderen Seite hat das ausgelagerte Verfahren einer Anpassung des Mindestlohns in die Mindestlohnkommission für die Politik Druck rausgenommen angesichts der vielen Forderungen nach einem deutlich höheren Mindestlohn als das, was wir jetzt haben (vgl. dazu den Beitrag Der gesetzliche Mindestlohn und seine rechnerische Zähmung vom 29. Juni 2016). Nun aber schwappt das Thema wieder in den Strom der öffentlichen Aufmerksamkeit, ausgelöst von einer Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Thomas Öchsner hat darüber in seinem Artikel unter der Überschrift Millionen Minijobber werden mit illegalen Minigehältern abgespeist berichtet.

Diese Überschrift ist nicht unproblematisch, verleitet sie doch viele Leser nach der ersten, flüchtigen Kenntnisnahme zu dem Eindruck, dass das heute, im Januar 2017 so sei. Und er schreibt dann auch am Anfang seines Beitrags: »Viele Minijobber erhalten nicht den gesetzlichen Mindestlohn, obwohl er ihnen zusteht.« Wenn man dann aber weiterliest, erfahren wir:

»Demnach bekamen 2015 knapp die Hälfte dieser geringfügig Beschäftigten weniger als 8,50 Euro brutto die Stunde, die Arbeitgeber damals mindestens zahlen mussten … „Die Zahlen lassen keinen Zweifel daran, dass die Betriebe bei einem erheblichen Teil der Minijobber nicht wie gesetzlich vorgeschrieben die Löhne erhöht haben“, stellen die Studienautoren Toralf Pusch und Hartmut Seifert fest … Bei wie vielen 450-Euro-Stellen genau die Lohnuntergrenze unterlaufen wird, schreiben die Forscher nicht. Es dürfte sich aber um Millionen handeln.«

Einerseits wird auch hier der Eindruck erweckt, dass es sich um eine aktuelle Bestandsaufnahme handelt, andererseits sollte man die von Öchsner zitierte Jahreszahl – 2015 – nicht überlesen. Da lohnt doch ein Blick in das Original:

Toralf Pusch und Hartmut Seifert: Mindestlohngesetz. Für viele Minijobber weiterhin nur Minilöhne. WSI Policy Brief Nr. 9, Düsseldorf: Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut (WSI), Januar 2017

Für ihre Studie haben Pusch und Seifert Daten aus zwei Quellen ausgewertet: Dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP), das vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) betreut wird, sowie das Panel Arbeitsmarkt und Soziale Sicherung (PASS), das beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit angesiedelt ist. In beiden Panels wurden im Laufe des Jahres 2015 mehrere Tausend Arbeitnehmer zu Einkommen und Arbeitszeiten befragt. Die WSI-Forscher konzentrieren sich in ihrer Auswertung auf Menschen, für die der Minijob den Haupterwerb darstellt. Branchen, in denen der gesetzliche Mindestlohn für einen Übergangszeitraum legal unterschritten werden durfte, haben sie für ihre Analyse bereits herausgerechnet.

Nun muss man zwei Dinge wissen und bei der Interpretation der Studienergebnissen berücksichtigen:

  1. Auch wenn SOEP und PASS wichtige und überaus hilfreiche Datensätze sind – es handelt sich um Befragungsdaten und Stichproben. Damit verbunden sind zwei methodische Aspekte: Zum einen beruhen die Angaben zu Stundenlöhnen auf den Angaben der Befragten und sind Umrechnungen von deren Angaben, was sie in einem bestimmten Zeitraum, beispielsweise im der Befragung vorgelagerten Monat verdient haben und wie viel Stunden sie gearbeitet haben. Mithin haben wir hier natürlich einen nicht auflösbaren Unschärfebereich, der sich aus den unvermeidbaren Ungenauigkeiten von Befragungsdaten ergibt. Zum anderen kann die Stichprobegröße dazu führen, dass bei bestimmten speziellen Auswertungen, bei denen viele Merkmalsträger ausgeschlossen werden müssen, sehr kleine Fallzahlen resultieren, von denen dann auf die Grundgesamtheit hochgerechnet wird.
  2. Hinzu kommt, dass sich die Datenerhebung in der WSI-Studie auf das Frühjahr 2015 bezieht und damit auf einen Zeitraum kurz nach der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns. Damit verbunden sind zwei methodische Fragezeichen: Man kann davon ausgehen, dass sich am Anfang gerade im Bereich der Minijobs – neutral formuliert – noch zahlreiche Übergangs- und Anpassungsschwierigkeiten bei der Überführung der Minijobs in die neue Mindestlohnwelt beobachten lassen (von denen einen Teil im weiteren Verlauf der Zeit gelöst werden), so dass sich mit Blick auf den Jahresanfang 2017 eine Übertragung der Werte von selbst verbietet.

