Über eine besonders sinnlose Statistik und zugleich eine klare Botschaft hinter den anderen Zahlen: Arme werden immer ärmer

Eine frohe Botschaft erreicht uns heute und eigentlich müsste überall ein Fläschchen zur Feier des Tages geöffnet werden: Jeder Haushalt besitzt 214.000 Euro – im Schnitt, lautet eine der Überschriften. Nun wird der eine oder die andere irritiert fragen, wie das sein kann, wenn man sich die eigene und die einen umgebende Vermögenslosigkeit vor Augen führt. Und viele, die mit ehrlicher Arbeit durchs Leben zu kommen versuchen, werden vielleicht etwas gespart haben – aber sich nicht ansatzweise in der Größenordnung. Die offensichtliche Differenz zwischen Theorie (für viele) und Realität (tatsächlich für nur wenige) erklärt sich aus dem Anhängsel „im Schnitt“. Gemeint ist damit a) im Durchschnitt und dann auch noch b) ein ganz bestimmter, nämlich das arithmetische Mittel. Vereinfacht gesagt ist das ein Durchschnittswert, der „empfindlich“ ist gegenüber Ausreißerwerten, soll heißen: Wenn einer alles hätte und der Rest nichts, dann geht es im Durchschnitt statistisch gesehen allen ganz gut, denn alles wird durch alle Köpfe geteilt, unabhängig von der wirklichen Verteilung. Etwas näher an die Realität kommt dann so eine Zahl, die man auch in die Überschrift hätte nehmen können: Das Nettovermögen lag bei 60.400 Euro. Das ist nun schon mal eine ganz andere, offensichtlich erheblich geschrumpfte Hausnummer und die Zahl basiert auf dem Median. Das ist der Wert, der die Haushalte in eine reichere und eine ärmere Hälfte teilt. Anders ausgedrückt: Die Hälfte aller Haushalte hat weniger als 60.400 Euro (oder gar nichts), während die andere Hälfte der Haushalte Vermögen hat, die über diesem Wert liegen. Was man an dieser Stelle erkennen kann – die in vielen Medien zitierten 214.000 Euro Durchschnittsvermögen der Haushalte in Deutschland kann man den Hasen geben, angesichts der tatsächlich gegebenen erheblichen Varianz sagt diese Zahl nicht nur weniger als sie sollte, sie verdeckt eben auch die offensichtliche Ungleichverteilung des Vermögens in unserem Land.

Die einen haben viel, die anderen weniger, wenig bis nichts. Das Ausmaß der tatsächlichen Ungleichheit bei der Verteilung des Vermögens wird dann durch so eine Information angeleuchtet: »Wie ungleich die Verteilung ist, lässt sich unter anderem am Anteil des Vermögens ablesen, das den vermögendsten 10% gehört. Diese Gruppe von Haushalten nennt etwa 60% des gesamten Nettovermögens ihr Eigen.« Das müssen offensichtlich die guten Partien sein, von denen man immer wieder hört. Woher kommt dieser Zahlensalat?

Die Quelle ist die Deutsche Bundesbank. Die hat diese Zahlen in die Welt gesetzt und sich damit als Wiederholungstäter geoutet, denn: »Zum zweiten Mal hat die Bundesbank von April bis November 2014 repräsentativ ausgewählte Haushalte nach ihren Finanzen befragt. Die erste Erhebung fand im Jahr 2010 statt und wurde drei Jahre später veröffentlicht. Schon damals hatte die Bundesbank eine relativ große Vermögenskluft in Deutschland konstatiert. Daran hat sich in den vier Jahren zwischen den Erhebungen kaum etwas geändert. Die Ungleichheit ist sogar noch etwas größer geworden«, so Florian Diekmann in seinem Artikel.

