Wird die „Vertafelung“ unserer Gesellschaft durch eine unaufhaltsame Effizienzsteigerung auf Seiten der Lieferanten erledigt?

Eine Zeit lang war die – nur mit dem Anstieg von Umsatz und Gewinn von Apple vergleichbare – quantitative Expansion des Tafelwesens in Deutschland für die einen offensichtlicher Indikator der zunehmenden Verarmung in unserem Land, so dass man diese moderne Variante einer Suppenküche braucht, während sich die anderen kritisch abarbeiten an der angeblichen oder tatsächlichen Funktionalität der Tafeln im Sinne einer neuen „Abspeisung“ von Menschen, denen man zu geringe Sozialleistungen gewährt und die man dann auf die fast flächendeckende Versorgungsinfrastruktur der Tafeln verweisen kann, bei denen man sich ja das besorgen kann, was nicht über die staatlichen Leistungen abgedeckt werden kann. Kritische Bücher wurden über die Tafeln verfasst – allen voran von dem Soziologen Stefan Selke. In diesem Umfeld entstand eine eigene Website – Tafelforum -, allerdings ist die (wie so viele andere Webseiten auch), seit einiger Zeit in den Ruhemodus übergegangen. Und anlässlich des 20jährigen Bestehens der Tafeln in Deutschland im Jahr 2013 hatte sich sogar ein „Kritisches Aktionsbündnis 20 Jahre Tafeln“ gebildet, ebenfalls mit einer eigenen Website, die allerdings eingeschlafen ist. Nur auf der Facebook-Seite dieses Aktionsbündnisses gibt es noch sporadische Aktivitäten.

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Die „echten Helden unserer Leistungsgesellschaft“ dürfen sich freuen. Alleinerziehende werden steuerlich entlastet. Über ein dann letztendlich doch nur kümmerliches Kümmern

Im Jahr 2013 gab es in Deutschland knapp  8,1 Millionen Familien mit minderjährigen Kindern. In diesen Familien lebten insgesamt 18,6 Millionen Kinder, darunter knapp 13 Millionen Kinder unter 18 Jahren. Trotz der rückläufigen Entwicklung traditioneller Familien waren im Jahr 2013 die Ehepaare mit minderjährigen Kindern mit 70 % die häufigste Familienform. Alleinerziehende Mütter und Väter machten 20 % der Familien mit Kindern unter 18 Jahren aus. Im Jahr 1996 hatten diese Anteile noch 81 % (Ehepaare) bzw. 14 % (Alleinerziehende) betragen. So kann man es beim Statistischen Bundesamt nachlesen. Wir reden also nicht von irgendeiner unbedeutenden Randgruppe, sondern davon, dass jede fünfte Familie aus einer Ein-Eltern-Familie besteht. Wir sprechen über 1,6 Millionen alleinerziehenden Mütter und Väter.

Nun gibt es nicht „die“ Familie und eben auch nicht „die“ Alleinerziehenden. Die sind genau so bunt wie das, was man als „herkömmliche“ Familien etikettieren würde. Und auch der Status Alleinerziehende ist nichts Festes, die einen sind das sehr lange, die anderen nur für eine kurze Zeit. Die einen sind richtig alleine, die anderen haben eine Partnerschaft, aber leben formal alleine mit ihrem Kind oder den Kindern.

Was man aber sagen kann bei aller Heterogenität – nicht immer, aber in einer erheblichen Größenordnung bedeutet die Realität der Alleinerziehenden ein manifestes Armutsrisiko. Die Zahlen sind hier leider eindeutig: Fast 40 Prozent der Alleinerziehenden benötigen staatliche Grundsicherung, befinden sich also im Hartz IV-System.

