Eine Studie zu einem mittlerweile toten Pferd: das Betreuungsgeld. Es hatte nur einen begrenzten Effekt

Das Deutsche Jugendinstitut (DJI) hat zusammen mit der Technischen Universität Dortmund die amtlichen Daten zu den Betreuungsgeldbeziehern zusammengestellt und ausgewertet. Wer hat das Geld beantragt und warum? Der Bericht, der vom Familienministerium gefördert wurde, liegt SPIEGEL ONLINE vor und dort wird jetzt von Anna Reimann darüber berichtet: Betreuungsgeld hatte nur begrenzten Effekt.

Man muss also zum jetzigen Zeitpunkt glauben, was dort wiedergegeben wird, für eine wissenschaftliche Prüfung braucht man natürlich das Original der Studie.

Hier einige Ergebnisse, von denen im Artikel berichtet wird:

Es wird auf die enorme West-Ost-Kluft bei der Inanspruchnahme hingewiesen, die ja schon zu den kurzen Zeiten der tatsächlichen Existenz dieser Geldleistung auffällig war:

»93,7 Prozent aller Betreuungsgeldempfänger im Jahr 2015 lebten in den alten Bundesländern. Hier wiederum war nur in Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen die Zahl der Ein- und Jährigen mit Betreuungsgeldbezug deutlich höher als die Zahl der Kleinkinder, die in Kitas oder zu Tagesmüttern gingen.«

Und das hier ist nicht wirklich überraschend:

»Insgesamt gab es einen Zusammenhang zwischen dem Angebot an öffentlicher Kinderbetreuung und dem Bezug von Betreuungsgeld. In Regionen, in denen es schon vor der Einführung der Leistung flächendeckend viele Kitas und Tagesmütter gab, haben weniger Eltern Betreuungsgeld bezogen.«

Mütter mit hohen Bildungsabschlüssen haben die Leistung nur unterdurchschnittlich in Anspruch genommen, ebenso Alleinerziehende.

»Unter den Beziehern waren überdurchschnittlich viele Familien, in denen zu Hause nicht Deutsch gesprochen wurde.«

Was erfahren wir zu den Gründen der Inanspruchnahme?

»Rund zehn Prozent der Eltern gaben an, sie hätten das Betreuungsgeld als Überbrückungsmöglichkeit genutzt, weil sie keinen geeigneten Kita- oder Tagesmutterplatz gefunden hätten.«

Weit wichtiger ist dieser Befund:

»Anders herum war der Anteil der Eltern, die ihr Kind explizit wegen des Betreuungsgeldes zu Hause betreut haben, gering: Mehr als 87 Prozent der Betreuungsgeldempfänger gaben an, sie hätten ihr Kind auch dann nicht in die Kita gegeben, wenn sie kein Geld für die Betreuung zu Hause erhalten hätten.«

Ökonomisch handelt es sich zum einen um Mitnahmeeffekte der Geldleistung, zum anderen steht hinter diesem Ergebnis, dass die Frage, ob man zu Hause bleibt in den ersten Jahren des Kindes, eine grundsätzliche, emotional und zuweilen ideologisch hoch aufgeladene Angelegenheit ist.

Interessant ist auch, dass der Bericht angeblich feststellt, dass sich weder bei den Ein- noch bei den Zweijährigen „ein dämpfender Effekt des Betreuungsgeldes auf die Nutzung der Kindertagesbetreuungsangebote“ feststellen lässt, was aber auch ein Teil der Vorwürfe der Kritiker entkräftet, die mit dem Terminus der „Fernhalteprämie“ argumentiert hat.

»In Familien, in denen Betreuungsgeld bezogen wurde, ist die Mutter deutlich später wieder und mit geringerer Stundenzahl in den Beruf eingestiegen, als in Familien, die ihr Kind weder in die Kita oder Tagesmutter geben noch Betreuungsgeld bezogen haben. Ob aber das Betreuungsgeld an sich den ausschlaggebenden Anreiz für Mütter gegeben hat, später wieder erwerbstätig zu sein, darüber gibt die Studie keinen Aufschluss.«

Genau hier sind wir bei einem grundsätzlichen Problem angekommen: Die (Nicht-)Inanspruchnahme ist das eine, aber welche Motive dahinter stehen, ob freiwillig oder durch die Rahmenbedingungen gezwungenermaßen, das erhellt sich nicht oder kaum.

