Die Entsorgung der Flüchtlinge. Über das Arbeiten an einem Asyl als Fata Morgana

In Deutschland streitet man wieder – über Zahlen, Zuständigkeiten für hinter den Zahlen stehende Menschen und natürlich eigentlich über Finanzen: Bundesregierung lehnt mehr Geld für Flüchtlinge ab, so eine der vielen Überschriften aus dem föderalen Gerangel:

»Die Appelle von Ländern, Kommunen und der Opposition haben nichts gebracht: Die Bundesregierung will nicht mehr Geld ausgeben, um Flüchtlinge besser zu versorgen … Über die für 2015 und 2016 zugesagte eine Milliarde Euro hinaus werde es keine finanzielle Unterstützung geben.«

Die Bundesländer befürchten, dass der Zustrom von Flüchtlingen in diesem Jahr wegen der Krisen und Kriege in der Welt wesentlich größer wird als vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) prognostiziert. Das BAMF geht bislang für 2015 von 300.000 Asylanträgen aus. Schleswig-Holstein rechnet 2015 bundesweit mit mehr als einer halben Million Asylanträgen. Die Bundesländer wiederum stehen unter Druck ihrer Kommunen. So fordert der Deutsche Städte- und Gemeindebund: »Die Länder müssten „sofort die Zahl ihrer Erstaufnahmeeinrichtungen weiter erhöhen“, damit eine ordnungsgemäße spätere Verteilung auf die Kommunen möglich sei.« Das alles kostet Geld.

Aber die hier zum Ausbruch kommenden Verteilungskonflikte sollen gar nicht im Mittelpunkt dieses Beitrags stehen. Es geht um etwas anderes, um eine grundsätzliche, ja, um eine zivilisatorische Grundfrage der Flüchtlingspolitik. Es geht um eine – zuspitzend formuliert – „Entsorgung der Flüchtlinge“ weit vor den europäischen Festungsmauern. Und wie so oft in der Geschichte gibt es zahlreiche funktional wirkende Aspekte, die das zu einer wahrscheinlichen Variante werden lassen, wenn auch über einen längeren Prozess. Der aber schon begonnen hat und sich immer mehr in das Gebilde der Flüchtlingspolitik Europas hineinfrisst. Dabei geht es auch (aber letztendlich nicht nur, weil nur instrumentell zu verstehen) um Lagerbildung, deren erste Ausformungen bereits erkennbar sind und für deren nächsten Entwicklungsschub derzeit geworben wird auf der Sonnenseite der Welt, also bei uns. Heribert Prantl hat das, was hier zum Thema gemacht werden muss, hart, aber treffend in seinem Kommentar Asyl als Fata Morgana so formuliert: »Man wünschte, es wäre eine sarkastische Glosse. Doch die EU will tatsächlich Staaten wie Ägypten und Tunesien als Abschrecker anheuern. Sie sollen Bootsflüchtlinge abfangen, bevor diese Europa erreichen. Es ist die Globalisierung einer elenden Politik.«

Was Prantl in seinem Kommentar umtreibt, ist aus einer anderen, zynisch-funktionalen Perspektive eine logische, mithin notwendige Konsequenz aus dem Scheitern des Bisherigen an den Grenzen und in der EU:

»Sie will jetzt „einen echten Abschreckungseffekt produzieren“: Nachdem Radar- und Satellitenüberwachungssysteme, nachdem Grenzsicherungsmaßnahmen an den Außengrenzen die Flüchtlinge nicht abhalten konnten, nachdem auch die schäbige Behandlung vieler Flüchtlinge, die die Flucht ins Innere der EU geschafft hatten, nicht abschreckend genug war, will die EU nun Abschrecker anheuern: Staaten wie Ägypten und Tunesien, die nicht gerade für Rechtsstaatlichkeit bekannt sind, sollen dafür bezahlt werden, dass sie die Bootsflüchtlinge abfangen und in ihre eigenen Häfen transportieren.«

Und wie immer bei den besonders zynisch daherkommenden Abwehr- und Abstoßungsaktionen im gesellschaftlichen Bereich versucht man das Ganze dann auch noch a) semantisch einzupudern und b)   die Drangsalierung der Betroffenen im Ergebnis als besonders liebevolle Tat erscheinen zu lassen:

»Man nennt diese Auftragsabschreckung „stellvertretenden Flüchtlingsschutz“. Und das ganze Unterfangen läuft unter der Überschrift „praktizierte Humanität“ – weil die Flüchtlinge davon abgehalten würden, „den gefahrvollen Weg über das Mittelmeer zu riskieren“, wie es immer wieder heißt.«

