Viele werden ihn schon mal gesehen haben – den überdimensionierten Stuhl, das Markenzeichen des österreichischen Möbelhändlers XXXLutz. Die XXXLutz Gruppe betreibt rund 240 Einrichtungshäuser in acht europäischen Ländern und hat im Geschäftsjahr 2014/15 einen Umsatz von 3,44 Milliarden Euro (+ 19 Prozent) erwirtschaftet. Das Unternehmen wurde 1945 gegründet und im Laufe der Jahre entwickelt sich der Produktionsbetrieb und Vertrieb für Handwerkskunst zu einem stetig wachsenden Möbelhändler. In Deutschland gibt es nach Unternehmensangaben 37 Einrichtungshäuser mit insgesamt mehr als 10.500 Mitarbeitern. Man sollte jetzt aber nicht vorschnell denken, dass es sich dabei um Mitarbeiter des Unternehmens XXXLutz handelt. Also eigentlich natürlich schon, aber formal sieht das anders aus. Dieses Unternehmen bewegt sich offensichtlich in der Premier League derjenigen, die versuchen, mithilfe eines unüberschaubaren Geflechts an Zombie-Gesellschaften den faktischen Konzern nach außen nur als Marke daherkommen zu lassen. »Der Konzern hat praktisch alle seine europaweit rund 20.000 Mitarbeiter in Dienstleistungsgesellschaften ausgegliedert, die formal als eigenständig gelten, kaum Eigenkapital besitzen und vertraglich an den jeweiligen Standort gebunden sind. Bei Kündigung des Kontrakts geht die Gesellschaft umgehend in Insolvenz, die Beschäftigten verlieren ihren »Arbeitgeber« und werden entlassen«, kann man den Hintergrundinformationen in dem Artikel »Über Nacht entlassen« entnehmen. Und das ist in diesem Fall eben nicht nur Theorie.
Bereits vor einigen Jahren hat man handfeste Erfahrungen machen müssen, dass die das auch so meinen. So wurden 2009 Vorwürfe gegen das Unternehmen laut aufgrund des rüden Umgangs mit den Mitarbeitern (vgl. dazu beispielsweise Erneut schwere Vorwürfe von verdi gegen Möbelhändler XXXLutz, da ging es vor allem um schwere Arbeitszeitverstöße). 2010 wurde die Frage aufgeworfen: „Scheckbuch-Mitbestimmung“ bei XXXLutz? Dazu auch dieser Artikel: 85.000 Euro für eine Betriebsrätin: »Betriebsräte und Ver.di werfen dem Konzern Scheckbuch-Mitbestimmung vor: Er habe lästige Arbeitnehmervertreter mit üppigen Abfindungen herausgekauft. Das Unternehmen schweigt dazu.« Und im darauf folgenden Jahr musste erneut kritisch berichtet werden, so in dem Beitrag „Miese Stimmung bei XXX-Lutz-Mitarbeitern“ des ZDF-Wirtschaftsmagazins WISO am 12.09.2011, an dem auch der Verfasser als Interviewpartner beteiligt war. In dieser Sendung wurde auch schon angesprochen, dass Mitarbeiter eine Filiale in rechtlich formal selbständige Gesellschaften ausgelagert wurden.
Und auch diesem Jahr hat das Unternehmen Schlagzeilen produziert: »Die erste Arbeitswoche im Februar begann mit einer fiesen Überraschung: Als die Mitarbeiter der Verwaltung Zentrallager bei Mann Mobilia in Mannheim zur Arbeit erschienen, standen da eine Menge Wachleute und Sicherheitsmenschen vor dem Eingang zum Betrieb. Keiner der fast 100 Beschäftigten durfte rein, dafür wurden Briefe verteilt, in denen der Arbeitgeber mitteilte, man sei ab sofort von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt. Wer sich auskennt weiß: Das ist so was wie die Vorstufe der Kündigung.« So die Darstellung in dem Blog-Beitrag „20 Jahre gearbeitet und dann vom Hof gejagt“. Das Möbelhaus Mann Mobilia gehört seit 10 Jahren zur XXXLutz-Gruppe.
