Jetzt wird es besser für die gebeutelten Wohnungssuchenden – die Mietpreisbremse kommt. Fragt sich nur, für wen was besser wird

Vier Stunden lang – angeblich bei Hühnerfrikassee und Salat – haben die Partei- und Fraktionschefs der Großen Koalition innenpolitisch relevante Themen bearbeitet. Ein Ergebnis des Gipfeltreffens ist dann so eine Schlagzeile: Union lenkt ein im Streit um Mietpreisbremse. Das hört sich nach einem guten Ausgang an für die vielen gebeutelten Wohnungssuchenden in unserem Land, die – zumindest und vor allem in den Großstädten – mit für sie immer unbezahlbarer werdenden Wohnungen konfrontiert sind. Wenn sie denn überhaupt eine finden. Die Einführung einer Mietpreisbremse wurde im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom 16.12.2013 unter der Überschrift „Bezahlbare Mieten“ als Vorhaben der Großen Koalition festgeschrieben: »Damit Wohnraum insbesondere in Städten mit angespannten Wohnungsmärkten bezahlbar bleibt, räumen wir den Ländern für die Dauer von fünf Jahren die Möglichkeit ein, in Gebieten mit nachgewiesenen angespannten Wohnungsmärkten bei Wiedervermietung von Wohnraum die Mieterhöhungsmöglichkeiten auf maximal 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete zu beschränken. Erstvermietungen in Neubauten sowie Anschlussvermietungen nach umfassenden Modernisierungen sind davon ausgeschlossen« (S. 81). 

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Die kollektiv-schöne und die individuell-willkürliche Seite der Arbeitsverhältnisse – und die Realitäten dazwischen. Oder: Was der Tarifabschluss in der Metallindustrie mit Privatdetektiven zu tun hat

In der vergangenen Wochen hat es immer wieder hier und da Warnstreiks der in der IG Metall organisierten Arbeitnehmer gegeben – und nun wurde nach fünfzehnstündigen Verhandlungen ein erstes Tarifergebnis erzielt. 3,4 Prozent mehr Geld ab April 2015 bei einer Laufzeit von zwölf Monaten, eine Einmalzahlung von 150 Euro für die drei Monate Januar bis März 2015, erste Schritte in Richtung geförderter Bildungsteilzeit sowie eine verbesserte Altersteilzeit, so lassen sich die wichtigsten Bausteine des Abschlusses für die 800.000 Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg  – mit bundesweiter Pilotfunktion – zusammenfassen. Diese Regelungen werden erwartbar gelten für die bundesweit 3,7 Millionen Beschäftigte der Metall- und Elektroindustrie. Damit sind mögliche Streiks in dieser zentralen Industriebranche vom Tisch. Die Gewerkschaft kann mit diesem Ergebnis angesichts der drei zentralen Ausgangsforderungen – mehr Geld (die Forderung belief sich auf 5,5 Prozent), eine bessere Altersteilzeitregelung und als neues Instrument die Einführung einer geförderten Bildungsteilzeit – zufrieden sein. Die Beschäftigten kommen angesichts der derzeitigen und für die kommenden Monaten erwartbar niedrigen Inflation zu einem ordentlichen Reallohnanstieg. Beim Thema Altersteilzeit sei es gelungen, den bestehenden Tarifvertrag zu verbessern.
„Die Beschäftigten in den unteren Entgeltgruppen würden besser gestellt. Sie kommen nun auf circa 90 Prozent ihres Nettoentgelts und können sich so den verdienten Ausstieg aus dem Arbeitsleben leisten“, so wird Detlef Wetzel, Erster Vorsitzender der IG Metall, zitiert. Die Arbeitgeber wollten die Anzahl der Anspruchsberechtigten reduzieren, es bleibt aber bei der bisherigen Vier-Prozent-Quote. Am wenigsten erreichen konnte die IG Metall bei der neuen Komponente einer geförderten Bildungsteilzeit. Hier konnte man die grundsätzliche Blockade der Arbeitgeberseite aufbrechen, aber noch nicht wirklich mehr. Wobei das auch nicht überraschend ist, denn der Widerstand gegen dieses neuartige Instrument auf der Arbeitgeberseite ist aus durchaus nicht von der Hand zu weisenden Gründen (noch) stark ausgeprägt und auch der Gewerkschaft war klar, dass sie ihre Mitglieder kaum zu einem großen Arbeitskampf hätte motivieren können, wenn ein Tarifabschluss nur an der Bildungsteilzeit gescheitert wäre, denn das ist auch für viele Arbeitnehmer keine Herzensangelegenheit – anders als mehr Geld und Ausstiegsoptionen vor dem Rentenalter.

