Umfassende Rechtsberatung als Kernbereich der Sozialpolitik. Der Bundesgerichtshof stellt das unmissverständlich klar

Für die einen ist der Sozialstaat in Deutschland zu teuer und großzügig, für die anderen klaffen enorme Lücken in der sozialen Absicherung und die Leistungen sind oftmals zu knapp bemessen. Zu welcher Seite man auch immer neigt, eines wird kein ernsthafter Teilnehmer der sozialpolitischen Diskussion in Abrede stellen können: Die Sozialleistungen in Deutschland zeichnen sich nur in Spurenelementen durch Klarheit und Einfachheit aus. Der Regelfall ist, dass es erhebliche Mühen macht, die auf dem Papier stehenden Ansprüche auch einzulösen. Es reicht eben nicht aus, darauf hinzuweisen, dass man doch einen Rechtsanspruch habe auf diese oder jene Leistung, die Betroffenen müssen auch den Zugang finden können. Und das ist nicht selbstverständlich für viele Menschen, um die es geht oder gehen sollte.

Das wird auch auf höchster richterlicher Ebene so gesehen – als Problem und zugleich als besondere Bindung der vom Staat beauftragten Akteure: »Im Sozialrecht bestehen für die Sozialleistungsträger besondere Beratungs- und Betreuungspflichten. Eine umfassende Beratung des Versicherten ist die Grundlage für das Funktionieren des immer komplizierter werdenden sozialen Leistungssystems. Im Vordergrund steht dabei nicht mehr nur die Beantwortung von Fragen oder Bitten um Beratung, sondern die verständnisvolle Förderung des Versicherten, das heißt die aufmerksame Prüfung durch den Sachbearbeiter, ob Anlass besteht, den Versicherten auch von Amts wegen auf Gestaltungsmöglichkeiten oder Nachteile hinzuweisen, die sich mit seinem Anliegen verbinden; denn schon gezielte Fragen setzen Sachkunde voraus, über die der Versicherte oft nicht verfügt. Die Kompliziertheit des Sozialrechts liegt gerade in der Verzahnung seiner Sicherungsformen bei den verschiedenen versicherten Risiken, aber auch in der Verknüpfung mit anderen Sicherungssystemen. Die Beratungspflicht ist deshalb nicht auf die Normen beschränkt, die der betreffende Sozialleistungsträger anzuwenden hat.«

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Wieder einmal: Von gut gemeinten Verbesserungen für pflegende Angehörige, diesmal bei der Rente. Und einem nicht nur rechnerischen Irrgarten als Folge bürokratischer Differenzierung

Je ausgereifter die sozialpolitischen Systeme werden, desto undurchschaubarer werden die Regelungen in diesen höchst ausdifferenzierten Systemen. Denn auf die seit Jahrzehnten bestehenden Regelungen werden zum einen immer weitere Detailregelungen raufgepackt, ohne – was eigentlich notwendig wäre – hin und wieder eine Generalrevision vorzunehmen, um die zwischenzeitlich zahlreich entstandene Schnittstellenprobleme zu reduzieren oder gar zu beseitigen. Diese Fundamentalproblematik paart sich dann mit dem besonderen deutschen Merkmal einer – gut gemeinten – Produktion von Einzelfallgerechtigkeit bzw. dem Wunsch, unterschiedliche Belastungen auch unterschiedlich abzubilden. Das führt dann aber nicht nur auf Seiten der eigentlich positiv davon Betroffenen dazu, dass sie oftmals gar nicht wissen (können), dass es diese oder jene Regelung für sie gibt, auch die, die sie beraten sollen, sind mehr mit ihrer Fortbildung beschäftigt (oder resignieren). Und dann muss man bedenken, dass es einen Unterschied macht, ob man etwas bekommen kann und ob das auch wirklich angeboten wird.

Dieses generelle und beklagenswerte Muster im deutschen Sozialstaat kann man immer wieder bei den pflegenden Angehörigen beobachten. Über deren gesamtgesellschaftliche Bedeutung – mehr als 70 Prozent der Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt – und den immer wieder berichteten enormen Belastungen dieser sich oftmals aufopfernden Menschen muss hier weiter gesprochen werden. Es gibt zahlreiche und gute Gründe, die in Sonntagsreden beschworene „Pflegeressource“ Angehörige zu pflegen und zu fördern (wobei „Pflegeressource“ ein sich selbst offenbarender Terminus aus der Debatte über die Pflege ist). Folglich hat der Gesetzgeber in den zurückliegenden Jahren immer wieder – und das sei hier vorangestellt: sicher mit besten Absichten – versucht, unterstützende Regelungen für die pflegenden Angehörigen in die Welt zu setzen. Man denke hier nur an die Regelungen zur Pflegezeit oder Familienpflegezeit, deren Inanspruchnahme aber im molekularen Bereich gemessen werden muss. Gut gemeint ist bekanntlich gerade in der Sozialpolitik nicht immer gut gemacht, sondern man landet tatsächlich oftmals ganz woanders.

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Abgespeist mit niedrigen Renten und dem Verweis auf die Grundsicherung: Mütter, Kindererziehungszeiten und ein Ping-Pong-Spiel auf höchstrichterlicher Ebene

Wieder eine der so trocken daherkommenden Mitteilungen des Statistischen Bundesamtes, hinter der sich hunderttausende Einzelschicksale verbergen: 1.059.000 Empfänger von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung im Dezember 2017. Das waren 3,2 Prozent mehr Leistungsberechtigte als im Dezember 2016. Während rund 515.000 Menschen Grundsicherung wegen einer Erwerbsminderung und unterhalb der Bedarfsschwelle liegenden Einkünften auf diese Sozialhilfeleistung angewiesen waren, wurden gleichzeitig 544.000 Empfänger/innen von Grundsicherung im Rentenalter registriert. Die Entwicklung der Zahlen bezogen auf diese Teilgruppe der Grundsicherungsempfänger nach dem SGB XII seit ihrer Einführung im Jahr 2003 ist in der Abbildung dargestellt. Wobei gleich an dieser Stelle darauf hingewiesen werden muss, dass es sich um eine ausgeprägte Unterschätzung der Sozialhilfebedürftigkeit unter den Senioren handelt, denn immer noch geht man von einer ausgeprägten Nicht-Inanspruchnahme eigentlich zustehender Sozialhilfeleistungen bei den älteren Menschen aus. Dafür gibt es ganz unterschiedliche Gründe wie Schamgefühle, zum „Amt“ gehen zu müssen, Ängste vor der Bedürftigkeitsprüfung im Sozialamt, aber immer wieder wird auch die Angst vorgetragen, die Wohnungen verlassen zu müssen, in denen die Betroffenen teilweise seit Jahrzehnten leben, denn bei der Grundsicherung gelten die gleichen Regeln wie bei den Unterkunftskosten der Hartz IV-Empfänger – die Kosten und damit die Wohnungen müssen „angemessen“ sein, neben der Miete bezieht sich das auch auf die Größe der Wohnungen und bei Überschreiten der Richtwerte werden die Betroffenen aufgefordert, sich eine „billigere“ Wohnung zu suchen (die sie in vielen Gegenden angesichts der Nachfrageverhältnisse in diesem Bereich kaum bis gar nicht finden können). Bei älteren Menschen kommt hinzu, dass die Wohnungsfrage und damit verbundenen die Einbettung in einen ganz bestimmten Raum von besonderer existenzieller Bedeutung ist. 

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