Offizielle Arbeitslose statistisch auf der Flucht, viele tatsächliche Arbeitslose im Niemandsland der Nicht-Zählung und viel wichtiger: Die Baustelle Hartz IV zwischen vielen kleinen geplanten Änderungen und dem Ruf nach einer grundsätzlichen Reform

„Die Arbeitslosigkeit ist allein aus jahreszeitlichen Gründen angestiegen. Der Arbeitsmarkt steht insgesamt stabil da.“ Mit diesen Worten wird der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit (BA), Frank-J. Weise, anlässlich der Präsentation der neuen Arbeitsmarktzahlen für den Juli 2014 in der Pressemitteilung Der Arbeitsmarkt im Juli 2014: Arbeitslosigkeit steigt allein aus jahreszeitlichen Gründen zitiert. Dann wird die Zahl genannt, die im Anschluss durch die Medien geistert: 2.871.000 Arbeitslose gibt es. Aber eigentlich sind es mehr. Denn einige Zeilen später weist die BA selbst darauf hin, dass es 3.756.000 Personen sind, was ja ein paar mehr sind als die erstgenannte Zahl. Die BA nennt das dann „Unterbeschäftigung“ und da sind eben auch die enthalten, die sich „in entlastenden arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und in kurzfristiger Arbeitsunfähigkeit“ befinden, aber natürlich weiterhin arbeitslos sind. Aber damit noch nicht genug. Während die meisten Medien immer noch nicht einmal bis zu dieser, die Wirklichkeit schon etwas besser abbildenden Zahl der Arbeitslosen vordringen, sondern bei den niedrigeren 2,8 Millionen hängen bleiben, kann man der Verlautbarung der BA eine noch größere Zahl entnehmen, die dann vollends zu verwirren scheint und gleichzeitig zu dem hier besonders interessierenden Thema Hartz IV überleitet.

»Die Zahl der Bezieher von Arbeitslosengeld II in der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) lag im Juli bei 4.395.000 … In der Grundsicherung für Arbeitsuchende waren 1.963.000 Menschen arbeitslos gemeldet … Ein Großteil der Arbeitslosengeld II-Bezieher ist nicht arbeitslos.« Wir werden auch darüber informiert, wie es zu dieser Lücke kommen kann: »Das liegt daran, dass diese Personen erwerbstätig sind, kleine Kinder betreuen, Angehörige pflegen oder sich noch in der Ausbildung befinden.« Wir haben also neben den 909.000 Arbeitslosen, die sich (noch) in der Arbeitslosenversicherung befinden, nicht nur fast 4,4 Mio. erwerbsfähige Menschen, die Arbeitslosengeld II bekommen, obgleich nur eine Minderheit von ihnen als offizielle Arbeitslose geführt werden, sondern mit Blick auf das Grundsicherungssystem kommen noch mehr als 1,7 Mio. nicht erwerbsfähige Leistungsempfänger hinzu, die Sozialgeld bekommen, vor allem Kinder. Zusammen macht das 6,1 Millionen Menschen im Hartz IV-System. Die Abbildung der BA verdeutlicht etwas die Verhältnisse. Und dieses System soll nun – wieder einmal – vom Gesetzgeber an mehreren Stellen verändert werden, während gleichzeitig der Sozialverband Deutschland (SoVD) eine umfassende Hartz-Reform fordert.

Weniger Bürokratie, strengere Auflagen – so hat Rainer Woratschka seinen Artikel betitelt und will damit bereits in der Schlagzeile auf die Ambivalenz hinweisen, die sich mit den derzeit diskutierten und im Herbst in das Gesetzgebungsverfahren einzubringenden Änderungen einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe der Arbeits- und Sozialministerkonferenz unter Beteiligung von Kommunen und Bundesagentur für Arbeit verbindet. Die Liste der geplanten Rechtsvereinfachungen, die das Bundesarbeitsministerium während des Sommers in Gesetzesform gießen soll, umfasst 36 Punkte. Für die derzeit mehr als 6,1 Mio. Hartz IV-Empfänger verbergen sich hinter diesen Punkten mehr Großzügigkeit, aber auch schärfere Vorgaben. Das generelle Ziel der Veränderungen sei angeblich, mehr Zeit für die Betreuung der Arbeitsuchenden in den Jobcentern freizuschaufeln, wogegen man ja nun erst einmal nichts haben kann. Beginnen wir mit einigen positiven Veränderungen des bestehenden Rechts:

»Die Pfändbarkeit von Hartz-IV-Bezügen soll künftig generell ausgeschlossen und nicht mehr Einzelprüfungen unterzogen werden, bei denen man ohnehin fast immer zu dem gleichen Ergebnis kam. Und auch die Sanktionen bei sogenannten „Pflichtverletzungen“ sollen entschärft werden. So ist künftig nur noch ein einheitlicher Minderungsbetrag pro Fall und unabhängig von etwaigen Wiederholungen vorgesehen. Und gesonderte Sanktionsregeln für unter 25-Jährige soll es auch nicht mehr geben. Damit kommen die Regierenden einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zuvor, das die bisherigen Sonderregeln womöglich kassiert hätte.«