Dieses Wissen ist wichtig für diese Bewertung:

»In Bezug auf Kinder aus Migrantenfamilien unterstreicht die Studie allerdings ein Problem: Besonders Eltern, die zu Hause mit ihren Kindern kein Deutsch sprechen, haben die Leistung überdurchschnittlich oft bezogen.«

Ohne weitere Erläuterungen impliziert das eine Nicht-Inanspruchnahme oder eine „verspätete“ Inanspruchnahme bei diesen Personen wegen des Geldleisvtungsbezugs von anfangs 100, später dann 150 Euro pro Monat. Aber das muss nicht so sein. Vielleicht leben viele der hier genannten Personen in Gegenden, in denen das Platzangebot in Kindertageseinrichtungen zum damaligen Zeitpunkt (und vielleicht auch heute noch?) unterdurchschnittlich ausgebaut war (und ist) und man unter anderen Bedingungen vielleicht sehr wohl einen Kita-Platz in Anspruch genommen hätte. Und/oder vielleicht hätte ein nicht geringer Teil der genannten Personen auch ohne die Existenz der Geldleistung das Kind nicht in die Kita gegeben, weil man aus prinzipiellen Erwägungen heraus die Kinder „nicht zu früh“ in institutionelle Betreuung geben möchte. Das müsste man wissen, um tatsächlich „Netto-Zahlen“ ausweisen zu können, so handelt es sich um „Brutto-Zahlen“.

Diejenigen, die sich für solche Fragen interessieren, werden als warten müssen, bis auch die Allgemeinheit Zugriff hat auf den Bericht über die Betreuungsgeldempfänger. Wieder mal ein Beispiel für den diskussionswürdigen Trend, dass Studien vorab irgendwelchen Medien exklusiv zum Ausschlachten zur Verfügung gestellt werden – in der Hoffnung, dass a) überhaupt jemand darüber berichtet und b) oftmals verbunden mit dem Effekt, dass auch bei einer Instrumentalisierung der Studienergebnisse erst einmal andere Medien abschreiben (müssen), die Aussagen in der Welt sind und damit später kaum oder gar nicht zurückgeholt werden können. Denn diejenigen, die kritische oder möglicherweise fehlerhafte Punkte identifizieren könnten, müssen natürlich erst einmal Zugang haben zum Original. Bei der Vorläuferversion des Berichts, der jetzt wohl vorliegt, war genau das der Fall (vgl. dazu beispielsweise meinen Blog-Beitrag Immer diese Jahrestage. Wie wär’s mit dem Betreuungsgeld? vom 27. Juni 2014).

Nachtrag: Hier der Original-Bericht als PDF-Datei:

Christian Alt, Sandra Hubert, Nora Jehles, Kerstin Lippert, Christiane Meiner-Teubner, Carina Schilling, Hannah Steinberg: Datenbericht Betreuungsgeld. Auswertung amtlicher Daten und der Kifög-Länderstudien aus den Jahren 2013/2014/2015. München: Deutsches Jugendinstitut 2015

Immer diese Zuständigkeitsfragen. Das Bundesverfassungsgericht lehnt Verfassungsbeschwerde gegen Missstände im Pflegesystem ohne weitere Begründung ab

Zuständigkeitsfragen sind in bürokratischen Systemen wichtig und in Deutschland ganz besonders. In der Justiz sind Zuständigkeitsfragen nicht nur relevant für die sachlich richtige Zuordnung von Anliegen an die zuständige Gerichtsbarkeit, sie eröffnen oder verschließen auch den Zugang zu der im Grunde letzten Instanz, dem Bundesverfassungsgericht. Von dem ja schon manche Überraschung verkündet worden ist, wenn es sich denn mit einem bestimmten Thema beschäftigt. Diesen Weg hat auch der engagierte Armin Rieger beschritten, der in Augsburg das Pflegeheim „Haus Marie“ leitet. Ihm ging und geht es um eine Beschwerde gegen den Staat wegen Verletzung der Schutzpflicht gegenüber den Pflegebedürftigen.