Wer ein Blick in das Original werfen möchte, der kann das hier machen:

Vermögen und Finanzen privater Haushalte in Deutschland: Ergebnisse der Vermögensbefragung 2014, in: Monatsbericht der Bundesbank, März 2016, S. 61-86

Und Diekmann legt den Finger auf den hier entscheidenden Punkt: »Die Bundesbank ist nicht dafür bekannt, ihre Studienergebnisse zugespitzt zu formulieren … In ihrem aktuellen Bericht über Vermögen und Finanzen privater Haushalte in Deutschland wird die Bundesbank hingegen deutlich: Bereits in den ersten Absätzen weist sie darauf hin, dass die Ungleichheit in Deutschland deutlich höher ist als im Schnitt der Eurozone – und zwar gleich in mehreren möglichen Messgrößen.«

Da ist sie schon wieder, die Ungleichheit, die derzeit mal wieder intensiver diskutiert wird, vor allem angesichts der Tatsache, dass nunmehr auch Mainstream-Ökonomen das Thema in die Öffentlichkeit tragen.

Markus Zydra hat seinen Artikel wesentlich knackiger überschrieben als Diekmann seinen: Bundesbank: Die Armen werden immer ärmer. Dort findet man diesen wichtigen Hinweis:

Im Vergleich mit den anderen Euro-Staaten, so die Bundesbank, sei der Abstand des Median zur Vermögensspitze in Deutschland deutlich höher. „Die Haushalte, die 2014 zu den 40 Prozent ärmeren Haushalten gehörten, verfügen über ein geringeres Nettovermögen als die Haushalte, die 2010 in diesem Teil der Netto-Vermögensverteilung zu finden waren“, heißt es etwas spröde im Bundesbankbericht. Vulgo: Die Armen haben noch weniger. Eine wichtige Ursache ist sicher, dass sich der Immobilienbesitz vor allem bei den vermögenderen Haushalten konzentriert. „Der Anstieg der Immobilienpreise kommt also vor allem auch den Haushalten im oberen Bereich der Vermögensverteilung zugute.“

Und wenn es um Ungleichheit geht, dann darf der Gini-Koeffizient nicht fehlen:

»Auch der Gini-Koeffizient für das Nettovermögen, ein klassisches Maß für Ungleichheit, sei 2014 in Deutschland mit 76 Prozent im internationalen Vergleich nach wie vor hoch. Je näher der Wert an 100 Prozent liegt, desto ungleicher ist die Verteilung der Vermögen. Der Gini-Koeffizient des Nettovermögens in Italien lag 2014 bei 61 Prozent. Im Euro-Raum waren es 69 Prozent, wobei dieser Wert von 2010 stammt. Neuere Berechnungen gibt es noch nicht. In den USA lag der Gini-Koeffizient 2013 bei 80 Prozent.«

Man muss das im Kontext sehen und einordnen, was die Bundesbank da an Ungleichheitsdaten präsentiert:

»Damit erhält die aktuelle Debatte um wachsende Ungleichheit in der Bevölkerung neue Nahrung. Der Präsident des Wirtschaftsforschungsinstituts DIW, Marcel Fratzscher, hatte zuletzt beschrieben, dass Privatvermögen in keinem anderen Land Europas so ungleich verteilt seien wie in Deutschland. Ein Grund: Geringverdiener mussten seit 1990 deutliche Lohneinbußen hinnehmen. Die OECD und der Internationale Währungsfonds (IWF) gehen davon aus, dass diese Ungleichheit sogar das Wirtschaftswachstum schwäche … Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich deutete zuletzt an, dass die Niedrigzinspolitik der Zentralbanken die Ungleichheit noch vergrößern könnte, weil nur die Reichen das nötige Geld hätten, um in Aktien und Immobilien zu investieren.«

Das ist keine einfache Debatte, die da angerissen wird (vgl. dazu auch den Blog-Beitrag Wenn Ungleichheit und sogar Armut zum Top-Thema werden, weil Ökonomen sich der Sache annehmen. Bedenkenswerte Aspekte einer ökonomischen Kritik der Ungleichheit und ihre Grenzen vom 16. März 2016).