Aber es gibt auch eine andere Seite der neuen Änderungsvorschläge:

»Tatsächlich mündet mancher Vorschlag zur Beseitigung unsinniger Detailhuberei für Betroffene auch in eine Verschärfung. So soll die Regelung, Hartz- IV-Bezieher beim Umzug in eine teurere Wohnung selbst dann auf den Differenzkosten sitzen zu lassen, wenn die neue Unterkunft von Größe und Preis her als „angemessen“ eingestuft wird, nun auch auf diejenigen ausgeweitet werden, die in eine „unangemessene“ Wohnung ziehen. Auch sie sollen nicht mehr die „angemessenen“, sondern nur noch die Kosten ihrer früheren, billigeren Wohnung erstattet bekommen … Auch Nachzahlungen aufgrund von Grundsatzurteilen, mit denen die bisherige Verwaltungspraxis korrigiert wird, soll es künftig seltener geben. Die Politik will vermeiden, dass die Jobcenter „massenhaft Leistungen rückwirkend neu berechnen müssen“.«

Die Kritik an diesem Sammelsurium lässt nicht lange auf sich warten: Von einem „Apparatschik-Klein-Klein“ und der puren Glättung von Verwaltungsabläufen spricht beispielsweise Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband und der sozialpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion der Grünen, Wolfgang Strengmann-Kuhn wird mit den Worten zitiert, der Ertrag der Arbeitsgruppe sei „mehr als dürftig“.

„Klein-klein“ und „mehr als dürftig“ hinsichtlich der vorgeschlagenen Änderungen im SGB II muss man auch vor dem Hintergrund der folgenden Überschriften lesen: Hartz-IV-Bilanz »niederschmetternd«Bankrotterklärung oder Verband zieht verheerende Hartz-IV-Bilanz. Das hört sich nicht gut an. Hintergrund dieser Artikel ist ein neues Positionspapier des Sozialverbands Deutschland (SoVD):

Sozialverband Deutschland (SoVD): Neuordnung der Arbeitsmarktpolitik. Inklusion statt Hartz IV, Berlin, Juli 2014

Verfasserinnen des Papiers sind Ursula Engelen­-Kefer und Gabriele Hesseken. Es sind vor allem drei Punkte, um die herum der Sozialverband seine Forderungen sortiert:

  1. Arbeitslose Menschen dürfen nicht länger als Menschen mit Defiziten betrachtet und ausgesondert werden. Die Stärkung ihrer Kompetenzen und Fähigkeiten muss im Vordergrund der künftigen Arbeits­marktpolitik stehen. Dies erfordert ein ausreichendes Angebot an qualifizierter Arbeit mit fairer Ent­lohnung und menschenwürdigen Arbeitsbedingungen.
  2. Langzeitarbeitslose Menschen, die über einen längeren Zeitraum erwerbstätig waren und Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gezahlt haben, müssen finanziell besser gestellt werden. Für sie muss es eine zusätzliche Geldleistung zu „Hartz IV“ geben, um ihr Armutsrisiko abzufedern.
  3. Die Vermittlung und Betreuung von Langzeitarbeitslosen ist erheblich zu verbessern. Die Betreuungs­-, Vermittlungs­- und Eingliederungsleistungen sind für sämtliche Arbeitslosen allein bei der Bundesagentur für Arbeit anzusiedeln.

An dieser Stelle kann keine Gesamtauseinandersetzung mit der Gesamtheit der SoVD-Vorschläge geleistet werden, aber an zwei aus den Vorschlägen herausgegriffenen Beispielen soll durchaus kritisch aufgezeigt werden, dass es sich weniger um eine fundamentale Hartz-Reform handelt, die hier gefordert wird, sondern eher um ein „add on“-Modell, bei dem also auf das weiter bestehende System etwas raufgepackt werden soll und zugleich werden alte Schlachten hinsichtlich der Frage, wer denn nun die Hartz IV-Empfänger „betreuen“ soll – die Bundesagentur für Arbeit oder die Kommunen oder beide zusammen – erneut zugunsten des „Arbeitsamtsmodells“ auf die Tagesordnung gesetzt, was sicher auch damit zu tun hat, dass eine der Verfasserinnen Ursula Engeln-Kefer ist, die früher jahrelang als stellvertretende DGB-Bundesvorsitzende innerhalb der Bundesanstalt für Arbeit im Verwaltungsrat gewirkt hat. Diese einseitige Positionierung für die BA erscheint irgendwie etwas gestrig.