Der neue Tarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie steht stellvertretend für mehrere volkswirtschaftlich und sozialpolitisch relevante Aspekte. Zum einen verdeutlicht er die Vorteile einer (noch) funktionierenden Tarifautonomie. Arbeitgeber und Gewerkschaften wissen – meistens – am besten, wo der Kompromisspunkt liegt zwischen den je für sich berechtigten Interessen der Unternehmen und der Beschäftigten, gerade bei den flächendeckenden Tarifverträgen in einzelnen Branchen wird überwiegend ein vertretbarer Kompromiss innerhalb des nie auflösbaren Dilemmas zwischen Betriebs- und Volkswirtschaft aufgrund des Doppelcharakters der Löhne ausgehandelt.

Außerdem hat die IG Metall erneut unter Beweis gestellt, dass sie eine wortgewaltig auftretende, zugleich aber auch eng an die betrieblichen Realitäten angekoppelte Industriegewerkschaft ist, die verantwortungsvoll agiert. Natürlich beschwören die Arbeitgeberfunktionäre im Nachgang, dass man unter dem Druck drohender Arbeitskampfmaßnahmen über die „Schmerzgrenze“ des eigentlich Vertretbaren hinausgehen musste, aber angesichts der Lage in der Branche insgesamt können die meisten Unternehmen sicher mit dem nunmehr gefundenen Tarifergebnis leben, ansonsten hätte es nicht so schnell eine Einigung gegeben. Ein weiterer Aspekt: Das Tarifergebnis verdeutlicht auch, wie wichtig und nützlich ein ordentlicher Organisationsgrad der Beschäftigten einer Branche in einer Gewerkschaft ist bzw. sein kann – für die Beschäftigten.

In welchem Ausmaß auch immer – aber es ist durchaus plausibel, dem vergleichsweise zu anderen Branchen (noch) hohen Kollektivierungsgrad in der Metallindustrie einen eigenständigen Anteil an den positiven Merkmalen, die diese Branche auszeichnen, zuzuschreiben: »Rund 3,7 Millionen Menschen erwirtschafteten 2013 in knapp 24.000 Betrieben einen Jahresumsatz von rund 999 Milliarden Euro. Das Jahresbruttoeinkommen der Beschäftigten beträgt im Schnitt rund 50.000 Euro. Fast immer sind die Arbeitsverhältnisse laut Arbeitgeberverband unbefristet (95,5 Prozent) und Vollzeit (93,3 Prozent). 17 Prozent der Beschäftigten sind akademisch ausgebildet und weitere 60 Prozent ausgebildete Fachkräfte. Nur noch rund ein Fünftel ist angelernt. Dieser Anteil wird weiter schrumpfen, erwarten IG Metall und Arbeitgeber«, können wir einem Artikel entnehmen. Und gerade zum letzten Punkt liefert der neue Tarifabschluss ebenfalls Belege, wie sinnvoll eine tarifliche Strukturierung sein kann, denn wenn auch die von der IG Metall geforderte Bildungsteilzeit allenfalls embryonal verwirklicht wird, so hat man sich auf der anderen Seite auf Modelle zur Weiterbildung von Un- und Angelernten verständigt.

Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) in der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hat passend zum neuen Tarifabschluss in diesen Tagen eine Analyse der Lohnentwicklung in den vergangenen Jahren vorgelegt, aus der auch die nebenstehende Abbildung entnommen wurde: Reallöhne erstmals wieder höher als im Jahr 2000. »14 Jahre hat es gedauert: Ende 2014 lagen die durchschnittlichen Bruttolöhne je Beschäftigtem preisbereinigt um 1,4 Prozent höher als 2000 … Schwierige wirtschaftliche Rahmenbedingungen und die Deregulierung am Arbeitsmarkt hatten … (in den 2000er Jahren) die Entwicklung der Arbeitseinkommen gebremst. Der Niedriglohnsektor wuchs. Am Tiefpunkt der Entwicklung im Jahr 2009 hatten die realen Bruttolöhne um 4,3 Prozent niedriger gelegen als 2000«, so die Wissenschaftler des WSI. Und dann der hier entscheidende Punkt: »Stärker sind die Tariflöhne und -gehälter gestiegen. Sie waren 2014 real um 10,9 Prozent höher als im Jahr 2000. Meist beobachteten die Experten des WSI-Tarifarchivs in diesem Zeitraum eine negative Lohndrift. Das heißt: Die Bruttoeinkommen, in die unter anderem auch die Löhne der nicht nach Tarif bezahlten Arbeitnehmer einfließen, blieben hinter den Tarifeinkommen zurück.« Diesen Befund kann man in der Abbildung sehr gut erkennen. In den vergangenen anderthalb Jahrzehnten sank die Tarifbindung. Ein wichtiger Grund dafür, dass Steigerungen bei den Tariflöhnen nur zum Teil auf die Bruttoverdienste durchschlugen, so der WSI-Tarifexperte Reinhard Bispinck.

Viele Arbeitnehmer in anderen Branchen sollten die Erfahrungen, die man hier gesammelt hat, als Anregung verstehen, sich selbst stärker (wieder) in den Gewerkschaften zu organisieren, denn nur, wenn der Organisationsgrad eine kritische Masse erreicht, können die Gewerkschaften ihre Rolle überhaupt ausüben.

Nun wird sich der eine oder die andere fragen, was denn der Tarifabschluss der IG Metall mit Privatdetektiven zu tun hat, wie es der Titel des Blog-Beitrags in den Raum stellt. Es geht dabei um ein – scheinbar – völlig anderes Thema aus der Arbeitswelt, mit dem wir in diesen Tagen konfrontiert wurden und das die individuelle Seite des Arbeitsverhältnisses in einem unangenehmen Bereich beleuchtet, also gleichsam das andere Ende des Spektrums, denn bisher haben wir uns mit der kollektiven Seite am Beispiel des neuen Tarifabschlusses auseinandergesetzt: Observation durch einen Detektiv mit heimlichen Videoaufnahmen, so trocken – wie so oft – hat das Bundesarbeitsgericht seine Pressemeldung zu einem neuen Urteil (8 AZR 1007/13) überschrieben.

Die Entscheidung der obersten Arbeitsrichter: »Ein Arbeitgeber, der wegen des Verdachts einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit einem Detektiv die Überwachung eines Arbeitnehmers überträgt, handelt rechtswidrig, wenn sein Verdacht nicht auf konkreten Tatsachen beruht. Für dabei heimlich hergestellte Abbildungen gilt dasselbe. Eine solche rechtswidrige Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kann einen Geldentschädigungsanspruch („Schmerzensgeld“) begründen.«
Zuerst ein Blick auf den konkreten Sachverhalt, der dem Urteil des BAG zugrunde liegt:

»Die Klägerin war bei der Beklagten seit Mai 2011 als Sekretärin der Geschäftsleitung tätig. Ab dem 27. Dezember 2011 war sie arbeitsunfähig erkrankt, zunächst mit Bronchialerkrankungen. Für die Zeit bis 28. Februar 2012 legte sie nacheinander sechs Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor, zuerst vier eines Facharztes für Allgemeinmedizin, dann ab 31. Januar 2012 zwei einer Fachärztin für Orthopädie. Der Geschäftsführer der Beklagten bezweifelte den zuletzt telefonisch mitgeteilten Bandscheibenvorfall und beauftragte einen Detektiv mit der Observation der Klägerin. Diese erfolgte von Mitte bis Ende Februar 2012 an vier Tagen. Beobachtet wurden ua. das Haus der Klägerin, sie und ihr Mann mit Hund vor dem Haus und der Besuch der Klägerin in einem Waschsalon. Dabei wurden auch Videoaufnahmen erstellt. Der dem Arbeitgeber übergebene Observationsbericht enthält elf Bilder, neun davon aus Videosequenzen. Die Klägerin hält die Beauftragung der Observation einschließlich der Videoaufnahmen für rechtswidrig und fordert ein Schmerzensgeld, dessen Höhe sie in das Ermessen des Gerichts gestellt hat. Sie hält 10.500 Euro für angemessen.«

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in diesem Fall: »Die Observation einschließlich der heimlichen Aufnahmen war rechtswidrig. Der Arbeitgeber hatte keinen berechtigten Anlass zur Überwachung.« Der zentrale Punkt der Entscheidung: Ohne konkreten Verdacht sei die Überwachung eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. »Dadurch sind die Rechte der Arbeitnehmer gestärkt, ebenso die arbeitsrechtliche Relevanz der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eines Arztes. Ihr ist erst einmal grundsätzlich Glauben zu schenken, solange keine Tatsachen dagegen sprechen. Für Arbeitgeber, die einen Angestellten verdächtigen, „krank zu feiern“, wird es riskanter, ihn beschatten zu lassen«, so Henry Bernhard in einem Beitrag für den Deutschlandfunk. Es ist ein heikles, gleichsam vermintes Gelände, in dem man sich bewegt. Das „Sowohl-als-auch“-Dilemma kann man dem Interview „Ein Bauchgefühl rechtfertigt keine Spionage“ mit der Arbeitsrechtlerin Monika Birnbaum entnehmen.

Heribert Prantl spricht in seiner Kommentierung Gesetz aus der Altsteinzeit von einem „erfreulich klaren Urteil“ des Bundesarbeitsgerichts. Er ordnet das so ein:

»Dieser gerichtliche Schutz ist notwendig, weil der Gesetzgeber säumig ist. Praktiken, wie sie in den vergangenen Jahren eingerissen sind, hätten längst per Gesetz verboten werden müssen. Seit den Lidl-Bahn-Telekom-Skandalen vor etwa fünf Jahren weiß die Öffentlichkeit, wovor der Datenschutz schützen muss; aber der Gesetzgeber hat nichts getan: Der Datenschutz muss davor schützen, dass Angestellte auf dem Klo und in den Umkleidekabinen ihrer Firma von Videokameras gefilmt werden. Der Datenschutz muss davor schützen, dass die Chefs den Telefon- und Telekommunikationsverkehr ihrer Angestellten umfassend und systematisch abhören, kontrollieren und auswerten lassen. Der Datenschutz muss davor schützen, dass Personalchefs Dossiers über die Macken und Krankheiten ihrer Beschäftigten anlegen.
Aber nichts davon findet man bis heute im Datenschutzgesetz. Dieses Gesetz stammt von 1977; das ist, wenn es um Informationen geht, die Altsteinzeit. Eine Transformation ins 21. Jahrhundert hat das Gesetz nie erfahren; die Novellierung von 2009 war unzureichend. Der Arbeitnehmerdatenschutz ist daher bisher eine Sache der Gerichte geblieben.«