Und wer in diesem Zusammenhang weitere und andere Daten braucht, die für eine Diskussion über die zerstörerischen Konsequenzen einer zunehmenden bzw. zu großen Ungleichheit für die Gesellschaft insgesamt (und damit weit über das durchaus diskussionswürdige Konstrukt des Wirtschaftswachstums in seiner heute gemessenen Form hinausreichend), dem sei ein Blick in die folgende neue Studie empfohlen:

Joachim Albrech, Philipp Fink, Heinrich Tiemann: Ungleiches Deutschland: Sozioökonomischer Disparitätenbericht 2015. Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung, März 2016

»Deutschland driftet auseinander. Trotz guter Konjunktur der vergangenen Jahre profitieren längst nicht alle Regionen vom Wachstum. Die regionale Ungleichheit verfestigt sich oder nimmt sogar noch zu. Einzelne Regionen befinden sich in einem Teufelskreis aus Verschuldung, Arbeitslosigkeit und Abwanderung«, berichtet die Friedrich-Ebert-Stiftung über die Erkenntnisse aus der Studie. Und weiter: »Die von der wirtschaftlichen Entwicklung abgehängten Regionen haben immer mehr Schwierigkeiten bei der Bereitstellung der öffentlichen Daseinsvorsorge. Ihre Kommunen befinden sich zunehmend in einem Teufelskreis aus Verschuldung, Wachstumsschwäche, Arbeitslosigkeit und Abwanderung. Die Bewohner müssen mit einer schlechteren Ausstattung der Infrastruktur auskommen. Ihre Chancen, erfolgreich am Arbeitsleben teilzunehmen schwinden ebenso, wie an den sozialen und kulturellen Alltagsbeziehungen. Das vom Grundgesetz vorgegebene Ziel der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse rückt in immer weitere Ferne.«

Damit keine Missverständnisse entstehen: Hier wird keinesfalls behauptet, dass es überhaupt möglich sei, gleiche Lebensverhältnisse in den sehr unterschiedlichen Räumen unseres Landes herzustellen. Die Unterschiede zwischen Stadt und Land beispielsweise lassen sich mit keinem Instrument der Welt nivellieren. Aber die Orientierung an dem verfassungsrechtlichen Postulat der „Gleichwertigkeit“ der Lebensverhältnisse impliziert eine politische Bindung des Tuns der öffentlichen Hand. So lange das gilt, kann man nicht einfach das Licht ausmachen und bestimmte Regionen und die Menschen, die dort leben, ausklinken aus dem Sicherstellungsauftrag, der sich aus dieser Norm ableitet. Ist dieses Vorgabe erst einmal gefallen, dann wird es vergessenen und sich selbst überlassene Regionen geben und die immer knappen Mittel werden fokussiert auf die tatsächlichen oder angeblichen „Wachstumskerne“ in unserer Republik. Das scheint auch auf den ersten Blick logisch und sinnvoll, könnte aber ungeahnte Nebeneffekte auslösen, beispielsweise eine massive Verdichtung der Menschen in den wenigen privilegierten Regionen, was dann dort für zahlreiche Überlastungseffekte sorgen würde.

Arbeitnehmer entsorgen: Multi-Outsourcing der Beschäftigten in Zombie-Gesellschaften. Ein Beispiel aus der Welt der Möbelhäuser

Viele werden ihn schon mal gesehen haben – den überdimensionierten Stuhl, das Markenzeichen des österreichischen Möbelhändlers  XXXLutz. Die XXXLutz Gruppe betreibt rund 240 Einrichtungshäuser in acht europäischen Ländern und hat im Geschäftsjahr 2014/15 einen Umsatz von 3,44 Milliarden Euro (+ 19 Prozent) erwirtschaftet. Das Unternehmen wurde 1945 gegründet und im Laufe der Jahre entwickelt sich der Produktionsbetrieb und Vertrieb für Handwerkskunst zu einem stetig wachsenden Möbelhändler. In Deutschland gibt es nach Unternehmensangaben 37 Einrichtungshäuser mit insgesamt mehr als 10.500 Mitarbeitern. Man sollte jetzt aber nicht vorschnell denken, dass es sich dabei um Mitarbeiter des Unternehmens XXXLutz handelt. Also eigentlich natürlich schon, aber formal sieht das anders aus. Dieses Unternehmen bewegt sich offensichtlich in der Premier League derjenigen, die versuchen, mithilfe eines unüberschaubaren Geflechts an Zombie-Gesellschaften den faktischen Konzern nach außen nur als Marke daherkommen zu lassen. »Der Konzern hat praktisch alle seine europaweit rund 20.000 Mitarbeiter in Dienstleistungsgesellschaften ausgegliedert, die formal als eigenständig gelten, kaum Eigenkapital besitzen und vertraglich an den jeweiligen Standort gebunden sind. Bei Kündigung des Kontrakts geht die Gesellschaft umgehend in Insolvenz, die Beschäftigten verlieren ihren »Arbeitgeber« und werden entlassen«, kann man den Hintergrundinformationen in dem Artikel »Über Nacht entlassen« entnehmen. Und das ist in diesem Fall eben nicht nur Theorie.