Vorweg allerdings sei besonders hervorgehoben, dass ein Paradigmen- und Perspektivenwechsel mit Blick auf die betroffenen Menschen im Grundsicherungssystem eingefordert wird und es werden konkrete Veränderungsvorschläge gemacht, die weit über das hinausgehen, was wir seitens der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Kenntnis nehmen müssen. Damit wird hier die besondere Problematik adressiert, dass eine leider immer größere Gruppe von langzeitarbeitslosen Menschen offensichtlich auf Dauer exkludiert werden vom Arbeitsmarkt und man gleichzeitig die Förderbedingungen und die dafür zur Verfügung stehenden Mittel immer weiter begrenzt hat, wodurch sich in den Jahren seit 2010 zunehmend ein Teufelskreis der „Verfestigung“ und der „Verhärtung“ von Langzeitarbeitslosigkeit herausgebildet hat.

Nun aber zu den beiden – exemplarischen – Anfragen an die Reformvorschläge:

Auf der Seite 20 des Positionspapiers findet man diesen Hinweis: „Öffentlich geförderte Beschäftigung weiterentwickeln“. Und ein erster Blick scheint zu belegen, dass hier eine der ansonsten nur wenigen die öffentlich geförderte Beschäftigung befürwortende Positionierungen erfolgt: »Besonders schwer haben es Langzeitarbeitslose, die trotz erheblicher Vermittlungsbemühungen der Arbeitsverwaltung derzeit kaum noch Aussicht darauf haben, in den ersten Arbeits­markt integriert zu werden. Der SoVD setzt sich für die Schaffung öffentlich geförderter und sozial­ versicherungspflichtiger Beschäftigung mit tarif­- bzw. ortsüblichen Löhnen für diesen Personenkreis ein. Diese müssen die Ein­-Euro­-Jobs ersetzen. Es muss ein Anspruch auf eine sozialversicherungs­pflichtige öffentlich geförderte Beschäftigung geschaffen werden, um die Beschäftigungsfähigkeit der benachteiligten Personengruppen zu verbessern, ihre Qualifikationen zu erweitern und damit ihre Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Die Annahme einer öffentlich geför­derten Beschäftigung mit Sozialversicherungspflicht muss freiwillig sein.« So weit, so gut. Dann aber fällt das Papier in den alten Geist der auf dem Kopf stehenden öffentlich geförderten Beschäftigung zurück, denn es wird gefordert: »Um der latenten Gefahr der Verdrängung von regulärer Arbeit durch öffentlich geförderte Beschäftigung entgegenzuwir­ken, sind nur solche Beschäftigungsverhältnisse zu fördern, in deren Rahmen wettbewerbsneutrale, zusätzliche und im öffentlichen Interesse liegende Arbeiten erledigt werden.« Also Wettbewerbsneutralität – übrigens erst mit der letzten restriktiven Ausgestaltung des Förderrechts von einer untergesetzlichen Norm „geadelt“ durch die direkte Implementierung im Gesetz – wird seit Jahren von sehr vielen Experten und vor allem Praktikern als eine der zentralen Ursachen dafür identifiziert, dass wir konfrontiert werden mit teilweise hanebüchen ausgestalteten Maßnahmen, die so weit weg sein müssen vom ersten Arbeitsmarkt, dass sie mit großer Sicherheit auch den Betroffenen kaum neue Perspektiven eröffnen können. Hier sind die Forderungen des SoVD weit hinter dem zurückgeblieben, was seit Jahren im Fachdiskurs debattiert und entwickelt worden ist.

Das zweite Beispiel betrifft die Forderung, – so könnte man es scheinbar zynisch formulieren, hier aber erst einmal ohne irgendeinen Unterton gemeint – ein „Zwei-Klassen-System“ innerhalb der Grundsicherung einzuführen. Und diese Forderung wird intuitiv bei vielen Menschen auf eine zustimmende Wahrnehmung stoßen, die sich vor allem speist aus der tiefen Verankerung des Äquivalenzprinzips in der deutschen Kollektivseele. Der SoVD fordert (S. 26-31) zahlreiche Verbesserungen im bestehenden Arbeitslosengeld II-System, um dann eine weitere, neue Komponente vorzuschlagen: das »Arbeitslosengeld II Plus«. Dazu erfahren wir:

