Die Bayern (wollen) kommen. Genauer: Die CSU. Mit einem bayerischen Familiengeld. Für alle. Wenn da nicht – auch und gerade – die Bayern in Berlin wären

Man kann es wirklich. Man kann sein Leben verbringen mit der Exegese der Leistungsvoraussetzungen und Bezugsbedingungen im deutschen Sozialstaat. Wer bekommt wann welche Leistung und wie viel über welchen Zeitraum und wann aus welchen Gründen nicht – der Stoff, aus dem sich sozialpolitische Alpträume speisen. Und zwangsläufig verheddern sich die Akteure in diesem nur historisch nachvollziehbaren Regelungswirrwarr. Das gilt auch für die Politiker, vor allem, wenn sie – wohlwollend interpretiert – wirklich einmal versucht sein sollten, etwas einfacher und unbürokratischer auszugestalten,  bzw. wenn sie eine Leistung in die Welt bringen möchten, die der „einfache“ Bürger (= Wähler = entsprechende Wahlentscheidung) auch versteht und wohlwollend zur Kenntnis nehmen kann.

Und am 14. Oktober 2018 wird wieder einmal gewählt – diesmal der neue Landtag in Bayern. Bei der letzten Landtagswahl in Bayern am 15.09.2013 kam die CSU dort auf 47,7 Prozent der Stimmen. Das waren noch Zeiten für die nach eigenem Selbstverständnis bayerische „Staatspartei“ CSU. Denn wirft man einen Blick auf die aktuellen Umfrageergebnisse seit Anfang Juli dieses Jahres, dann werden dort Werte um die 38 Prozent ausgewiesen, was natürlich ein gewaltiger Absturz für die CSU wäre, sollte es so kommen. Da muss man natürlich was tun, um die Gunst der (potenziellen) Wähler wieder auf die bereits bei den letzten Bundestagswahlen mit mehr als 7 Prozent weniger Zweitstimmen gebeutelte Partei zu lenken. 

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Eine Studie zu einem mittlerweile toten Pferd: das Betreuungsgeld. Es hatte nur einen begrenzten Effekt

Das Deutsche Jugendinstitut (DJI) hat zusammen mit der Technischen Universität Dortmund die amtlichen Daten zu den Betreuungsgeldbeziehern zusammengestellt und ausgewertet. Wer hat das Geld beantragt und warum? Der Bericht, der vom Familienministerium gefördert wurde, liegt SPIEGEL ONLINE vor und dort wird jetzt von Anna Reimann darüber berichtet: Betreuungsgeld hatte nur begrenzten Effekt.

Man muss also zum jetzigen Zeitpunkt glauben, was dort wiedergegeben wird, für eine wissenschaftliche Prüfung braucht man natürlich das Original der Studie.

Hier einige Ergebnisse, von denen im Artikel berichtet wird:

Es wird auf die enorme West-Ost-Kluft bei der Inanspruchnahme hingewiesen, die ja schon zu den kurzen Zeiten der tatsächlichen Existenz dieser Geldleistung auffällig war:

»93,7 Prozent aller Betreuungsgeldempfänger im Jahr 2015 lebten in den alten Bundesländern. Hier wiederum war nur in Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen die Zahl der Ein- und Jährigen mit Betreuungsgeldbezug deutlich höher als die Zahl der Kleinkinder, die in Kitas oder zu Tagesmüttern gingen.«

Und das hier ist nicht wirklich überraschend:

»Insgesamt gab es einen Zusammenhang zwischen dem Angebot an öffentlicher Kinderbetreuung und dem Bezug von Betreuungsgeld. In Regionen, in denen es schon vor der Einführung der Leistung flächendeckend viele Kitas und Tagesmütter gab, haben weniger Eltern Betreuungsgeld bezogen.«

Mütter mit hohen Bildungsabschlüssen haben die Leistung nur unterdurchschnittlich in Anspruch genommen, ebenso Alleinerziehende.

»Unter den Beziehern waren überdurchschnittlich viele Familien, in denen zu Hause nicht Deutsch gesprochen wurde.«

Was erfahren wir zu den Gründen der Inanspruchnahme?

