So viele sind es! Wirklich? Nicht nur bei den Arbeitslosen, auch bei der Zahl der Kinder in Hartz IV-Haushalten sollte man genauer hinschauen

Es ist eine Binsenweisheit – mit Zahlen macht man Politik. Und in der Politik gibt es zum einen die Angst vor dem Effekt der großen Zahlen, wenn es um Bereiche geht, bei denen diese große Zahlen nicht für Erfolg stehen, sondern Probleme anzeigen. Man denke an dieser Stelle beispielsweise an die immer wieder hochkochende Debatte über die Frage, wie viele arme Menschen es denn unter uns gibt und ob deren Zahl zugenommen hat oder nicht. Zum anderen hat Politik aber immer auch die Möglichkeit, Einfluss auszuüben auf die Frage, welche Daten erhoben werden und wie man diese ausweist. Das kann verwendet werden, um ein bislang intransparentes Feld besser auszuleuchten und damit unser Wissen zu erweitern. Es kann aber auch genutzt werden, die Augen im wahrsten Sinne des Wortes zu verschließen vor der Realität nach dem Motto, was nicht gezählt wird, das gibt es auch nicht. Zumindest nicht in der Berichterstattung, die natürlich auf Zahlen angewiesen ist. Vgl. dazu nur als ein Beispiel den Blog-Beitrag über die seit langem geforderte, vom Bund bislang stets verweigerte Obachlosen-Statistik vom 29. Juli 2015: Die Zahl der Rindviecher geht, die der Übergewichtigen geht auch. Aber Obdachlose sollen nicht gehen. In der Statistik.
Und wenn man schon nicht verhindern kann, dass überhaupt gewisse Zahlen ausgewiesen werden, dann kann man versuchen, den unangenehmen Effekt der großen Zahlen (der in der Sozialpolitik dominiert) abzuschwächen, in dem man entweder das, was man zählt, kleiner macht, durch Ausschluss eigentlich zu berücksichtigender Elemente. Oder man versucht, die Zahlen in mehrere Untergruppen kleinzuschreddern und ihre (Wieder-)Zusammenführung nicht vorsieht oder erschwert.

Was abstrakt daherkommt, hat ganz handfeste Auswirkungen, die man (nicht nur) an der Zahl der Arbeitslosen illustrieren kann, sondern neuerdings leider auch bei der an sich so einfach und unschuldig erscheinenden Frage nach der Zahl der Kinder in Hartz IV-Haushalte.

Im Bereich der Arbeitslosenstatistik gibt es seit vielen Jahren eine fundierte Kritik an den monatlich ausgewiesenen Zahlen „der“ Arbeitslosen, die dann von den Medien verbreitet werden. Schauen wir uns das an einem aktuellen Beispiel an: Für den Mai 2016 berichtet die Bundesagentur für Arbeit (BA) von 2,66 Millionen Arbeitslosen. Das gesamte Ausmaß der Menschen ohne Arbeit bildet die offizielle Zahl jedoch nicht ab. Allein 864.000 faktisch Arbeitslose sind nicht in der Arbeitslosen-, sondern in der separaten „Unterbeschäftigungsstatistik“ enthalten, die auch von der BA zur Verfügung gestellt wird. Aber genannt wird immer zuerst die definitiv zu niedrige Zahl der offiziell registrierten Arbeitslosen und nicht die erheblich höhere Zahl der „Unterbeschäftigten im engeren Sinn“, die alle natürlich auch faktisch arbeitslos sind, aber durch statistische Winkelzüge rausgenommen worden sind aus der offiziellen Arbeitslosenzahl.

Auf der Website O-Ton Arbeitsmarkt wird darauf seit Jahren jeden Monat immer wieder hingewiesen. Zu den zitierten Mai 2016-Zahlen kann man dort diese Erläuterung nachlesen: Unter den 864.000 faktisch Arbeitslosen befanden sich 615.000 Menschen, die an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen teilnahmen, mehr als 85.000 am Tag der Erfassung Krankgeschriebene und rund 164.000 über 58-Jährige, die innerhalb der letzten 12 Monate kein Jobangebot erhielten.