»Der SoVD fordert die Einführung einer zusätzlichen unbefristeten Geldleistung („Arbeitslosen­geld II Plus“), die neben dem Arbeitslosengeld II gewährt wird und im Anschluss an den Bezug von Arbeitslosengeld I beansprucht werden kann. Mit dem Arbeitslosengeld II Plus soll anerkannt wer­ den, dass die ehemaligen Arbeitslosengeld I­Empfänger bzw. die ­empfängerinnen durch oftmals langjährige Erwerbstätigkeit einen erheblichen Beitrag zur Finanzierung der Arbeitslosenversicherung geleistet haben. Mit dem Arbeitslosengeld II Plus soll gleichzeitig ein Teil der Einkommenseinbußen ausgeglichen werden, die regelmäßig beim Übergang vom Arbeitslosengeld I in den Bezug von Arbeitslosengeld II entsteht. Der Höhe nach muss sich das Arbeitslosengeld II Plus vor allem an dem zuvor bezogenen Arbeitslo­sengeld I orientieren. Dabei könnte als Richtschnur für die Höhe des Arbeitslosengeldes II Plus der ehemalige befristete Zuschlag dienen. Dieser errechnete sich im ersten Bezugsjahr aus zwei Drit­teln der Differenz zwischen dem vormaligen Arbeitslosengeld I zuzüglich Wohngeld und dem nach Bedürftigkeit zustehenden Arbeitslosengeldes II. Gleichzeitig war er auf Höchstbeträge beschränkt, nämlich auf 160 Euro für Alleinstehende, 320 Euro für Paare plus 60 Euro für jedes minderjäh­rige Kind. Im Gegensatz zum ehemaligen befristeten Zuschlag, der nach einem Bezugsjahr halbiert wurde, sollte das Arbeitslosengeld II Plus in voller Höhe und zeitlich unbefristet gewährt werden.« (S. 31 f.)
Man will also für eine bestimmte Gruppe unter den Leistungsempfängern deren monetäre Besserstellung durch Zuschläge auf die weiterhin bestehende Grundsicherungsleistung. Die wird zwar hinsichtlich der Leistungshöhe kritisiert, nicht aber als solche in Frage gestellt, was aber auch bedeutet, dass man akzeptiert, dass es sich um eine bedürftigkeitsabhängige Fürsorgeleistung handelt. Offensichtlich will man gleichsam einen „Echoeffekt“ aus dem Versicherungssystem in das Grundsicherungssystem verlängern und das nicht nur für eine bestimmte wie auch immer definierte Übergangsphase, sondern dauerhaft soll dieser Zuschlag fließen. Da kann man schon auf die Idee kommen, dass es hier noch einen erheblichen Diskussionsbedarf gibt.

Ob „Klein-klein“ oder aber die Verbesserungsvisionen des Sozialverbands Deutschland – offensichtlich wird der jetzt anstehende 10. Geburtstag von Hartz IV nicht der letzte bleiben.

Was „Aufstocker“ im Hartz IV-System (nicht) mit dem Mindestlohn zu tun haben

Es ist eine bekannte Lebensweisheit, dass man mit Zahlen viel machen kann und mit Überschriften erst recht. Vor dem Hintergrund der kontroversen Debatte über die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns von besonderer Relevanz sind dann Überschriften, die einem ins Auge springen (sollen/müssen): „Zahl der Niedriglöhner seit Jahren überschätzt“ oder „BA-Statistik liefert Mindestlohn-Gegnern Nahrung„. Müssen die Apologeten eines Mindestlohns jetzt in Sack und Asche gehen? Was genau ist hier passiert und vor allem – hat das alles wirklich mit dem Mindestlohn zu tun?

Dem FAZ-Artikel kann man entnehmen, dass es hier nicht um „die“ Niedriglöhner geht, sondern es geht um eine bestimmte Gruppe unter ihnen: Die „Aufstocker“, also Menschen, die trotz bzw. wegen ihres Erwerbseinkommens noch einen Anspruch haben auf aufstockende Leistungen aus dem Grundsicherungssystem (SGB II). Und die diese Aufstockungsmöglichkeit auch tatsächlich in Anspruch nehmen:

»In Deutschland sind weitaus weniger vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer auf ergänzendes Arbeitslosengeld II angewiesen als bisher in der politischen Auseinandersetzung über Mindestlöhne unterstellt wurde. Dies ist das überraschende Ergebnis einer aktuellen Revision der entsprechenden Statistik der Bundesagentur für Arbeit … die Gesamtzahl der Vollzeitbeschäftigten, die wegen eines niedrigen Arbeitslohns die staatliche Einkommensaufstockung beziehen, (ist) um fast ein Drittel geringer als bisher vermutet. Die Zahl der allein lebenden Vollzeitbeschäftigten, die eine Aufstockung benötigen, ist sogar um 41 Prozent geringer.«

Jeder, der sich in den Tiefen und Untiefen der Statistik auskennt, ahnt an dieser Stelle schon, dass es sich a) um eine komplizierte Angelegenheit handeln muss, die man b) nachvollziehen sollte mit einem Blick in die Erläuterungen der Verursacher dieser Datenveränderung.
Aber Dietrich Creutzburg geht in seinem Artikel gleich in die politische Interpretation der Zahlen:

»Die Neufassung der Statistik bringt politischen Zündstoff, da sie eines der zentralen Argumente der Befürworter des gesetzlichen Mindestlohns deutlich relativiert. Dieses besagt, dass ein immer größerer Teil der Arbeitnehmer trotz Vollzeitarbeit nicht von seinem Lohn leben kann.«