In der Studie selbst gibt es einen kleinen Hinweis auf den zuletzt angesprochenen Mechanismus. So schreibt Öchsner in seinem Bericht über die Studie: »So verdienten im Jahresdurchschnitt 2014 etwa 60 Prozent der Minijobber weniger als 8,50 Euro die Stunde. Dieser Anteil sank zunächst auf etwa 50 Prozent. Der durchschnittliche Zeitpunkt der Befragung war dabei der März 2015. Zieht man die Umfrageergebnisse vom Juni 2015 heran, erhielten immer noch 44 Prozent der Minijobber nicht die 8,50 Euro.« Ganz offensichtlich hatten wir es schon in den wenigen Monaten bis zur Jahresmitte 2015 mit einem beweglichen Ziel zu tun und es spricht nichts dagegen, dass sich die Werte in dem weitaus längeren Zeitraum bis heute weiter nach unten angepasst haben.

Das soll nicht verstanden werden als eine Botschaft dergestalt, dass alles in Ordnung sei in diesem Bereich, dass es keine Probleme mit den Minijobs geben würde. Aber man sollte korrekterweise und im Sinne der Sache darauf verzichten, a) den Eindruck zu erwecken, dass gegenwärtig die Hälfte der Minijobber nicht den ihnen zustehenden Mindestlohn bekommen und b) dass das gesicherte Daten sind.

Diese Schwachstelle wurde dann auch sofort aufgegriffen von den fundamentalen Mindestlohnkritiker, dazu beispielsweise der Beitrag Inszenierter Minijob-Skandal von Dietrich Creutzburg: »Zumindest Mitarbeiter des Statistischen Bundesamts und der Mindestlohnkommission haben sich am Montag aber darüber gewundert – und zwar nicht nur deshalb, weil die Zahlen auf der recht wackligen Grundlage allgemeiner Haushaltsbefragungen stehen oder weil sie sich bei näherem Hinsehen nur auf das Frühjahr 2015 beziehen, also sehr kurz nach Einführung des Mindestlohns.« Das greift die auch in diesem Beitrag dargestellten kritischen Hinweise auf. Hinzu kommt:

»Vor allem weichen die Zahlen der Böckler-Stiftung stark von jenen ab, die das Statistische Bundesamt längst vorgelegt hat. Demnach waren im April 2015 bis zu 13 Prozent der Minijobber (und nicht 48,5 Prozent) zu Stundenlöhnen von unter 8,50 Euro tätig.
Die amtlichen Statistiker hatten dazu für die Mindestlohnkommission eigens eine Sondererhebung unter 6000 Betrieben mit 70.000 Beschäftigten durchgeführt. Deren im Juni 2016 veröffentlichten Ergebnisse waren bisher auch von Gewerkschaftsseite nicht bezweifelt worden.«

Er spricht hier offensichtlich den ersten Bericht der Mindestlohnkommission an, der im Juni 2016 veröffentlicht worden ist:  Erster Bericht zu den Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns, so ist das Werk überschrieben. Darin findet man auch die von ihm zitierten Daten (vgl. zur Kritik an diesem Bericht, die aus dem gewerkschaftlichen Lager vorgetragen wurde, den Beitrag Der Mindestlohn und seine Kommission. Die Arbeitnehmervertreter sind sauer über „gravierende Fehldarstellungen“ im ersten Bericht der Kommission über die Auswirkungen der Lohnuntergrenze vom 7. Juli 2016).