Und das wird auch immer wieder von einzelnen Medien aufgegriffen. Am Beispiel der zitierten aktuellen Zahlen aus dem Mai 2016 beispielsweise in diesem Artikel: So viele Arbeitslose gibt es wirklich in Deutschland. Auch dort wird zutreffend auf die Differenz zwischen Unterbeschäftigten- und offizieller Arbeitslosenzahl hingewiesen.

In der Rubrik „#kurzerklärt“ hat auch die ARD das Thema aufgegriffen, so in dem Beitrag Was die Arbeitslosenstatistik verschweigt vom 31.05.2016. 
Aber bei den meisten Medien herrscht „business as usual“, man schreibt einfach ab, was aus Nürnberg zuerst verkündet wird, obgleich nun doch allen Beteiligten die angesprochenen Zusammenhänge klar sein müssen. Als Beispiel – wieder zu den Mai 2016-Zahlen – sei hier SPIEGEL ONLINE zitiert. Die überschreiben ihre Meldung (die sie von den Nachrichtenagenturen haben) so: Zahl der Arbeitslosen fällt auf 2,66 Millionen
Nun kann man an dieser Stelle einwenden – das ist doch ein schon seit Jahren bekanntes und zu Recht kritisiertes Problem. Dann liefern wir das nächste, gleichsam „frische“ Beispiel aus der Zahlenproduktionswelt und das kommt aus der Grundsicherungsstatistik:
Es geht um die scheinbar wirklich triviale Frage, wie viele Kinder den in „Hartz IV-Haushalten“ leben. Das war erst vor wenigen Tagen in vielen Medienberichten Thema und auch in diesem Blog wurde das aufgegriffen – einschließlich der Zahl, die überall zu lesen, hören oder sehen war: 1,54 Millionen Kinder unter 15 Jahren sind es. Vgl. dazu den Blog-Beitrag Ein Teil der armen Kinder im Blitzlicht der Medienberichterstattung, erneut die Abwertung von Geldleistungen und jenseits der Sonntagsreden sogar weitere Kürzungen ganz unten ante portas vom 1. Juni 2016. Dort wurde folgendes berichtet:

»Etwa jedes siebte Kind in Deutschland ist von Hartz-IV-Leistungen abhängig. Das geht aus einer Daten-Auswertung der Bundestagsabgeordneten Sabine Zimmermann von der Fraktion DIE LINKE anlässlich des internationalen Kindertags am 1. Juni hervor.
Im vergangenen Jahr waren im Schnitt 1,54 Millionen unter 15-Jährige betroffen. Das waren gut 30.000 Kinder und Jugendliche mehr als im Vorjahr. Die Angaben stammen von der Bundesagentur für Arbeit.«

Aber in Wirklichkeit waren es im Jahresdurchschnitt 2015 nicht 1,54 Millionen Kinder, sondern 1,67 Millionen – ganz genau 126.163 Kinder mehr als offiziell ausgewiesen. Auf diese nun wirklich nicht zu vernachlässigende Differenz hat wieder einmal Paul M. Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) hingewiesen, der sich seit Jahren unermüdlich und äußerst aufmerksam mit dem nicht-vergnügungssteuerpflichtigen Thema der Tiefen und Untiefen der Arbeitsmarkt- und Grundsicherungsstatistik beschäftigt.

Aber wieso fallen mehr als 126.000 Kinder einfach so unter den Teppich? Paul M. Schröder sorgt für Aufklärung: Das ist eine Folge der „Revision“ der Statistik. Man hat also was an der Art und Weise, wie wer wo gezählt wird, verändert. Dazu sein grundsätzlicher Beitrag vom 25. Mai 2016: Hartz IV: Revision der Grundsicherungsstatistik – Revisionseffekte im Bund und in den Länden. Speziell zu den – auch in meinem Beitrag vom 1. Juni 2016 aus der Presse übernommenen Zahlen der Kinder in Hartz IV-Haushalten – hat er ebenfalls schon am 1. Juni 2016 diesen Beitrag veröffentlicht: Mehr als 1,54 Millionen! Kinder unter 15 in SGB II-Bedarfsgemeinschaften: Bund und Länder 2007 bis 2015.  
Machen wir uns möglichst einfach klar, was hier verändert wurde: Vor der Revision der Statistik gab es mit Blick auf die Menschen im Hartz IV-System im Grunde zwei Kategorien: 