Seiner Meinung nach geht es hier um den grundsätzlichen Anspruch, dass jeder Mensch durch Vollzeitarbeit mindestens seinen eigenen Lebensunterhalt sichern können soll. Und dieser Anspruch muss im Lichte der neuen Zahlen, so Creutzburg, neu gelesen werden, denn:

»Legt man die nun revidierte Aufstockerstatistik der Bundesagentur für Arbeit als Maßstab zugrunde, dann war dieser politische Anspruch zur Jahresmitte 2013 für genau 46.814 von 21,8 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Vollzeitarbeit nicht erfüllt; das ist ein Anteil von 0,2 Prozent. Sie hatten keine Familie zu versorgen und brauchten dennoch neben der Vollzeitarbeit Hartz IV. Vor der Revision war die Bundesagentur von 80.000 Betroffenen ausgegangen.
Bezogen auf die insgesamt 1,2 Millionen abhängig erwerbstätigen Aufstocker machen die alleinstehenden Vollzeitbeschäftigten nun 3,9 Prozent aus, statt 6,4 Prozent wie zuvor vermutet. Ähnlich drastisch ist die Verschiebung in der Gesamtgruppe der Vollzeitbeschäftigten, die eine Aufstockung erhalten: Sie umfasst laut den neuen amtlichen Daten noch 218.000 Personen. Das sind fast 113.000 weniger als vor der Revision; ihr Anteil beträgt damit 16,6 Prozent und nicht 26,3 Prozent.«
»Spiegelbildlich zur verringerten Zahl der Vollzeit-Aufstocker hat sich die Zahl der Aufstocker mit Teilzeitstelle stark erhöht: Sie belief sich nach dem neuen Datenstand auf 363.000 zur Jahresmitte 2013. Das sind 119.000 mehr als bislang vermutet.«

Das scheint doch alles sehr beeindruckend zu sein. Also doch Sack und Asche für die Mindestlohnbefürworter?

An dieser Stelle empfiehlt sich der Blick in das Original, denn die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat „Hintergrundinformationen“ zu dem Thema veröffentlicht: „Neue Ergebnisse zu sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitslosengeld II-Beziehern in Vollzeit und Teilzeit„.
Die BA fasst die quantitativen Befunde so zusammen:

»Die neuen Ergebnisse zeigen nun von Juni 2011 bis Juni 2013 für die sozialversicherungspflichtigen Arbeitslosengeld II-Bezieher einen Rückgang der Vollzeitbeschäftigten um 113.000 auf 218.000 und einen fast komplementären Anstieg der Teilzeitbeschäftigten um 119.000 auf 363.000. Die Summe aller sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitslosengeld II-Bezieher (einschließlich der Beschäftigten ohne Angabe zur Arbeitszeit) hat sich dagegen nur wenig verändert und nur geringfügig um 5.000 auf 582.000 zugenommen.«

Wie kommt es aber nun zu dieser nicht geringen Verschiebung der beschäftigten Arbeitslosengeld II-Bezieher von Vollzeit- auf Teilzeitbeschäftigung? Wurde hier seitens der BA in der Vergangenheit (oder aber jetzt) „getrickst“? Einige Medien verbreiteten zumindest einen solchen Eindruck, so beispielsweise der Artikel „Bundesagentur verrechnet sich bei Niedriglöhnern“ auf Welt Online mit der Ergänzung: „Heikle Statistikpanne“. Und in die gleiche Richtung, dabei aber weitaus subtiler die Stoßrichtung in dem Kommentar „Revisionsbedarf“ von Dietrich Creutzburg, in dem es im Untertitel heißt: »Der große Statistik-Skandal der alten Bundesanstalt für Arbeit liegt zwölf Jahre zurück. Nun stellt sich heraus, dass die Zahl der Niedriglöhner im Hartz-IV-System statistisch überzeichnet war. Es wäre auch eine politische Parallele wünschenswert.« Damit wird für den eiligen Leser eine klare Assoziation aufgebaut. Subtil ist das, weil der Autor dann selbst schreibt: »Der aktuelle Vorgang ist anders gelagert als der große Statistikskandal der alten Bundesanstalt für Arbeit im Jahr 2002 – und doch …«.

Erstens ist die nun vorgenommene Revision der Daten nicht wirklich eine „Schuld“ der BA, sondern hier zeigt sich erneut, dass wohl sehr viele Journalisten schlichtweg keine Ahnung haben, wie schwierig und mit welchen Fehlerquellen behaftet statistische Datenerhebung in praxi ist, auch bei gutem Willen.