Auch wenn es bei der Missachtung der Mindestlohnregelung (wahrscheinlich) nicht mehr ganz so schlimm aussehen mag, wie von der WSI-Studie behauptet – die eigentlich relevante und über den Mindestlohn weit hinausreichende Frage sollte hier aufgerufen werden – denn die verdient eine vertiefende Diskussion:

Ob und wie weiter mit dem Beschäftigungsformat der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse, die völlig zu Recht seit Jahren immer wieder grundsätzlich kritisiert werden?

Nun muss man vorweg beim Blick auf die geringfügige Beschäftigung unterscheiden zwischen den ausschließlich geringfügig Beschäftigten, die also keiner weiteren Erwerbstätigkeit nachgehen. Die Abbildung am Anfang dieses Beitrags verdeutlicht die Größenordnung, um die es hier geht: Nach den Daten der Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) waren im Juni 2016 von den 7,44 Mio. Minijobbern 4,86 Mio. ausschließlich geringfügig beschäftigt. Das waren immerhin 11,2 Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland. Bis zum Sommer des letzten Jahres ist diese Zahl im Vergleich zu den Vorjahren gesunken – um 38.000 gegenüber dem Sommer 2015. Und im Juni 2015 wurden bereits 184.000 ausschließlich geringfügig Beschäftigte gegenüber dem Jahr 2014 gezählt.
Daneben gibt es noch die Kategorie der Minijobber, die eine geringfügige Beschäftigung als Nebenjob, zusätzlich zu einer anderen Hauptbeschäftigung ausüben. Im Juni 2016 waren das mit 2,58 Mio. immerhin 8,2 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Deren Zahl ist übrigens anders als bei den geringfügig Beschäftigten in den zurückliegenden Jahren gestiegen: Um 98.000 gegenüber 2015 und auch da schon hatte es gegenüber 2014 einen Anstieg von 55.000 Nebenjobbern gegeben.

Hinsichtlich der Entwicklung der Minijobs seit Einführung des gesetzlichen Mindestlohns gibt es interessante Neuigkeiten, auf die Markus Krüsemann in seinem Beitrag Minijobs 2016 wieder auf dem Vormarsch hinweist: Im Gefolge der Einführung der allgemeinen Lohnuntergrenze ist es zu einem Rückgang der geringfügigen Beschäftigung gekommen. Ein Teil dieser Beschäftigungsverhältnisse ist verloren gegangen, etwa die Hälfte aber ist in sozialversicherungspflichtige Arbeit umgewandelt worden, so der Befund einer IAB-Studie (vgl. Arbeitsmarktspiegel. Entwicklungen nach Einführung des Mindestlohns (Ausgabe 1). IAB-Forschungsbericht 1/2016). Aber die neuen, bis Juni 2016 vorliegenden Zahlen der BA zeigen, so Krüsemann, dass es sich offensichtlich nicht um eine echte Trendwende bei den Minijobs gehandelt hat. »Die sind nämlich in den ersten Quartalen 2016 im Vergleich zu den Vorjahresquartalen wieder angestiegen.« Ein genauerer Blick auf die Daten zeigt: Das erneute Wachstum bei den Minijobs geht allein auf die Zunahme von Personen zurück, die zusätzlich zu ihrer Hauptbeschäftigung eine geringfügige Beschäftigung im Nebenjob ausüben.

Das alles muss – weit über die Frage, ob sich die Entlohnung wirklich an die Mindestlohnvorgaben hält oder nicht – gesehen werden vor dem empirisch leider gesicherten Tatbestand, dass in vielen Minijobs elementare Arbeitnehmerrechte verletzt werden. Darauf wurde beispielsweise schon in dem Beitrag Die Minijobs mal wieder. Von neu erforschten alten „Defiziten“ bis hin zu unlösbaren strukturellen Problemen eines besonderen Beschäftigungsformats am 18.10.2015 hingewiesen. Dabei geht es um den Vorwurf, dass gerade Minijobbern oftmals ihnen zustehende Rechte aus dem Arbeitsverhältnis vorenthalten werden. Für diese Kritiklinie liefert eine Studie des IAB (vgl. Stegmaier, Jens et al.: Bezahlter Urlaub und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall: In der Praxis besteht Nachholbedarf bei Minijobbern. IAB-Kurzbericht, 18/2015, Nürnberg 2015) entsprechendes Futter:

»Rund 35 Prozent der Minijobber berichten, keinen bezahlten Urlaub zu erhalten, ohne dass ein rechtlich zulässiger Grund dafür vorliegt. Von den Betrieben sagen etwa 15 Prozent ohne Angabe eines rechtlichen Grundes, dass ihre Minijobber keinen bezahlten Urlaub bekommen. Bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall liegen die Anteile bei rund 46 bzw. rund 21 Prozent …  Die Studie zeigt aber auch: Rund 50 Prozent der Betriebe, die angeben, ihren Minijobbern keinen bezahlten Urlaub zu gewähren, haben Kenntnis von der tatsächlichen Rechtslage. Bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall fielen die Ergebnisse ähnlich aus.«

Und eigentlich ist das noch eine Beschönigung der Situation, denn man muss wissen: Die Studie bezieht sich auf die Situation in Betrieben mit mindestens elf Beschäftigten, das bedeutet, dass die Situation in den Kleinstbetrieben gar nicht abgebildet wird. Gerade für diesen Abschnitt dies Arbeitsmarktes muss man aber plausibel davon ausgehen, dass es erhebliche Diskrepanzen zwischen der Rechtslage und der tatsächlichen Umsetzung bei Minijobs geben wird.

Abschließend zu der bereits aufgerufenen Frage, ob und wie es weiter gehen sollte mit den Minijobs. Die Kritik an dieser eigenartigen Beschäftigungsform ist alt und entsprechende Abhandlungen füllen Schrankwände.

Bereits am 12. August 2013 wurde hier in dem Beitrag Blanke Not oder „gestiegene Konsumlust“? Vermutungen über eine Tatsache: Die Anzahl der Zweitjobs wächst weiter. Das Problem sind die Minijobs an sich darauf hingewiesen: Immer wieder wird die Frage gestellt, ob die deregulierte geringfügige Beschäftigung dazu beigetragen hat, dass „gute“, weil „normale“ sozialversicherungspflichtige Beschäftigung umgewandelt wurde und wird in „schlechte“ Minijobs. Zu dieser wichtigen Frage hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit 2012 eine eigene Untersuchung veröffentlicht mit differenzierten, interessanten Befunden: »Hinweise auf die Verdrängung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung durch Minijobs finden sich vor allem im Einzelhandel, im Gastgewerbe sowie im Gesundheits- und Sozialwesen … Indizien für die Verdrängung von sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung durch Minijobs gibt es vor allem für kleine Betriebe mit unter zehn Beschäftigten. In diesem kleinbetrieblichen Segment gehen also der Aufbau von Minijobs und die Reduktion der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung Hand in Hand.« (Minijobs: Hinweise auf Verdrängung vor allem im Einzelhandel und Gastgewerbe).

Und immer wieder – nicht überraschend – wird darauf hingewiesen, welche desaströsen Auswirkungen die Minijobs auf die Arbeitsmarktpositionierung wie auch auf die soziale Sicherung der Frauen haben. Eine umfangreiche Bestandsaufnahme von Carsten Wippermann hierzu wurde im Frühjahr 2013 seitens des Auftraggebers, des Bundesfamilienministerium, veröffentlicht, allerdings ohne die ansonsten üblichen Verlautbarungen und Werbeaktionen, was darauf hindeutet, dass man sich damals nicht besonders identifizieren wollte mit den Befunden der Studie, die hier aber besonders empfohlen sei: Carsten Wippermann: Frauen im Minijob – Motive und (Fehl-)Anreize für die Aufnahme geringfügiger Beschäftigung im Lebenslauf, Berlin 2013.

Man kann es drehen und wenden, wie man will, viele Frauen bleiben in der „Geringfügigkeitsfalle“ hängen, da sie nichts anderes finden als Minijobs (man schaue sich nur die Stellengesuche des Einzelhandels an) und weil auch das deutsche Steuerrecht mit dem Institut des Ehegattensplitting und der unterschiedlichen Steuerklassen dies leider befördert. In diesem Kontext hatte sich auch die Bertelsmann-Stiftung mit einer Studie und Reformvorschlägen zu Wort gemeldet:

Werner Eichhorst, Tina Hinz, Paul Marx, Andreas Peichl, Nico Pestel, Sebastian Siegloch, Eric Thode, Verena Tobsch: Geringfügige Beschäftigung: Situation und Gestaltungsoptionen, Gütersloh: Bertelsmann-Stiftung, 2012