Er hat Mitte 2014 »einen 21-seitigen Schriftsatz nach Karlsruhe geschickt, der sich wie eine einzige Abrechnung mit dem aktuellen Pflegesystem las. Darin warf er Heimen und Pflegern sogar Urkundenfälschung und Betrug vor: „Jeder weiß, dass täglich Leistungen seitens der Pflegekräfte abgezeichnet oder dokumentiert werden, die nicht geleistet werden können.“ Die Krankenkassen und Politiker wüssten davon auch, doch es werde „systematisch weggeschaut“. Laut Rieger sei unter den aktuellen Rahmenbedingungen eine Berufsausübung „unter ethischen Gesichtspunkten nicht möglich. Der vorgegebene Personalschlüssel und die zustehenden Mittel lassen eine menschenwürdige Pflege nicht zu“«, kann man zur Vorgeschichte in dem Artikel Pflege-Rebell scheitert endgültig lesen, der bereits in der Überschrift auf den Punkt bringt, was aus dem Vorstoß geworden ist. Nichts.

Seine Vorwürfe, die er in der Verfassungsbeschwerde vorgetragen hat, wiegen sehr schwer:

»Der Heimleiter wirft den staatlichen Behörden vor, Missständen in Pflegeeinrichtungen seit Jahren untätig zuzusehen. Das verletze das Recht der Pflegebedürftigen auf Würde, Gleichheit und körperliche Unversehrtheit. So müssten auch in seinem Heim wegen unzureichender Personalausstattung Bewohner immer wieder darauf warten, zur Toilette gebracht oder gewaschen zu werden. In vielen Heimen bekämen die Bewohner nicht genügend oder schlechtes Essen.«

Aber bereits Anfang September 2014 konnte bzw. musste man in der Presse lesen: Verfassungsklage für bessere Pflege abgeschmettert. Damals aber wurde die Verfassungsbeschwerde des Heimleiters nicht wegen der Inhalte oder einer fehlenden substanziellen Begründung, denn die hat das BVerfG gar nicht erst geprüft. Die Entscheidung zur Ablehnung wurde formalistisch begründet: Für bessere Pflege in Senioreneinrichtungen dürften nur diejenigen klagen, die dort leben. Rieger dagegen sei Geschäftsführer und Mitinhaber des „Haus Marie“. Mithin sei er für die Verfassungsbeschwerde gar nicht „zuständig“.

»Man möchte dem Gericht nicht zu nahe treten, aber so ganz konsequent erscheint diese etwas gewillkürt daherkommende Grenze nun auch wieder nicht, denn auch ein Heimleiter kann ein Betroffener sein – vor allem von Zuständen, die als systematisch generiert angesehen werden.«

Das habe ich am 8. November 2014 in dem Beitrag Man bittet das Bundesverfassungsgericht um „Hilfe in höchster Not“. Es geht also um die Pflege. Um die Pflege von Menschen mit Grundrechten angemerkt. Gegen die damalige Ablehnung der Annahme der Verfassungsbeschwerde hat Rieger Beschwerde eingelegt, die nunmehr mit einem kurzen Schreiben ohne irgendeine inhaltliche Begründung von der Ersten Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts einstimmig abgelehnt worden ist. Damit ist der Ansatz endgültig gescheitert an den Klippen des höchsten deutschen Gerichts.

Entsprechend frustriert ist der engagierte Heimleiter. In dem Artikel der Süddeutschen Zeitung wird er mit diesen Worten zitiert: „Ich dachte nicht, dass ich einmal sagen würde, dass ich mich für Deutschland schäme, aber nun schäme ich mich tatsächlich für unser Land und für unsere Politiker.“

Aber der Vollständigkeit halber sei an das erinnert, was in dem Blog-Beitrag vom 09.11.2014 auch noch berichtet wurde und was vor dem formalen Ablehnungsgrund des BVerfG von Bedeutung ist, denn die haben sich ja gar nicht inhaltlich mit der Beschwerde auseinandergesetzt, weil nach ihrer Interpretation nur „Betroffene“ ein Beschwerderecht hätten. Der Sozialverband VdK hat ebenfalls Verfassungsbeschwerde eingelegt – korrekter: einlegen lassen von Beschwerdeführer, die zwischen 35 und 89 Jahre alt sind und die aufgrund ihrer Lebenssituation damit rechnen müssen, in einem Pflegeheim untergebracht zu werden. Diese Personen werden vom VdK „unterstützt“. Die Zielsetzung bzw. die Hoffnung des Sozialverbandes: Wenn die Richter in Karlsruhe aber zu dem Schluss kommen, dass der Staat seine Schutzpflichten gegenüber Pflegebedürftigen bislang verletzt, muss der Gesetzgeber in einer bestimmten Frist Abhilfe schaffen.