Inhaltlich aber wesentlich relevanter: Unabhängig von der Tatsache, dass man nun wirklich kein Interesse bei der BA erkennen kann, die Zahl der Vollzeitbeschäftigten, die gleichzeitig ergänzend Hartz IV-Leistungen beziehen, höher auszuweisen als sie tatsächlich ist: Die Ursache ist viel banaler und wir landen wieder beim ersten Punkt, der eben nicht trivialen Frage, wie die Daten gemeldet werden: Die Verschiebung »dürfte zum weitaus größten Teil eine Auswirkung der Umstellung auf das neue Meldeverfahren zur Sozialversicherung sein. Die Umstellung hat dazu geführt, dass Angaben zu Arbeitszeit bei kontinuierlich Beschäftigten überprüft und korrigiert wurden (Aktualisierungseffekt) und bei neuen Beschäftigten die Arbeitszeit besser er- fasst wird als in der Vergangenheit (Sensibilisierungseffekt)«, so die Erläuterung der BA in ihren Hintergrundinformationen.
Zusammenfassung: Mit der Umstellung des Meldeverfahrens waren Arbeitgeber gezwungen, die Angaben zur Arbeitszeit ihrer Beschäftigten in ihren Lohnabrechnungsprogrammen anzupassen. Daraus hat sich offenbar ein massiver Aktualisierungseffekt durch Korrekturen der Arbeitszeit bei Bestandsfällen ergeben.

Jetzt kommen wir aber inhaltlich zu dem entscheidenden Punkt: In der zitierten Berichterstattung wird ja argumentiert, dass ein angeblich zentrales Argument der Mindestlohnbefürworter weggebrochen sei, weil die Zahl der Niedriglöhner deutlich niedriger ausfällt – was natürlich nicht stimmt, denn korrigiert wurden die absoluten und relativen Zahlen bei den aufstockenden Hartz-IV-Empfängern, also weniger aufstockende Vollzeitarbeitskräfte und entsprechend mehr teilzeitarbeitende Menschen. Da fehlt doch aber was:

  • Gezählt werden hier wie gesagt die tatsächlichen „Aufstocker“ im Grundsicherungssystem. Aber zwangsläufig nicht berücksichtigt werden diejenigen, die aus welchen Gründen auch immer einen Anspruch haben auf aufstockende Leistungen, diese aber aus welchen Gründen auch immer nicht in Anspruch nehmen. Und dabei handelt es sich nicht um eine kleine Gruppe. Nach Simulationsrechnungen des IAB wurde im vergangenen Jahr bekannt, dass zwischen 3,1 bis 4,9 Millionen Menschen, die eigentlich Anspruch auf Leistungen nach SGB II haben, diese Leistungen nicht abrufen. Das sind zwischen 34 bis 44% aller Leistungsberechtigten. Die Studie des IAB kann hier eingesehen werden: Bruckmeier, K. et al.: Simulationsrechnungen zum Ausmaß der Nicht-Inanspruchnahme von Leistungen der Grundsicherung (= IAB Forschungsbericht 5/2013), Nürnberg. Wir sprechen hier über die „verdeckte Armut“.
  • Ein weiterer Punkt: Gerade bei den Vollzeiterwerbstätigen, die teilweise mit relativ geringen Beträgen aufstocken, kann es durch Änderungen in nebengelagerten Bereichen, beispielsweise beim Wohngeld oder dem Kinderzuschlag zu einem formalen Rückgang der Aufstocker-Zahlen kommen, nur werden die Leistungen jetzt aus anderen Töpfen gezahlt.
  • Und zum Mindestlohn: Johannes Steffen hat berechnet, wie hoch der Stundenlohn sein müsste, damit kein aufstockender Leistungsanspruch mehr besteht im SGB II-System: »Auf Basis dieser Annahmen lässt sich die Höhe des Mindestlohns bestimmen, der bei typisierender Betrachtung einen Anspruch auf aufstockende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II oder »Hartz IV«) ausschließt. Nach gegenwärtigem Stand wäre dies ein Brutto-Stundenlohn in Höhe von 7,95 Euro oder monatlich 1.298 Euro. Nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben verbleiben netto 977,50 Euro, wovon als sogenannter Erwerbstätigenfreibetrag insgesamt 300 Euro von der Anrechnung auf die Grundsicherung freigestellt sind. Das ergibt ein anrechenbares Einkommen von 677,50 Euro, so dass rechnerisch kein Anspruch mehr auf aufstockende SGB-II-Leistungen besteht« (Quelle: Steffen, J.: Ein Mindestlohn für Arbeit und Rente. Erforderliche Höhe eines existenzsichernden Mindestlohns, Bremen, 10.04.2013). Aber: Diese 7,95 Euro reichen wiederum bei der Rentenversicherung bei weitem nicht aus, um eine gesetzliche Rente erwirtschaften zu können, die über dem Grundsicherungssatz liegt. Da bewegen wir uns bei Stundenlöhnen von 11,31 Euro ansteigend. Berücksichtigt man diese Punkte, dann kann ich nicht erkennen, warum ein zentrales Argument der Mindestlohnbefürworter weggebrochen sein soll.
  • Schlussendlich wieder zurück in die Untiefen der Statistik bzw. der Datenqualität: Auf der Seite 10 der Erläuterungen der BA findet man den folgenden aufschlussreichen Passus: »Weiterhin erklärungsbedürftig bleibt die Frage, wie es bei Vollzeitbeschäftigten zu Bruttoer- werbseinkommen von weniger als 600 Euro kommen kann. Ein solcher Betrag kann im Fall einer 40-Stundenwoche nur bei einem Stundenlohn von 3,50 Euro realisiert werden. Hier können nur Vermutungen über die möglichen Gründe angestellt werden, statistische Belege liegen nicht vor … Gleichwohl werden auch im Juni 2013 noch knapp 30.000 vollzeitbeschäftigte Arbeitslosengeld II-Bezieher mit einem Bruttoerwerbseinkommen von weniger als 600 Euro ausgewiesen.« Ds wäre doch auch eine Schlagzeile wert gewesen – oder?