Und damit spricht er eine wichtige Dimension an, die wiederum verdeutlicht, dass es hier einen Link gibt zum kollektiven Ende des Arbeitsverhältnisses: Der Schutz der Arbeitsverhältnisse in ihrer Gesamtheit in einem Unternehmen ist sein Thema und damit der Schutz des an sich im Nachteil befindlichen Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber. Und angesichts der tatsächlichen Überwachungsexzesse in vielen Unternehmen in den vergangenen Jahren kann man dem nur zustimmen. Keine Frage. Aber auch Prantl deutet ein grundsätzliches Problem an, wenn er schreibt: »Gewiss: Bisweilen gibt es Grund zum Misstrauen. Aber Überwachungsmaßnahmen ohne konkrete Anhaltspunkte sind und bleiben unzulässig.« Das ist ja auch die Argumentation des Bundesarbeitsgerichts. Aber was bedeutet das nun konkret – und zwar für den Arbeitgeber, der gerade nicht willkürlich einen Arbeitnehmer abstrafen will, sondern der vielleicht sogar begründet den konkreten Verdacht hat, dass ein Mitarbeiter betrügerisch handelt, in dem er oder sie eine Arbeitsunfähigkeit vortäuscht? Und seien wir ehrlich – natürlich gibt es diese Fälle, die dann übrigens nicht nur zu Lasten des Arbeitgebers, sondern auch der anderen Arbeitnehmer im Unternehmen gehen. Wann liegt denn ein „konkreter Verdacht“ vor, der eine – grundsätzlich übrigens nicht verbotene Überwachung durch einen Privatdetektiv – rechtfertigen würde?

Man darf gespannt sein, ob das in einer annähernd handhabbaren Art und Weise konkretisiert wird. Unabhängig davon zeigt sich an dieser Stelle die Sinnhaftigkeit einer gleichsam zweiten Ebene der Kollektivierung auf der Arbeitnehmerseite. Denn neben den Gewerkschaften, die auf der tarifvertraglichen Ebene unterwegs sind, gibt es – grundsätzlich – die Betriebsräte in den Unternehmen. Und die sind nach dem Betriebsverfassungsgesetz nicht nur verpflichtet, die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten, sondern auch vertrauensvoll mit dem Unternehmen zusammenzuarbeiten. Und hierzu könnte auch gehören, dass der Arbeitgeber bei aus seiner Sicht berechtigten konkreten Zweifeln am Tun eines einzelnen Arbeitnehmers zur Aufklärung des Sachverhalts mit dem Betriebsrat zusammenzuarbeiten, um den ansonsten naheliegenden Verdacht eines willkürlichen Handelns gegen eine bestimmte Person zu entkräften.

Allerdings zeigt sich an dieser Stelle wieder einmal ein Schaden der Entwicklung der vergangenen Jahre: Die Zahl der Beschäftigten und der Betriebe, in denen es einen Betriebsrat gibt, hat in den vergangenen Jahren abgenommen und immer mehr Arbeitgeber verfolgen auch aktiv die Strategie, das gesetzlich verankerte Recht, einen Betriebsrat ins Leben zu rufen, mit allen Mitteln zu blockieren. Das rächt sich dann an anderer Stelle. Man kann eben nicht alles haben.

Foto: Screenshot von der Webseite der IG Metall am 24.02.2015 

Elfenbeinturm pur: „Altersarmut existiert in Deutschland praktisch nicht“. Und dann spielt Biedermann wieder mal mit den Brandstiftern: Eine „Diktatur der Rentner“ sei ante portas