Das Handelsblatt berichtete damals in dem Artikel Minijobs verschärfen Fachkräftemangel über diese Studie: »Ursache des Problems sei zum einen der abrupte Anstieg der Abgaben- und Steuerbelastung an der oberen Verdienstgrenze der begünstigen Minijobs. Zusätzlich werde dieser „Fehlanreiz“ oft gerade für gut ausgebildete Ehefrauen noch durch die Effekte des Ehegattensplittings bei der Einkommensteuer verschärft, so die Studie: Jeder Mehrverdienst der Partnerin führe dann über den sinkenden Splittingvorteil zu einem überproportionalen Anstieg der Steuerlast. Nach den Daten der Studie leben allein zwei Millionen der rund sieben Millionen Minijob-Beschäftigten mit einem vollzeitbeschäftigten Ehepartner zusammen. Gleichzeitig haben mehr als drei Viertel der Minijobberinnen mindestens eine abgeschlossene Berufsausbildung, ermittelten die Forscher.«

Welche Schlussfolgerungen wurden damals gezogen? Es wurde für eine Verbindung aus Reformen bei Minijobs und Ehegattensplitting plädiert: Die bestmögliche Variante aus Sicht der Studienverfasser sieht vor, das gegenwärtige Ehegattensplitting durch ein Realsplitting zu ersetzen. Die Minijobs sollten ab dem ersten Euro der Einkommensteuerpflicht unterliegen und steigende Beitragssätze zur Sozialversicherung aufweisen. Damit würde die heute bestehende Regelung für Einkommen zwischen 400 und 800 Euro auf den Bereich bis 400 Euro ausgedehnt. Das zusätzlich entstehende Steueraufkommen würde zur Absenkung des Einkommensteuertarifes verwendet.

Solche Ideen wirken über die Zeitschiene hinweg und tauchen dann später wieder auf. So hat sich aktuell der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) zu Wort gemeldet – und ein Reformkonzept die Minijobs betreffend vorgelegt, in dem sich einige Inhalte wiederfinden: Schwarzarbeit und Willkür: Wie Minijobber ausgenutzt werden. DGB stellt Reformkonzept vor, so der DGB am 20.01.2017: »Sie arbeiten nur vier Stunden in der Woche, müssen sich aber rund um die Uhr für einen möglichen Einsatz parat halten: Für Minijobber in der Systemgastronomie ist das ganz normaler Alltag. Auf dem Bau wird mit schwarz bezahlten „Überstunden“ getrickst, in der Gebäudereinigung mit unerreichbaren Zeitvorgaben. Damit sich das ändert, müssen die Minijobs reformiert werden.«

Bei der Bestandsaufnahme der in der Praxis beobachteten Probleme taucht auch wieder der unterm Strich nicht gezahlte Mindestlohn wieder auf, nach einem bekannten Mechanismus:

»Nicht nur in der Systemgastronomie werden die Minijobs als Flexibilisierungsinstrument missbraucht. Beispiel Gebäudereinigung: Hier ist der Anteil an geringfügig Beschäftigten besonders hoch, viele Reinigungskräfte sind Frauen. Sie stecken in der Minijob-Falle fest und arbeiten oft viele Stunden unbezahlt. „Auf dem Papier wird die maximale Stundenanzahl eingehalten“, sagt Frank Schmidt-Hullmann von der IG BAU. „In der Praxis ist das Arbeitspensum aber so hoch, dass es in der vereinbarten und bezahlten Zeit gar nicht zu schaffen ist.“ Oft werden auch Tätigkeiten wie Umziehen oder Fahrten von einem Reinigungsobjekt zum nächsten nicht bezahlt.
Unter dem Strich verdienen die Minijobber also häufig deutlich unter Mindestlohn. Oder sie arbeiten einen Teil der Stunden schwarz – ohne, dass ihnen das bewusst ist. „Das passiert auf dem Bau sehr häufig“, berichtet Schmidt-Hullmann. „Die Arbeiter werden als Minijobber angestellt, aber Vollzeit beschäftigt. Alles, was über die 450 Euro hinausgeht, bekommen sie bar auf die Hand ausgezahlt. Viele wissen gar nicht, dass das Schwarzarbeit und strafbar ist, Migranten aus Osteuropa zum Beispiel.“«