Und eine letzte Anmerkung zu den „Aufstockern“ und Mindestlöhnen: Auch bei einem Mindestlohn von 9 oder 10 Euro wird es Aufstocker geben – bei der Hauptgruppe der nur teilzeitarbeitenden Menschen und bei denen, die alleine eine Familie ernähren müssen. Aufgrund der Defizite beim Familienlastenausgleich. So lange die bestehen.

Fazit: Man sollte schon immer den Kontext berücksichtigen und keine voreiligen Schlüsse hinausposaunen. Ansonsten muss man „Revisionsbedarf“ bei der Forderung nach einem Mindestlohn als das bezeichnen, was es wohl ist: Billige Propaganda.

Und noch eins: Selbst wenn es so wäre, dass die Zahl der von Hungerlöhnen betroffenen Menschen eingedampft wäre (was wie gezeigt nicht der Fall ist): Gerade dann müsste doch die Forderung nach einem moderaten Mindestlohn seinen Schrecken verloren haben, denn offensichtlich zahlen dann doch die Unternehmen schon viel besser. Warum also dann dieser Widerstand? Logisch wäre das nicht. Aber Logik und Ideologie waren noch nie eng befreundet.

Gute Nachrichten vom Arbeitsmarkt zum Jahresbeginn. Was will man mehr? Vielleicht etwas genauer hinschauen

Das  sind endlich mal positive Schlagzeilen: „Zahl der Beschäftigten erreicht Rekordhoch„, meldet Spiegel Online und die FAZ titelt – fast – synchron: „Zahl der Erwerbstätigen auf Rekordhoch„.
Die Abbildung verdeutlicht die Beschäftigungsentwicklung in Deutschland seit dem Jahr 2005 – wenn man denn diese misst an der Zahl der „Erwerbstätigen“, wie die FAZ richtigerweise im Titel vermerkt hat.

Seien wir ehrlich – wenn die meisten Menschen lesen, dass im nunmehr vergangenen Jahr 232.000 neue „Jobs“ geschaffen worden sind oder die Zahl der „Beschäftigten“ einen Höchststand erreicht hat, dann denken viele an „normale“ oder halbwegs normale Jobs, nicht wenige gehen von einer vollzeitigen und sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung aus. Die hat tatsächlich gerade am aktuellen Rand der Arbeitsmarktentwicklung auch zugenommen. Aber hinter den 232.000 zusätzlichen Erwerbstätigen, die uns das zurückliegende Jahr gebracht haben, kann sich eben vieles verbergen, das auch abweichen kann von der „Normalitätsvorstellung“, die bewusst oder unbewusst in den Köpfen der Menschen herumspukt (übrigens aus guten Grunde).

Hintergrund der Artikel ist eine Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes – übrigens die erste des neuen Jahres: „Anstieg der Erwerbs­tätigkeit im Jahr 2013 verlangsamt„, so die Bundesstatistiker. Die weisen gleich am Beginn darauf hin, dass der Anstieg der Erwerbstätigenzahlen im Jahr 2013 allerdings nur noch halb so hoch ausgefallen ist wie in den beiden Jahren zuvor, was man auch der Abbildung entnehmen kann.

Neben der damit verbundenen abnehmenden Wachstumsdynamik auf dem Arbeitsmarkt muss eine nüchterne Analyse die hier zugrunde gelegte Basis für Beschäftigung – also die „Erwerbstätigkeit“ – einer kritischen Analyse unterwerfen. Denn diese Größe hat das Problem, dass sie sehr ungleiche Tatbestände eindampft auf einen statistisch Beschäftigten. Das kann aber in der Realität ein normal, also vollzeitig Beschäftigter sein genau so wie eine ausschließlich geringfügig, also auf 450-Euro-Basis, beschäftigte Person. Alles wird gleich 1 gesetzt, egal ob kleine Teilzeit oder volle Vollzeit.

