Gerade in einer Zeit, in der täglich irgendeine neue Sau durchs mediale Dorf getrieben wird, auf die sich dann alle anderen stürzen, als gäbe es nur dieses Thema, ist es notwendig, an Dinge zu erinnern, die vor geraumer Zeit mal Thema waren und mittlerweile in den Archiven vor sich hin modern. Obgleich sie weiter vorangetrieben werden und sich das damalige Bild zu verdichten scheint. Zeigen kann man das am Beispiel des Unternehmens Amazon.
Auslöser sind solche Meldungen, die dem einen oder anderen vorkommen wie ein Ausschnitt aus dem Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“: Ver.di ruft zu Streik bei Amazon in Koblenz auf: »Mit einem erneuten Streik will die Gewerkschaft den Konzern drängen, die Tarifverträge des Einzelhandels anzuerkennen. Der Ausstand sollte in der Nacht beginnen.« Und nachfolgend: Verdi bestreikt erneut Versandzentren: »Vor dem Beginn des Weihnachtsgeschäfts macht die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi noch einmal mit Streiks in den deutschen Versandzentren Druck auf den Online-Versandhändler Amazon. Verdi rief am Mittwoch an den Standorten im hessischen Bad Hersfeld, in Leipzig sowie in Rheinberg und Werne in Nordrhein-Westfalen zu Arbeitsniederlegungen vom frühen Morgen bis zum Ende der Spätschicht auf.« Die wackeren Gewerkschaftsmitglieder versuchen es seit Jahren. Bislang ohne nennenswerten Erfolg, sie beißen auf Granit bei dem amerikanischen Konzern.
Der geht selbst ganz offensichtlich seinen Weg. Und zu dem gehört, die renitenten Gewerkschafter aus dem weg zu räumen. Das erinnert an einen Passus, der im Jahr 2013 in diesem Blog niedergeschrieben wurde: »Eines ist ganz sicher – die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di nervt Amazon mit ihrer impertinenten Forderung nach einem Tarifvertrag für die Beschäftigten in den deutschen Warenverteilzentren des Weltkonzerns. Deshalb lässt Amazon ja auch schon mal sicherheitshalber neue Logistik-Zentren in der Tschechei und Polen errichten – „natürlich“ auf gar keinen Fall mit der Absicht, die Arbeit dann aus dem für Arbeitgeber „anstrengenden“ Deutschland in die angenehmer daherkommenden Ostländer zu verlagern und die Standorte in Deutschland auszudünnen oder gar aufzugeben. Was natürlich nicht für die Belieferung des deutschen Marktes gilt, denn der ist richtig wichtig für Amazon, hier wird Marge gemacht und dass soll auch so bleiben – bereits 2012 hat Amazon in Deutschland 6,4 Milliarden Euro umgesetzt und damit seit 2010 um 60 Prozent zugelegt. Und geliefert werden kann auch aus Polen und der Tschechei.«
Diese Ausführungen stammen aus dem Beitrag Von „Work hard. Have fun. Make history“ bei Amazon zur Proletarisierung der Büroarbeit in geistigen Legebatterien. Streifzüge durch die „moderne“ Arbeitswelt vom 25.11.2013. Und ein knappes Jahr später konnte man in diesem Blog lesen: Amazon mal wieder. Ab in den Osten und zurück mit dem Paketdienst (10.08.2014). Dort wurde der Artikel Amazon trickst deutsche Gewerkschaft aus zitiert: »Der Onlinehändler fordert deutsche Verlage auf, Bücher über Logistikzentren in Polen und Tschechien zu verschicken – und die Kosten dafür selbst zu tragen. Ein Kniff, um Gewerkschaften zu entmachten.«
Das erfährt jetzt seine Fortsetzung. Von Deutschland nach Deutschland – über Polen, so ist ein Artikel zur aktuellen Entwicklung überschrieben. Der Konzern drängt Vertriebspartner, ihre Waren über Osteuropa zu verschicken – selbst wenn sie an Kunden in Deutschland gehen. Händler in Deutschland werden dazu angehalten, bis zu 70 Prozent ihrer Geschäfte über Polen und Tschechien abzuwickeln. »Für deutsche Vertriebspartner des Konzerns – darunter etwa Buchverlage … – ist dies ein Ärgernis. Schließlich bringt es höhere Kosten mit sich, wenn sie große Teile ihres Deutschlandgeschäfts plötzlich über das Ausland abwickeln müssen.«
Für die deutschen Vertriebspartner hat die nicht neue, aber verschärfte Strategie des Giganten Amazon handfeste Folgen:
»Deutsche Händler müssen auch Waren, die eigentlich für den deutschen Markt bestimmt sind, nun nach Polen und Tschechien schicken – damit Amazon sie dann wieder zurück nach Deutschland liefert. Für die Händler fallen damit deutlich höhere Lieferkosten an, als wenn die Waren im Land bleiben.