Und wenn Prantl anmerkt, dass die EU dafür zahlt, dass das Asyl (oder das, was davon übrig bleibt) dort hinkommt, wo der Flüchtling herkommt, dann soll Asyl in Europa zu einer Fata Morgana werden: schön, aber unerreichbar. Und das passt dann auch zu den seit längerem zirkulierenden Vorschlägen, in den nordafrikanischen Staaten „Auffanglager“, sorry: „Asylzentren“ zu schaffen, wo die Flüchtlinge Asyl in Europa beantragen können sollen. Angeblich. Auch Prantl sieht diese mögliche Linie, wenn er schreibt: »Womöglich lässt man die Flüchtlinge von den ägyptischen oder tunesischen Sicherheitsorganen in die nordafrikanischen „Flüchtlingslager“ transportieren, über deren Errichtung jüngst wieder diskutiert worden ist.«

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) ist ein bekennender Anhänger dieses Ansatzes (so hat er – auch wieder so ein Orwellsches Neusprech in diesem Kontext – sogenannte „Willkommenszentren“ in Nordafrika, die vom völlig unterfinanzierten Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) betrieben werden sollen, ins Spiel gebracht) und er ist zugleich ein erklärter Gegner des Kirchenasyls in Deutschland (und wenn man einen Moment nachdenkt, dann kann man durchaus nachvollziehen, dass zwischen diesen beiden scheinbar unabhängigen Punkten ein innerer Zusammenhang besteht).

Für Prantl ist der Vorschlag Ausdruck für eine Globalisierung einer elenden Politik: »Aus den Augen, aus dem Sinn. Aus den alten Kolonialländern werden nun neue. Sie werden eingespannt zur Flüchtlingsentsorgung … Die Europäer finanzieren, die anderen sollen parieren.«

Und auch seine abschließende Bewertung muss an dieser Stelle wortwörtlich zitiert werden, drücken sie doch in aller Prägnanz aus, was da ablaufen würde, wenn es denn so kommt:

»Erst werden die Flüchtlinge Opfer von Schleppern, die ihnen das Geld abnehmen; dann werden sie Opfer von europäischen Rechtsstaaten, die ihnen kein Recht gewähren – und schließlich Opfer von nordafrikanischen Staaten, die für Europa die Drecksarbeit erledigen. Das ist die Flüchtlingspolitik des Friedensnobelpreisträgers EU.«

Das alles ordnet sich ein in eine überaus wirkkräftige Logik in Richtung Lagerbildung. Nun wird der eine oder die andere an dieser Stelle stirnrunzelnd einwenden, ob das nicht zu weit geht, eine Phase der Lagerbildung vorherzusehen bzw. Teilen der Politik vorzuwerfen, dass sie in diese Richtung zu marschieren gedenken. Diesem Zweifel kann man zumindest die ersten Ausformungen einer lagerbasierten Flüchtlingspolitik gleichsam als Indiz entgegenhalten.

So berichtete das Politikmagazin „Report Mainz“ in seiner Sendung am 17.02.2105 unter der Überschrift Asylhölle Ukraine. Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa verschwinden über Jahre in ukrainischen Gefängnissen:

»Seit Jahren unterstützt die EU die Ukraine mit Millionenbeträgen, um Gefängnisse für Migranten aus- und aufzubauen. Gleichzeitig schickt sie Flüchtlinge, die es doch über die Außengrenzen in die EU geschafft haben, einfach zurück. Damit soll die so genannte Ost-Transitroute in die EU dichtgemacht werden – auf Kosten der Schutzsuchenden.«

Dazu auch der Artikel Abschiebung zu Folterern von Jana Frielinghaus. Die Flüchtlinge werden in ukrainische Gefängnisse – die von der EU kofinanzert werden – bis zu einem Jahr unter unwürdigen Bedingungen interniert. Und teilweise auch gefoltert. Es handele sich um Tausende Menschen, die in der Ukraine mit Wissen und Unterstützung von EU-Verantwortlichen wie Gefangene behandelt würden. Und auch hier wieder die elenden sprachlichen Reinwaschungsversuche. Mit den Vorwürfen konfrontiert erklärte die EU-Kommission in Brüssel lediglich, »die Gelder dienten dazu, die „Standards“ in den Gefängnissen zu verbessern.« So kann man das auch ausdrücken.