Und als vor kurzem die Große Koalition ihr „Familienpaket“ der Öffentlichkeit vorgestellt hat, da war die gerade seitens der SPD geforderte steuerliche Entlastung der Alleinerziehenden gar nicht enthalten, weil der Bundesfinanzminister Schäuble (CDU) kein Cent für dieses Anliegen locker machen wollte aus dem allgemeinen Haushalt. Mit dem im parlamentarischen Verfahren befindlichen Gesetz zur Anhebung des Grundfreibetrags, des Kinderfreibetrags, des Kindergeldes und des Kinderzuschlags  sollen alle Leistungen rückwirkend zum 1. Januar 2015 angepasst werden. So soll das Kindergeld für dieses Jahr um vier und 2016 um weitere zwei Euro im Monat erhöht werden. Da haben sich schon ganz viele „normale“ Familien sicher ganz doll gefreut – vor allem die wohlhabenderen unter ihnen aufgrund der für sie relevanten Anhebung der Kinderfreibeträge. Und jetzt hat man, gleichsam in Vorwegnahme des Weihnachtsfestes mit seinen Bescherungen, auch ein Einsehen bei den Alleinerziehenden und will ihnen doch den einen oder anderen Euro zukommen lassen. Da muss offensichtlich ordentlich was bei rumkommen, wenn man solche Schlagzeilen zur Kenntnis nimmt: Bundesregierung will Alleinerziehende deutlich besser stellen, berichtet die Süddeutsche Zeitung und Spiegel Online schreibt schon etwas gedämpfter Koalition will Alleinerziehende stärker entlasten.

Und auf der semantischen Ebene überschlägt sich die Politik mit einem Anerkenntnis der oftmals schwierigen Lebenslage und der besonderen Leistungen, die von Alleinerziehenden erbracht werden müssen: So wird uns in einem Beschluss der beiden geschäftsführenden Fraktionsvorstände von Union und SPD zur Begründung für die nun beabsichtigte steuerliche Entlastung der Alleinerziehenden ausgeführt:

»… alleinerziehende Erwerbstätige würden „enorm viel“ leisten. Sie gingen „arbeiten, kümmern sich um ihren Nachwuchs und führen den Haushalt – was sich Elternpaare teilen können, schultern sie allein“. Alleinerziehende seien dabei überdurchschnittlich häufig erwerbstätig, sie verfügten im Schnitt jedoch über deutlich geringere Haushaltseinkommen als Paarfamilien und seien „überproportional von Armut betroffen“. Außerdem hätten erwerbstätige Alleinerziehende häufig hohe Kinderbetreuungskosten. Diese besondere Lebenssituation wolle die große Koalition jetzt „besser berücksichtigen“.

Und auch der Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel wird so zitiert:

»SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte am Donnerstag in Berlin, Alleinerziehende leisteten enorm viel für ihre Kinder und die Gesellschaft. „Es ist bitter notwendig und längst überfällig, ihnen mehr Unterstützung zukommen zu lassen.“«

Und die Steigerungsform von toll ist die Heldenbeschreibung des Fraktionschefs der Sozialdemokraten im Deutschen Bundestag, Thomas Oppermann, der so zitiert wird:

»SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann betonte am Rande der Klausur in Göttingen: „Wir haben immer mehr Alleinerziehende in unserer Gesellschaft.“ Diese Personen hätten eine ganz besondere „Dreifachbelastung“. Neben der Arbeit müssten sie auch beide Elternrollen garantieren. „Deshalb sagen wir, das sind echte Helden unserer Leistungsgesellschaft.“

Da wird es jetzt aber Zeit, einmal genauer hinzuschauen, was denn nun auf die Alleinerziehenden, also die echten Helden unserer Leistungsgesellschaft nach der Oppermann’schen Terminologie, zukommen soll. Man habe sich darauf verständigt, dass der Entlastungsbetrag um 600 Euro auf 1.908 Euro erhöht werden soll. Und oben gibt es auch was dazu: Der Entlastungsbetrag soll künftig auch nach der Zahl der Kinder gestaffelt werden. Für jedes weitere Kind erhöht sich der Basisbetrag von 1.908 Euro um jeweils 240 Euro. Das hört sich ordentlich an.

