Und täglich grüßt das Murmeltier? Von erneuten Streiks bei Amazon über dessen „Uberisierung“ bis hin zu der tonnenschwere Frage nach den Arbeiterrechten im digitalen Kapitalismus

Seien wir ehrlich – viele werden das kaum noch zur Kenntnis nehmen, wenn sie solche Meldungen lesen: Wieder Streiks bei Amazon: »Seit Jahren verweigert Amazon der Gewerkschaft ver.di Verhandlungen über einen Tarifvertrag. Daran änderten bis heute auch zahlreiche Streiks nichts.« Seit fast vier Jahren geht das nun schon so. Die Gewerkschaft  fordert eine Bezahlung der Amazon-Beschäftigten nach den Tarifverträgen des Einzel- und Versandhandels, davon will das US.-amerikanische Unternehmen nichts wissen. Ver.di ruft zu Streiks bei Amazon auf: »Rund um die Aktionstage „Black Friday“ und „Cyber Monday“ will die Gewerkschaft Ver.di den Onlinehändler Amazon bestreiken. Der Konzern zeigte sich gelassen.« Und diesem Artikel kann man entnehmen: »Gestreikt wurde an den sechs großen Amazon-Standorten Bad Hersfeld (Hessen), Leipzig (Sachsen), Rheinberg (NRW), Werne (NRW), Graben (Bayern) und Koblenz (Rheinland-Pfalz). Nach Angaben der Gewerkschaft Verdi hatten sich 2.300 Amazon-Mitarbeiter an den Streiks beteiligt. Außer in Koblenz sollen die Arbeitskämpfe am Samstag fortgesetzt werden.« Zur Einordnung muss man wissen, dass Amazon bundesweit mehr als 12.000 festangestellte Mitarbeiter beschäftigt. Aber das geht doch schon seit Jahren so, wird der eine oder andere einwerfen und die Sache als eine verlorene für die dort Beschäftigten abhaken. 

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Zwischen „digitalem Taylorismus“, osteuropäischen Ersatzlagern und einer beginnenden Menschenentleerung durch Automatisierung. Ambivalente Arbeitswelten am Beispiel Amazon

Die Gewerkschaft ver.di führt seit Jahren einen irgendwie aussichtslos erscheinenden Kampf gegen einen Konzern, in dessen amerikanischer DNA die grundsätzliche Ablehnung von Gewerkschaften und deren Tarifverträge tief eingebrannt ist. Es geht, wie man unschwer erraten kann, um Amazon – und dieses Unternehmen steht wie kaum ein anderes für die (nett formuliert) Ambivalenzen eines Teils der modernen Arbeitswelt, vor allem aus europäischer, erst recht aus deutscher Sicht. Auf der einen Seite steht dieses sich über den Globus ausbreitende Unternehmen für die Schattenseiten einer als menschenfeindlich charakterisierten Arbeitswelt, mit einem totalen Zugriff auf die Arbeitnehmer und einer bis ins Detail optimierten Effiziensteigerungsstrategie, zu der auch das Einatmen und Ausspucken befristet Beschäftigter für die Saisongeschäftsteile des Online-Handels gehört, inklusive der angesprochenen Verweigerung einer Einordnung in die Tarifwelt. Auf der anderen Seite wird immer wieder auch darauf hingewiesen, dass das Unternehmen nicht die niedrigsten Löhne zahle und vor allem, dass es auch Menschen, die beispielsweise seit Jahren arbeitslos waren und die in vielen anderen Unternehmen nicht mal in die Nähe eines Vorstellungsgesprächs kommen, eine Chance auf Beschäftigung gibt.

Man kann allerdings die Entwicklung von Amazon auch als Chiffre verstehen für grundsätzliche Fragen, wohin die Reise auf einem Teil des Arbeitsmarktes geht. Und nicht nur dort: Offensichtlich halten aus andere Branchen das Geschäftsmodell von Amazon für eine erfolgversprechende Schablone, hierzu beispielsweise dieser Artikel: Aus dem Aldi der Lüfte soll das Amazon des Reisens werden: »Schnell, billig, rücksichtslos – mit dem Konzept hat die irische Fluglinie Ryanair die Luftfahrt revolutioniert. Nun baut Konzernchef Michael O’Leary sie zum digitalen Tourismuskaufhaus aus.« Dahinter steht auch eine gewisse Bewunderung des bisherigen Entwicklungsmodells von Amazon, dazu beispielsweise dieser Artikel von Thorsten Schröder: Amazon ist überall: »Ein reiner Onlinehändler? Von wegen. Der Konzern aus Seattle dominiert eine ganze Reihe von Branchen. Das Netz und seine Nutzer sind längst abhängig von ihm.« Die bisherige Geschichte von Amazon ist nicht nur eine des gewaltigen Größenwachstums und der Realisierung der damit verbundenen Größenvorteile, sondern Amazon breitet sich systematisch in vor- und nachgelagerte Bereiche aus, wenn es denn passt. Vgl. dazu am Beispiel der Paketdienste den Beitrag Die Amazonisierung der Gesellschaft schreitet voran und Amazon stellt die Systemfrage auch bei den Paketdiensten vom 18. Februar 2016.