»Rund zehn Prozent der Eltern gaben an, sie hätten das Betreuungsgeld als Überbrückungsmöglichkeit genutzt, weil sie keinen geeigneten Kita- oder Tagesmutterplatz gefunden hätten.«

Weit wichtiger ist dieser Befund:

»Anders herum war der Anteil der Eltern, die ihr Kind explizit wegen des Betreuungsgeldes zu Hause betreut haben, gering: Mehr als 87 Prozent der Betreuungsgeldempfänger gaben an, sie hätten ihr Kind auch dann nicht in die Kita gegeben, wenn sie kein Geld für die Betreuung zu Hause erhalten hätten.«

Ökonomisch handelt es sich zum einen um Mitnahmeeffekte der Geldleistung, zum anderen steht hinter diesem Ergebnis, dass die Frage, ob man zu Hause bleibt in den ersten Jahren des Kindes, eine grundsätzliche, emotional und zuweilen ideologisch hoch aufgeladene Angelegenheit ist.

Interessant ist auch, dass der Bericht angeblich feststellt, dass sich weder bei den Ein- noch bei den Zweijährigen „ein dämpfender Effekt des Betreuungsgeldes auf die Nutzung der Kindertagesbetreuungsangebote“ feststellen lässt, was aber auch ein Teil der Vorwürfe der Kritiker entkräftet, die mit dem Terminus der „Fernhalteprämie“ argumentiert hat.

»In Familien, in denen Betreuungsgeld bezogen wurde, ist die Mutter deutlich später wieder und mit geringerer Stundenzahl in den Beruf eingestiegen, als in Familien, die ihr Kind weder in die Kita oder Tagesmutter geben noch Betreuungsgeld bezogen haben. Ob aber das Betreuungsgeld an sich den ausschlaggebenden Anreiz für Mütter gegeben hat, später wieder erwerbstätig zu sein, darüber gibt die Studie keinen Aufschluss.«

Genau hier sind wir bei einem grundsätzlichen Problem angekommen: Die (Nicht-)Inanspruchnahme ist das eine, aber welche Motive dahinter stehen, ob freiwillig oder durch die Rahmenbedingungen gezwungenermaßen, das erhellt sich nicht oder kaum.

Dieses Wissen ist wichtig für diese Bewertung:

»In Bezug auf Kinder aus Migrantenfamilien unterstreicht die Studie allerdings ein Problem: Besonders Eltern, die zu Hause mit ihren Kindern kein Deutsch sprechen, haben die Leistung überdurchschnittlich oft bezogen.«

Ohne weitere Erläuterungen impliziert das eine Nicht-Inanspruchnahme oder eine „verspätete“ Inanspruchnahme bei diesen Personen wegen des Geldleisvtungsbezugs von anfangs 100, später dann 150 Euro pro Monat. Aber das muss nicht so sein. Vielleicht leben viele der hier genannten Personen in Gegenden, in denen das Platzangebot in Kindertageseinrichtungen zum damaligen Zeitpunkt (und vielleicht auch heute noch?) unterdurchschnittlich ausgebaut war (und ist) und man unter anderen Bedingungen vielleicht sehr wohl einen Kita-Platz in Anspruch genommen hätte. Und/oder vielleicht hätte ein nicht geringer Teil der genannten Personen auch ohne die Existenz der Geldleistung das Kind nicht in die Kita gegeben, weil man aus prinzipiellen Erwägungen heraus die Kinder „nicht zu früh“ in institutionelle Betreuung geben möchte. Das müsste man wissen, um tatsächlich „Netto-Zahlen“ ausweisen zu können, so handelt es sich um „Brutto-Zahlen“.

Diejenigen, die sich für solche Fragen interessieren, werden als warten müssen, bis auch die Allgemeinheit Zugriff hat auf den Bericht über die Betreuungsgeldempfänger. Wieder mal ein Beispiel für den diskussionswürdigen Trend, dass Studien vorab irgendwelchen Medien exklusiv zum Ausschlachten zur Verfügung gestellt werden – in der Hoffnung, dass a) überhaupt jemand darüber berichtet und b) oftmals verbunden mit dem Effekt, dass auch bei einer Instrumentalisierung der Studienergebnisse erst einmal andere Medien abschreiben (müssen), die Aussagen in der Welt sind und damit später kaum oder gar nicht zurückgeholt werden können. Denn diejenigen, die kritische oder möglicherweise fehlerhafte Punkte identifizieren könnten, müssen natürlich erst einmal Zugang haben zum Original. Bei der Vorläuferversion des Berichts, der jetzt wohl vorliegt, war genau das der Fall (vgl. dazu beispielsweise meinen Blog-Beitrag Immer diese Jahrestage. Wie wär’s mit dem Betreuungsgeld? vom 27. Juni 2014).