In einer ersten kritischen Anwandlung darf und muss man darauf hinweisen, dass der derzeitige steuerliche Entlastungsbetrag für Alleinerziehende in Höhe von 1.308 Euro pro Jahr seit seiner Einführung im Jahr 2004 nie angepasst worden ist. Er ist bis heute, 2015, eingefroren auf dem damaligen Niveau. Kinderfreibetrag und Kindergeld wurden seitdem um mehr als 20 Prozent erhöht.

Der echte Berufsskeptiker wird sich vor dem Hintergrund der Tatsache, um wie viele Alleinerziehende es in unserem Land geht, in seiner an Versprechungen grundsätzlich erst einmal zweifelnden (bzw. verzweifelnden) Grundhaltung bestätigt fühlen, wenn er herausfindet, um welches Finanzvolumen es hier geht: »Die Besserstellung der rund 1,6 Millionen alleinerziehenden Mütter und Väter wird rund 80 Millionen Euro im Jahr kosten«, so Spiegel Online in einem Artikel über den neuen großkoalitionären Beschluss. Das wären ja, umgelegt auf die Alleinerziehenden insgesamt, 50 Euro. Pro Jahr. Was aber nicht stimmt, wir wollen wenigstens hier korrekt mit den Zahlen hantieren, denn es handelt sich um eine steuerrechtliche Maßnahme und da ist der Bund nur einer der Beteiligten. So ist das auch hier, denn die 80 Mio. Euro beziehen sich nur auf das, was der Bund aufbringen muss. Berücksichtigt man die anderen Ebenen unseres föderalen Systems, dann belaufen sich die Gesamtkosten geschätzt auf etwa 200 Mio. Euro, was dann stolze 125 Euro pro Jahr und echtem Held unserer Leistungsgesellschaft, also Alleinerziehende, wären.

„Es geht hier nicht um Milliarden, sondern um 80 Millionen. Die Ministerien werden eine Lösung finden“, so wird denn auch Unions-Fraktionschef Volker Kauder. Allerdings bezogen auf die Frage, die die Buchhalter sofort aufwerfen, wo denn das Geld (also das Bundesgeld) – ob nun wenig oder viel – herkommt. Und hier werden wir – trotz der überschaubaren Summe, mit der hier hantiert wird – vertröstet, folgt man dem Beschluss zwischen Union und SPD: „Die notwendige Finanzierung aus dem Haushalt des Familienministeriums muss zwischen diesem und dem Finanzministerium vereinbart werden.“ Man achte auf die Formulierung: Klar ist eines: aus dem Haushalt des Bundesfamilienministeriums. Das war auch schon vorher die Forderung von Schäuble gewesen und Manuela Schwesig wollte das nur mit dem Geld, das für das „Betreuungsgeld“ vorgesehen ist, machen. Wir werden uns überraschen lassen.

Aber der hier wirklich entscheidende Punkt ist ein ganz anderer: Hinsichtlich einer Gesamtbewertung der beschlossenen Maßnahme trifft es diese Überschrift am besten: Nur kümmerliches Kümmern, so hat Falk Steiner im Deutschlandfunk seine Kommentierung betitelt. Und Steiner bringt es auf den Punkt:

»Denn mit der Erhöhung des Entlastungsbetrages für Alleinerziehende wird eines nicht einhergehen: wesentliche Veränderungen an der Situation jener, bei denen die Kasse tatsächlich zu knapp ist. Von finanziellen Wohltaten ist man meilenweit entfernt, bei den meisten Alleinerziehenden dürfte es sich am Ende um eine Steuerersparnis zwischen 100 und 200 Euro handeln – jährlich, wohlgemerkt. Und auch diese nur dann, wenn sie denn, nach Abzug aller Freibeträge, überhaupt über steuerpflichtiges Einkommen verfügen. Was gerade bei Alleinerziehenden mit Teilzeitjobs im unteren Einkommensbereich keineswegs selbstverständlich ist. Dort, wo das Geld von vornherein schon nicht reicht, ändert die nun so tapfer von der SPD vorgetragene Erfolgsmeldung zur Alleinerziehendenfreibetragserhöhung nichts.«

Ach ja, wie so oft in der Geschichte, kaum ist man zum Held erklärt worden, vergessen einen die Leute schon wieder, weil der nächste Held durchs Dorf getrieben wird.