Aber wird man diese Hilfe vom höchsten Gericht auch bekommen? In dem Blog-Beitrag aus dem November 2014 wurde pessimistisch formuliert: »So sehr man sich gerade an dieser Stelle eine volle Bejahung wünschen würde, plausibel ist so ein Ergebnis eher nicht.« Diese Einschätzung basiert auf der Annahme, dass die im Fall Rieger verwendete formalistische Ablehnungsbegründung des BVerfG sich auch bei dem – anders gelagerten – Ansatz des VdK als Bumerang erweisen könnte, da es sich letztendlich auch hier um Einzelkläger handelt, die (noch) nicht in einem Heim leben und eine andere Politik wollen angesichts dessen, dass ihnen dann droht, aber nicht um unmittelbar im Hier und Jetzt Betroffene.

Und selbst wenn es anders kommen sollte in dem anhängigen VdK-Verfahren, bleibt die damals aufgeworfene Frage:

»Aber auch wenn wir einmal spekulieren, dass das Bundesverfassungsgericht entscheiden sollte, man lässt das Verfahren zu, weil wenigstens eine „halbseitige“ Betroffenheit angenommen wird. Was dann? Wo soll das Gericht die beschriebene Grenze zwischen einem unabwendbaren Leid und einer Konsequenz aus einer unterentwickelten Ressourcenlage oder einer unterlassenen Heimaufsicht auf der anderen Seite ziehen? Ab wann kippt in praxi die Schuldfrage von der einen zur anderen Seite?«

Ein Thema von wahrhaft existenzieller Bedeutung.

Gute Arbeit, schlechte Arbeit und die jungen Beschäftigten dazwischen. Ergebnisse einer DGB-Studie

Man kann es sich einfach machen und argumentieren, irgendeine Erwerbsarbeit ist besser als gar keine. Das ist eine klare Ansage, auch hinsichtlich der damit einhergehenden Akzeptanz schlechter Arbeitsbedingungen und keinesfalls eine Position nur aus dem gesicherten Elfenbeinturm marktradikaler Wissenschaftler, sondern „philosophische“ Grundlage beispielsweise der „Agenda 2010“ und der handfesten Normierungen im Bereich der Arbeitslosenversicherung und vor allem der Grundsicherung, man denke hier nur an die Frage der Zumutbarkeit von Arbeit im SGB III und II.

Aber es gibt auch eine andere Seite, die argumentiert, dass es eben nicht egal ist bzw. sein darf, von welcher Qualität die Jobs sind, mit denen die Arbeitnehmer ihren Lebensunterhalt decken müssen. Das hat in Deutschland schon eine längere Tradition, vor allem seit der massiven Zunahme von Niedriglohnbeschäftigung ab Mitte der 1990er Jahre, der „Aufstocker“-Thematik im Grundsicherungssystem bis hin zu der intensiven Debatte über die krankmachenden Bedingungen bestimmter Arbeit bzw. genauer: Arbeitsbedingungen. Man denke hier nur an die vielen Erkenntnisse hinsichtlich der Zunahme der psychischen Erkrankungen und der Diskussion über den Einfluss der Arbeit darauf. Dass die Gewerkschaften hier ein besonders Interesse haben, sich nicht nur mit irgendeiner Arbeit zufrieden zu geben, sondern es ihnen um „gute Arbeit“ im gewerkschaftlichen Verständnis geht, liegt nahe. Um die Wahrnehmung der Unterschiede zwischen „guter“ und „schlechter“ Arbeit zu verstärken, veröffentlichen sie seit 2007 den DGB-Index Gute Arbeit. Seit dem Jahr 2007 werden in einer jährlichen bundesweiten Repräsentativerhebung die abhängig Beschäftigten danach gefragt, wie sie ihre Arbeitsbedingungen bewerten – denn sie sind die Experten für Arbeitsqualität, so die Argumentation der Gewerkschaften.