Nachtrag: Hier der Original-Bericht als PDF-Datei:

Christian Alt, Sandra Hubert, Nora Jehles, Kerstin Lippert, Christiane Meiner-Teubner, Carina Schilling, Hannah Steinberg: Datenbericht Betreuungsgeld. Auswertung amtlicher Daten und der Kifög-Länderstudien aus den Jahren 2013/2014/2015. München: Deutsches Jugendinstitut 2015

Nachwehen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Betreuungsgeld

Die von allen Seiten vorgenommene politische Instrumentalisierung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich einer Verfassungwidrigkeit als Bundesleistung aufgrund der Nicht-Zuständigkeit des Bundes – also eine verfassungsrechtlich formale, keine inhaltlich das Betreuungsgeld an sich bewertende Entscheidung – war absehbar. So, wie das nunmehr vorliegende Urteil des BVerfG an sich von allen Experten auch erwartet wurde – und insofern hätte man von den zuständigen Stellen auch erwarten dürfen, dass sie sich Gedanken machen, wie man denn zumindest mit den bestehenden Fällen umgeht. Und dann muss man zur Kenntnis nehmen: »Bis Mitte August will Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) einen konkreten Vorschlag vorlegen, wie es für die Eltern weitergeht, die bereits Betreuungsgeld erhalten oder Anträge vor dem Urteil gestellt haben«, berichtet Markus Sievers in seinem Artikel Eltern werden beim Betreuungsgeld bis Herbst zappeln gelassen. Wohlgemerkt, an dieser Stelle geht es nicht darum, ob es in Zukunft eine ähnliche oder die gleiche Leistung als Länderleistung geben soll – was übrigens das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich zugelassen hat. Sondern es geht um die Eltern – derzeit immerhin 455.000 Fälle bundesweit – die schon im Betreuungsgeldbezug sind. Und in einem zweiten Schritt darum, wie man mit denen verfährt, die einen Antrag auf diese Geldleistung gestellt haben, bevor das Verfassungsgericht seine Entscheidung getroffen hat. Was sagt die nun formal nicht mehr zuständige Bundesbetreuungsgeldministerin Manuela Schwesig dazu: »„Klar ist, dass die Familien, die heute schon Betreuungsgeld bekommen, nicht zurückzahlen müssen, was sie bereits bekommen haben. „Die Familienministerin strebt auch an, dass die Familien, die das Betreuungsgeld bereits beziehen, das auch weiterhin bekommen.“ So lässt sie zumindest eine Sprecherin ihres Ministeriums verkünden.

Dass das erste klar sein sollte, ist klar. Denn dass die Leute eine Leistung zurückzahlen sollten, die sie auf der Basis eines im Nachhinein für verfassungswidrig erklärten Gesetzes bekommen haben, wäre ja noch schöner. Für die schweren handwerklichen Fehler der Regierung bluten, das geht gar nicht. Aber der zweite Punkt ist schon einigermaßen skandalös – man muss erwarten dürfen, dass sich die Beamten im Bundesfamilienministerin im Vorfeld der Entscheidung aus Karlsruhe, die ja nun wirklich nicht überfallartig dahergekommen ist, darüber nachgedacht haben, wie man mit der Situation umgeht, wenn das Gericht keine explizite Übergangsregelung in das Urteil schreibt, wie es dann auch gekommen ist, vor allem hinsichtlich der laufenden Fälle, denn die brauchen irgendeine Form der Planungssicherheit. Von außen betrachtet handelt es sich um eine Variante von offensichtlicher Arbeitsverweigerung, vor allem im Zusammenspiel, dass man sich bis Anfang September Zeit nehmen möchte und wird, um über den weiteren Gang der Dinge zu beraten.

Und dazu gehören nicht nur die Fragen, wie man mit den Altfällen umgeht oder den noch auf Basis des alten Rechts gestellten Anträgen – sondern vor allem um die Frage, wie es denn nun weitergeht und das aufgehängt an der Frage, was man mit dem für das Bundesbetreuungsgeld im Bundeshaushalt eingestellten und eingplanten Mitteln machen will. Hier entzündet sich dann der eigentliche „Betreuungsgeldstreit 2.0“ (so bereits mein Hinweis in dem Beitrag Isch over. Das Betreuungsgeld scheitert an den Klippen des Bundesverfassungsgerichts und ein Betreuungsgeldstreit 2.0 steht vor der Tür vom 21. Juli 2015).