Das Betreuungsgeld und seine juristische Infragestellung: Zur Berichterstattung über die Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht

Am 14.04.2015 fand die mündliche Anhörung vor dem Bundesverfassungsgericht anlässlich der Klage des Stadtstaates Hamburg gegen das Betreuungsgeldgesetz statt. Über die Hintergründe wurde in dem Beitrag Ach, das Betreuungsgeld. 150 Euro eingeklemmt zwischen dem Bundesverfassungsgericht, den nicht nur bayerischen Inanspruchnehmern, den ostdeutschen Skeptikern und logischen Widersprüche ausführlich berichtet. Ein großer Teil der Presseberichte über diese Anhörung vermittelt das Bild eines zweifelnden Senats des höchsten deutschen Gerichts: Karlsruher Richter rütteln am BetreuungsgeldVerfassungsgericht zweifelt an Rechtmäßigkeit von Betreuungsgeld, gar Juristisch durchgefallen oder – irgendwie ein wenig beleidigt daherkommend – Die Kneifer von Karlsruhe, um nur einige Beispiele aufzurufen.

Wolfgang Janisch beginnt seinen Bericht von der Anhörung in Karlsruhe so:

»Irgendwie hatte es für die bayerische Staatsregierung schon nicht gut angefangen. Zum Auftakt der Anhörung zum Betreuungsgeld stellte Vizepräsident Ferdinand Kirchhof, dem Karlsruher Ritual entsprechend, die Anwesenheit im Gerichtssaal fest – und vergaß ausgerechnet den Freistaat Bayern. Also den Hauptbetreiber des Betreuungsgeldes und, aus bayerischer Sicht, den einzig aufrechten Verteidiger.«

Und seine Wahrnehmung vom Ablauf der mündlichen Verhandlung liest sich so:

»War der Bund überhaupt zuständig für die Einführung des Betreuungsgeldes? Ein Richter nach dem anderen meldete sich zu Wort, mit Fragen, die sich am Ende zu einem lauten und nicht mehr zu überhörenden Zweifel verdichteten: Das Betreuungsgeld ist wohl eher Ländersache – der Bund hat seine Kompetenzen überschritten.«

In die gleiche Kerbe schlägt auch der Artikel Verfassungsgericht zweifelt an Rechtmäßigkeit von Betreuungsgeld:

»Die Berichterstatterin des Verfahrens, Richterin Gabriele Britz, hatte betont, für die Gesetzgebungskompetenz des Bundes müsste die Differenz der Lebensverhältnisse erheblich sein. Beispielsweise müsste der Ausbau von Kita-Plätzen in alten und neuen Bundesländern unterschiedlich stark vorangekommen sein. Verfassungsrichter Johannes Masing fragte, ob tatsächlich „problematische Entwicklungen“ zu befürchten wären, wenn das Betreuungsgeld nicht gezahlt würde.«

Allerdings gibt es – wenn man diesem Artikel folgt – auch Stimmen, die davon ausgehen, dass das BVerfG die Klage der Hamburger ablehnen wird bzw. muss:

»Staatsrechtler Ulrich Battis räumte der Hamburger Klage kaum Hoffnung auf Erfolg ein. „Ich rechne mit einer Abweisung“ … Auch der Staatsrechtler Christoph Degenhart hatte … Zweifel an dem Erfolg der Klage geäußert: Der Bund könne seine Gesetzgebungskompetenz in der Regel sehr weit auslegen, wenn es um öffentliche Fürsorge gehe.«