Aber zurück zu dem hier besonders interessierenden Thema der Beschäftigung und der Arbeitsmarktbedeutung von Amazon. Ein Teil der harschen Kritik an Amazon ist eine Folge des bisherigen Geschäftsmodells, in den großen Verteilzentren des Online-Händlers, da, wo also die Welt der Daten in realwirtschaftlichen Distributionsprozesse übersetzt werden muss, viel menschliche Arbeitskraft einzusetzen, hoch standardisiert und möglichst schnell und möglichst kostengünstig. Und das muss natürlich Folgen haben für die Organisation des Arbeitsprozesses an sich, was aus betriebswirtschaftlicher Sicht und aus Sicht der Betroffenen und der Arbeitnehmervertreter anders bewertet wird.

Die eine, kritische Perspektive kann man beispielsweise diesem Interview mit einem Gewerkschafter entnehmen: „Amazon will alleine entscheiden“: »Thomas Voss erklärt, wie die Amazon-Angestellten unter dem digitalisierten Taylorismus leiden.« Der Mann ist Fachgruppensekretär für den Versand- und Onlinehandel bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Er beginnt mit einer kompakten Zusammenfassung der beobachtbaren Entfaltung des Geschäftsmodells von Amazon – und warum dieses Unternehmen so enorm erfolgreich ist:

»Bei Amazon gibt es keine Grenzen, im Gegenteil. Das erklärte Vorhaben von Amazon-Gründer Jeff Bezos ist es, in den entscheidenden Märkten ein Monopol durchzusetzen. Dafür investiert Amazon auf Teufel komm raus in neue Geschäfte: In Deutschland hat Amazon etwa den früheren Baumarktführer OBI abgelöst, ist unlängst in den Handel mit frischen Lebensmitteln eingestiegen und will bald auch mit Autos handeln. Zusätzlich zu den Handels­tätigkeiten produziert der Konzern bereits eigene TV-Serien oder Smartphones und vergibt Kredite an Unternehmen … Bei Amazon erledigen die Kunden zentrale Arbeitsschritte des Einzelhandels per Mausklick. Sie tätigen die Bezahlung selbst und beraten sich gegenseitig durch Produktbewertungen. Die Kosten für ausgebildete Fachkräfte wie Kassierer oder Berater fallen somit weg. Amazon kann sich dadurch auf die Optimierung der logistischen Tätigkeiten konzentrieren. Hier verbindet das Unternehmen die Instrumente der Digitalisierung mit einer tayloristischen Arbeitsteilung.«

Nun wird sich dem einen oder anderen zwei Fragen stellen: Was muss man sich unter der Verbindung von Digitalisierung mit einer tayloristischen Arbeitsteilung vorstellen und warum wird das dann von vielen Menschen gemacht, wo doch ansonsten in der Industrie der Bewegungsimpuls bei standardisierten Prozessen in Richtung Automatisierung geht?

Beginnen wir mit der „Verbindung von Digitalisierung mit einer tayloristischen Arbeitsteilung“:

»Die Waren werden in Lagerhallen so groß wie mehrere Fußballfelder nach dem Chaosprinzip gelagert. Der Computer teilt die Lagerpositionen der Produkte auf den Regalen so ein, dass so wenig Platz wie möglich benötigt wird. Folglich gibt es keine Abteilungen für Warengruppen; die Zahnbürste liegt neben dem Autoreifen und den Kondomen. Einige Angestellte packen den ganzen Tag die ankommenden Waren aus, registrieren sie per Handscanner und andere räumen sie dann auf Anweisung ihres Handscanners in die Regale. Die sogenannten Picker holen die bestellten Produkte aus den Regalen und weitere Beschäftigte kümmern sich um das Beladen der Lkws. Durch die kleinen, vom Handscanner gesteuerten Arbeitsschritte erzielt Amazon mit viel weniger Menscheneinsatz bedeutend größere Umsätze als konkurrierende Einzelhändler.«

Thomas Voss beschriebt die aus seiner Sicht fatalen Folgen für die Beschäftigten so: »Sie müssen ihren Kopf komplett ausschalten, um die extrem monotonen Tätigkeiten acht Stunden lang ausführen zu können. Die Leistungsvorgaben sind dabei enorm: Ein Picker muss rund zwei Produkte pro Minute aus den Regalen nehmen und in eine kleine Plastikwanne legen. Er rennt computergesteuert durch die Lagerhallen und wird dabei permanent kontrolliert, denn die Daten des Handscanners stehen den Vorgesetzten jederzeit zur Verfügung. Überdurchschnittlich viele Amazon-Angestellte leiden an psychischen Erkrankungen, was wir unter anderem auf die monoton kontrollierten Abläufe zurückführen. Die Amazon-Bosse haben darauf ihren Interessen entsprechend reagiert: Sie verteilen Gesundheitsprämien, damit man krank zur Arbeit geht.«

Stichwort „Gesundheitsprämie“: »Fieber, Rücken, Magen-Darm: Krankheiten sind bekanntlich ein Teil des Lebens. Doch der Versandhändler Amazon will sich nicht so mit ihnen abfinden. Mitarbeiter, die nicht so oft krank sind, sollen eine Prämie bekommen – allerdings nur, wenn das gesamte Team mitzieht«, so Martin Scheele in seinem Artikel Gold für Gesunde. Um den Krankenstand in seinen Logistikzentren zu senken, gibt es beim Online-Versandhändler Amazon seit vergangenem Jahr eine Anwesenheitsprämie für die Mitarbeiter. Die Mitarbeiter bekommen aktuell in fünf der neun Versandzentren als Bestandteil einer aus mehreren Komponenten bestehenden Erfolgsprämie auch mehr Geld, wenn sie sich seltener krank melden.

