Die Zahl der Empfänger von Grundsicherung im Alter nimmt (mal wieder) deutlich zu. Und was das (auch) mit der Ukraine zu tun hat

Wenn über „die“ Grundsicherung berichtet und debattiert wird, dann geht es fast ausschließlich um eines der Grundsicherungssysteme, das SGB II (Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende). Es gibt aber auch noch die Grundsicherung bei Erwerbsminderung und im Alter nach dem SGB XII, also dem Sozialhilferecht – es handelt sich um eine bedarfsorientierte und bedürftigkeitsgeprüfte Fürsorgeleistung.

Die Grundsicherung im Alter ist gleichsam das „Hartz IV“ bzw. das „Bürgergeld“ für die älteren Menschen, die nach dem Überschreitung der gesetzlichen Altersgrenze nicht mehr dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen müssen. Oftmals wird in den Medien und in der Politik (auch in Teilen der Wissenschaft) der Bezug von Grundsicherung im Alter mit „Altersarmut“ gleichgesetzt (und in der Regel mit dem Hinweis verbunden, das diese doch bei uns sehr gering sei, weil sich nur ein überschaubarer Anteil an älteren Menschen im Grundsicherungsbezug befindet), was aber eine fehlerhafte Verengung darstellt, denn das wahre Ausmaß an Altersarmut ist um ein Vielfaches größer als es die Grundsicherungsquote (im Dezember 2023 lag diese Quote bundesweit bei 3,9 %), denn zum einen haben wir (immer noch) eine erhebliche Nicht-Inanspruchnahme von ans sich zustehenden Leistungen, außerdem wird die Altersarmut bzw. das Altersarmutsrisiko richtigerweise gemessen an einem relativen Einkommensarmutsbegriff, so dass wir von einer „Armutsgefährdungsquote“ (so nennen das die Statistiker ganz korrekt) der älteren Menschen von mehr als 18 Prozent ausgehen müssen.

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Über würdige und unwürdige Arme: „Seine Kleidung soll schäbig, aber sauber, er selbst frei von Schuld an seinem Mißgeschick sein“. 1961, München

Nach Monaten des intensiven medialen Dauerfeuers auf das „Bürgergeld“ und der dabei oftmals mitlaufenden oder im Kern stehenden Infragestellung der Grundsicherung sowie einer fast schon Sehnsucht nach der harten Hand der Sanktionierung könnte ein unbefangener Beobachter der Szenerie zu dem Eindruck gelangen, dass das Deutschland des Jahres 2025 ein Hort der unberechtigt Sozialleistungen beziehenden und sich in der sozialen Hängematte ausruhenden nicht wirklich bedürftigen Menschen geworden ist, bei denen man verständlicherweise die sanktionsstaatlichen Daumenschrauben anziehen muss, um wieder Ordnung zu schaffen.

In solchen Situationen hilft zuweilen der lange Blick zurück. War das nicht schon mal alles so, wie es jetzt diskutiert wird? Ist es wirklich so, dass es früher alles besser war, selbst mit diesen „vermeintlich“ Armen? Zuweilen ist das Stöbern im Archiv durchaus erhellend. Nehmen wir als ein Beispiel das Jahr 1961. Und eine Stadt wie München.

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Der Europarat hat Deutschland einen Besuch abgestattet und beklagt ein hohes Maß an Armut und sozialer Benachteiligung

Der Europarat wurde 1949 zum Schutz von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaat in Europa gegründet. Er ist von der Europäischen Union unabhängig. Ihm gehören 46 europäische Staaten an.

Die Menschenrechtskommissarin des Europarats, Dunja Mijatović, hat vom 27. November bis zum 1. Dezember 2023 Deutschland besucht und darüber einen Bericht verfasst. Die Mitteilung des Europarates zu diesem Report ist so überschrieben: Deutschland: Menschenrechtsversprechen einlösen und den Zugang zu sozialen Rechten verbessern. »Die Regierung hat begrüßenswerte Schritte unternommen, um das Sozialsystem zugänglicher zu machen und soziale Sicherungsleistungen anzuheben. Es sind jedoch weitere Anstrengungen erforderlich, um gegen die wachsende Ungleichheit in Deutschland anzugehen, bestehende Hürden beim Zugang zu sozialen Rechten zu beseitigen und die negativen Langzeitfolgen von Armut auf die individuelle Gesundheit, Bildung und Beschäftigungsaussichten zu minimieren.« Vor allem in drei Bereichen müsse mehr getan werden.

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Ein erheblicher Anstieg der Zahl älterer Menschen in der Grundsicherung, aber (noch) kein Grund zur quantitativen Dramatisierung

»Neue Daten zeigen: Immer mehr Rentner sind auf die Grundsicherung angewiesen. Für Linken-Politiker Bartsch sind die Zahlen alarmierend«, kann man solchen Meldungen entnehmen: Immer mehr Senioren sind auf Hilfe vom Sozialamt angewiesen. »Demnach erhielten zum Ende des ersten Quartals 684.000 Personen Grundsicherung im Alter und damit so viele wie nie zuvor … Auf Jahressicht gesehen nahm die Anzahl der Fälle … um rund 90.000 zu, das ist ein Anstieg um 15 Prozent.«

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Altersarmut und die immer wiederkehrende Frage, was niedrige Renten damit (nicht) zu tun haben

In Zeiten, in denen man mit einer nicht zu bewältigenden Menge an Informationen und vor allem Meinungen geflutet wird, ist es aufmerksamkeitsökonomisch rational, mit einigen wenigen, idealerweise mit einer und dann möglichst beeindruckenden Zahl zu hantieren, die für einen kurzen Moment auf Resonanz stoßen könnte. Dabei wissen wir alle, dass sich hinter den großen Zahlen im sozialpolitischen Bereich unzählige Einzelschicksale verbergen, hinter denen dann ganz oft unterschiedliche Konstellationen stehen, die alle zwangsläufig wegdefiniert werden, wenn man komplexe soziale Sachverhalte in einer oder einigen wenigen Zahlen zu verdichten versucht. Beispielsweise in so einer Aussage aus dem parlamentarischen Raum, in diesem Fall aus den Reihen der Linksfraktion: »Fast jeder fünfte Mensch, der in Deutschland eine Altersrente bezieht, ist von Armut betroffen. Die Zahl ist in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen: von 12,6 Prozent im Jahr 2010 auf 17,9 Prozent im Jahr 2021. Besonders betroffen sind Frauen mit 19,3 Prozent.«

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