Insgesamt ist die Einschätzung hinsichtlich des Ergebnisses in diesem Artikel sehr zögerlich: »Mit einer Entscheidung wird in einigen Monaten gerechnet. Möglich ist, dass die Richter die Leistung kippen. Eine Tendenz ließen sie aber zunächst nicht zu erkennen.«

Da wird Dietmar Hipp in seinem Bericht unter dem Titel Juristisch durchgefallen schon deutlicher, denn so seine Wahrnehmung, »die kritischen Fragen von der Richterbank zeigten doch in eine klare Richtung: Das Betreuungsgeld war zwar 2013 das Ergebnis eines an sich nicht völlig unvernünftigen politischen Kompromisses innerhalb der damaligen schwarz-gelben Koalition … Aber gerade diese Kompromisshaftigkeit dürfte dazu führen, dass die Regelung durch die verfassungsrechtliche Prüfung fällt.« Interessant sind auch die Hinweise von Hipp auf die Verrenkungen des Kölner Staatsrechtsprofessors Michael Sachs für die Position der Bundesregierung. Der charakterisiert das Betreuungsgeld so:

»Eine „Anerkennungsleistung“ für Eltern, die diese staatliche Förderung für ihre Kinder nicht in Anspruch nehmen wollen – schließlich solle es ja auch keine „Zwangsbeglückung“ mit Kita-Plätzen geben. Politisch brachte er damit den Kompromiss auf den Punkt. Einen starken Eindruck bei den Verfassungsrichtern hinterließ das aber eher nicht.«

Das ist nun auch mehr als verständlich, denn das Betreuungsgeld – darauf habe ich schon im Vorfeld der Einführung dieser neuen Geldleistung kritisch angemerkt – durchbricht seine eigene und angebliche Logik einer „Anerkennungsleistung“ für die Eltern, also vor allem für die Mütter, denn die Leistung wird vollständig angerechnet auf eventuelle Grunsicherungsleistungen, also die Hartz IV-Eltern gehen schlichtweg leer aus.

Heribert Prantl kann in seiner Kommentierung die Enttäuschung nicht verbergen: Die Kneifer von Karlsruhe, so die Überschrift seines Textes.
Zuerst einmal muss man feststellen – auch Prantl hat bereits nach diesen ersten Stunden den Eindruck, dass die Entscheidung nur so ausfallen kann, wie sich die Gegner dieser Leistungen das erhoffen:

»Wenn es nicht unbedingt notwendig ist, ein Bundesgesetz zu erlassen, ist es unbedingt notwendig, kein Bundesgesetz zu erlassen. Dieser leicht abgewandelte Satz von Montesquieu bereitet dem Betreuungsgeld nun den Garaus: Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner mündlichen Verhandlung wenig Zweifel daran gelassen, dass der Bund für diese Materie keine Zuständigkeit hat.«

Prantl kritisiert eine Verengung des Gerichts auf die Frage, ob der Bund zuständig ist und es sieht für eine inhaltliche Prüfung keine Veranlassung.

»Karlsruhe wird also, wie es aussieht, in Sachen Betreuungsgeld eine inhaltliche, eine materiell-rechtliche Entscheidung vermeiden; es wird sich damit begnügen, eine formelle, eine Verfahrensentscheidung zu treffen. Der familienrechtlichen Grundsatzentscheidung geht Karlsruhe aus dem Weg. Nein, das ist nicht salomonisch, das ist einem Verfassungsgericht nicht angemessen. Ein Verfassungsgericht ist nicht dafür da, vor schwierigen Entscheidungen zu kneifen.«

Ach, das Betreuungsgeld. 150 Euro eingeklemmt zwischen dem Bundesverfassungsgericht, den nicht nur bayerischen Inanspruchnehmern, den ostdeutschen Skeptikern und logischen Widersprüchen