Nun kann man schon darüber diskutieren, ob solche Prämien für das Fehlen krankheitsbedingter Ausfalltage wirklich sinnvoll sind – man kann sich viele Gegenargumente vorstellen, selbst betriebswirtschaftliche im engeren Sinne, beispielsweise wenn sich kranke Mitarbeiter zur Arbeit schleppen oder andere Kollegen anstecken, nur um den eigenen Bonus nicht zu gefährden. Aber Amazon legt gleich noch eine ordentliche Schippe drauf:

»Dabei koppelt Amazon diesen Gesundheitsteil an einen Gruppenbonus. Um die maximal mögliche Prämie von zehn Prozent des monatlichen Bruttogehaltes zu erhalten, zählen nicht nur die Krankheitstage des einzelnen Mitarbeiters, sondern auch der Krankenstand des gesamten Teams, in dem er arbeitet. Jeder, der sich krank meldet, gefährdet damit nicht nur seinen eigenen Bonus, sondern schwächt auch den Wert, den seine Kollegen erreichen können.«

Peter Fahrenholz kommentiert die Vorgänge bei Amazon unter dieser Überschrift: Perfide. Der Versandhändler stigmatisiert kranke Mitarbeiter: »Bestandteil des Systems ist ein sogenannter Gruppenbonus. Wer krank wird, schadet automatisch auch seinen Kollegen, denn er zieht damit den Wert des ganzen Teams nach unten. Auf raffinierte Weise wird die Belegschaft dazu gebracht, selber dafür zu sorgen, dass es möglichst wenig Krankmeldungen gibt – da braucht kein Chef mehr den Buhmann spielen. Krankheit ist in der Welt von Amazon nicht nur ein persönliches Schicksal, sondern sie wird zu einem sozialen Makel. Wer krank ist, so die Logik, schadet der Gemeinschaft.«
Wieder zurück zu den Ausführungen von Thomas Voss das System Amazon aus seiner Sicht betreffend:

»Amazon bezahlt nicht die billigsten Gehälter in Deutschland, das muss man sagen. Von den zehn bis zwölf Euro Stundenlohn kann man einigermaßen leben – wenn man eine Familie hat, wird es schon schwieriger. Bei Amazon ist in erster Linie eine hohe Flexibilität bei der Anzahl der Beschäftigten entscheidend, da die Bestellvolumina stark schwanken. Rund 15 Prozent der Belegschaft haben Teilzeitjobs und 20 Prozent sind befristet angestellt, normalerweise für ein Jahr. Für die Weihnachtszeit kommen nochmals 100 Prozent Saisonkräfte hinzu, um für zwei Monate die Umsatzgipfel zu bewältigen. Amazon hat seine Standorte ganz gezielt in strukturschwachen Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit errichtet. Dort können Arbeiter ohne wirkliche Qualifizierung Arbeit finden.«

Natürlich wird der Gewerkschafter auch konfrontiert mit der Frage nach den seit Jahren ablaufenden – und bislang hinsichtlich des eigentlichen Ziels erfolglosen – Streikaktionen bei Amazon in Deutschland. Er versucht, in einem ersten Schritt die Haben-Seite herauszustellen (»In sieben der neun Standorte Deutschlands wird die Arbeit regelmäßig niedergelegt. Mittlerweile ist fast ein Drittel der Amazon-Belegschaft hierzulande gewerkschaftlich organisiert. Das ist beachtlich hinsichtlich des hohen Anteils von Angestellten mit Teilzeit- oder befristeten Verträgen«), um dann zum eigentlichen Kern des Problems vorzustoßen:

»Unser Problem ist, dass wir es mit einem globalen Titan zu tun haben: Wenn deutsche Standorte die Arbeit niederlegen, kann Amazon die Lieferungen innerhalb von zwei bis drei Stunden nach Polen oder in die Tschechische Republik auslagern. Die dortigen ­Standorte dienen ausschließlich der ergänzenden Belieferung des deutschen Marktes. Wenn ­deutsche Standorte streiken, ist es also gut möglich, dass die bestellte Bohrmaschine aus ­Polen versandt wurde – der Kunde merkt keinen Unterschied. Wir können Amazon am besten unter Druck setzen, wenn aus unserem deutschen Arbeitskampf ein europäischer wird.«

Hier sind wir an einer ganz zentralen Problemstelle angekommen: Die grenzüberschreitende Organisation der logistischen Welt von Amazon ermöglicht es, den (möglichen) Druck im Inland durch Arbeitskampfmaßnahmen aufzufangen und zu kompensieren. Und dass es den Beschäftigten in Tschechien oder Polen noch schlechter geht als den in Deutschland muss wohl nicht besonders herausgestellt werden – vgl. dazu und den ersten Versuchen einer Gegenwehr bereits den Beitrag Die gnadenlose Effizienzmaschine hinter Amazon wird gefeiert und beklagt. Und in Polen spürt man die handfesten Folgen, wenn man ein kleines Rädchen in der großen Maschine ist vom 18. Juli 2015. Nun ist es aber bereits in Deutschland – wie wir in den vergangenen Jahren haben lernen müssen – schwer, die Beschäftigten bei Amazon in nennenswerten Umfang zu organisieren oder gar zu Arbeitsniederlegungen zu bewegen. Da muss man ehrlich bilanzieren. Wenn dann noch, wie von Voss angesprochen, die eigentliche „Lösung“ in einem „europäischen Arbeitskampf“ liegen müsste (was man durchaus nachvollziehen kann), dann wird klar, dass das eine nur herkulisch zu nennende Aufgabe ist, deren Realisierungswahrscheinlichkeit nicht besonders hoch angesetzt werden sollte.