Da wird schon wieder so ein Stück aus der Mottenkiste namens Instrumentalisierung von „Wissenschaft“ inszeniert, um scheinbar seriös daherkommende, Ängste produzierende bzw. verstärkende Aussagen zu benutzen, um mit dem gesellschaftspolitischen Feuer zu spielen. Und wieder einmal fungiert die BILD-Zeitung als Regisseur des ganzen unsauberen Spiels. Die „BILD am SONNTAG“-Ausgabe vom 22.02.2015 (die Abbildung zeigt einen Screenshot des Artikels in der Online-Ausgabe) macht so richtig Stimmung und man schüttelt in einem ersten Reflex verwundert den Kopf, um dann zunehmend damit beschäftigt zu sein, Ärger und Wut zu kontrollieren. Aber zuerst der Sachverhalt: Focus Online fasst die Berichterstattung der BILD-Zeitung unter dieser Überschrift zusammen: Goldene Generation von Rentnern: „Am Ende droht die Diktatur der Alten“. Und setzt dann noch einen nach: „Altersarmut existiert in Deutschland praktisch nicht“. Das muss man erst einmal sacken lassen, denn diese – nun ja – mehr als waghalsige Aussage stammt nicht von irgendeinem dahergelaufenen Redakteur oder Volontär, sondern der – man kann diese Typisierung schon nicht mehr lesen – „Top-Ökonom“ Thomas Straubhaar habe sie vorgetragen. Für ihn stellt Altersarmut in Deutschland derzeit kein Problem dar. »Der überragende Teil der Über-65-Jährigen braucht jenseits von Rente, betrieblicher und eigener Vorsorge keinen weiteren Cent vom Staat, um über die Runden zu kommen. Den Rentnern geht es im Vergleich zu jungen Familien oder Alleinerziehenden und auch im internationalen Vergleich also rosig.“ Wie erfolgreich die deutsche Wirtschaft und der deutsche Sozialstaat in den vergangenen 60 Jahren gewesen sei, zeige sich nirgends so deutlich wie bei den Rentnern.« Dürfen wir jetzt an dieser Stelle ein Loblied auf die heutzutage viel geschmähte umlagefinanzierte gesetzliche Rentenversicherung erwarten und – was an den Kern des eigentlichen Problems heranführen würde – eine Kritik der unendlichen Geschichte der als „Reformen“ verkauften Kürzungen innerhalb des eigentlich und bislang erfolgreichen Hauptsystems der Alterssicherung in Deutschland? Das wäre ja mal was, aber darum geht es den Regisseuren dieses Dramas gar nicht, deshalb bleibt alles im Nebel, um zur eigentlichen Stoßrichtung der Inszenierung zu kommen: Panik verbreiten. Dafür bedient man sich des „Wissenschaftlers“.

In seinen Worten hört sich dass dann so an:

»Es ist dramatisch: In Deutschland kann schon heute keine Politik mehr gegen die Interessen der Senioren gemacht werden. Wer an den Privilegien der Älteren rüttelt, wird abgestraft. Wahlsiege sind nur noch mit den Stimmen der Rentner möglich. Die Große Koalition hat verstanden, dass die Chancen für eine Wiederwahl steigen, wenn sie Politik für die Älteren macht. Die jüngere Generation gerät dabei politisch in die Defensive, am Ende droht die Diktatur der Alten.«

Quel malheur – eine „Diktatur der Alten“. Da muss man doch was gegen tun. Auch hier wird die Stimme des Ökonomen, sorry, es muss natürlich richtig heißen: „Top-Ökonomen“ ins Feld geführt, denn er fordert ein Kinderwahlrecht und – jetzt nicht wirklich überraschend – ein flexibleres Renteneintrittsalter: »Erstens müsste die Regierung ein Familienwahlrecht einführen. Für jedes Kind hätten die Eltern dann eine Stimme zusätzlich. Zweitens: Nur eine Hälfte der geschenkten wunderbarerweise immer längeren Lebenszeit geht in Altersfreizeit, die andere Hälfte sollte gearbeitet werden.« Und der umtriebige Journalist Roland Tichy sekundiert in seinem Kommentar Die Rente wird dünn wie ein Pizzateig in der BILD-Zeitung und man muss einfach einen Auszug aus diesem Erguss zitieren, auch wenn das für jeden, der sich etwas mit der Materie beschäftigt, einfach nur peinlich ist:

»Weil wir immer länger leben, wird unsere erarbeitete Rente gestreckt – und dabei dünn wie ein Pizzateig. Damit der nicht zu dünn ist, müssen wir länger arbeiten. Das ist gemein, aber ist es wirklich schlimm?
Mal ehrlich: Die Kinder der Generation Zahnspange mussten nie frieren – außer im Skilift. Sie haben nie gehungert – außer bei der Frühjahrsdiät. Und sie stemmen freiwillig in der Muckibude Gewichte – weil körperliche schwere Arbeit Gott sei Dank eher selten geworden ist.
Wir sind so fit wie nie zuvor. Die heute 70-Jährigen sind geistig, biologisch und gesundheitlich so gut drauf wie die 50-Jährigen damals, 1960. Mal ehrlich: Längst nicht alle, aber viele Frührentner von heute wissen doch oft gar nicht wohin mit ihrer Kraft, Lebenslust und Energie. Das ist einer der Gründe, warum heute nicht mehr die Studenten demonstrieren, sondern die Grauen, von Stuttgart 21 bis Dresden-Pegida.
Und es wird immer besser: Die Kinder des Jahres 2000 werden fast alle 100 Jahre alt, sagen die Forscher übereinstimmend. Das ist die gute Nachricht. Aber mit 62 in Rente und bis 100 Rente kassieren – diese Rechnung wird nicht aufgehen.«

Nur eine – entnervte – Anmerkung: Auch hier taucht wieder völlig losgelöst die falsche Behauptung auf, dass die Kinder des Jahres 2000 fast alle 100 Jahre alt werden, „sagen die Forscher übereinstimmend“. Dass das schlichtweg nicht stimmt, habe ich an anderer Stelle schon ausgeführt (vgl. dazu den Beitrag Weil der Riester-Mensch durchschnittlich hundert Jahre alt wird und weil er die FAZ liest, kann er sicher glauben, dass sie sicher ist, die (Riester)-Rente vom 27.10.2014).

Aber hier soll es vor allem um die frei nach dem Motto „Frechheit siegt“ vorgetragene Behauptung des Top-Ökonomen gehen, es gebe in Deutschland keine Altersarmut. Das nun ist gelinde gesagt eine ordentliche Verdrehung der Tatsachen. Hierzu beispielsweise der Beitrag Sie wächst und wird weiter wachsen – die Altersarmut. Neue bedrückende Zahlen am Anfang einer bitteren Wegstrecke vom 04.11.2014. Dort kann man lesen:

»Fast genau eine halbe Million Menschen sind es, die in den Statistiken auftauchen als Empfänger von Leistungen der Grundsicherung für Ältere nach SGB XII, also dem „Hartz IV“ eigener Art für ältere Menschen … Innerhalb der vergangenen zehn Jahre hat sich die Zahl der älteren Grundsicherungsempfänger schlichtweg verdoppelt. Und man muss an dieser Stelle sogleich anfügen: Es handelt sich hier um die Älteren, die auch tatsächlich Leistungen beziehen – wenn es um das Thema Altersarmut geht, dann müsste man natürlich noch die älteren Menschen hinzuzählen, die eigentlich Anspruch hätten auf die Grundsicherungsleistungen, diese aber aus ganz unterschiedlichen Gründen faktisch nicht in Anspruch nehmen. Dabei handelt es sich um keine kleine Gruppe.

Es geht hierbei um das Problem der „verdeckten Armut“. Die Verteilungsforscherin Irene Becker hat dazu 2012 einen Beitrag publiziert, in dem sie die Ergebnisse einer Untersuchung vorgestellt hat, die der Frage nachgegangen ist, wie sich die verdeckte Armut unter Älteren seit der 2003 erfolgten Einführung der „Grundsicherung im Alter“ entwickelt hat … Aus den Zahlen der repräsentativen Befragung ergibt sich: Von gut einer Million Menschen ab 65 Jahren, denen damals Grundsicherung zustand, bezogen nur 340.000 tatsächlich Leistungen. Die „Quote der Nichtinanspruchnahme“, so der technische Begriff für die Dunkelziffer der Armut, betrug 68 Prozent.«