Und auch an anderen Stellen und vor allem Grenzgegenden trifft man auf Lager. Dazu sei hier nur auf die multimediale Reportage Europas tödliche Grenzen hingewiesen: »Spanien-Marokko, Griechenland-Türkei, Ungarn-Serbien: Orte entlang dieser drei Grenzen zeigen, mit welch rabiaten Methoden sich Europa gegen Arme und Schutzsuchende abschottet. SPIEGEL-Reporter Maximilian Popp und Fotograf Carlos Spottorno reisten zu Schutzzäunen und in Auffanglager, sie begleiteten Patrouillen auf See und trafen Flüchtlinge, die alles riskieren für eine Zukunft in Europa.«

Und abrundend ein Blick auf die Entwicklungsgeschichte der neueren deutschen Flüchtlingspolitik, die bei grober Zuspitzung sehr wohl ein gewisses Muster, eine bestimmte Richtung erkennen lässt, was man auf diese Formel bringen kann:

Abschottung durch die Konstruktion „sicherer Drittstaaten“ um uns herum => Verlagerung der Abschottungsversuche gegen die neueren Flüchtlingswellen an die Außengrenzen der EU und Herausbildung von Frontex => möglicherweise als nächste Phase das Outsourcing der Abschottungsversuche in das Nirwana hinter den natürlichen Außengrenzen der EU, vor allem jenseits des Mittelmeers, einhergehend mit dortiger Lagerbildung und „Rückführungsaktionen“

Und wenn man studieren will, welche Ausformungen dieses Abstoßungsdenken und -handeln annehmen kann, dann sei an dieser Stelle auf Australien verwiesen, wo sich eine unglaubliche Verrohung hinsichtlich der Flüchtlingspolitik in breite Teile der Gesellschaft gefressen hat. Dazu beispielsweise mit aller Schärfe schon in der Überschrift der Artikel Australien – der Folterstaat: »Kein westliches Land geht mit Asylsuchenden härter um als Australien: Verstümmelungen und Selbstmorde sind in den Lagern Alltag. Selbst Kinder leben hinter Stacheldraht, dem Wahnsinn nahe. Und das Volk klatscht Beifall.« Oder der Artikel Für eine zivilisierte Nation völlig unwürdig: »Kinder von asylsuchenden Flüchtlingen werden auf dem Fünften Kontinent eingesperrt und misshandelt. Das Leben in den Lagern sei „durchaus bewusst unangenehm und brutal“. Eine Schande.«

Und Australien gehört bekanntlich zur westlichen „Wertegemeinschaft“.

Die Geschlechter und ihre Löhne. Einige Gedanken und kritische Anmerkungen zum „Equal Pay Day“ im April 2015

Wieso denn „Equal Pay Day“ im April 2015, wird die eine oder der andere jetzt erstaunt fragen? Der war doch schon am 20. März, überall gab es an diesem Tag Aktionen und selbst die Gesetzgebungsmaschinerie soll angeworfen werden, nach der Frauenquote (für Aufsichtsräte von einigen wenigen börsennotierten Konzernen) will die Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) noch in diesem Jahr die gleiche Entlohnung von Frauen und Männern in einem „Entgeltgleichheitsgesetz“ festschreiben. »Die Politik habe zu lange zugeschaut, jetzt müsse gehandelt werden«, so wird die Ministerin zitiert. Um die Gehaltsunterschiede offenzulegen, wolle sie ein Auskunftsrecht gesetzlich verankern und Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern verpflichten, gerechtere innerbetriebliche Strukturen zu schaffen. Und das Thema scheint wirklich auch im medialen Mainstream angekommen zu sein – wenn man das daran messen möchte, dass selbst Günther Jauch seine Talksendung am 22.03.2015 unter den Titel Der ungerechte Lohn – warum verdienen Frauen weniger? Gleicher Lohn für gleiche Arbeit? Von wegen! gestellt hat.