Aber da war doch noch eine andere Frage offen: Warum wird das eigentlich von so vielen Menschen gemacht, wo doch ansonsten in der Industrie der Bewegungsimpuls bei standardisierten Prozessen in Richtung Automatisierung geht?

Diesen Impuls kennt und folgt natürlich auch Amazon, wie man diesem Beitrag von Joachim Hofer entnehmen kann: Wenn das Regal Räder bekommt: »Wo früher Menschen zu Regalen eilten, um Windeln, Smartphones und Bücher einzusammeln, sind nun Hunderte von Robotern im Einsatz.«
Das neueste Logistikzentrum von Amazon im nordenglischen Manchester  ist eine Blaupause, wie es bald in zahlreichen anderen Verteilzentren des US-Konzerns aussehen wird.

»Durch die Roboter liefere Amazon schneller, günstiger, zuverlässiger. „Auf derselben Fläche bringen wir wesentlich mehr Ware unter“ … Das ist ein enormer Vorteil, denn in vielen Ländern tobt ein Kampf um die Grundstücke. Auch in Deutschland. „Große Einzelhändler suchen gerade gigantische Flächen“, sagt Kuno Neumeier, Chef des Münchener Logistikimmobilien-Beraters Logivest. Die quadratischen Regale in Manchester stehen dicht gedrängt, die breiten Gänge für die Mitarbeiter braucht es nicht mehr. Die orange-schwarzen Roboter fahren einfach unter die gut zwei Meter hohen Regale, heben sie an. Anschließend geht es im Eiltempo zu den Leuten am Rand des Lagers. Die Arbeiter nehmen die bestellten Produkte heraus, reichen sie an jene Kollegen weiter, die dann die Pakete schnüren. Die Regale samt Roboter sind da schon wieder verschwunden. Die Transportmaschinen …  können gut 300 Kilo schultern. Mehr noch: statt riesiger, hoher Hallen lassen sich die Regale jetzt in vergleichsweise niedrigen Räumen anordnen. So lagert Amazon in Manchester die Artikel auf drei Stockwerken und kann dadurch eine größere Auswahl vorhalten.«
Dieser Ansatz wird gerade ausgerollt. In Deutschland baut Amazon für 90 Millionen eine hochautomatisierte Filiale in Winsen, südlich von Hamburg. Der Konzern beteuert, dass durch die Roboter kein Job verloren gehe; zumindest nicht bei Amazon. Das ist ein wichtiger Punkt, den man bei einer korrekten Berechnung der Arbeitsplatzeffekte berücksichtigen muss – der Jobverlust bei den Konkurrenten von Amazon, die sich dessen Effizienz geschlagen geben müssen.

Nur als Anmerkung sei hier darauf hingewiesen, dass die Frage der Beschäftigungseffekte gar nicht so einfach zu beantworten ist. Dazu der Artikel E-Commerce as a Jobs Engine? One Economist’s Unorthodox View: Der Ökonom Michael Mandel behauptet, »that the move toward e-commerce is creating more jobs than are being lost in the brick-and-mortar retailing industry — and that these new jobs are paying much higher wages than traditional retail jobs.«
In den sechs neuen Robo-Standorten, die dieses Jahr in Europa öffnen, sollen langfristig 8.000 Arbeitsplätze entstehen. In Winsen hat Amazon 1.000 Stellen zu besetzen.

»Der Konzern verlässt sich auf Technik, die er sich durch die Übernahme des amerikanischen Roboterherstellers Kiva vor fünf Jahren ins Haus geholt hat. Die Geräte baut Amazon selbst, weltweit drehen in dem Konzern 80.000 Roboter ihre Runden; jedes neue Lager braucht ein paar Tausend zusätzlich. Auch die Software entwickelt Amazon selbst. Die Roboter orientieren sich mit Hilfe von QR-Codes auf dem Boden.«

Aber auch das gehört – noch – zur Wahrheit: »Amazon ist allerdings weit davon entfernt, den gesamten Versand zu automatisieren. So sind die Regale in Manchester nur mit handlicher Ware bestückt. Wenn es sperrig wird, müssen nach wie vor die Mitarbeiter ran, an anderen Standorten.« Insofern eröffnet  das Fallbeispiel hier auch einen Blick auf das derzeit immer wieder aufgerufen Grundsatzthema Beschäftigungsfolgen der Digitalisierung. Die sind gar nicht so einfach und vor allem nicht einseitig zu bestimmen.