Methodisch muss man also an dieser Stelle festhalten, dass es sich um eine Befragung handelt, mithin unvermeidbar immer auch subjektive Verzerrungen zu bedenken sind, die aber grundsätzlich nicht das Instrument an sich diskreditieren. Wie bei jeder anderen Studie auch muss man natürlich einen kritischen Blick werfen auf die weiteren methodischen Schritte, die dann am Ende zu dem der Öffentlichkeit präsentierten „DGB-Index Gute Arbeit“ führen, also konkret: Was wird wie gefragt und wie im Index gewichtet? An diesen Stellen haben die Kritiker vor allem aus den Reihen der Arbeitgeberverbände angesetzt. So veröffentlichte die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) im August 2015 ein Papier mit einer heftigen Kritik an dem DGB-Index: Fakten statt Zerrbilder. Arbeitsqualität in Deutschland. Anfang Oktober 2015 hat sich das Institut DGB-Index Gute Arbeit zu den Vorwürfen in einer Stellungnahme geäußert und diese zu widerlegen versucht: Stellungnahme zur Broschüre der BDA „Fakten statt Zerrbilder. Arbeitsqualität in Deutschland“.

Neben der allgemeinen Berichterstattung über die Ergebnisse gibt es immer wieder Sonderauswertungen – wie jetzt zu der Frage, wie es den Beschäftigten geht, die unter 35 Jahre alt sind: Junge Menschen im Job enorm unter Druck. Wunsch und Wirklichkeit klaffen auseinander: »Viele arbeiten befristet, machen regelmäßig Überstunden und stehen stark unter Druck. Das zeigt eine repräsentative Studie zur Arbeitsqualität bei jungen Menschen«, so der DGB. Die Ergebnisse der Sonderauswertung wurden von den Medien aufgegriffen, vgl. hierzu Typisch: atypische Beschäftigung von Marisa Janson oder Junge leiden unter unsicheren Jobs, um nur zwei Beispiele zu zitieren.

Einige Ergebnisse der Studie im Detail:

  • Über ein Viertel der jungen Beschäftigten unter 35 Jahren arbeiten in atypischen Beschäftigungsverhältnissen. Bei den unter 25-Jährigen sind es sogar fast die Hälfte.
  • Junge Menschen sind mehr dreimal so oft befristet beschäftigt wie ältere.
  • 31 Prozent der jungen Beschäftigten verdienen weniger als 1.500 Euro brutto im Monat.
  • 52 Prozent der unter 35-Jährigen halten ihr Einkommen für nicht angemessen. Nur 8 Prozent sind mit ihrem Einkommen voll zufrieden.
  • Vor allem im Gastgewerbe (70,7 Prozent) und in Gesundheitsberufen (61,8 Prozent kommt es zu Belastungen durch nicht angemessene Einkommen.
  • In fast allen Branchen können junge Menschen keinen oder nur geringen Einfluss auf die Gestaltung der Arbeitszeit nehmen.
  • 60,9 Prozent der jungen Beschäftigten machen regelmäßig Überstunden. Im Schnitt sind es 4,1 Stunden in der Woche.
  • Fast jeder Zweite (47,2 Prozent) arbeitet zu Zeiten außerhalb des Normalarbeitsverhältnisses, z.B. in Spät- oder Nachtschichten.
  • 52 Prozent fühlen sich bei der Arbeit „sehr häufig“ oder „oft“ gehetzt oder unter Zeitdruck. Besonders hoch ist die Belastung im Gesundheitswesen und im Bausektor.
  • 65,9 Prozent der jungen Beschäftigten sind in den letzten 12 Monaten krank zur Arbeit gegangen; 28 Prozent sogar mehr als 10 Tage.

Die ganze Studie kann hier als PDF-Datei abgerufen werden:

DGB: Arbeitsqualität aus der Sicht von jungen Beschäftigten 6. Sonderauswertung zum DGB-Index Gute Arbeit, Berlin, Dezember 2015.

