Die Sozialversicherung und ihre Kinder. Zur Entscheidung des Bundessozialgerichts: Keine Beitragsentlastung für Eltern

Auf so eine klare Ansage hoffen auch heute viele Eltern und ihre Vertreter mit Blick auf die beitragsfinanzierten Sozialversicherungen: »Es ist mit Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren, dass Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung, die Kinder betreuen und erziehen und damit neben dem Geldbeitrag einen generativen Beitrag zur Funktionsfähigkeit eines umlagefinanzierten Sozialversicherungssystems leisten, mit einem gleich hohen Pflegeversicherungsbeitrag wie Mitglieder ohne Kinder belastet werden.« So das Bundesverfassungsgericht in einer wegweisenden Entscheidung aus dem Jahr 2001 (Urteil vom 03. April 2001 – 1 BvR 1629/94). Und fast 15 Jahre später hat man sich erhofft, dass das Bundessozialgericht (BSG) dieser Sichtweise der Verfassungsrichter von damals folgen würde – hinsichtlich der beitragsfinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung und darüber hinaus auch für Kranken- und erneut Pflegeversicherung, also für das gesamte Sozialversicherungssystem.

Und wirft man einen Blick in das BVerfG-Urteil aus dem Jahr 2001, dann könnte man schon auf den Gedanken kommen, dass sich Parallelen herstellen lassen. Zur Verfassungswidrigkeit eines gleich hohen Pflegeversicherungsbeitrags wurde ausgeführt: »Die Erziehungsleistung versicherter Eltern begünstigt innerhalb eines umlagefinanzierten Sozialversicherungssystems, das der Deckung eines maßgeblich vom Älterwerden der Versicherten bestimmten Risikos dient, in spezifischer Weise Versicherte ohne Kinder. Dabei ist entscheidend, dass der durch den Eintritt des Versicherungsfalls verursachte finanzielle Bedarf überproportional häufig in der Großelterngeneration (60 Jahre und älter) auftritt. Die Wahrscheinlichkeit, pflegebedürftig zu werden, nimmt mit dem Lebensalter deutlich zu. Sie steigt jenseits des 60. Lebensjahres zunächst leicht an, um dann jenseits des 80. Lebensjahres zu einem die Situation des Einzelnen maßgeblich prägenden Risiko zu werden … Wird ein solches allgemeines, regelmäßig erst in höherem Alter auftretendes Lebensrisiko durch ein Umlageverfahren finanziert, so hat die Erziehungsleistung konstitutive Bedeutung für die Funktionsfähigkeit dieses Systems. Denn bei Eintritt der ganz überwiegenden Zahl der Versicherungsfälle ist das Umlageverfahren auf die Beiträge der nachwachsenden Generation angewiesen.« (Randziffer 56). Wenn entscheidend ist, dass der eintretende Bedarf überproportional häufig in der älteren Generation eintritt – ist das dann nicht gerade in der Rentenversicherung systembedingt hoch relevant?  

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Arbeitsmarkt: Frauen, die Frauen ersetzen, die Frauen ersetzen. Über globale „Care-Ketten“, „Gefühlsarbeiterinnen“ oft ohne Gegengefühl und dann diese „Wirtschaftsflüchtlinge“

Nein, das ist keine Sprachspiel, sondern eine eigene Realität, die Millionen Menschen betrifft und die in der Fachdiskussion als globale „Care-Ketten“ diskutiert wird. Gabriela Herpell berichtet darüber in ihrem Artikel Frauen, die Frauen ersetzen, die Frauen ersetzen: Weil Frauen in den Industrieländern berufstätig sind, übernehmen Frauen aus ärmeren Ländern die Fürsorgearbeiten. Ein riesiger weiblicher Wirtschaftszweig entsteht.

Und die Autorin ist selbst Teil dieser Kette: »Lidija kam nach München, als mein Sohn sechs war. Sie hat Blanca vertreten. Blancas Sohn war krank und brauchte seine Mutter. Blanca putzte schon etwas länger in München als Lidija. Bei Anwälten, Journalisten, Ärzten, Werbern, Architekten. Bei Paaren mit Kindern, allein erziehenden Müttern, Paaren ohne Kinder, und in jeder dieser Familien oder familienähnlichen Konstellationen arbeiten die Frauen.« 

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Aus den Tiefen und Untiefen des größten Pflegedienstes in Deutschland: Pflegende Angehörige. Und das, was die tun, kann krank und arm machen

Laut Planung wollte man sich eine Stunde und fünf Minuten Zeit nehmen, um am vergangenen Freitag als ersten Tagesordnungspunkt im Plenum des Deutschen Bundestags über einen wichtigen Teilbereich der Pflege zu debattieren. Es ging um die erste Beratung des von der Bundesregierung  eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Zweites Pflegestärkungsgesetz – PSG II), den man hier als Drucksache 18/5926 abrufen kann. Tatsächlich sind es dann aber eine Stunde und 43 Minuten geworden, jedenfalls ausweislich der Aufzeichnung der Debatte im Bundestag, die man hier als Video anschauen kann. Mit diesem Gesetz wird der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff in die Praxis umgesetzt. Es soll am 1. Januar 2016 in Kraft treten. Das neue Begutachtungsverfahren und die Umstellung der Leistungsbeträge der Pflegeversicherung sollen zum 1. Januar 2017 wirksam werden. Es geht also um eine wichtige Änderung in der Pflegeversicherung.

Das Bundesgesundheitsministerium erläutert: »Diese Reform nutzt allen – den Pflegebedürftigen, ihren Angehörigen und unseren Pflegekräften – denn der tatsächliche Unterstützungsbedarf wird besser erfasst. Über die Leistungshöhe entscheidet künftig, was jemand noch selbst kann und wo sie oder er Unterstützung braucht – unabhängig davon, ob jemand an einer Demenz oder körperlichen Einschränkung leidet.«

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