Was das für die Arbeitnehmer und die Gewerkschaften bedeutet? Auf alle Fälle wird am Beispiel Amazon ein mehrfaches Dilemma für die Gewerkschaften erkennbar: Zum einen rekrutiert man in Regionen mit einem noch hohen Arbeitsangebot Arbeitnehmer, grundsätzlich oder anfangs befristet, die oftmals froh sind, überhaupt wieder einen Job bekommen zu haben, was ihre Bereitschaft, sich in einer Gewerkschaft zu organisieren oder gar die Arbeit niederzulegen, sicher nicht befördert. Hinzu kommt ein skizziertes System der Ausweichlager in umgebenden Ländern, mit deren Hilfe Amazon Streikfolgen kompensieren kann. Und dann auch noch die mehr oder weniger offene Drohung, dass die Jobs demnächst wegautomatisiert werden könnten. Keine gute Ausgangslage für gewerkschaftliche Aktivitäten.

Diesen Kontext sollten all diejenigen berücksichtigen, die mehr von den Gewerkschaften erwarten oder die Erfolglosigkeit beklagen. Es geht immer auch um die realen Kräfteverhältnisse und dazu gehört auch der Organisationsgrad der Gewerkschaften, mithin die Bereitschaft der Arbeitnehmer, sich dort zu engagieren.

Das kann man derzeit beobachten am Beispiel der Tarifeinigung in der Systemgastronomie. Wer bei Starbucks Kaffee zubereitet oder bei McDonald’s Burger brät, bekommt ab August mehr Geld. Dies sieht ein neuer Tarifvertrag für rund 100.000 Beschäftigte der Systemgastronomie vor, auf den sich die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) und der Bundesverband der Systemgastronomie in der Nacht zum Freitag einigten – allerdings erst durch eine Schlichtung. Zum Bundesverband der Systemgastronomie gehören unter anderem McDonald’s, Burger King, Starbucks, Nordsee, Autogrill, Tank und Rast, Kentucky Fried Chicken und Pizza Hut. Allein rund 58.000 Beschäftigten arbeiten bei McDonald’s in Deutschland.

Die Vereinbarung sieht laut NGG Lohnerhöhungen zwischen 7,3 und 8,7 Prozent in drei Stufen vor. Die Laufzeit des Tarifvertrags: bis Ende 2019.

Ab dem 1. August liegt das Einstiegsgehalt bei Schnellrestaurants bei neun Euro und damit 16 Cent mehr als der gesetzliche Mindestlohn in Höhe von 8,84 Euro pro Stunde.

Der Verhandlungsführer und stellvertretende Vorsitzende der NGG, Guido Zeitler, wird mit diesen Worten zitiert: „Damit haben wir ein wichtiges Ziel erreicht: Die anstrengende und verantwortungsvolle Arbeit in der Systemgastronomie ist mehr wert als Mindestlohn“. Nun kann man an dieser Stelle auf den ersten Blick tatsächlich skeptisch die Frage stellen, ob 16 Cent mehr als Mindestlohn für die Arbeit in der Systemgastronomie als Erfolg gefeiert werden kann – oder ob das nicht eigentlich viel zu wenig, mithin eine Niederlage ist.

Es war ein langer Kampf. Die NGG war mit einer Forderung von sechs Prozent mehr Geld für alle Beschäftigte und Einstiegslöhnen deutlich oberhalb des Mindestlohns von 8,84 in die Verhandlungen gegangen. Nach vier ergebnislosen Tarifverhandlungen hatten sich die Verhandlungspartner auf eine Schlichtung geeinigt, die nun zur Einigung führte. Dabei muss man auch berücksichtigen, dass der Organisationsgrad der NGG in der Systemgastronomie – nun ja – überschaubar ist, was natürlich auch deren Möglichkeiten, beispielsweise durch Streiks die Arbeitgeber zu beeindrucken, einschränkt. Wenn nur 10 oder 15 Prozent der Beschäftigten überhaupt organisiert sind, dann wissen auch die Arbeitgeber sehr genau um das tatsächlich nicht oder nur in Spurenelementen vorhandene Druckpotenzial der Gewerkschaft.

Die Amazonisierung der Gesellschaft schreitet voran und Amazon stellt die Systemfrage auch bei den Paketdiensten

Die teilweise wirklich nur noch als katastrophal zu bezeichnenden Arbeitsbedingungen der Paketzusteller waren und sind immer wieder mal Thema in der Berichterstattung, auch hier wurde das Thema oft aufgerufen. Immer mehr, immer schneller und immer billiger – dieser Dreischritt im Gefolge der Amazonisierung unserer Gesellschaft wurde und wird bislang überwiegend auf dem Rücken der vielen (schein)selbständigen Subunternehmer ausgetragen, die das dann weiterreichen an ihre Beschäftigten. Und Amazon – auch selbst hinsichtlich der eigenen Arbeitsbedingungen seit langem in der Kritik – wächst weiter, wie der gesamte Bereich des Online-Handels.

Das amerikanische Unternehmen geht jetzt allerdings einen Schritt weiter: Amazon baut in USA eigenen Paketdienst auf, so ist einer der Artikel dazu überschrieben.