Und was schlägt der DGB nun vor? Nach den Vorstellungen des DGB sollen Minijobs vom ersten Euro an in die Sozialversicherung einbezogen werden, zum Beispiel durch eine Gleitzonenregelung, also im Grunde einer Verlängerung dessen, was wir heute schon mit den sogenannten „Midi-Jobs“ zwischen 450,01 und 850 Euro haben, nach unten. Dabei sind die Beiträge der Beschäftigten am Anfang sehr niedrig und steigen dann schrittweise an, während die anfangs höhere Belastung der Arbeitgeber langsam sinkt. Darüber hinaus solle die pauschale Besteuerung abgeschafft und sichergestellt werden, dass bei Minijobs die gleichen Arbeitsbedingungen herrschen wie bei Vollzeitjobs.

Wer das genauer nachlesen möchte, wird hier fündig: Raus aus der Armutsfalle. DGB-Reformkonzept Minijob, so ist die Publikation, aus der auch die Abbildung mit der vorgeschlagenen Gleitzonenregelung entnommen ist, überschrieben.

Neben der Einbeziehung in die Sozialversicherung vom ersten Euro an ist das zweite Kernelement des Reformvorschlags die Beendigung der pauschalen Besteuerung. Dazu erfahren wir:

»Die pauschale Besteuerung der Einkommen aus Minijobs ist Kern des Problems. Deshalb sollten die Minijobs in das allgemeine Besteuerungssystem eingegliedert werden. Zur Anpassung der Arbeitsverhältnisse sind angemessene Übergangsfristen für die bestehenden Arbeitsverhältnisse notwendig. Um die Steuerbelastung für Ehepaare wirklichkeitsnäher vorzunehmen, soll das Faktorverfahren (Steuerklasse IV/IV mit Faktor) verpflichtend gelten. Das Faktorverfahren ist bereits geltendes Recht, muss derzeit aber vom Ehepaar aktiv beantragt werden.«

Aber was ist mit bestimmten Fallkonstellationen, wo man argumentieren könnte, dass der Minijob mit seiner Herausnehme aus dem allgemeinen System der Sozialabgaben- und Steuerbelastung Sinn machen kann? Man braucht ihn schlichtweg nicht, so der DGB, ohne auf Sonderregelungen verzichten zu müssen: »Bereits heute gibt es Beitrags- und Steuerfreibeträge für ehrenamtliche und karitative Tätigkeiten. Darüber hinaus bestehen weitere Sonderregelungen beim Zuverdienst zum Studium, zur Rente oder zur Arbeitslosenmeldung. Bei diesen Sonderregelungen handelt es sich um zielgenaue Instrumente, die durch den Gesetzgeber bei Bedarf angepasst werden können. Schüler/innen könnten zum Beispiel in Form einer Taschengeldregelung weiterhin sozialabgabenfrei Einkommen in einem bestimmten Rahmen verdienen. Somit braucht es den Minijob nicht.«

Aber werden dann nicht die Menschen in der Minijobzentrale arbeitslos? Auch hierzu gibt es vom DGB einen Vorschlag: »Auch reguläre Teilzeit mit wenig Stunden kann ohne bürokratischen Aufwand angeboten werden. Hier könnte die heutige Minijobzentrale neue Aufgaben übernehmen. Als „Teilzeitzentrale“ könnte sie die Anmeldung der „kleinen Teilzeit“ übernehmen, die Einhaltung der Sozialversicherungspflicht und der Entgeltgleichheit kontrollieren, für Beschäftigung im Haushalt zuständig bleiben und zusätzlich Kleinst-Unternehmen betreuen.«

Über Details muss diskutiert werden. Aber die Stoßrichtung sollte nach allen Erfahrungen, die wir auf dem Arbeitsmarkt gemacht haben mit der geringfügigen Beschäftigung, klar sein: Weg mit diesem eigenartigen Beschäftigungsformat. Auch wenn der eine oder andere (übrigens nicht nur Arbeitgeber, sondern auch viele Arbeitnehmer, die sich über einen Zweitjob notwendige Finanzmittel organisieren) erst einmal gegen einen solchen Schritt votieren wird.