Wenn man das weiß, dann wird man in einem ersten Schritt versuchen, eine nach Vollzeit und Teilzeit differenzierte Betrachtung vorzunehmen. Beschränken wir uns dabei auf die Arbeitnehmer, dann zeigt die zweite Abbildung die auseinanderlaufende Entwicklung seit 1991 auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Die Zahl der Teilzeit-Arbeitnehmer ist von 5,8 Mio. Personen im Jahr 1991 auf 12,8 Mio. im Jahr 2012 explodiert, während die Zahl der Vollzeit-Beschäftigten von 29,4 Mio. auf nur noch 24,3 Mio. im Jahr 2012 zurückgegangen ist.
Diese gespaltene Entwicklung manifestiert sich übrigens auch auf einer zweiten Betrachtungsebene – den Arbeitsstunden, mit denen das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen gemessen wird, und das differenziert nach Vollzeit und Teilzeit.

Man muss sich das vor Augen führen: Das Arbeitsvolumen, das über Vollzeit-Arbeitsplätze generiert wird, lag 2012 und liegt auch heute deutlich unter dem Niveau des Jahres 1991, während hingegen das teilzeitige Arbeitsvolumen einen ordentlichen Sprung nach vorne gemacht hat.
Hier zeigen sich fundamentale Verschiebungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt, die ich im November 2013 in dem Blog-Beitrag „Das deutsche „Jobwunder“ zwischen glücksuchenden Zuwanderern, tollen Kopfzahlen und der eigenen Realität an den Rändern, die immer weiter in die Mitte wachsen“  so beschrieben habe: »… in den letzten 20 Jahren (hat) die sozialversicherte Teilzeit kontinuierlich zugenommen, während die Zahl der Vollzeitplätze rückläufig war. So haben sich die Teilzeitjobs mehr als verdoppelt, während etwa drei Millionen Vollzeitjobs in diesem Zeitraum per Saldo verloren gingen.  Aktuell üben lediglich 69,5 Prozent aller Erwerbsfähigen noch eine sozialversicherte Beschäftigung aus, gegenüber 76,8 Prozent vor 20 Jahren. Einen sozialversicherten Vollzeitjob übt nur noch gut die Hälfte aller Erwerbstätigen aus, gegenüber einem Anteil von gut zwei Dritteln 20 Jahre zuvor.«

Insofern kann es nicht überraschen, dass wir aktuell hinsichtlich des gesamtwirtschaftlichen Arbeitsvolumens  erst wieder auf dem Niveau angekommen sind, dass bereits bei der Jahrtausendwende vorhanden war – allerdings mit vielen „zusätzlichen Jobs“, wenn man diese nur an den Köpfen zählt.

Nun könnte man an dieser Stelle argumentieren, eine Teilzeitarbeit ist aber eben immer noch besser als gar keine Erwerbsarbeit. Das ist angesichts dessen, was wir wissen über die verheerenden Folgen erzwungener und nicht -freiwilliger Erwerbslosigkeit sicher auch absolut so. Aber eben nicht beispielsweise in unseren sozialen Sicherungssystemen, die in einem doppelten Sinne auf das Vollzeitarbeitsverhältnis fokussiert sind. Zum einen hinsichtlich der betroffenen Arbeitnehmer zumindest beim Arbeitslosengeld und vor allem bei der umlagefinanzierten Rente, denn hier wird die vorhergehende bzw. den gesamten Lebenslauf abbildenden Erwerbsbiografie überführt in die monetären Leistungen aus diesen Systemen. Zum anderen gilt die Fokussierung auf das Vollzeit(normal)arbeitsverhältnis auch deshalb, weil nur darüber ausreichend lohnbezogene Beitragsmittel generiert werden (können), um die Ausgaben refinanzieren zu können. Das wird zunehmend schwieriger und deshalb kommen die „klassischen“ Sozialversicherungssysteme auch immer stärker unter Druck, den man eben nur phasenweise überbrücken kann durch gleichfalls „klassische“ Sparmaßnahmen.

Fazit: Wir sehen in Deutschland ohne Zweifel eine  positive Erwerbstätigenentwicklung, die aber im Kern ein Produkt der expandierenden Teilzeit-Ökonomie darstellt. Und wir haben an dieser Stelle noch gar nicht gesprochen über das Thema Niedrig- und Niedrigstlöhne, vor allem in den Bereichen, aus denen positive Entwicklungen für den Arbeitsmarkt berichtet werden: den Dienstleistungen. Und wenn sich Zwangs- oder freiwillige Teilzeit paart mit niedrigen Löhnen, dann wird es aussichtslos für bestimmte Personengruppen. Und wir reden hier nicht über eine vernachlässigter kleinen Größenordnung. Jeder vierte deutsche Arbeitnehmer arbeitet zu einem Lohn, der im unteren Bereich angesiedelt ist. Drei von vier Betroffenen haben eine Berufsausbildung absolviert oder ein Studium.  Aber darüber kann man mit allgemeinen Phrasen gut hinwegdreschen und das Ende des arbeitsmarktlichen Abendlandes aufgrund von „sagenhaften“ Mindestlöhnen in Höhe von 8,50 Euro an die Wand malen.