Bereits vor einigen Jahren hat man handfeste Erfahrungen machen müssen, dass die das auch so meinen. So wurden 2009 Vorwürfe gegen das Unternehmen laut aufgrund des rüden Umgangs mit den Mitarbeitern (vgl. dazu beispielsweise Erneut schwere Vorwürfe von verdi gegen Möbelhändler XXXLutz, da ging es vor allem um schwere Arbeitszeitverstöße). 2010 wurde die Frage aufgeworfen: „Scheckbuch-Mitbestimmung“ bei XXXLutz? Dazu auch dieser Artikel: 85.000 Euro für eine Betriebsrätin: »Betriebsräte und Ver.di werfen dem Konzern Scheckbuch-Mitbestimmung vor: Er habe lästige Arbeitnehmervertreter mit üppigen Abfindungen herausgekauft. Das Unternehmen schweigt dazu.« Und im darauf folgenden Jahr musste erneut kritisch berichtet werden, so in dem Beitrag „Miese Stimmung bei XXX-Lutz-Mitarbeitern“ des ZDF-Wirtschaftsmagazins WISO am 12.09.2011, an dem auch der Verfasser als Interviewpartner beteiligt war. In dieser Sendung wurde auch schon angesprochen, dass Mitarbeiter eine Filiale in rechtlich formal selbständige Gesellschaften ausgelagert wurden.

Und auch diesem Jahr hat das Unternehmen Schlagzeilen produziert: »Die erste Arbeitswoche im Februar begann mit einer fiesen Überraschung: Als die Mitarbeiter der Verwaltung Zentrallager bei Mann Mobilia in Mannheim zur Arbeit erschienen, standen da eine Menge Wachleute und Sicherheitsmenschen vor dem Eingang zum Betrieb. Keiner der fast 100 Beschäftigten durfte rein, dafür wurden Briefe verteilt, in denen der Arbeitgeber mitteilte, man sei ab sofort von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt. Wer sich auskennt weiß: Das ist so was wie die Vorstufe der Kündigung.« So die Darstellung in dem Blog-Beitrag „20 Jahre gearbeitet und dann vom Hof gejagt“. Das Möbelhaus Mann Mobilia gehört seit 10 Jahren zur XXXLutz-Gruppe.
Übrigens keineswegs ein Novum: 2013 handelte das Unternehmen in München schon mal fast genauso. Damals ließ man 160 Beschäftigte einfach nicht mehr in den Betrieb. Das dortige Möbelhaus wurde bald geschlossen, der Schlussverkauf von Angestellten anderer Filialen erledigt.
Dahinter steckt ein System, so der Blog-Beitrag: XXXLutz wachse im Markt sehr aggresiv und schluckt einen Konkurrenten nach dem anderen: Sechs Möbelhäuser übernimmt man auf diese Art pro Jahr. Die gekauften Betriebe werden anschließend „optimiert“, was die Struktur der Belegschaft und natürlich deren Bezahlung betrifft.

In Mannheim waren nicht nur die 99 Beschäftigten betroffen, das Unternehmen wollte gleich noch den Betriebsrat vom Gelände vertreiben. Dessen Räume seien wegen Umbauarbeiten nicht mehr benutzbar, so die lapidare Begründung. Das Gremium solle woanders hingehen. Der Betriebsrat hat sich das nicht gefallen lassen – und das erfolgreich: Arbeitsgericht gibt Betriebsrat Recht, meldete der SWR.