Dass bereits heute Altersarmut ein reales Problem ist, kann man beispielsweise solchen Kommentaren entnehmen: Die Koalition vergisst die armen Alten, so Katharina Schuler: »Neue Zahlen belegen: Die Altersarmut in Deutschland nimmt zu. Doch ausgerechnet zu diesem Problem gibt es von der Koalition bisher kaum mehr als ein Lippenbekenntnis.« Oder Die Alten werden immer ärmer oder Altersarmut nimmt in Deutschland zu.

Und dass in Zukunft die Altersarmut – ceteris paribus – kontinuierlich ansteigen wird, worauf die BILD-Berichterstattung ja auch durchaus richtig hinweist, hängt primär mit den politischen, also von Menschenhand gemachten Eingriffen des Staates in das Alterssicherungssystem zusammen, den so genannten „Rentenreformen“, vor allem seit denen der damaligen rot-grünen Bundesregierung Anfang des Jahrtausends. Nur hält die BILD-Zeitung sich an diesen Tatsachen nicht auf, die Leser könnten ja auf die durchaus naheliegende Idee kommen, dass man politische Entscheidungen auch wieder politisch verändern könnte. Auf diese Spur will man die Leute nicht setzen, sondern das eigentlich Ziel ist die Konstruktion eines Generationenkonfliktes, das Herbeischreiben gar eines Kriegs der Generationen, der unvermeidlich auf uns zuzukommen scheint.

»Millionen heutiger und künftiger Rentnerinnen und Rentner bezahlen für den zur Jahrhundertwende vorgenommenen Paradigmenwechsel in der Alterssicherung mit einem stetig sinkenden Versorgungsniveau«, so der ausgewiesene Rentenexperte Johannes Steffen im November des vergangenen Jahres vor dem Hintergrund des damals veröffentlichten Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung (»Drei-Säulen-Modell« der Alterssicherung ist gescheitert. Trotz geförderter Privatvorsorge keine Lebensstandardsicherung. Auf der Website „Portal Sozialpolitik“ von Johannes Steffen finden sich zahlreiche fundierte Materialien zu dieser Thematik).

Und das eine zunehmende Altersarmut – wie gesagt: ceteris paribus – sicher ist, verdeutlichen auch andere, wissenschaftliche Bestandsaufnahmen zum Thema: »Das Einkommen im Alter hängt von der Erwerbshistorie, den politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und vom Haushaltskontext ab. Die langfristige Abschätzung von Einkommensrisiken im Alter ist schwierig. Bereits heute zeichnen sich allerdings bestimmte Risikogruppen ab. Langzeitarbeitslosigkeit oder Niedriglohnbeschäftigung, die schon in der Erwerbsphase ein Armutsrisiko darstellen, wirken kumuliert im Ruhestand fort. Zugleich werden die Einkommen aus der GRV nicht mehr ausreichen, um das Einkommensniveau im Ruhestand zu erhalten.« So eine Schlussfolgerung in der Analyse Zukünftige Altersarmut von Johannes Geyer vom DIW Berlin aus dem Sommer des vergangenen Jahres.

Aber um Fakten und seriöse Diskussionen geht es dem „Top-Ökonomen“ und vor allem der BILD-Zeitung nicht. Hier soll Stimmung gemacht werden. So, wie man an anderer Stelle gerne Arme gegen Noch-Ärmere aufzuhetzen versucht, sollen hier „Jüngere“ gegen „Ältere“ in Stellung gebracht werden. Es bleibt nur zu hoffen, dass dieses miese Manöver als solches erkannt wird. Und noch besser wäre es, wenn man dann endlich seriös und mit Blick auf die Betroffenen von der real existierenden wie auch der erwartbaren Altersarmut sprechen kann in diesem Land.

Foto: Screenshot von der BILD-Online-Seite am 22.02.2015