Gute Nachrichten vom Arbeitsmarkt zum Jahresbeginn. Was will man mehr? Vielleicht etwas genauer hinschauen

Das  sind endlich mal positive Schlagzeilen: „Zahl der Beschäftigten erreicht Rekordhoch„, meldet Spiegel Online und die FAZ titelt – fast – synchron: „Zahl der Erwerbstätigen auf Rekordhoch„.
Die Abbildung verdeutlicht die Beschäftigungsentwicklung in Deutschland seit dem Jahr 2005 – wenn man denn diese misst an der Zahl der „Erwerbstätigen“, wie die FAZ richtigerweise im Titel vermerkt hat.

Seien wir ehrlich – wenn die meisten Menschen lesen, dass im nunmehr vergangenen Jahr 232.000 neue „Jobs“ geschaffen worden sind oder die Zahl der „Beschäftigten“ einen Höchststand erreicht hat, dann denken viele an „normale“ oder halbwegs normale Jobs, nicht wenige gehen von einer vollzeitigen und sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung aus. Die hat tatsächlich gerade am aktuellen Rand der Arbeitsmarktentwicklung auch zugenommen. Aber hinter den 232.000 zusätzlichen Erwerbstätigen, die uns das zurückliegende Jahr gebracht haben, kann sich eben vieles verbergen, das auch abweichen kann von der „Normalitätsvorstellung“, die bewusst oder unbewusst in den Köpfen der Menschen herumspukt (übrigens aus guten Grunde).

Hintergrund der Artikel ist eine Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes – übrigens die erste des neuen Jahres: „Anstieg der Erwerbs­tätigkeit im Jahr 2013 verlangsamt„, so die Bundesstatistiker. Die weisen gleich am Beginn darauf hin, dass der Anstieg der Erwerbstätigenzahlen im Jahr 2013 allerdings nur noch halb so hoch ausgefallen ist wie in den beiden Jahren zuvor, was man auch der Abbildung entnehmen kann.

Neben der damit verbundenen abnehmenden Wachstumsdynamik auf dem Arbeitsmarkt muss eine nüchterne Analyse die hier zugrunde gelegte Basis für Beschäftigung – also die „Erwerbstätigkeit“ – einer kritischen Analyse unterwerfen. Denn diese Größe hat das Problem, dass sie sehr ungleiche Tatbestände eindampft auf einen statistisch Beschäftigten. Das kann aber in der Realität ein normal, also vollzeitig Beschäftigter sein genau so wie eine ausschließlich geringfügig, also auf 450-Euro-Basis, beschäftigte Person. Alles wird gleich 1 gesetzt, egal ob kleine Teilzeit oder volle Vollzeit.

Wenn man das weiß, dann wird man in einem ersten Schritt versuchen, eine nach Vollzeit und Teilzeit differenzierte Betrachtung vorzunehmen. Beschränken wir uns dabei auf die Arbeitnehmer, dann zeigt die zweite Abbildung die auseinanderlaufende Entwicklung seit 1991 auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Die Zahl der Teilzeit-Arbeitnehmer ist von 5,8 Mio. Personen im Jahr 1991 auf 12,8 Mio. im Jahr 2012 explodiert, während die Zahl der Vollzeit-Beschäftigten von 29,4 Mio. auf nur noch 24,3 Mio. im Jahr 2012 zurückgegangen ist.
Diese gespaltene Entwicklung manifestiert sich übrigens auch auf einer zweiten Betrachtungsebene – den Arbeitsstunden, mit denen das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen gemessen wird, und das differenziert nach Vollzeit und Teilzeit.