Wenn ein deutsches Unternehmen Waren beispielsweise nach Polen liefert, dann muss es diese auch nach polnischem Recht versteuern. Das bedeutet: Eine deutsche Firma, die Waren über Amazon eigentlich an deutsche Kunden verkaufen will, braucht nun polnische Wirtschafts- und Steuerberater, um diese Geschäfte abwickeln zu können.«
Amazon weist seine Kunden selbst darauf hin: „Durch die Lagerung Ihrer Ware in Polen und/oder Tschechien wird eine Umsatzsteuerregistrierung in dem jeweiligen Land notwendig. Sie sind selbst für diese Anmeldung und die Einhaltung der steuerlichen Bedingungen verantwortlich.“ Und weiter: „Die Rechnungsstellung mit dem gültigen lokalen Umsatzsteuersatz ist unbedingt einzuhalten.“
Natürlich liegt es nahe, dass der eine oder andere nun wieder das Thema Verlagerung aus Deutschland aufrufen wird, um sich dem Druck der Gewerkschaft und den „hohen“ Kosten hier am Standort entziehen zu können, ohne natürlich auf die Belieferung des lukrativen deutschen Marktes verzichten zu müssen. Aber das weist das Unternehmen natürlich weit von sich:
»Mit Einsparungen oder den wiederholten Streiks in deutschen Logistikzentren will Amazon die Verlagerung von Geschäften nach Osteuropa nicht verbunden wissen. Die Strategie diene dazu, dass „das Wachstum überhaupt gestemmt werden kann“, teilte eine Amazon-Sprecherin auf Nachfrage mit. „Um das Wachstum handhaben zu können, brauchen wir Kapazitäten“, sagte die Sprecherin.«
Das europäische Netzwerk von Amazon umfasst nach Firmenangaben zurzeit 30 Logistikzentren, davon neun in Deutschland: Werne, Rheinberg, Koblenz, Pforzheim, Leipzig, Brieselang, Graben sowie Bad Hersfeld 1 und Bad Hersfeld 2. Wenn man so toll wächst, gerade auch auf dem deutschen Markt, könnte man doch auf die simple Idee kommen, dass man dann de Kapazitäten in Deutschland erweitert und hier weitere neue Arbeitsplätze schafft:
»Zu Befürchtungen, die Abwicklung von Geschäften über Osteuropa könnte bedeuten, dass Amazon hierzulande womöglich Logistikzentren schließt, will sich der Konzern nicht äußern.«
Man könnte es auch so ausdrücken: Niemand bei Amazon hat die Absicht, die Versandzentren an den Billigstandorten der EU in Polen und anderen osteuropäischen Ländern zu konzentrieren.
Dass die neuen Versandzentren in Polen sehr wohl in einem funktionalen Zusammenhang gesehen werden müssen mit den gewerkschaftlichen „Umtrieben“ in Deutschland, kann man diesem Beitrag vom 18.07.2015 entnehmen: Die gnadenlose Effizienzmaschine hinter Amazon wird gefeiert und beklagt. Und in Polen spürt man die handfesten Folgen, wenn man ein kleines Rädchen in der großen Maschine ist. Und natürlich in einem Kontext der Arbeitskostenunterschiede zwischen Deutschland und Polen: Amazon findet in Polen Angestellte für die überwiegend sehr einfachen Tätigkeiten, die in den Amazon-Logistikzentren zu verrichten sind, zu einem Viertel des deutschen Preises: 12,50 Zloty bekommt ein einfacher Lagerarbeiter brutto in Breslau und 13 Zloty in Posen – das sind etwa drei Euro.
Doch mittlerweile hat Amazon selbst in Polen einige Probleme mit staatlichen Behörden und unzufriedenen Angestellten bekommen. Auch dort lässt man sich eben nicht mehr alles gefallen.