Was war das im Jahr 2013 für eine erregte Debatte. Wieder einmal ging es – typisch für viele deutsche Diskussionen – um ganz grundsätzliche Fragen des Seins und wie es sein sollte bzw. nicht sein darf. Und dann ging es auch noch um „die“ Familie, ein normativ und emotional hochgradig aufgeladenes Terrain mit vielen Fettnäpfchen, von denen man kaum alle umgehen kann. Entweder so oder anders. „Zu Hause“ oder „Fremdbetreuung“ (eine Wortschöpfung, die genau so antiquiert daherkommt und ist wie das wenig einladende „Fremdenzimmer“ im ländlichen Übernachtungswesen). Die damals anstehende Scharfstellung des Rechtsanspruchs auf einen Kinderbetreuungsplatz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr zum 1. August 2013 und die aufgeregte Diskussion über ein drohendes „Kita-Chaos“ war schon spannungsgeladen genug und wurde dann auch noch angereichert durch das ebenfalls vor der Einführung stehende „Betreuungsgeld“, dem jüngsten Sprössling in der langen Geschwisterreihe „familienpolitischer“ Leistungen. Eine überaus skurrile Geldleistung im Kanon der anderen Förderungen und Kostenerstattungen.

Und während die überschaubare Zahl an Betreuungsgeld-Befürwortern, vor allem aus der bayerischen Unionswelt, die Inanspruchnahme dieser Nicht-Inanspruchnahme-Leistung zu einer familienpolitischen Grundsatzfrage auf Leben und Tod hochstilisierte, mit der erkennbaren Absicht, bei einem Teil ihrer Wählerschaft kostengünstig (weil eine Geldleistung aus Bundesmitteln und dann auch noch in einer überschaubaren Höhe von anfangs 100, mittlerweile 150 Euro) als familienpolitischer Löwe zu punkten, wurde von der anderen Seite mit „Herd“-, „Kita-Fernhalte“- und sonstigen Prämienbegriffen provoziert. Und immer wieder das Argument, dass die anfangs 100, nunmehr 150 Euro gerade bei Familien „mit Migrationshintergrund“ oder aus „bildungsfernen“ Schichten dazu führen würde, dass die Kinder aus diesen Familien nicht in die für sie doch so gewinnbringende Kita geschickt werden, nur, um das Geld zu kassieren – eine Position, die im vergangenen Jahr scheinbar durch eine „Studie“ belegt wurde, die sofort über viele Kanäle verteilt wurde als „Beweis“ für die Richtigkeit dieser Unterstellung, obgleich sich schnell herausgestellt hat, dass diese Studie das nun gerade nicht belegen konnte (vgl. dazu meine kritische Aufarbeitung in dem Beitrag Immer diese Jahrestage. Wie wär’s mit dem Betreuungsgeld? vom 27. Juli 2014). 

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Vom Sparen am falschen Ende und einer „vorsätzlichen Gesellschaftsgefährdung“. Es geht um Sprach- und Integrationskurse für Asylbewerber und „Menschen mit einem dauerhaften oder befristeten Aufenthaltstitel“