Nun kann und muss man sicher eine auch kritische Diskussion der Ergebnisse führen, beispielsweise hinsichtlich der Frage, ob man die Werte für einzelne, hier als negativ bewertete Tatbestände wie der befristeten Beschäftigung einfach so aggressiveren kann, denn offensichtlich macht es einen erheblichen Unterschied, ob eine befristete Beschäftigung am Anfang einer Erwerbsbiografie lediglich ein transitorisches Phänomen ist, also nur vorübergehend und dann in ein „normales“ Beschäftigungsverhältnis einmündend – oder aber ob sich die als prekär identifizierten Arbeitsbedingungen chronifizieren.

Abgesehen davon ist es aber wichtig, einen differenzierten Blick auf die Frage zu fördern, welche Arbeit es denn ist, mit dem die Arbeitnehmer konfrontiert werden. Diese Sichtweise wird auch in anderen Zusammenhängen aufgegriffen und zum Thema bzw. zur Aufgabe gemacht. Man denke hier an die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung mit der zentralen Kennzahl des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bzw. dem Gross Domestic Product (GDP) im angelsächsischen Sprachraum. Um diese so wichtige Wirtschaftskennzahl gibt es seit langem eine kritische Debatte hinsichtlich der Erweiterung dessen, was dort abgebildet wird. Das ist keinesfalls eine akademische Diskussion, denn die Entwicklung dieser Kennzahl ist Grundlage für viele wirtschafts- und auch sozialpolitische Entscheidungen.

Ein aktuelles Beispiel für konkrete Vorschläge eine inhaltliche Erweiterung der Wohlfahrtsmessung in diesem Bereich betreffend, findet man in diesem Beitrag von Karen Jeffrey, einer Wissenschaftlerin vom New Economics Foundation’s Centre for Wellbeing, im Blog der London School of Economics and Political Science: Because GDP is not enough: five headline indicators for better policymaking. Hier wird für eine Ergänzung des GDP um fünf zentrale Indikatoren geworben.

»To enable a more balanced approach to policymaking, we need a new set of headline indicators that will create the incentive for political action, and offer a compelling new vision of what we define as national success.« Einer dieser fünf Indiktoren ist überschrieben mit „Good Jobs“ und damit zumindest begrifflich durchaus passend zu der in diesem Beitrag geführten Diskussion über „Gute Arbeit“. Wie sieht der Vorschlag – der sich übrigens konkret an die Statistik-Behörde in Großbritannien richtet – im Detail aus?

»While employment figures already receive a lot of attention, the unemployment rate doesn’t distinguish between the number of people in precarious, low-paid employment, and the number of people with secure jobs and decent pay.
Adopting a headline indicator of good jobs that reflects the proportion of the labour force in secure employment that pays at least the Living Wage, will draw attention to the number of people in good jobs – not just any jobs.
As well as increasing the overall number of jobs available, policy prioritising this indicator would require or incentivise businesses to pay higher wages to low earners, and improve job security.
Though it’s easy to imagine businesses resisting such interventions, many examples of forward-thinking, responsible businesses acting in the interests of staff already exist. Examples include the recent wave of employers pledging to pay staff at least the Living Wage (including IKEA, Lidl and Aldi), to those doing away with zero-hours contracts.«

Es ist eine Komponente, die hier ins Auge fällt: Nicht mehr die Gesamtzahl der Jobs unabhängig von deren Ausgestaltung soll Maßstab der Erfolgsbeurteilung sein, sondern es wird eine Differenzierung vorgenommen entlang der Scheidelinie „LivingWage“. Also ob die Beschäftigten unterhalb oder über dem Living Wage bezahlt werden. Es ist bedeutsam, darauf hinzuweisen, dass der „Living Wage“ nicht der Mindestlohn ist („Minimum Wage“), sondern konzeptionell geht es dabei darum, eine Lohnhöhe zu bestimmen, mit der man über die Runden kommen kann. Weitere Informationen zur Frage What ist the Living Wage? findet man auf der Website der Living Wage Foundation.

Auch und gerade für das „Jobwunderland“ Deutschland würde man sich eine solche differenziertere Herangehensweise wünschen.