Vor der Revision umfasste die Zahl der Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (eLb) und die nicht erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (nEf), darunter weit überwiegend Kinder im Alter von unter 15 Jahren (nEf_u15)«, so Schröder. Das wurde dann auch ausgewiesen und man musste nur beide Zahlen addieren, um zur Gesamtzahl zu kommen. Und auf diesen Zahlen basierte dann auch die SGB II-Quote (also wie viele Menschen gemessen als Anteil in Prozent waren oder sind auf Hartz IV-Leistungen angewiesen). Und nun? Alles wird komplizierter, diese bekannte und für viele Bereiche unseres Lebens zutreffende Weisheit passt hier mehr als genau. Die tabellarische Übersicht von Paul M. Schröder illustriert das, was am Anfang dieses Blog-Beitrags als die Zahlen „kleinschreddern“ durch die Bildung von mehr und neuen Untergruppen angesprochen wurde.

Konkret am Beispiel der Kinder: Die in den Presseberichten und auch hier zitierte Zahl von 1,54 Millionen Kindern unter 15 Jahren in Hartz IV-Haushalten stimmt durchaus, ist aber eben nicht die Gesamtzahl der Kinder, sondern es handelt sich nur um „nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte“ (NEF_u15). Wie man auf die 1,67 Millionen Kinder kommt? Man muss hinzuaddieren:
30.743 „nicht erwerbsfähige sonstige Leistungsberechtigte“ (NESLB_u15), 89.597 „Kinder ohne Leistungsanspruch“ (KOL_u15) und 5.823 „vom Leistungsanspruch ausgeschlossene Personen“ (AUS_u15), jeweils alle unter 15 Jahre alt. 
Alles klar? Auf alle Fälle sind so mal eben mehr als 126.000 Hartz IV-Kinder „verloren“ gegangen, denn die BA übermittelt auf Anfrage eben die kleinere Zahl. Und das hat auch Auswirkungen auf die Anteilwerte, die gerne verwendet werden. Nach der neuen Statistik lag die SGB II-Quote für die Kinder unter 15 Jahren bei 14,4 Prozent. Wenn man aber richtig rechnet, erhöht sich die jahresdurchschnittlich SGB II-Quote auf 15,6 Prozent. 
Das war mal wieder ein Beitrag aus der Reihe „Gestalten mit Statistik“. Nur dass es hier nicht um irgendwelche Belanglosigkeiten geht, sondern um die Grundsicherungsstatistik, die Aufschluss geben soll über ein System, auf das Millionen Menschen angewiesen sind im Bereich des Existenzminimums. 

Falsche Daten? Egal. Untiefen der Statistik über arbeitsmarktpolitische Maßnahmen und das Prinzip des Aussitzens

Bekanntlich sind Statistiken – bei aller Kritik im Einzelfall – eine absolut notwendige, unverzichtbare Basis für politische Entscheidungen. Das gilt gerade in der Arbeitsmarktpolitik. Wie viele Arbeitslose erhalten beispielsweise eine Fördermaßnahme? Und wie hat sich die Zahl wie auch die konkrete Art und Weise der Förderung in den vergangenen Monaten und Jahren entwickelt? Hierzu gibt es eine an sich sehr ausdifferenzierte Förderstatistik der Bundesagentur für Arbeit. So weit, so gut.
Wenn da nicht die Lebenswirklichkeit wäre, in der es nie ideal zu geht und auch nicht gehen kann. Natürlich werden Fehler gemacht, wo Daten produziert werden müssen. Auch das ist an sich nicht problematisch. Aber problematisch wird es dann, wenn man fehlerhafte Daten erkennt, sie aber nicht korrigiert. Und wenn es sich dann nicht um vernachlässigbar kleine Fehler handelt, dann ist das nicht nur begründungsdürftig, sondern nicht akzeptabel.