Übrigens keineswegs ein Novum: 2013 handelte das Unternehmen in München schon mal fast genauso. Damals ließ man 160 Beschäftigte einfach nicht mehr in den Betrieb. Das dortige Möbelhaus wurde bald geschlossen, der Schlussverkauf von Angestellten anderer Filialen erledigt.
Dahinter steckt ein System, so der Blog-Beitrag: XXXLutz wachse im Markt sehr aggresiv und schluckt einen Konkurrenten nach dem anderen: Sechs Möbelhäuser übernimmt man auf diese Art pro Jahr. Die gekauften Betriebe werden anschließend „optimiert“, was die Struktur der Belegschaft und natürlich deren Bezahlung betrifft.
In Mannheim waren nicht nur die 99 Beschäftigten betroffen, das Unternehmen wollte gleich noch den Betriebsrat vom Gelände vertreiben. Dessen Räume seien wegen Umbauarbeiten nicht mehr benutzbar, so die lapidare Begründung. Das Gremium solle woanders hingehen. Der Betriebsrat hat sich das nicht gefallen lassen – und das erfolgreich: Arbeitsgericht gibt Betriebsrat Recht, meldete der SWR.
Die Hintergründe werden in einem Interview mit Dirk Nagel angeleuchtet: »Über Nacht entlassen«, so ist das Gespräch mit ihm überschrieben. Darin führt er aus:
»Sämtliche Mitarbeiter sind in Dienstleistungsgesellschaften ausgegliedert, wodurch die Holding in Österreich für die deutschen Unternehmen alle ihre Vermögenswerte strikt vom Bereich der Beschäftigten trennt.«
Von den rund 10.000 Beschäftigten in Deutschland steht aufgrund dieser Strategie keiner auf der Gehaltsliste von Lutz. Selbst in der Deutschlandzentrale in Würzburg haben wir es angeblich mit 13 Gesellschaften zu tun, die formal allesamt als unabhängig gelten. Es wird von insgesamt 400 Gesellschaften berichtet, in die sich die Lutz-Gruppe aufteilt. Offensichtlich handelt es sich hier um Zombie-Gesellschaften. Zu den (möglichen) Vorteile für das Unternehmen berichtet Dirk Nagel:
»In der Regel gehört das Möbelhaus oder der Lagestandort einer Gesellschaft in Lutz-Hand, der mindestens zwei bis fünf, manchmal auch mehr Servicegesellschaften zuarbeiten. Diese Einheiten sind formal eigenständig, einzig über einen Dienstleistungsbesorgungsvertrag mit Lutz verbunden und verfügen über kein eigenes Vermögen. Wenn etwas einmal nicht so läuft, wie man sich das in Österreich wünscht, dreht Lutz den Hahn zu, der Vertrag wird gekündigt und die Gesellschaft verliert ihren einzigen Auftraggeber. Weil diese Firmen kein Kapital, ja nicht einmal eigene Kugelschreiber besitzen, ist dann auch kein Geld für einen Sozialplan da … Auf alle Fälle ermöglichen es die Strukturen, schnell und günstig »überschüssiges« Personal bzw. Gesellschaften loszuwerden, die Lutz nicht mehr braucht. Selbst da, wo es Betriebsräte gibt, lassen sich Abfindungsansprüche kaum durchsetzen, weil einfach keine Mittel für einen Interessenausgleich da sind. Damit werden alle Haftungsfragen ad absurdum geführt.«
Nun kann man einwenden: Dass Konzerne Tochtergesellschaften abspalten und auf Outsourcing setzen, ist ja heute fast schon normal. Gibt es eine eigene „Qualität“ bei dem, was XXXLutz betreibt? Dazu Nagel:
»Die Methode ist nicht neu und wird auch von anderen praktiziert, beispielsweise von Kliniken, die ihren Reinigungsdienst oder ihre Küchen ausgliedern. Lutz treibt dies aber wie kein anderer Konzern auf die Spitze und degradiert die Mitarbeiter zur reinen Verschiebemasse, die den Konzernführern schutzlos ausgeliefert ist. Man stelle sich vor, BMW machte das so, hätte keinen einzigen Mitarbeiter mehr unter Vertrag und VW und Siemens ahmten es nach. Dann hätten sich Dinge wie Mitbestimmung und Tarifverträge bald ganz erledigt.«
Es überrascht nicht wirklich, dass Lutz sich strikt weigert, Tarifverträge abzuschließen. Außerdem ist die Ausbildungsquote sehr hoch, was nur scheinbar gut ist, weil es hier zur Kostensenkung eingesetzt wird. Das Resultat: Gegenüber tarifgebundenen Unternehmen hat Lutz etwa 30 Prozent Kostenvorteile.