Wer kennt das nicht, den Widerspruch zwischen Theorie und Praxis? Wir haben zahlreiche Menschen, die zu uns gekommen sind und von den viele auch längere Zeit, vielleicht sogar für immer hier bleiben werden. Und wir nehmen nicht erst seit einem Jahr Flüchtlinge auf, wir haben jahrzehntelange Erfahrungen mit der Zuwanderung von Menschen aus anderen Ländern, mit einer anderen Sprache, aus anderen Kulturen und teilweise auch ganz anderen religiösen Prägungen. Und wenn man in vielen Dingen unterschiedlicher Auffassung sein kann – eines haben diese Erfahrungen doch teilweise sehr schmerzhaft ans Tageslicht gefördert: Ein Schlüssel für einen möglichst konfliktarmen Umgang mit größeren Zuwanderungswellen ist eine möglichst gelingende Integration in das lokale Gemeinwesen und in den Arbeitsmarkt. Gerade hier hat sich die ehemals primär auf Abschreckung ausgerichtete „Ausländerpolitik“ in den vergangenen Jahren Schritt für Schritt hin zu einer Öffnung im Sinne der gut begründeten Leitlinie einer möglichst schnellen Integration der Asylsuchenden in den Arbeitsmarkt – statt ihre teilweise jahrelange Exklusion wie in der Vergangenheit – bewegt. Seit November 2014 dürfen Asylsuchende unter bestimmten Voraussetzung schon nach drei Monaten Aufenthalt in Deutschland arbeiten (allerdings gibt es in der Praxis ganz erhebliche Schwierigkeiten bei der Umsetzung der grundsätzlichen Arbeitserlaubnis, denn die bildet lediglich einen „nachrangigen Arbeitsmarktzugang“ für Flüchtlinge ab, vgl. hierzu beispielsweise den Artikel über die Situation in Berlin: Asylbewerber und Firmen verzweifeln gemeinsam am Gesetz). Unabhängig von diesen Querelen: Halbwegs ausreichende Sprachkenntnisse gelten als zentrale „Eintrittskarte“ in den Arbeitsmarkt.

Selbstverständlich ist es unabdingbar, dass die Betroffenen in der Lage sind, sich auch sprachlich in unserer Gesellschaft zu bewegen, mit den Menschen aus dem Aufnahmeland zu kommunizieren und einen Job anzunehmen. Wer kann das heute noch bestreiten? Aber das Lernen der deutschen Sprache fällt nicht vom Himmel, sondern man muss das – wie auch die gesellschaftlichen Werte und die Umgangsformen in unserer Gesellschaft – vermittelt bekommen. Genau dazu gibt es Sprach- und Integrationskurse. Also eigentlich.

Denn unter der trockenen Überschrift Geld für Deutschkurse fehlt berichtet Thomas Öchsner in der Süddeutschen Zeitung, »obwohl die Zahl der Asylsuchenden steigt, steht für entsprechende Sprachkurse immer weniger Geld zur Verfügung. Auch bei Integrationskursen für in Deutschland lebende Ausländer sieht die Bundesagentur für Arbeit … erhebliche Finanzierungslücken.«

Um wen geht es hier besonders? Sie kommen aus Syrien, Afghanistan oder dem Irak und dürfen hier bleiben, obwohl ihr Asylantrag vergeblich war. Ende 2014 lebten 533.000 abgelehnte Asylsuchende in Deutschland, 85 Prozent von ihnen haben „einen dauerhaften oder zumindest befristeten Aufenthaltstitel“, so die Bundesregierung. Und in Zukunft dürften es noch weit mehr werden. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) rechnet für das laufende Jahr mit 300.000 neuen Asylsuchenden, einige Bundesländer halten das für eine Untertreibung und gehen von bis zu 500.000 neuen Asylbewerbern aus. »Trotzdem gibt es für Deutschkurse, von denen auch Flüchtlinge profitieren können, derzeit nicht mehr, sondern weniger Geld.«
Faktisch wird gegenwärtig der Zugang von Flüchtlingen zu Deutschkursen erschwert – und wie immer muss man auch hier konstatieren: Am Gelde hängt’s:

»Erst hat die Europäische Kommission ihre Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) für Deutschland gekürzt. Dann hat die Bundesregierung ihr ESF-Budget für Sprachkurse von 310 auf 180 Millionen Euro für 2015 bis 2017 reduziert, ohne dass es bislang einen Ersatz aus nationalen Mitteln gibt. Geld für sogenannte „Vorschaltkurse“, der erste Schritt auf dem Weg zu Deutsch-Kenntnissen bis zur Stufe A1, ist aus diesem Topf deshalb keines mehr da. Die ESF-Mittel wolle die Bundesregierung „auf die Personen konzentrieren, die für eine Förderung berufsbezogener Sprachkenntnisse erforderlichen Grundkenntnisse der deutschen Sprache besitzen“ … Asylbewerber dürften dabei meist leer ausgehen.«