»Der Onlinehändler Amazon will künftig einen Großteil seiner Lieferungen in den USA selbst abwickeln. Das berichtet die Nachrichtenagentur Reuters und beruft sich dabei auf die Aussagen von Lieferfahrern des Unternehmens. Die Fahrer sagten demnach, im Rahmen des internen Programms Amazon Flex seien bereits Pakete von Amazon selbst an Prime-Kunden geliefert worden. Den Informationen der Fahrer zufolge sollen sie nun auch normale Bestellungen über die Website amazon.com ausliefern. Geplant sei demnach ein Ausbau der Lieferflotte des Unternehmens, um in den USA mit Logistikunternehmen wie UPS oder FedEx in Konkurrenz zu treten. Eine Sprecherin des Unternehmens sagte, in Texas würden Fahrer von Amazon Flex bereits Pakete ausliefern.«

Amazon Flex – der Name ist schon Programm. Denn es wird jetzt kaum einen aufgeweckten Zeitgenossen überraschen, wenn man an dieser Stelle anfügen muss, dass die Flex-Fahrer „natürlich“ nicht bei Amazon angestellt werden bzw. sind:

»Die Fahrer sind dem Bericht zufolge keine Amazon-Angestellten, sondern arbeiten selbstständig und müssen unter anderem die Tankrechnung und Versicherungen selbst bezahlen, heißt es in dem Bericht weiter. Amazon könnte durch eine eigene Fahrerflotte seine milliardenschweren Logistikausgaben deutlich senken und die Kontrolle der Auslieferungen verbessern.«

Wer jetzt an dieser Stelle vielleicht einwenden möchte, na gut, aber das betrifft uns nicht, das findet in den USA statt, der muss eines besseren belehrt werden.

Schon in dem Artikel findet man am Ende diesen Hinweis:

»Auch in Deutschland arbeitet Amazon an einem eigenen Zustelldienst. Über ein Versandlager in Olching bei München will das Unternehmen testen, wie es sich als Konkurrenz zu DHL, Hermes und DPD aufstellen kann. Hat das Modellprojekt Erfolg, soll der Paketdienst ausgeweitet werden.«

Damit zeichnet sich eine Art Systemwechsel ab, so auch die Einschätzung von Frank-Thomas Wenzel in seinem Artikel Wie Amazon und Google den Einzelhandel verändern wollen:

»Bislang gibt es klare Arbeitsteilung: Auf der einen Seite der mit großem Abstand weltgrößte Onlinehändler Amazon, der hierzulande einen Marktanteil von fast 25 Prozent hat. Auf der anderen Seite die Paketdienste UPS, DPD oder die Posttochter DHL.«

So ist das im heutigen System. Warum dann einen eigenen Lieferdienst?

»Auch DHL und Co .verdienen am Ausliefern, das ist Geld, das Amazon gerne hätte. Bislang schreckte der Konzern davor zurück, weil die Liefervolumina von Amazon allein vielfach zu gering waren, um eigene Flotte zu betreiben. Das ändert sich aber mit dem stetigen Wachstum des Onlinehandels, der in Deutschland ungebrochen mit zweistelligen Prozentzahlen zulegt. Insider halten es für möglich, dass Amazon zunächst punktuell in Großstädten eigene Lieferdienste ausbaut. Außerdem könnten die Amazon-Transporter auch Waren von anderen Onlinehändlern ausliefern.«

Und der Online-Handel expandiert nicht nur rasant, auch der Wettbewerbsdruck steigt entsprechend:

»Der Wettbewerb im Onlinehandel wird härter. Um sich von der Konkurrenz abzusetzen, setzt Amazon alles darauf, schneller zu werden. Lieferung nur wenige Stunden nach der Bestellung: Darauf läuft es zumindest in großen Städten hinaus. Dies verlangt eine höchsteffiziente Logistik – das legt es nahe, alles aus einer Hand zu organisieren.«

In Deutschland gibt es nicht nur das bereits angesprochene Pilotprojekt in Olching bei München, sondern es werden Amazon-Manager zitiert, die darauf hinweisen, dass weitere Verteilzentren entstehen sollen, die möglichst nah an Großstädten angesiedelt werden sollen. Dort könnten dann auch eigene Lieferdienste eingesetzt werden.

Zwischenzeitlich setzt Amazon auf das Verteilen von Beruhigungspillen an DHL & Co.
»Glaubt man Amazon-Finanzchef Brian Olsavsky, muss sich die Tochter der Deutschen Post keine Sorgen machen. Der Konzern brauche die eigenen Lieferkapazitäten nur, weil die Paketlieferdienste zu manchen Zeiten nicht mehr hinterherkämen. Diese seien „nicht länger in der Lage, unsere gesamte Menge, die wir in der Spitze brauchen, abzuwickeln“, sagte Olsavsky in einer Telefonkonferenz mit Analysten«, kann man dem Artikel Amazon überfordert Paketdienste entnehmen.

Und weiter:

»Der eigene Dienst solle vor allem für Transporte zwischen Amazons Lagern und seinen Auslieferzentren eingesetzt werden. Auch für besonders schnelle Lieferungen, etwa im Rahmen von Amazon Now oder des Essenslieferdienstes Amazon Fresh, könnte Amazon die eigenen Fahrzeuge gebrauchen.«

Ach, Amazon Fresh. Die nächste Baustelle, die der Konzern auch in Deutschland aufmachen will.
Denn hier entwickelt sich ebenfalls ein heftiger Wettbewerb: Beim Geschäft mit den Dingen des täglichen Bedarfs tritt Amazon gegen zahlreiche Supermarktketten an, die gerade dabei sind ihre Lebensmittel-Lieferdienste massiv auszubauen.