Und so was ist in dieser Branche Gold wert. Zu deren Zustand vgl. beispielsweise die Sendung Ausverkauft – Deutschlands Möbelbranche in der Krise. Ein Beitrag in dieser Sendung setzt sich auch und eben nicht zufällig auseinander mit XXXLutz: „Nur was für Große: Konzentration im Möbelhandel und die Folgen – Beispiel XXXLutz“, so ist der überschrieben. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch dieser Artikel: Einrichtungshäuser liefern sich irrwitzige Rabattschlachten, Billigimporte vermiesen den Herstellern das Geschäft, so der Beitrag Ende der Gemütlichkeit aus dem vergangenen Jahr.
Und als Parallele hinsichtlich der Outsourcing-Strategie wurde der Bereich der Krankenhäuser bereits angesprochen. Welche Ausmaße das angenommen hat, wurde vor kurzem hier in einem eigenen Beitrag zu den Helios-Kliniken behandelt: Missbrauch von Werkverträgen gibt’s nicht. Sagen die einen. Wie wäre es mit einem Blick auf ein „nahezu unüberschaubares Geflecht an Tochter- und Enkelfirmen“? vom 08.02.2016.
Interessanterweise mehren sich auch im betriebswirtschaftlichen Lager die kritischen Stimmen, ob das ein sinnvoller Weg ist – unabhängig von den negativen Auswirkungen auf die Beschäftigten. So findet man in der „Ärzte Zeitung“ diesen Artikel: Service GmbHs für Kliniken oft defizitär. Dort wird auf der einen Seite herausgearbeitet, warum es diesen Ausgründungsboom überhaupt gegeben hat:
»“Soweit Häuser bei der Gründung von Servicegesellschaften ihre Funktion als Organmutter und Mehrheitsgesellschafter behalten, müssen sie intern, im Organkreis, keine Mehrwertsteuer zahlen und können Mitarbeiter zu günstigeren Tarifen beschäftigen“, erläutert Lenhard die Vorteile einer eigenen Service GmbH. Diese Tarifstrukturen und umsatzsteuerlichen Effekte hätten in den vergangenen Jahren in größeren deutschen Kliniken zu dem Trend geführt, 100-Prozent-Gesellschaften zu gründen.«
Doch dieses interne Outsourcing rechnet sich laut einer Studie zur Marktfähigkeit von Servicegesellschaften nur bedingt. Man kann davon ausgehen, dass die Hälfte der rund 450 krankenhauseigenen Service-GmbHs in Deutschland die angestrebten Einsparziele nicht erreicht, so eines der Ergebnisse der Studie der Ingenieurs- und Projektmanagementgesellschaft Curatis.
Wenn schon nicht die Würde des Arbeitnehmers handlungsleitend wirkt, dann vielleicht solche Botschaften aus dem Reich der Kosten- und Renditenrechner.