Die Hintergründe werden in einem Interview mit Dirk Nagel angeleuchtet: »Über Nacht entlassen«, so ist das Gespräch mit ihm überschrieben. Darin führt er aus:

»Sämtliche Mitarbeiter sind in Dienstleistungsgesellschaften ausgegliedert, wodurch die Holding in Österreich für die deutschen Unternehmen alle ihre Vermögenswerte strikt vom Bereich der Beschäftigten trennt.«

Von den rund 10.000 Beschäftigten in Deutschland steht aufgrund dieser Strategie keiner auf der Gehaltsliste von Lutz. Selbst in der Deutschlandzentrale in Würzburg haben wir es angeblich mit 13 Gesellschaften zu tun, die formal allesamt als unabhängig gelten. Es wird von insgesamt 400 Gesellschaften berichtet, in die sich die Lutz-Gruppe aufteilt. Offensichtlich handelt es sich hier um Zombie-Gesellschaften. Zu den (möglichen) Vorteile für das Unternehmen berichtet Dirk Nagel:

»In der Regel gehört das Möbelhaus oder der Lagestandort einer Gesellschaft in Lutz-Hand, der mindestens zwei bis fünf, manchmal auch mehr Servicegesellschaften zuarbeiten. Diese Einheiten sind formal eigenständig, einzig über einen Dienstleistungsbesorgungsvertrag mit Lutz verbunden und verfügen über kein eigenes Vermögen. Wenn etwas einmal nicht so läuft, wie man sich das in Österreich wünscht, dreht Lutz den Hahn zu, der Vertrag wird gekündigt und die Gesellschaft verliert ihren einzigen Auftraggeber. Weil diese Firmen kein Kapital, ja nicht einmal eigene Kugelschreiber besitzen, ist dann auch kein Geld für einen Sozialplan da … Auf alle Fälle ermöglichen es die Strukturen, schnell und günstig »überschüssiges« Personal bzw. Gesellschaften loszuwerden, die Lutz nicht mehr braucht. Selbst da, wo es Betriebsräte gibt, lassen sich Abfindungsansprüche kaum durchsetzen, weil einfach keine Mittel für einen Interessenausgleich da sind. Damit werden alle Haftungsfragen ad absurdum geführt.«

Nun kann man einwenden: Dass Konzerne Tochtergesellschaften abspalten und auf Outsourcing setzen, ist ja heute fast schon normal. Gibt es eine eigene „Qualität“ bei dem, was XXXLutz betreibt? Dazu Nagel:

»Die Methode ist nicht neu und wird auch von anderen praktiziert, beispielsweise von Kliniken, die ihren Reinigungsdienst oder ihre Küchen ausgliedern. Lutz treibt dies aber wie kein anderer Konzern auf die Spitze und degradiert die Mitarbeiter zur reinen Verschiebemasse, die den Konzernführern schutzlos ausgeliefert ist. Man stelle sich vor, BMW machte das so, hätte keinen einzigen Mitarbeiter mehr unter Vertrag und VW und Siemens ahmten es nach. Dann hätten sich Dinge wie Mitbestimmung und Tarifverträge bald ganz erledigt.«

Es überrascht nicht wirklich, dass Lutz sich strikt weigert, Tarifverträge abzuschließen. Außerdem ist die Ausbildungsquote sehr hoch, was nur scheinbar gut ist, weil es hier zur Kostensenkung eingesetzt wird. Das Resultat: Gegenüber tarifgebundenen Unternehmen hat Lutz etwa 30 Prozent Kostenvorteile.

Und so was ist in dieser Branche Gold wert. Zu deren Zustand vgl. beispielsweise die Sendung Ausverkauft – Deutschlands Möbelbranche in der Krise. Ein Beitrag in dieser Sendung setzt sich auch und eben nicht zufällig auseinander mit XXXLutz: „Nur was für Große: Konzentration im Möbelhandel und die Folgen – Beispiel XXXLutz“, so ist der überschrieben. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch dieser Artikel: Einrichtungshäuser liefern sich irrwitzige Rabattschlachten, Billigimporte vermiesen den Herstellern das Geschäft, so der Beitrag Ende der Gemütlichkeit aus dem vergangenen Jahr.