O-Ton Arbeitsmarkt hat sich dieses Themas angenommen – mit einigen wirklich erschreckenden Ergebnissen: Statistik über arbeitsmarktpolitische Maßnahmen: Falsche Daten? Egal!, so ist der Artikel vom 18. Juli 2015 überschrieben. Die regionalen Statistiken der Bundesagentur für Arbeit zu arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen enthalten immer wieder falsche Daten einzelner Jobcenter. Liefern diese nicht innerhalb von drei Monaten die richtigen Werte nach, bleiben sie unkorrigiert. Das verfälscht die gesamte Bundesstatistik, so die Kritik.

Ein besonders krasser Fall, der in dem Artikel beschrieben wird:

»Beispiel Groß-Gerau in Hessen: Bei der Förderung von Arbeitsverhältnissen, einer Maßnahme der öffentlich geförderten Beschäftigung, meldete das dortige Jobcenter im Mai und Juni 2013 einen Anstieg der Teilnehmerzahlen von 16 auf rund 1.000 Personen! In allen übrigen Monaten nahmen im Mittel 15 Personen teil. Die zuständige Regionaldirektion bestätigte, dass die beiden Werte fehlerhaft seien. Die Maßnahme hatte zu diesem Zeitpunkt bundesweit etwa 6.000 Teilnehmer. Ein Plus von 1.000 Teilnehmern, die es tatsächlich gar nicht gibt, fällt da deutlich ins Gewicht. Entsprechend stieg auch die bundesweite Teilnehmerzahl im Mai auffällig. Korrigiert wurden diese stark fehlerhaften Daten auch nach Hinweis der Hochschule Koblenz bis heute nicht.«

Also man muss jetzt nicht wirklich weiter nachdenken – aber eine Differenz von 1.000 zu in Wirklichkeit 16 Personen ist an sich schon nicht akzeptabel und hat enorme Auswirkungen bis hinauf in die Bundesstatistik denn so viele Förderung der Arbeitsverhältnisse-Fälle gibt es gar nicht, so dass eine solche Verzerrung erheblich zu Buche schlägt. »Der Statistikservice der Bundesagentur für Arbeit bestätigte … den Fehler – hält ihn aber für tolerierbar. Der Fall Groß-Gerau sei zwar problematisch, die Regel sei dies aber nicht. Grundsätzlich gebe es Über- und Untererfassungen, die sich auf Bundesebene wieder ausglichen.« Nun muss man keine Zahlenkunde studiert haben, um zu erkennen, dass dies eine sehr eigenwillige Interpretation darstellt. Wenn bundesweit 6.000 Förderfälle ausgewiesen werden und darunter aber 1.000-16 Förderfälle aus einem Jobcenter sind, die es gar nicht gibt, dann ist das kein Problem, sondern eine statistische Katastrophe!

Noch ein Beispiel?

»Beispiel Halberstadt in Sachsen-Anhalt: Bei mehreren Maßnahmen tauchen im Januar 2015 sehr hohe und von den Vormonaten stark abweichende Werte bei den Zugängen in arbeitsmarktpolitische Maßnahmen auf. Die Gesamtzahl der Neuzugänge in arbeitsmarktpolitische Maßnahmen im dortigen Jobcenter Harz stieg deshalb zwischen Dezember 2014 und Januar 2015 von 675 auf über 4.600. Auch hier bestätigte die zuständige Regionaldirektion, das Jobcenter habe das gesamte bisherige Jahr falsche Werte geliefert.«

Das ist alles nicht in Ordnung. Entsprechend meine kritische Einordnung des Sachverhalts in dem Artikel von O-Ton Arbeitsmarkt: »Man muss sich offenbar Monat für Monat fragen, ob die Bundesstatistik Teilnehmer an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen enthält, die es tatsächlich nie gegeben hat. Das ist keine Lappalie, denn auf Basis dieser Daten werden arbeitsmarktpolitische Entscheidungen getroffen. Wenn falsche Daten die Bundesstatistik teils massiv verzerren, kann das zu falschen Schlüssen auf politischer Ebene führen, die zahlreiche Langezeitarbeitslose betreffen.«

Beschäftigte in Werkstätten für behinderte Menschen und Bundesfreiwillige als Budgetbremse für die Rentner? Ein Exkurs über die faktische Kraft der Statistik in der realen Sozialpolitik

Preisfrage: Kann jemand erklären, wie es diejenigen, die in Werkstätten für Menschen mit Behinderung arbeiten oder die als Bundesfreiwillige gute Dinge zu tun versuchen, schaffen, den 20 Millionen Rentenbeziehern in Deutschland ihre Vorfreude auf den Sommer 2015, in dem die nächste Rentenerhöhung ansteht, zu verderben?