Diese Aktivitäten mag die Aktionäre des Unternehmens erfreuen, sehen sie doch ein weiteres Wachstum von Amazon am Horizont. Aber für die Arbeitsbedingungen der Menschen, die bei den Paketdiensten arbeiten, bedeutet das bei den derzeitigen Bedingungen eine weitere Eskalation der für sie negativen Ökonomisierung in der Branche. Um so wichtiger wäre eine gewerkschaftliche Gegenmacht, um die erfahrbaren Auswüchse in den Griff zu bekommen. Das wird allerdings erheblich erschwert durch die vielen kleinen Subunternehmer, die hier unterwegs sind und denen es oft nicht besser geht als den eigenen Mitarbeitern.

Amazon mal wieder. Der aufrechte Kampf der einen bei uns und die konsequent-schrittweise Abnabelung der Effizienzmaschine vom Standort Deutschland

Gerade in einer Zeit, in der täglich irgendeine neue Sau durchs mediale Dorf getrieben wird, auf die sich dann alle anderen stürzen, als gäbe es nur dieses Thema, ist es notwendig, an Dinge zu erinnern, die vor geraumer Zeit mal Thema waren und mittlerweile in den Archiven vor sich hin modern. Obgleich sie weiter vorangetrieben werden und sich das damalige Bild zu verdichten scheint. Zeigen kann man das am Beispiel des Unternehmens Amazon.

Auslöser sind solche Meldungen, die dem einen oder anderen vorkommen wie ein Ausschnitt aus dem Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“: Ver.di ruft zu Streik bei Amazon in Koblenz auf: »Mit einem erneuten Streik will die Gewerkschaft den Konzern drängen, die Tarifverträge des Einzelhandels anzuerkennen. Der Ausstand sollte in der Nacht beginnen.« Und nachfolgend: Verdi bestreikt erneut Versandzentren: »Vor dem Beginn des Weihnachtsgeschäfts macht die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi noch einmal mit Streiks in den deutschen Versandzentren Druck auf den Online-Versandhändler Amazon. Verdi rief am Mittwoch an den Standorten im hessischen Bad Hersfeld, in Leipzig sowie in Rheinberg und Werne in Nordrhein-Westfalen zu Arbeitsniederlegungen vom frühen Morgen bis zum Ende der Spätschicht auf.« Die wackeren Gewerkschaftsmitglieder versuchen es seit Jahren. Bislang ohne nennenswerten Erfolg, sie beißen auf Granit bei dem amerikanischen Konzern. 

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Was passieren kann, wenn man die Zielgröße, permanent ein „überdurchschnittlicher Amazon-Roboter“ zu sein, nicht erreicht. Mal wieder: Inside Amazon

Amazon mal wieder. Wir reden hier über eine – von oben betrachtet – große „Erfolgsstory“: Mehr als 150.000 Mitarbeiter hat das Unternehmen mittlerweile, der Umsatz kratzt an der 100-Milliarden-Dollar-Grenze. Während in Deutschland immer noch eine überschaubare Gruppe von Aktivisten innerhalb der Belegschaft versucht, den Konzern daran zu erinnern, dass nicht nur betriebliche Mitbestimmung, sondern auch Tarifverträge bei uns eigentlich normal sein sollten, damit aber – trotz mehrfacher Streikaktionen – bislang wenig bis gar keinen Erfolg haben, werden nun wieder die Arbeitsbedingungen bei Amazon in den Fokus der Berichterstattung gerückt. Allerdings diesmal aus dem Mutterland des Konzerns, also den USA, kommend. Die New York Times berichtet über höchst fragwürdige Arbeitsbedingungen in dem Artikel Inside Amazon: Wrestling Big Ideas in a Bruising Workplace: The company is conducting an experiment in how far it can push white-collar workers to get them to achieve its ever-expanding ambitions:
Man kann das auch so auf den Punkt bringen: Katastrophale Arbeitsbedingungen bei Amazon. In diesem Artikel des österreichischen Standard werden einzelne Fälle zitiert, die man dem Originalartikel der New York Times entnehmen kann. Wie so oft bei diesen amerikanischen Unternehmen geht es um Leistungsbewertungen, um die „Performance“ der Beschäftigten.

Hier drei Beispiele aus dem Artikel:

»So wird … etwa die Geschichte einer Mitarbeiterin des Kindle-Teams erzählt, die ihre Überstunden und Wochenendeinsätze reduzieren musste, da ihr Vater an Krebs erkrankt war – was umgehend zu einer schlechteren Bewertung ihrer Performance geführt habe. Der Wechsel auf einen anderen Posten, bei dem, nicht wie sonst bei Amazon üblich, unzählige Überstunden erwartet werden, wurde abgelehnt. Stattdessen bezeichnete sie ihr direkter Vorgesetzter als „ein Problem“. Sie entschloss sich daraufhin – als ihr Vater bereits im Sterben lag –, eine Auszeit zu nehmen und nicht mehr zu Amazon zurückzukehren.
Eine andere Mitarbeiterin erzählt davon, wie sie nach einer Behandlung wegen Schilddrüsenkrebs an ihren Arbeitsplatz zurückkehrte und ihr umgehend erklärt wurde, dass sie zu langsam sei und man ohne sie viel mehr erreicht habe. Auch sonst gibt es mehrere Berichte von Mitarbeiterinnen, die mit schlechten Bewertungen auf die interne Abschussliste gesetzt wurden, nachdem sie an Krebs erkrankt waren.
Eine weitere Mitarbeiterin wurde angeblich direkt am Tag nach einer Fehlgeburt dazu gezwungen, eine Geschäftsreise anzutreten, weil „die Arbeit trotzdem erledigt werden müsse“, wie ihr ihr Vorgesetzter mitteilte. Dies verbunden mit dem Hinweis, dass Amazon möglicherweise nicht der richtige Arbeitsplatz sei, wenn sie gerade eine Familie gründen wolle.«

Der Artikel der „New York Times“ hat umgehend erhitzte Diskussionen in der US-Tech-Branche ausgelöst. Während sich einige über diese Zustände empört zeigen, wollen andere darin kein Problem erkennen.