Und als Parallele hinsichtlich der Outsourcing-Strategie wurde der Bereich der Krankenhäuser bereits angesprochen. Welche Ausmaße das angenommen hat, wurde vor kurzem hier in einem eigenen Beitrag zu den Helios-Kliniken behandelt: Missbrauch von Werkverträgen gibt’s nicht. Sagen die einen. Wie wäre es mit einem Blick auf ein „nahezu unüberschaubares Geflecht an Tochter- und Enkelfirmen“? vom 08.02.2016.

Interessanterweise mehren sich auch im betriebswirtschaftlichen Lager die kritischen Stimmen, ob das ein sinnvoller Weg ist – unabhängig von den negativen Auswirkungen auf die Beschäftigten. So findet man in der „Ärzte Zeitung“ diesen Artikel: Service GmbHs für Kliniken oft defizitär.  Dort wird auf der einen Seite herausgearbeitet, warum es diesen Ausgründungsboom überhaupt gegeben hat:

»“Soweit Häuser bei der Gründung von Servicegesellschaften ihre Funktion als Organmutter und Mehrheitsgesellschafter behalten, müssen sie intern, im Organkreis, keine Mehrwertsteuer zahlen und können Mitarbeiter zu günstigeren Tarifen beschäftigen“, erläutert Lenhard die Vorteile einer eigenen Service GmbH. Diese Tarifstrukturen und umsatzsteuerlichen Effekte hätten in den vergangenen Jahren in größeren deutschen Kliniken zu dem Trend geführt, 100-Prozent-Gesellschaften zu gründen.«

Doch dieses interne Outsourcing rechnet sich laut einer Studie zur Marktfähigkeit von Servicegesellschaften nur bedingt. Man kann davon ausgehen, dass die Hälfte der rund 450 krankenhauseigenen Service-GmbHs in Deutschland die angestrebten Einsparziele nicht erreicht, so eines der Ergebnisse der Studie der Ingenieurs- und Projektmanagementgesellschaft Curatis.

Wenn schon nicht die Würde des Arbeitnehmers handlungsleitend wirkt, dann vielleicht solche Botschaften aus dem Reich der Kosten- und Renditenrechner.

Wenn aus einem bislang städtischen Krankenhaus ein kirchliches wird und eine der ersten Amtshandlungen aus der Abschaltung von Betriebsrat und Tarifbindung besteht. Wieder einmal die Kirchen und ihr Sonderrecht

Seit Beginn der 1990er Jahren sind wir Zeugen eines stetigen Niedergangs der öffentlichen, also kommunalen Trägerschaft von Krankenhäusern (vgl. zu deren Situation auch die Hinweise und Materialien vom Interessenverband Kommunaler Krankenhäuser). Nicht das die geschlossen werden. Zumeist wurden und werden sie privatisiert, entsprechend sehen wir spiegelbildlich einen kontinuierlichen Anstieg der Zahl der Kliniken in privater Trägerschaft. Helios und andere Konzernamen tauchen hier immer wieder auf.

Und einige wurden auch von „freigemeinnützigen“ Trägern übernommen, also vor allem aus den kirchlichen Reihen. Und da herrschen andere Sitten als in einem Krankenhaus in kommunaler Trägerschaft. Vor allem, was die Arbeitsrechte der Beschäftigten angeht. Denn die Kirchen genießen ein aus Sicht vieler Beobachter anachronistisches Sonderrecht, nach dem sie ihren inneren Angelegenheiten weitgehend selbst regeln können – anachronistisch nicht, wenn es um die kirchlichen Angelegenheiten im engeren Sinne wie dem Verkündigungsbereich geht, sondern hinsichtlich der (eigentlich) nach unserer Verfassung allen Menschen zustehenden elementaren Arbeitsrechte. Wie das dann praktisch aussieht, wenn ein bislang städtisches Krankenhaus über Nacht ein kirchliches wird und was das für die Beschäftigten bedeutet, kann man diese Tage im saarländischen Neunkirchen besichtigen.