Geht nicht, weil das nichts miteinander zu tun hat?

Dann kennt man nicht wirklich die Tiefen, besser Untiefen der letztendlich nur historisch zu verstehenden Sozialpolitik. Wir haben es zugleich mit einem Lehrbuchbeispiel zu tun, an dem man studieren kann, wie die Dinge alle miteinander verklebt sind. Oder vielleicht hat man schlichtweg auch keine Zeit, sich über solche Zusammenhänge Gedanken machen zu können, denn man geht einem Zweitjob neben seinem eigentlichen Normaljob nach, sicher, weil man so gerne arbeitet – oder? Schauen wir einmal genauer hin, auf beide Sachverhalte.

Die 20 Millionen Rentner in Deutschland müssen sich 2015 mit einer deutlich niedrigeren Rentenerhöhung begnügen als zunächst erwartet. Dies ist auf eine Korrektur der Beschäftigtenstatistik zurückzuführen, die wiederum die Höhe der Rentenanpassung beeinflusst, berichtet Thomas Öchsner in seinem Artikel Rentenerhöhung fällt niedriger aus als erwartet. Nach Angaben von Rentenexperten müsse man davon ausgehen, dass durch diesen statistischen Einmaleffekt der Aufschlag bei den Renten im nächsten Jahr um etwa einen Prozentpunkt niedriger ausfallen wird. Wobei man die an sich erst einmal eher verharmlosend daherkommende Nachricht von einem Prozentpunkt auch so gelesen werden kann bzw. muss:

»Angenommen die Rentenerhöhung würde im Westen und Osten zwei Prozent betragen, käme nur ein Aufschlag von einem Prozent heraus. Bei einer Rente von 1000 Euro würde das Plus also statt 20 Euro nur zehn Euro betragen.«

Wie nun kann es zu einer Halbierung der eigentlich anstehenden Rentenerhöhung – die bescheiden genug ausfällt – kommen? Öchsner führt dazu aus:

»Die Bundesagentur für Arbeit hatte weitgehend unbemerkt zum 30. Juni 2013 drei große Gruppen in die Statistik der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten neu aufgenommen. Dazu zählen knapp 300.000 Menschen mit einer Behinderung, die zum Beispiel in Werkstätten arbeiten. Hinzu kommen mehr als 30.000 Personen, die in Einrichtungen der Jugendhilfe oder etwa Berufsbildungswerken beschäftigt sind, sowie knapp 80.000 meist junge Leute, die ein freiwilliges soziales oder ökologisches Jahr oder einen Bundesfreiwilligendienst leisten. Dabei handelt es sich überwiegend um Beschäftigte aus dem Niedriglohnbereich – und das schlägt sich in der nächsten und übernächsten Rentenanpassung nieder.« (Nur eine korrigierende Anmerkung: Die Änderung hat nicht im vergangenen Jahr stattgefunden, sondern erst in diesem, also 2014).