Man muss sich das vor Augen führen: Das Arbeitsvolumen, das über Vollzeit-Arbeitsplätze generiert wird, lag 2012 und liegt auch heute deutlich unter dem Niveau des Jahres 1991, während hingegen das teilzeitige Arbeitsvolumen einen ordentlichen Sprung nach vorne gemacht hat.
Hier zeigen sich fundamentale Verschiebungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt, die ich im November 2013 in dem Blog-Beitrag „Das deutsche „Jobwunder“ zwischen glücksuchenden Zuwanderern, tollen Kopfzahlen und der eigenen Realität an den Rändern, die immer weiter in die Mitte wachsen“  so beschrieben habe: »… in den letzten 20 Jahren (hat) die sozialversicherte Teilzeit kontinuierlich zugenommen, während die Zahl der Vollzeitplätze rückläufig war. So haben sich die Teilzeitjobs mehr als verdoppelt, während etwa drei Millionen Vollzeitjobs in diesem Zeitraum per Saldo verloren gingen.  Aktuell üben lediglich 69,5 Prozent aller Erwerbsfähigen noch eine sozialversicherte Beschäftigung aus, gegenüber 76,8 Prozent vor 20 Jahren. Einen sozialversicherten Vollzeitjob übt nur noch gut die Hälfte aller Erwerbstätigen aus, gegenüber einem Anteil von gut zwei Dritteln 20 Jahre zuvor.«

Insofern kann es nicht überraschen, dass wir aktuell hinsichtlich des gesamtwirtschaftlichen Arbeitsvolumens  erst wieder auf dem Niveau angekommen sind, dass bereits bei der Jahrtausendwende vorhanden war – allerdings mit vielen „zusätzlichen Jobs“, wenn man diese nur an den Köpfen zählt.

Nun könnte man an dieser Stelle argumentieren, eine Teilzeitarbeit ist aber eben immer noch besser als gar keine Erwerbsarbeit. Das ist angesichts dessen, was wir wissen über die verheerenden Folgen erzwungener und nicht -freiwilliger Erwerbslosigkeit sicher auch absolut so. Aber eben nicht beispielsweise in unseren sozialen Sicherungssystemen, die in einem doppelten Sinne auf das Vollzeitarbeitsverhältnis fokussiert sind. Zum einen hinsichtlich der betroffenen Arbeitnehmer zumindest beim Arbeitslosengeld und vor allem bei der umlagefinanzierten Rente, denn hier wird die vorhergehende bzw. den gesamten Lebenslauf abbildenden Erwerbsbiografie überführt in die monetären Leistungen aus diesen Systemen. Zum anderen gilt die Fokussierung auf das Vollzeit(normal)arbeitsverhältnis auch deshalb, weil nur darüber ausreichend lohnbezogene Beitragsmittel generiert werden (können), um die Ausgaben refinanzieren zu können. Das wird zunehmend schwieriger und deshalb kommen die „klassischen“ Sozialversicherungssysteme auch immer stärker unter Druck, den man eben nur phasenweise überbrücken kann durch gleichfalls „klassische“ Sparmaßnahmen.

Fazit: Wir sehen in Deutschland ohne Zweifel eine  positive Erwerbstätigenentwicklung, die aber im Kern ein Produkt der expandierenden Teilzeit-Ökonomie darstellt. Und wir haben an dieser Stelle noch gar nicht gesprochen über das Thema Niedrig- und Niedrigstlöhne, vor allem in den Bereichen, aus denen positive Entwicklungen für den Arbeitsmarkt berichtet werden: den Dienstleistungen. Und wenn sich Zwangs- oder freiwillige Teilzeit paart mit niedrigen Löhnen, dann wird es aussichtslos für bestimmte Personengruppen. Und wir reden hier nicht über eine vernachlässigter kleinen Größenordnung. Jeder vierte deutsche Arbeitnehmer arbeitet zu einem Lohn, der im unteren Bereich angesiedelt ist. Drei von vier Betroffenen haben eine Berufsausbildung absolviert oder ein Studium.  Aber darüber kann man mit allgemeinen Phrasen gut hinwegdreschen und das Ende des arbeitsmarktlichen Abendlandes aufgrund von „sagenhaften“ Mindestlöhnen in Höhe von 8,50 Euro an die Wand malen.