Auch der Big Boss von Amazon hat sich zu Wort gemeldet und seine Reaktion auf den NYT-Artikel wird so zitiert:

»Unterdessen hat Amazon-Chef Jeff Bezos mit einem internen Memo auf den Artikel reagiert. Der Artikel beschreibe nicht jenes Amazon, das er kenne. Eine solche Missbrauchskultur würde von ihm nicht akzeptiert. Insofern bitte er alle Mitarbeiter, entsprechende Vorfälle zu melden, falls sie tatsächlich vorkommen sollten.«

Aber die Diskussion bleibt nicht auf die USA beschränkt: Auch deutsche Amazon-Mitarbeiter berichten von Schikane, so die Süddeutsche Zeitung. Darin beispielsweise:

»Amazon hat auch in Deutschland keinen guten Ruf. So erstellt die Firma in ihren Versandzentren sogenannte Inaktivitätsprotokolle. In einem dieser Protokolle aus dem Jahr 2014, das der SZ vorliegt, wird einem Mitarbeiter vorgeworfen, sich „von 07.27 bis 07.36 Uhr unterhalten“ zu haben. Stefanie Nutzenberger, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Verdi, sagte, das System Amazon bestehe auch hierzulande aus „Arbeitshetze und Druck“. Davon zeugten extrem hohe Krankenquoten von 20 Prozent und mehr.«

Vor dem Hintergrund der zitierten angeblichen Reaktion von Jeff Bezos interessant dieser Passus: »Nach Aussagen von Mitarbeitern in den USA handelt es sich bei den Schikanen nicht um Auswüchse, vielmehr soll Firmengründer Jeff Bezos den rüden Umgang persönlich angeordnet haben. Er wird mit den Worten zitiert, zu viel Harmonie im Betrieb schade dem wirtschaftlichen Erfolg, weil selbst offensichtliche Fehlentscheidungen aus falsch verstandener Rücksichtnahme nicht beanstandet würden.«

Grundsätzlich ist es schwierig, jenseits der veröffentlichten Einzelfälle – wobei hier darauf hinzuweisen wäre, dass für den NYT-Artikel mehr als 100 ehemaligen und gegenwärtige Amazon-Beschäftigte ausführlich interviewt worden sind – eine Gesamtbewertung vorzunehmen dergestalt, dass es sich hier um ein Amazon-spezifisches Problem handelt oder nicht vielmehr um ein prominentes Abbild einer allgemeinen Unkultur in vielen Unternehmen: »Die Aussagen der Mitarbeiter geben einen Einblick in eine extreme Firmenkultur. Amazon steht dabei nicht stellvertretend für andere junge Internetfirmen, die eher mit bunten Büros und Firmenchefs in T-Shirt und Turnschuhen von sich reden machen. Allerdings sind harte Arbeit und ständige Erreichbarkeit auch in vielen Unternehmen im Silicon Valley üblich.«

Wie dem auch sei – der Artikel in der New York Times hat eine Welle ausgelöst auch in anderen Ländern. So berichtet der „Guardian“ aus Großbritannien unter der Überschrift Amazon ‚regime‘ making British staff physically and mentally ill, says union: »Employees at the e-commerce giant’s distribution centres across the UK are under pressure to be an “above-average Amazon robot”, the GMB’s lead officer for Amazon, Elly Baker, told the Times.«

Und Ella Baker von der Gewerkschaft wird weiter mit diesen Worten zitiert über die Arbeit bei Amazon:

“It’s hard, physical work but the constant stress of being monitored and never being able to drop below a certain level of performance is harsh. You can’t be a normal person. You have to be an above-average Amazon robot all the time.”

Auch wenn man davon ausgehen muss, dass die krasse Firmen“kultur“ bei Amazon keineswegs eine Singularität darstellt, sondern vielmehr regelmäßig gerade bei angelsächsischen Unternehmen beobachtet werden kann – die enorme kritische Resonanz auf entsprechende Berichte aus der Amazon-Welt ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass dieses Unternehmen ansonsten auch nach außen, gegenüber Konkurrenten, Zulieferern und ganzen Branchen eine absolut zerstörerische Strategie verfolgt, um auf dem Weg der monopolistischen Durchdringung fortzuschreiten. Wer so agiert, der verdient eine besondere Beobachtung und Kritik.

In diesem Blog wurde mehrfach über das Unternehmen Amazon berichtet, beispielsweise der Beitrag Die gnadenlose Effizienzmaschine hinter Amazon wird gefeiert und beklagt. Und in Polen spürt man die handfesten Folgen, wenn man ein kleines Rädchen in der großen Maschine ist vom 18. Juli 2015 oder Amazon mal wieder. Ab in den Osten und zurück mit dem Paketdienst vom 10. August 2014. Es ist eine plausible Annahme, dass sich das mit dem Berichterstattungsbedarf vorerst nicht ändern wird.