Vereinfacht gesagt stehen sich hier zwei Lager gegenüber. Das eine will die Mittel – im laufenden Bundeshaushalt sind 900 Mio. Euro etatisiert, bis zum Ende er Legislaturperiode geht es um weit mehr als drei Mrd. Euro – für den Kita-Ausbau und die Anhebung der Qualität in den Kindertageseinrichtungen verwenden. Auf der gegenüberliegenden Seite steht das derzeit etwas waidwunde Bayern, das sich selbst gegenüber der eigenen Bevölkerung gefesselt hat mit der Feststellung, in Bayern wird das Betreuungsgeldgeld auf alle Fälle weiterleben. Und das soll „natürlich“ nicht aus Landesmitteln finanziert werden, sondern aus dem Haushaltstopf des Bundes, in dem die dort eingestellten Mittel an die Bundesländer verteilt werden.

Das nun wiederum bringt einen Grauton in die scheinbare Polarität Betreuungsgeldgegner hier und Bayern da. Denn gegen eine Umverteilung der Mittel haben sicher auch andere Bundesländer nichts, vor allem, wenn sie nicht zweckgebunden erfolgt – und nur so könnte das ja gehen, nachdem die Auszeichung der Mittel gebunden an die Leistung Betreuungsgeld nunmehr zumindest für die Zukunft nicht mehr zulässig ist. Damit im Zusammenhang steht dann wieder die erste Problemstellung, also die Weiterfinanzierung der Altfälle, denn das muss ja nun auch praktisch organisiert werden zwischen dem Bund und den Bundesländern.

Und dann muss man zur Kenntnis nehmen, dass Bayern offensichtlich nicht allein steht mit seiner Liebesbeziehung zu dieser Geldleistung, denn Timo Frasch und Rüdiger Soldt berichten unter der Überschrift CDU will mit Betreuungsgeld punkten: »Die CDU-Spitzenkandidaten in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg setzen auf Familienpolitik als Gewinnerthema. Das von Karlsruhe beerdigte Betreuungsgeld wollen sie wiederbeleben – in neuer Form.« Beispiel Rheinland-Pfalz: Die CDU-Vorsitzende Julia Klöckner, die im kommenden Frühjahr die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Malu Dreyer ablösen möchte, setzt auf ein „Landesfamiliengeld“.

»Gedacht ist an eine Ausweitung des Kreises der Berechtigten auf alle Familien, wobei „finanziell nicht signifikant über die frei werdenden Bundesmittel“ hinausgegangen werden könne. Parallel werde geprüft, so Klöckner, ob eine besondere Berücksichtigung kinderreicher Familien möglich ist.«

Diese Formulierung zeigt, dass hier offensichtlich das Thema nur instrumentalisiert werden soll für eine Wahlkampfstrategie, die rot-grüne Landesregierung auf dem Feld der Familienpolitik anzugreifen. Denn die logischen Widersprüche, folgt man dem Absatz, sind offensichtlich. Es soll nicht mehr ausgegeben werden als bislang über Bundesmittel für das Betreuungsgeld in seiner bisherigen Form zur Verfügung gestellt wurden, gleichzeitig soll das aber auf alle Familien ausgeweitet und eine besondere Berücksichtigung kinderreicher Familien ins Auge gefasst werden. Man muss nicht lange nachdenken, dass wir es hier mit einem klassischen Verteilungsproblem zu tun bekommen würden.

Im grün-rot regierten Baden-Württemberg muss sich Guido Wolf, der Spitzenkandidat und CDU-Fraktionsvorsitzende, offensichtlich noch sortieren:

»Wolf will sich derzeit noch nicht festlegen, ob er den Wählern ein vom Land finanziertes Betreuungsgeld versprechen wird oder eventuell das von der grün-roten Regierung 2012 abgeschaffte Landeserziehungsgeld (ursprüngliche Kosten: 63 Millionen Euro pro Jahr) wieder einführen will.«

Der stellvertretende Landes- und Fraktionsvorsitzende Winfried Mack wird etwas deutlicher: „Wir wollen den Familien in jedem Fall eine zusätzliche Landesleistung anbieten, ob man nun das Betreuungsgeld so übernimmt, wie es die Bayern vorhaben, oder ob man die Zahlung vom Einkommen abhängig macht wie früher beim Landeserziehungsgeld, das müssen wir beraten.“  In jedem Fall will die Landes-CDU 178 Millionen Euro vom Bund haben, wenn das Betreuungsgeld als Bundesleistung wegfällt.

Damit werden wir uns also in den kommenden Monaten und dann noch im Gefechtslärm der Landtagswahlkämpfe im Südwesten der Republik herumschlagen müssen.