Darüber wurde auf der Facebook-Seite von „Aktuelle Sozialpolitik“ Anfang September kritisch berichtet: »Man muss an dieser Stelle darauf hinweisen, dass diese zusätzlich rund 400.000 Personen als sozialversicherungspflichtig beschäftigt gelten, nicht nur irgendwie als erwerbstätig, was ja auch Selbständige, geringfügig Beschäftigte oder Beamte sind. Also irgendwie „richtige“ Arbeitnehmer. Nun wird der eine oder die andere fragen, huch, Beschäftigte in Behindertenwerkstätten oder Teilnehmer am Bundesfreiwilligendienst – sind die wirklich „normal“ beschäftigt?« Eine gute und überaus berechtigte Frage. Denn Beschäftigte in den Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) bekommen bekanntlich gar kein „normales“ Entgelt, sondern eine Art Taschengeld und es darf an dieser Stelle nur darauf verwiesen werden, dass es derzeit eine Debatte über die Frage gibt, ob nicht auch diese Beschäftigten Anspruch haben auf den gesetzlichen Mindestlohn (vgl. weiterführend die aktuelle Publikation von Caroline Richter und Alexander Bendel: Zwischen Entgelt und Geltung: Zur Problematik von Lohnsystemen in Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung, August 2014). Und auch die „Buftdis“, also die im Bundesfreiwilligendienst Tätigen bekommen ja nur ein Handgeld für das, was sie da machen.

Auch der DGB hatte sich Anfang September kritisch zu Wort gemeldet mit einer Pressemitteilung unter der Überschrift Geänderte BA-Statistik: Plötzlich 414.000 Beschäftigte mehr: »Ohne die zusätzlichen Personengruppen wäre nach dem neuen Konzept die sozialversicherte Beschäftigung absolut sogar um 67.000 Personen gesunken. Nun aber wird das Beschäftigungsniveau rein rechnerisch um 347.000 Personen höher ausfallen.« Wie praktisch. Wichtig ist der methodische Einwand des DGB gegen diese statistische „Korrektur“ der Beschäftigtenzahlen:

»Umgangssprachlich wird der Begriff der sozialversichert Beschäftigten für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verwendet, die gegen Lohn oder Gehalt am regulären Arbeitsmarkt tätig sind. Das trifft auf viele Menschen in den neu erfassten Personengruppen aber nicht zu. Teilweise werden künftig auch nicht erwerbsfähige Personen mitgerechnet.

So wie bei den jetzt erstmals einbezogenen Menschen mit Behinderung in Behinderten-Werkstätten. Sie können in der Regel (noch) nicht auf dem regulären Arbeitsmarkt tätig sein und erhalten neben einem sehr geringen Einkommen meist Sozialhilfe. Die hier tätigen Menschen mit Behinderung stehen in der Regel in keinem Arbeitsverhältnis. Der Verdienst in den Werkstätten ist gering und liegt im Schnitt unter 200 Euro pro Monat.

Auch bei den Freiwilligendiensten FSJ, FÖJ und BFD handelt es sich um keine klassische Beschäftigung für Lohn und Gehalt. Beim Bundesfreiwilligendienst wird beispielsweise nur eine Art „Taschengeld“ gezahlt – und zwar maximal sechs Prozent der Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung. Das sind aktuell 357 Euro im Westen und 300 Euro im Osten.«

Die damalige Kritik auch in meinem Blog-Beitrag auf der Facebook-Seite von „Aktuelle Sozialpolitik“ bezog sich vor allem auf die methodische Begründung für die Korrektur seitens der BA (vgl. hierzu die Erläuterungen im Monatsbericht der BA auf der Seite 10) und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Arbeitsmarktstatistik im engeren Sinne – die nun thematisierten Folgen für die Rentenpolitik hatte ich noch gar nicht auf dem Schirm. In den zutreffenden Worten des DGB:

»Die Bundesagentur für Arbeit begründet die Änderungen unter anderem mit einer Annäherung an die statistischen Erhebungen der Internatioanlen Arbeitsorgansiation ILO und deren „Erwerbstätigenkonzept“. Mit diesem statistischen Modell werden aber alle Erwerbstätigen erfasst, ganz gleich in welchem Umfang sie arbeiten. Auch Menschen, die nur eine Stunde pro Woche arbeiten oder für ihre Tätigkeit nur Sachleistungen erhalten, fallen unter die ILO-Definition.«

Ein „wunderbarer“ Ansatz, um am Ende das Problem der Arbeitslosigkeit nicht nur zu halbieren, wie es ein Peter Hartz mal in Aussicht gestellt hat, sondern sukzessive ganz zu beseitigen. Also statistisch gesehen, so meine damalige Kommentierung.