In vielen anderen Medien wurde über die Geschlechter und ihre Löhne berichtet – beispielsweise im Radio: Lohntransparenz – Hat der Wert der Arbeit ein Geschlecht?, fragt etwa der Deutschlandfunk in einer Hintergrundsendung. Auch der Hessische Rundfunk hat sich auf die Suche gemacht: Zahlemann und Töchter – Warum Frauen weniger verdienen, so der Titel einer Sendung zum Thema. Aber sortieren wir in einem ersten Schritt einmal die Fakten – und korrigieren dann auch noch das „wahre“ Datum des „Equal Pay Day“ – der eigentlich erst auf den 11. April dieses Jahres zu terminieren wäre.  Um die ganze Sache dann noch so richtig zu verkomplizieren, könnte man darauf hinweisen, dass zum einen (ausgehend von 7 statt 22 Prozent Lohnlücke) der Equal Pay Day viel früher im Jahr hätte angesetzt werden müssen – oder aber man hätte das Datum deutlich nach hinten verlängert müssen, wenn man ihn von einem „Gender Pay Gap Day“ zu einem „Gender Income Gap Day“ erweitern würde, was auch schon vorgeschlagen wurde. Alles klar? Ein offensichtlich echtes Durcheinander, dass einer Aufdröselung zugeführt werden muss. 

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Die Pille umsonst. Für Hartz IV-Empfängerinnen. Bis zum 27. Lebensjahr. Scheinbar eine gut gemeinte Forderung aus Bayern

Immer wieder sollte man etwas länger nachdenken, bevor man seiner Freude über eine Forderung – die „sozial“ daherkommt – Ausdruck verleiht. Und eine zustimmend-wohlwollende Reaktion wird bei vielen diese Meldung auslösen: CSU für kostenlose Pille an Hartz IV-Empfängerinnen. »Die CSU fordert kostenlose Verhütungsmittel für bedürftige Frauen. Bis zum 27. Lebensjahr sollen Hartz IV-Empfängerinnen die Pille oder andere Verhütungsmittel auf Rezept erhalten, sagte die Frauen-Unions-Vorsitzende Angelika Niebler am Samstag bei einem kleinen CSU-Parteitag in Bamberg. Damit soll die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche reduziert werden.«

Es gab unter den CSU-Bundestagsabgeordneten auch Widerstand gegen den letztlich erfolgreichen Antrag der Frauen-Union: „Die CSU ist die Partei der Familie“, sagte der schwäbische Abgeordnete Stephan Stracke. „Partei der Familie heißt Ja zu Kindern.“ Doch dieses Argument überzeugte die Mehrheit offensichtlich nicht, kann man der Meldung entnehmen.

Bei vielen wird diese Forderung deshalb auf positive Resonanz stoßen, weil die Hartz IV-Empfänger nun wirklich jeden Cent umdrehen müssen und dadurch entlastet werden könnten – wenn auch nur bis 27 Jahre, danach sollen sie wieder zahlen, obgleich man auch nach diesem Alter schwanger werden kann. Das ist schon eine erste Merkwürdigkeit, die mit der Forderung der CSU-Frauen einhergeht. Aber vielleicht lohnt es sich, hier einmal innezuhalten und grundsätzlich nachzudenken. Da könnte man auf einige kritische Gedanken kommen.

Forderungen haben oft eine subkutan wirkende Botschaft, einen Subtext, der oft im Unbewussten seine Wirkung richtig entfaltet. Und als eine solche Sub-Botschaft kann man die erneute Selektion von „Hartz IV-Empfängern“  für eine Sonderregelung verstehen. Ganz offensichtlich sieht man bei dieser Personengruppe den Bedarf, eine mögliche Schwangerschaft zu vermeiden – übrigens unter Zuhilfenahme von Verhütungsmitteln, was innerhalb der katholischen Kirche bekanntlich nicht unumstritten ist, um das einmal vorsichtig auszudrücken – und der eine oder die andere könnte auf den Gedanken kommen, dass dahinter auch die Vorstellung steht, dass  die Verhinderung einer Schwangerschaft von Hartz IV-Empfängerinnen irgendwie ein anstrebenswertes Ziel sein könnte.