Aber auch die derzeit jubilierenden Gegner der Betreuungsgeldes mit ihrer Absicht, die frei werdenden Mittel in den Kita-Ausbau und vor allem in eine Verbesserung der Kita-Qualität zu stecken, sollten einen Gang zurückschalten und sich verdeutlichen, welche Sprünge man mit den Mitteln machen könnte, auch wenn sie sich vollständig durchsetzen würden. Max Haerder hat seine Gedanken dazu unter die Überschrift Warum 900 Millionen Euro eher Peanuts sind gestellt: Zunächst einmal weist er richtigerweise darauf hin, dass aufgrund des Vertrauensschutzes, den übrigens auch die Verfassungsrichter angesprochen haben, den schon im Leistungsbezug befindlichen Eltern das Geld weitergezahlt werden muss, was die für eine anderweitige Nutzung zur Verfügung stehende Summe schon mal verkleinert. Außerdem ist es nicht unwahrscheinlich, dass es auch eine Lösung für die Fälle geben wird, wo der Antrag vor dem Urteil der BVerfG gestellt worden ist. Folge: »Diese Umstände bedeuten für den Bundeshaushalt … konkret, dass Manuela Schwesig noch bis ins Jahr 2017 hinein einen nicht geringen Posten für das Betreuungsgeld reservieren muss, der eben nicht für andere Aufgaben verwendet werden kann.« Aber selbst wenn man von der Bruttosumme in Höhe von 900 Mio. Euro ausgehen würde, muss man das wie alles im Leben relativ sehen:

»In den vergangenen Jahren hat der Bund schon das Fünffache der besagten Summe, 4,5 Milliarden Euro nämlich, in den Ausbau der Kitas investiert. Das bestehende Sondervermögen „Kinderbetreuungsausbau“ wird in diesem Jahr allein um 550 Millionen Euro aufgestockt. Auch an den laufenden Betriebskosten der Länder beteiligt sich der Bund in diesem und im nächsten Jahr ohnehin schon mit 845 Millionen Euro, ab 2017 werden es dann 945 Millionen sein … Nur die kommunalen Arbeitgeber (ohne private und kirchliche Einrichtungen) stehen für etwa 30 Prozent der Erzieher an Kitas. Für dieses knappe Drittel des Gesamt-Personals werden jährlich rund 4,6 Milliarden Euro bezahlt. Gegenwärtig läuft zudem eine Tarifrunde, in der Verdi deutliche Lohn-Steigerungen durchsetzen will – danach käme wohl noch eine dreistellige Millionensumme dazu. Pro Jahr.«

Hier enden die Überschlagsrechnungen des Herrn Haerder – und genau an dieser Stelle müssten die eigentlich notwendigen, seit langem überfälligen Entscheidungen anfangen. Gemeint ist der seit Jahren immer wieder vorgetragene Bedarf, die 16 unterschiedlichen Kita-Finanzierungssysteme wenigstens hinsichtlich einer rationalen Kostenträgerschaft und damit Mittelaufbringung endlich auf eine andere Grundlage zu stellen. Denn bei allen Unterschieden in der konkreten Ausgestaltung der Finanzierungssysteme zwischen den einzelnen Bundesländern lassen sich doch zwei eklatante Strukturfehler identifizieren: Zum einen ist das System der Kindertagesbetreuung – zu dem übrigens nicht nur die Kitas gehören, sondern auch die Kindertagespflege – unterfinanziert, es fehlen mehrere Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr, nur um an die Referenzwerte der OECD und auch bestimmter Länder zu kommen, zum anderen aber sind wir konfrontiert mit einer eklatanten Fehlfinanzierung dergestalt, dass die Kommunen der Hauptkostenträger sind, während der schon fiskalisch profitierende Bund (und die Sozialversicherungen) nur etwas (bzw. gar nicht) an der Finanzierung beteiligt sind. Genau diese Finanzierungsarchitektur müsste man vom Kopf auf die Füße stellen – ein realisierbares Modell für eine Regel- und zweckgebundene anteilige Mitfinanzierung des Bundes liegt seit längerem vor, vgl. dazu Stefan Sell: Die Finanzierung der Kindertagesbetreuung vom Kopf auf die Füße stellen. Das Modell eines „KiTa-Fonds“ zur Verringerung der erheblichen Unter- und Fehlfinanzierung der Kindertagesbetreuung in Deutschland, Remagen 2014.

Wer, wenn nicht eine große Koalition könnte diese fundamentale Neuordnung der Finanzierungsstruktur angehen und mit den Bundesländern umsetzen?

Aber nichts da. Das Thema wird eingedampft auf die symbolpolitischen Aspekte und von beiden Seiten instrumentalisiert für teilweise nicht einmal billige, sondern nur noch peinliche Polemik mit dem Ziel der Aufmerksamkeitserscheischung. Ein weiterer Fall von struktureller Arbeitsverweigerung.