Nun aber zurück zum deutschen Rentner und seiner Vorfreude auf die nächste Rentenerhöhung, die durch diese statistische Rumfummelei arg strapaziert wird. Wie läuft hier der Übertragungsmechanismus? Dazu schreibt Öchsner in seinem Artikel:

»Wie kräftig eine Rentenerhöhung ausfällt, hängt maßgeblich davon ab, wie sich die Löhne und Gehälter pro Arbeitnehmer nach den sogenannten Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR-Löhne) im Vergleich zum Vorjahr verändert haben. Den Ausschlag für 2015 gibt dabei der Vergleich der Einkommen von 2014 zu 2013. Da 2014 diese Geringverdiener neu in der Statistik hinzukommen, verringert dies den Lohnfaktor in der Rentenformel, was sich im Geldbeutel der 20 Millionen Ruheständler zunächst negativ bemerkbar macht.«

Bevor jetzt aber die Wutwelle zu pulsieren beginnt, muss man auch den folgenden Absatz zur Kenntnis nehmen: »2016 kehrt sich dies jedoch um. Die Rentenerhöhung wird dann entsprechend höher ausfallen, so dass unterm Strich die Rentner durch die statistischen Einmaleffekte nach den zwei Jahren weder besser noch schlechter gestellt sind.« Es sei denn, dass die Zahl der Niedriglöhner weiter ansteigt, in anderen Gruppen, wofür es in der Vergangenheit ja durchaus Beispiele gegeben hat. Wer sich wirklich für das Minenfeld der Berechnung der jährlichen Rentenanpassung interessiert, dem sei hier mein Blog-Beitrag Ein bescheiden gemachter Schluck aus der Pulle – wie die Rentenerhöhung 2014 berechnet wird. Zugleich ein Lehrstück für moderne „Formel-Sozialpolitik“ aus dem Juli 2014 empfohlen.

Fazit: Der Ärger für die Rentner ist berechtigt, aber auf ein „verlorenes Jahr“ begrenzt, wenn denn die optimistische Variante der nachträgliche Korrektur 2016 auch eintritt. Der eigentliche und weiterhin zu kritisierende Effekt der Korrektur der Beschäftigtenstatistik liegt darin, dass die Zahl der „normalen“, sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, was ja auch immer ein Qualitätsmerkmal darstellt, verwässert wird.

Aber bleiben wir beim Thema Arbeitsmarkt. Und werfen wir noch einen Blick auf eine ganz besondere Gruppe von Jobs. Den Zweitjobs.

»Nach aktuellen Zahlen der Bundesregierung ergänzten im vergangenen Jahr rund 2,35 Millionen Menschen ihren sozialversicherungspflichtigen Hauptberuf durch einen abgabenfreien Minijob. Das sind fast doppelt so viele wie vor zehn Jahren«, berichtet Rainer Woratschka in seinem Artikel Zahl der Minijobber hat sich verdoppelt, wobei er – ganz korrekt formuliert – nicht alle Minijobber meint bzw. meinen kann, sondern diejenigen, die das neben einem anderen Job ausüben, also nicht die Gruppe der ausschließlich geringfügig Beschäftigten.

Doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren – darunter mag es Menschen geben, die gerne arbeiten, die vielleicht – aus welchen Gründen – möglichst spät nach Hause kommen wollen. Aber das wird eine überschaubare Gruppe sein. Daneben wird es eine Menge Menschen geben, die auf einen Zuverdienst angewiesen sind, weil sie in ihrem Hauptjob zu wenig Geld verdienen. Wobei das eben nicht nur ganz arme „working poor“ sein müssen, sondern auch viele heutige „Normalverdiener“ brauchen einen Zweitjob, um sich beispielsweise einmal im Jahr einen halbwegs ordentlichen Urlaub leisten zu können. Darüber wissen wir empirisch noch zu wenig bis gar nichts. Aber dass die Verdoppelung der Zweitjobs überwiegend auf arbeitssüchtige Menschen zurückzuführen ist, das glaubt doch wirklich keiner ernsthaft, außer, er oder sie muss es aus beruflichen Gründen so verkaufen.