Man darf und muss an dieser Stelle daran erinnern, dass es in der gesellschaftspolitischen Diskussion in diesem Land immer wieder nicht nur soziologisch-deskriptiv gemeinte Typisierungen nach der sozialen Lage gibt, sondern Begrifflichkeiten wie „bildungsferne“ Schichten bzw. „Unterschichten“ oder „kinderreiche Migrantenfamilien“ sehr oft leider auch in einem normativen und d.h. in diesem Kontext abwertenden Zusammenhang verwendet werden. Man denke an dieser Stelle beispielsweise an die hochproblematische Kollektivhaftung, in die sämtliche Harz IV-Empfänger genommen wurden, die Kinder haben, als es um die Frage ging, ob die Regelleistungen für die Kinder erhöht werden sollten – nicht wenige Politiker und auch Medienvertreter haben damals so argumentiert, dass das Geld gar nicht bei den Kindern ankommen würde, weil die Eltern es zweckentfremden würden, beispielsweise für Alkohol oder Zigaretten. Und völlig unbeschadet der mittlerweile vorliegenden empirischen Evidenz über das tatsächliche Verhalten von Eltern im Harz-IV-Bezug gegenüber ihren Kindern, dass in der allergrößten Zahl der Fälle dadurch gekennzeichnet ist, dass die Eltern eher auf die eigenen knappen Ressourcen zurückgreifen, um ihren Kindern an der einen oder anderen Stelle noch etwas zu ermöglichen, war die angesprochene Unterstellung, dass die Geldleistungen gar nicht bei den Kindern ankommen, ein wichtiger Begründungsstrang für die Implementierung von – nicht nur konzeptionell fragwürdigen, sondern auch grotesk niedrig ausgestatteten – Sachleistungen.

Und ein weiteres Beispiel sei an dieser Stelle in Erinnerung gerufen: Bei der Einführung der so genannten „Mütterrente“ wurde seitens der Regierung, hierbei vor allem der Unionsparteien, argumentiert, dass die höhere Bewertung von Kindererziehungszeiten für Kinder, die vor 1992 zur Welt gebracht worden sind, dadurch legitimiert sei, weil man die „Lebensleistung“ der – im Regelfall – anspruchsberechtigten Mütter dadurch honorieren möchte. Nun könnte man auf den – völlig logischen – Gedanken kommen, dass diese Begründung auch für Frauen gilt, die damals Kinder zur Welt gebracht haben, heute aber Grundsicherungsleistungen beziehen (müssen), weil ihre Rente vorne und hinten nicht reicht. Dem ist aber nicht so, wie  viele Rentnerinnen frustrierend zur Kenntnis nehmen mussten, denn die an sich höhere Rentenleistung aus der „Mütterrente“ wird vollständig verrechnet mit den Ansprüchen auf Grundsicherungsleistungen, so dass sich am Ende ein Nullsummen-Spiel ergibt. Vgl. dazu auch meinen Blog-Beitrag vom 10.01.2015: „Mütterrente“: Wenn die scheinbaren Spendierhosen in der Realität zu heiß gewaschen werden, dann laufen sie ein.
Auch beim so genannten „Betreuungsgeld“ sind wir mit einer Sonderbehandlung der Hartz IV-Empfänger konfrontiert: Mit dieser Leistung – so die offizielle Begründung – wolle man die Erziehungsleistungen (vor allem) der Mütter, die zuhause bleiben und ihr Kind nicht in eine Kindertageseinrichtung oder in die öffentlich geförderte Kindertagespflege geben, honorieren. Bei den Empfängerinnen von Leistungen der Grundsicherung gilt dies offensichtlich nicht, denn das in Anspruch genommene Betreuungsgeld wird hier ebenfalls in Anrechnung gebracht.

Diese ausgewählten Beispiele zeigen, dass die Menschen, die im Hartz IV-Bezug sind, an vielen Stellen einer Sonderbehandlung zu ihren Ungunsten unterworfen werden.

Bei den genannten Beispielen handelt es sich im Ergebnis immer um Entscheidungen, die dazu führen, dass die Betroffenen von der Inanspruchnahme anderer Leistungen exkludiert, also ausgeschlossen werden. Bei der CSU-Forderung nach einer kostenlosen Abgabe von Verhütungsmitteln für Hartz IV-Empfängerinnen bis zum 27. Lebensjahr scheint es sich aber – nur auf den ersten Blick – um das Gegenteil zu handeln, also dass man den Betroffenen etwas zusätzlich ermöglichen möchte. Im Ergebnis könnte sich allerdings erneut eine überaus problematisch wirkende Exklusion ergeben, in dem Sinne nämlich, dass wieder einmal zum Ausdruck gebracht wird, dass die Betroffenen letztendlich eben doch nicht so „wertvoll“ sind wie andere, die nicht auf diese Leistungen angewiesen sind. Damit würde im Ergebnis der vielfältigen und häufig unter der Oberfläche, damit aber überaus nachhaltig wirkenden Abwertung einer Personengruppe weiter Vorschub geleistet werden.

Manchmal wäre es wesentlich angebrachter, auf eine scheinbar begünstigende Sonderregelung zu verzichten, um zu vermeiden, dass in der Folge ein hoher Preis zu zahlen ist, der weit über dem liegt, was eine Pillenpackung heute kostet.