Daniel Behruzi berichtet in seinem Artikel Plötzlich kirchlich: »Im Klinikum Neunkirchen ist alles wie immer – und doch alles anders. Ärzte, Pflegekräfte und andere Beschäftigte des saarländischen Krankenhauses kümmern sich wie seit Jahren mit Hingabe um die Patienten. Lediglich die Schilder mit der Aufschrift »Städtisches Klinikum Neunkirchen« wurden abmontiert. Die neuen weisen die Einrichtung als »Diakonie Klinikum Neunkirchen« aus. Und noch etwas ist anders: Es gibt keinen Betriebsrat mehr, der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) soll nicht mehr gelten.«

Das Krankenhaus wurde von einem großen Sozialkonzerne aus dem kirchlichen Raum übernommen, der Stiftung Kreuznacher Diakonie.

Besonders zynisch ist die Stellungnahme des neuen Klinikträgers, was die Abschaltung des Betriebsrats angeht:

»Der Betriebsrat ist nicht von uns abgesetzt worden«, heißt es in einer Stellungnahme der neuen Klinikleitung … Es sei lediglich dem Betriebsrat mitgeteilt worden, »dass er mit Eintragung des Gesellschafterwechsels (…) nicht mehr existent ist … Fest steht: Die zwei freigestellten Betriebsratsmitglieder arbeiten seit dieser Woche wieder in der Pflege. Die betriebliche Interessenvertretung ist beseitigt, ihr E-Mail-Konto wurde abgeschaltet.«

Die Kreuznacher Diakonie beruft sich dabei auf die immer wieder mal in der öffentlichen Debatte zumeist kritisch thematisierten Sonderrechte, die den Kirchen zugesprochen werden. Demnach hat das Betriebsverfassungsgesetz für die rund 1,3 Millionen Kirchenbeschäftigten keine Geltung. Statt Betriebsräten gibt es bei Diakonie und Caritas sogenannte Mitarbeitervertretungen mit geringeren Mitspracherechten.

Aber selbst eine solche Mitarbeitervertretung existiert in Neunkirchen bislang nicht. Die Wahl einer solchen soll nun eingeleitet werden. Aber auch hier wieder zeigen sich interessante und diskussionswürdige Besonderheiten, die man den Kirchen zugesteht: Kandidieren dürfen nur Mitglieder einer christlichen Kirche. „Man darf kein Jude sein, kein Muslim, kein Buddhist, kein Zeuge Jehovas, kein Wiedertäufer und schon gar kein Ausgetretener“, so wird ver.di-Sekretär Michael Quetting in dem Artikel zitiert.
Und wenn man schon dabei ist:

Zwar betonte die Klinikleitung in ihrer Stellungnahme, alle vor dem Jahreswechsel eingestellten Beschäftigten hätten keine materiellen Verschlechterungen zu befürchten. Zugleich erklärte sie jedoch, als Mitglied des Diakonischen Werks der Evangelischen Kirche im Rheinland, dem das Klinikum Anfang Februar beitrat, seien Tarifverhandlungen mit ver.di »nicht zulässig«.

Über den Sachverhalt mit weiteren Hintergrundinformationen wurde auch in dem Beitrag Kommunal -> diakonisch -> ökonomisch berichtet, der in dem Blog „caritas-verdi.blogspot.de“ veröffentlicht wurde.

Man kann jetzt akademische Abhandlungen über die Sonderrechte der Kirchen und ihre historische Herleitung verfassen.

Man kann aber auch einfach so argumentieren: Wir reden hier nicht über ein Gotteshaus, in dem die Kirche schalten und walten will, wie sie möchte. Für diesen Bereich kann man vielleicht noch Sonderrechte akzeptieren. Sondern wir sprechen hier von einem Krankenhaus, dem ein neues Besitzer-Etikett aufgeklebt wurde und ansonsten hat sich nichts geändert. Die arbeiten wie am Tag vorher, wo sie noch in kommunaler Trägerschaft waren – und vor allem: die Steuer- und Beitragszahler und die Patienten finanzieren die Klinik wie vorher aus ihren Schatullen. Dann sollten hier gefälligst die gleichen Regeln und Standards gelten wie in allen anderen normalen Unternehmen auch. Es wird endlich Zeit, das kirchliche Sonderrecht zu beenden, wenn es um ganz normale Geschäfte geht, die da unter dem Kreuz gemacht werden.