Und eine weitere beliebte Frage in unserer Geld-Gesellschaft lautet bekanntlich: Was würde es denn kosten? Die Bundesagentur für Arbeit (BA) schätzt hier die nötigen zusätzlichen Mittel in einem internen Papier auf 100 Millionen Euro pro Jahr, „um den Bedarf von allen Zugangsberechtigten sowie den Asylbewerbern und Geduldeten mit einer hohen Bleiberechtsquote zu decken“, so Öchsner in seinem Artikel.

Und nicht nur bei den Sprachkursen klemmt es:

»Auch bei den Integrationskursen für in Deutschland lebende Ausländer sieht die BA in ihrer internen Analyse, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, erhebliche Finanzierungslücken: Die Mittel in Höhe von 244 Millionen Euro reichten für 150.000 Teilnehmer. Zusätzlich nötig seien jährlich aber mindestens 300 Millionen Euro, um 80.000 Geduldete und 130.000 Asylbewerber mitaufzunehmen.«

Es ist vollkommen richtig, was die grüne Bundestagsabgeordnete Ekin Deligöz dazu sagt: „Es ist absurd, die Tür zum Arbeitsmarkt zu öffnen, dann aber unerlässliche Sprach- und Integrationskurse unterfinanziert zu lassen.“ Und weiter: „Wir sollten nicht die Fehler der Gastarbeiterzeit wiederholen.“

Die Bundesagentur für Arbeit bringt es in ihrer Bewertung auf den Punkt, vor allem für die, die es gerne in Geldeinheiten brauchen:

»Die Bundesagentur fürchtet enorme Folgeausgaben, wenn nichts passiert: Gebe es hier keine Lösungen, „drohen hohe Kosten für die Allgemeinheit, die Beitrags- und die Steuerzahler.“ Gelinge auf Grund fehlender Sprachkenntnisse nicht der Einstieg in den Arbeitsmarkt, sei die Alternative „häufig dauerhafter Bezug von Arbeitslosengeld II“.«

Und dann gibt es ganz sicher wieder eine Debatte über die  Asylbewerber, die eine große finanzielle „Last“ darstellen, die man den steuer- und beitragszahlenden Bürger/innen nicht mehr zumuten könne.

Fazit: Möglicherweise hat sich der Apparat verstrickt in die eigenen unübersichtlichen Finanzierungstöpfe, von denen einige gerade leer sind. Das ist aber keine Entschuldigung für ein Verhalten, das im Ergebnis nur als eine „vorsätzliche Gesellschaftsschädigung“ bezeichnet werden kann und muss. Das wird sich ohne schnelle Korrektur bald bitter rächen und wieder einmal mehr wünscht man sich ein Haftungsprinzip für Entscheidungen, die sehenden Auges gemacht werden (bzw. die man unterlässt), also wohl wissend, was man damit mittel- und langfristig anrichten wird. Aber vielleicht kommt ja noch der heilige Geist der Erkenntnis über die, die Verantwortung tragen in unserem Land.

Übrigens: Auch die aktuelle Berichterstattung ist nicht wirklich neu, schon seit längerem kann man, wenn man denn will, zur Kenntnis nehmen, was hier durch „unterlassenes Tun“ passiert und in welche Probleme wir sehenden Auges hineinlaufen. Vgl. nur als ein Beispiel meinen Blog-Beitrag Integration wollen alle. Und Integrationskurse für Migrantinnen werden gekürzt. Das passt nicht. Das gilt auch für die Existenz der pädagogischen Tagelöhner vom 27. Februar 2015. Es steht zu befürchten, dass wir es hier mit einer Fortsetzungsgeschichte zu tun haben. Leider.